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Juden in Mecklenburg-Vorpommern

Geschichte und Gegenwart

Beginn jüdischer Niederlassungen

Zu Beginn unserer Zeitrechnung lebten in Mecklenburg die slawischen Volksstämme der Obotriten und Leutiter. Sie waren, so berichtet der Historiker L. Donath in seiner im vorigen Jahrhundert erschienenen "Geschichte der Juden von Mecklenburg", "heidnisch in ihrem Glauben, roh und barbarisch in ihren Sitten." Das jüdische Volk jedoch habe stets nur dort seinen Wohnsitz aufgeschlagen, "wo bereits ein gewisser Grad von Cultur und Gesittung herrschte", obwohl, fügt Donath hinzu, die Juden vielleicht in heidnischer Umgebung auf größere Toleranz und Gastfreundschaft rechnen durften als in christlichen Ländern. Doch erst als die Christianisierung in Mecklenburg einige Fortschritte gemacht habe, seien die ersten Juden dorthin gekommen, "vielleicht in der Hoffnung, in dem Lande, das eben die Taufe erhalten und vom Fanatismus noch nicht so durchwühlt war, eine sicherere und friedlichere Zufluchtsstätte zu finden." Der Historiker Ulrich Grotefend vermutet dagegen, dass es möglicherweise schon vor der Germanisierung und Christianisierung Juden im späteren Mecklenburg und Pommern gegeben habe, die dann, als Christen ins Land kamen, nach Polen weiterzogen. Die Mehrzahl der Historiker nimmt indessen an, dass die ersten Juden aus dem Land Brandenburg stammten - denn dort waren sie 1243 unter dem Vorwand, sie hätten Hostien gestohlen und geschändet, verfolgt und viele von ihnen auch ermordet worden - sowie aus dem Rheinland und der Maingegend, wo Pogrome der Kreuzzugsritter überlebende Juden in die Flucht getrieben hatten. Wahrscheinlich hat zu einer Zeit, als man in Schleswig-Holstein noch keine Juden kannte, sich schon eine Reihe von ihnen in Mecklenburg und Pommern angesiedelt, wie etwa in Wismar, Rostock, Parchim, Stralsund, Greifswald, Pasewalk, Wolgast und Löckwitz.

Genau genommen, beginnen die Nachrichten über die mecklenburgischen Juden mit einem Pferdediebstahl: Ein Schuster namens Jordan stahl seinem Nachbarn ein Pferd" und versetzte es bei den Juden",so steht es im Wismarer Stadtbuch um 1260. Einige Jahre später, am 14.April 1266, stellte Fürst Heinrich I. von Mecklenburg die in Wismar ansässigen Juden mit den fürstlichen Dienern gleich und betrachtete sie als seine Schützlinge - gegen Entrichtung eines nicht geringen Schutzgeldes. Dabei ließ sich der Landesherr keineswegs von uneigennütziger Menschenliebe leiten. Motiv seines Handelns war vielmehr seine ständige Finanznot. Laut Donath standen die Juden zu Heinrich I., dem Pilger, in einem "Clientenverhältniß", sie waren seine Schützlinge, keine Kammerknechte. Sie brauchten nicht ständig Abgaben zu zahlen, sondern mussten "nur" die Erlaubnis, "Leben und Luft athmen zu dürfen, für theures Geld erkaufen."

Je mehr die Hansestädte an Macht und Einfluss gewannen, desto häufiger schlugen diese den fürstlichen Willen in den Wind. Das geschah ganz augenfällig, nachdem Heinrich von Mecklenburg" in seiner glühenden Frömmigkeit" zu einem Pilgerzug nach Palästina aufgebrochen war, wo er von Moslems sechsundzwanzig Jahre lang gefangen gehalten wurde. Während seiner Abwesenheit jagte die Stadt Wismar seine Schutzjuden kurzerhand davon. Im Grunde lebten Juden in mecklenburgischen Städte nur dann unbesorgt und unbehelligt, wenn diese, wie Rostock von 1301 bis 1323, unter dänischer Herrschaft standen. Dennoch erhielten einige Juden im heutigen Mecklenburg-Vorpommern schon früh das städtische Bürgerrecht und die Konzession, Häuser zu kaufen.

Die Geschichte der Juden in Pommern wiederum ist bislang noch weniger erforscht worden als die der Juden in Mecklenburg, vielleicht weil es in Pommern fast gar keine kulturellen Zentren mit langer jüdischer Tradition gegeben hat wie beispielsweise in Schlesien. Doch so viel steht fest: in der Stadt Stralsund, die nach ihrer Gründung im Jahre 1234 schnell zu einer der reichsten Städte in Deutschland aufstieg, haben zu allen Zeiten Juden Handel getrieben. Auch wenn sie in der Stadt selbst keinen festen Wohnsitz hatten, so deutet doch die bereits Anfang des 15.Jahrhunderts in den Akten genannte "Judenstraße" auf deren häufige Anwesenheit hin. Aber ansonsten werden in der Zeit vom 13. bis zur Mitte des 14.Jahrhunderts in Pommern nur vereinzelt Juden erwähnt - urkundlich erstmals am 2.Dezember 1261. Auch in den folgenden Jahrhunderten ist der jüdische Bevölkerungsanteil in Pommern immer ziemlich niedrig gewesen.

Die stets prekäre Situation von Juden im heutigen Mecklenburg-Vorpommern verschärfte sich mit den Pogromen der Pestzeit Mitte des 14.Jahrhunderts. Als die Seuche ausbrach, tauchte das Gerücht auf, Juden hätten die Brunnen vergiftet. Die ersten Pogrome fanden in Krakow und Güstrow statt. In Krakow wurden die Opfer 1325 gerädert und in Güstrow 1330 verbrannt. Ihre Güter wurden eingezogen und von ihrem Geld Kapellen erbaut, die fortan als beliebte Wallfahrtsorte den Herrschern und der Geistlichkeit zusätzliche Einnahmen sicherten. Die Verfolgung der Juden in Mecklenburg kulminierte nochmals im Oktober 1492, als ihnen Hostienfrevel vorgeworfen wurde und am 24.Oktober 1492 in dem kleinen, idyllisch an einem See gelegenen mecklenburgischen Städtchen Sternberg 27 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Im selben Jahr, in dem mit der Entdeckung Amerikas in Europa angeblich das Mittelalter zu Ende gegangen war, wurden Juden in ganz Mecklenburg gefangen gesetzt und peinlichen Verhören unterzogen, bei denen sie, so schreibt ein Chronist, "alles" eingestanden hätten. Über diesen Vorgang liegen zwei einander widersprechende Protokolle vor. Aber kein Ermittler hat je versucht, die Widersprüche zu klären. Wahrscheinlich weil es nichts zu klären gab und weil man nur einen Vorwand gesucht hatte, um die Juden loszuwerden. Wieder wurde ihr Vermögen zugunsten der Herzöge eingezogen, wieder wurden alle Schulden, die die Herrscher bei ihnen hatten, für null und nichtig erklärt, sozusagen als Entschädigung für das nicht mehr fließende Geld aus dem Judenregal. Für die angeblich geschändeten Hostien wurde auf Beschluss von Bischof und Domkapitel zu Schwerin eine sogenannte Heiligblutkapelle an die Sternberger Dorfkirche angebaut. Die Einnahmen an den Prozessionen zu dieser Kapelle wurden so präzise geregelt, dass man an den Festlegungen ablesen kann, wer an dem Judenmord verdient hat: der Pfarrer von Sternberg, die Geistlichkeit der Sankt-Jakobi-Kirche zu Rostock und der Bischof von Schwerin.

Schon im 15.Jahrhundert hat der evangelische Theologe Osiander die Manipulation des Schuldspruchs und das unaufrichtige Verhalten der Ankläger aufgedeckt. Es seien Schuldsprüche nach vorgefertigtem Muster gewesen, befand er und stellte die Frage, wer denn wohl glauben wolle, dass ausgerechnet Menschen, die in tagtäglicher Unsicherheit lebten, Straftaten begingen, die ihre ohnehin bedrohliche Lage noch weiter verschärften. Die Verbrennung der Juden von Sternberg auf dem sogenannten Judenberg nahe der Stadt sei, so folgerte Osiander, ein einwandfreier Justizmord gewesen und die Vertreibung der übrigen Juden aus den mecklenburgischen Ländern ein reiner Willkürakt. Auch der evangelisch-lutherische Pastor Bard nennt um 1900 die Legende von der Hostienschändung eine "pia fraus", einen frommen Betrug, der die Stadt Sternberg in der Inflationszeit nach dem 1.Weltkrieg indessen nicht davon abgehalten hat, auf dem gedruckten Notgeld das angebliche Geschehen von 1492 als wahre historische Begebenheit darzustellen.

Aber nochmals zurück zum Ende des Mittelalters. Das Gerücht von der Hostienschändung in Sternberg hatte sich bis nach Pommern ausgewirkt und den dort regierenden Herzog Bugeslav zu der Annahme verleitet, dass auch er nach der Sternberger Anklage Juden in seinem Lande nicht mehr dulden dürfe. So wurden auch hier alle vertrieben. Ob sich dennoch Juden in den nächsten zweihundert Jahren in Mecklenburg und Pommern aufgehalten haben, ist nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass sich nach dem Westfälischen Frieden 1648, durch den Vorpommern zu Schweden kam, in diesem Territorium offiziell vorerst keine Juden niederlassen durften.

Tabakhändler kurbeln die Handelsgeschäfte an

Erst Ende des 17.Jahrhunderts durften Juden wieder nach Mecklenburg und Vorpommern einwandern. Da Jahrhunderte zuvor ihre Glaubensgenossen dort höchst schimpflich behandelt worden waren, missbilligten viele Rabbiner eine erneute jüdische Ansiedlung und belegten zunächst jeden, der sich in diesem Landstrich niederließ, mit dem Bann. Aber die meisten Juden haben sich darum nicht gekümmert. Die ersten Juden, die nach Mecklenburg kamen, waren Tabakhändler: Michel Heinrichs, ein Glückstädter Juden - er durfte mit herzoglichem Privileg Rauchtabak einführen, verarbeiten und vertreiben -, und die sephardischen Tabakhändler: Abraham Hagen und Nathan Bendix aus Hamburg. Auch der Güstrower Hof und der Herzog von Mecklenburg-Strelitz verpflichteten, da sie wie der Schweriner Hof in Geldnöten steckten (Mecklenburg bestand zeitweilig aus drei Herzogtümern), durch Handelsprivilegien Juden aus Frankfurt/Oder an ihren Hof. Ihre Leistungen als Kaufleute und Händler wirkten sich für das noch unentwickelte Land segensreich aus. Denn sie haben nicht nur den Anbau der Tabakspflanze in Mecklenburg erfolgreich vorangetrieben, sondern dank ihrer internationalen Beziehungen auch den Wollhandel.

Gefestigt wurde die Stellung der Juden vor allem durch zwei mecklenburgische Glaubensgefährten, durch die Brüder Philipp und Nathan Aaron. Diese waren Mäzene jüdischer Gelehrter und, laut Donath, "ein Hort aller Gedrückten und Bedrängten und machten, wo sie nur eine hülfreiche Hand bieten konnten, von ihrer einflussreichen Stellung am Hofe den edelsten, hochherzigsten Gebrauch." 1752 durften Juden in Malchin sogar einen "Landtag" abhalten, auf dem über jüdische Angelegenheiten beraten wurde. Die hier gefassten und in hebräischer Sprache niedergeschriebenen Beschlüsse zur Organisation der Juden konnten allerdings nicht verwirklicht werden. 1764 kam nochmals ein jüdischer Landtag zustande, diesmal in Schwaan, der Juden in Mecklenburg und Vorpommern eine festere Organisation als bisher und ein Statut über ihre Lebens-, Glaubens- und Gemeindeverhältnisse bescherte.

Viele kleine jüdische Siedlungen

Im heutigen Vorpommern siedelten sich allmählich ebenfalls wieder Juden an. Viele kamen aus Mecklenburg, weil sie sich in Pommern bessere Handelsgeschäfte erhofften. Nachdem 1757 in Stralsund die königlich-schwedische Münze eingerichtet worden war, benötigte man zur Edelmetallbeschaffung und für die damit verbundenen risikoträchtigen Geschäfte die Erfahrungen und Mittel jüdischer Agenten und holte daher 1759 die Brüder Abraham und Samuel Hertz aus Strelitz in die Stadt. Es folgten weitere Familien, so dass sich bald eine Gemeinde mit 37 Mitgliedern konstituieren konnte. Aus der Stralsunder Gemeinde sind später zwei Juden weit über die Stadt und die Region hinaus bekannt geworden: Abraham Wertheim und Leonhard Tietz, die Begründer der gleichnamigen Warenhausgroßunternehmen. Da der Rat der Stadt "ihren" Juden für die Bestattung der verstorbenen Angehörigen einen Begräbnisplatz verweigerte, sahen sich die Stralsunder Juden gezwungen,bei Beerdigungen den weiten und mühseligen Weg nach Sülze im Mecklenburgischen zurückzulegen,wo sich am Schindanger ein jüdischer Friedhof befand. Als 1776 das Töchterchen des Münzagenten Hertz starb, erlaubte der Münzdirektor Giese, auf Zureden seiner Frau, der Familie Hertz das Kind in seinem Lustgarten auf Gut Niederhof unentgeltlich zu beerdigen. Im Laufe der Zeit folgten weitere Bestattungen. So wurden 74 Jahre lang bis 1850 Juden aus Stralsund, Greifswald und anderen vorpommerschen Städten hier zur letzten Ruhe gebettet.

In Stralsund wurde am 30.März 1787 eine Synagoge feierlich eingeweiht, der alle in Schwedisch-Pommern ansässigen Juden angehörten. Aber auch Pasewalk und Anklam entwickelten sich Ende des 18. und Anfang des 19.Jahrhunderts zu religiösen jüdischen Zentren. An kleineren Orten ließen sich ebenfalls vereinzelt Juden nieder:in Ribnitz-Damgarten, in Usedom und Wollin, mit Genehmigung der schwedischen Regierung in Greifswald, in Bergen und Binz auf Rügen, wo bald auch jüdische Erholungsheime entstanden, und später in Grabow, Plau, Malchow, Bützow (hier wurde 1885 der "Judenmissionsverein für Mecklenburg-Schwerin"gegründet, der Juden das Christentum nahe bringen sollte), ferner in Malchin, Penzlin, Güstrow, sowie in den berüchtigten Landstädtchen Sternberg und Krakow.

Bedeutende mecklenburgische Juden

In Krakow genoss die alteingessene Familie Nathan besondere Verehrung. Viele ihrer nicht unbeträchtlichen Gewinne, die die Familie aus dem Textil-und Produktenhandel erzielte, stellte sie der Stadt für öffentliche Zwecke zur Verfügung. 1852 eröffnete Ascher Nathan ein Kaufhaus, während der Gemeindevorsteher Benno Nathan eine Fortbildungsschule für junge Kaufleute errichtete. 1910 gehörte er zu den Stiftern des Reuter Gedenksteins in einer Gartenanlage. Sein Bruder Josef förderte die Freiwillige Feuerwehr und war ein Verehrer des plattdeutschen Dichters Fritz Reuters. Josef Nathan verfasste selbst ebenfalls plattdeutsche Lyrik und dichtete einmal: "Min oll lütt Vaterstadt, tüschen See un Barg: Hier hett min Weig dunn stahn, hier stah' min Sarg." Wie ihre nichtjüdischen Nachbarn betrachteten sich die Nathans im 19.Jahrhundert in erster Linie als Mecklenburger und pflegten wie alle Einheimischen die plattdeutsche Sprache.

Fritz Reuter, Mecklenburgs"Nationaldichter", wiederum hat in seinem großen Roman "Ut mine Stromtid" in der Figur des Moses Isaak Salomon einem Mecklenburger Juden ein ehrfurchtsvolles Denkmal gesetzt. Ein Stavenhagener Jude, der Arzt Michael Liebmann (1810-1874), hat in Reuters Leben eine wichtige Rolle gespielt: Er unterstützte Reuter tatkräftig, als sich dieser 1866 mit einem Spendenaufruf für die Verwundeten der Schlacht von Langensalza an seine Landsleute wandte. Ein Jahr später, als Reuter den Tiedge-Preis erhielt, revanchierte er sich mit einer Spende für das Krankenhaus, das Liebmann in Reuters Heimatstadt Stavenhagen gründen wollte. Reuter schrieb dazu:"..weil ich seit langen, langen Jahren Dein treues und ehrenvolles Wirken in Deinem Berufe und Deine Liebe und Freundschaft für mich kenne, so sende ich diese Gabe an Dich. Dir, dem Juden, der in trübster Zeit, in Not und in Tod treu zu mir gestanden hat, verdanke ich viel mehr als manchem, durch seinen Glauben aufgeputzten Christenmenschen."

Die bekannteste jüdische Familie in Neubuckow waren die Burchards. Ihr entstammte ein "Amerikafahrer" namens Martin Burchard, der in Brasilien zu Vermögen gekommen war und seiner Heimatstadt testamentarisch 40.000 Goldstück vermachte, mit der Auflage, von diesem Geld ein Altersheim zu errichten.

1768 war die jüdische Gemeinde von Alt-Strelitz gegründet worden. Kurz zuvor war Strelitz, die Residenz der mecklenburg-strelitzschen Fürsten, samt Schloss und Städtchen abgebrannt. Herzog Adolph Friedrich I. ließ sich eine neue Residenz und eine neue Stadt bauen, die den Namen Neustrelitz erhielt. In einer Mischung aus Toleranz und Eigennutz rief der Herzog 1733 Neuansiedler in sein Land und gewährte jüdischen Einwanderern gegen eine geringe Gebühr das Niederlassungsrecht. Diese schufen aus der abgebrannten Residenz Alt-Strelitz die jüdische Hauptstadt Mecklenburgs"Oll-Mochum". Es war das einzige Schtetl in ganz Mecklenburg. Nirgendwo sonst in dieser Region sollen die Juden im 18.und in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts so autonom gewesen sein wie gerade in Alt-Strelitz. Immerhin hatte ihnen der Herzog bei ihrer Ankunft eine zehnjährige Steuerfreiheit gewährt, Bauplätze geschenkt oder billig vergeben, preiswertes Baumaterial überlassen und freie Religionsausübung zugestanden. Die herzogliche Toleranz führte bald dazu, dass Alt-Strelitz die höchste jüdische Bevölkerungszahl erreichte, die es je in Mecklenburg gegeben hat. Die jüdische Gemeinde in Alt-Strelitz verfügte über eine eigene Polizei und besaß neben einer Synagoge eine eigene Freischule, die auch von christlichen Eltern geschätzt wurde. Dem Herzog von Neustrelitz war es nur recht, dass die Juden seinem winzigen Staat wirtschaftlich auf die Sprünge halfen. Organisierten sie ihre Handelsgeschäfte doch viel besser als ihre schwerfälligen christlichen Kollegen. Nicht zuletzt dem Gewerbefleiß der Juden war es zu danken, dass das Haus Mecklenburg-Strelitz bald eines der reichsten deutschen Fürstenhäuser war.

In Strelitz lebte einer der bedeutendsten jüdischen Gelehrten, der Sprachforscher und Literaturhistoriker Daniel Sanders (1819-1897). Als Sanders, der in Strelitz das Amt des Schulleiters innehatte,1897 starb, brachte die Stadt Strelitz an seinem Wohnhaus eine Gedenktafel an. Die Nazis rissen die Tafel ab und ließen sie einschmelzen. Das Haus, das Sanders nach endlosen Querelen hatte kaufen dürfen, vernichtete 1945 ein Feuersturm, der das ganze Schtetl Oll Mochum verschlang.

Viele Juden waren aufrechte Patrioten, wie etwa Marcus Isaak aus Malchin, der in der Silvesternacht 1761, als die Stadt von den Truppen Friedrichs II. von Preußen belagert und beschossen wurde, "mit großer Tapferkeit" das Niederbrennen der Stadt verhindert hatte. Aus Malchin stammte auch Siegfried Marcus, ein bekannter Erfinder auf dem Gebiet der Elektrotechnik und allem Anschein nach der Erbauer des ersten mit Benzin getriebenen Automobils sowie des ersten 4-Taktmotors - zehn Jahre vor Daimler und Benz. (Die FAZ widmete ihm zu seinem 100.Todestag am 1.Juli 1998 einen längeren Artikel.)

In Schwerin wirkte von 1840 bis 1847 Dr.Samuel Holdheim, ein bedeutender Judaist und radikaler Vertreter der jüdischen Reformbewegung in Deutschland. In seinem Hauptwerk "Über die Autonomie der Rabbinen" verlangte er unter anderem die Aufhebung aller "national-jüdischen" Gesetze, also jener Bestimmungen, die über den religiösen Bereich hinausgingen und eine vollständige Integration der Juden in das jeweilige Staatswesen verhinderten.

Weniger liberal als in Mecklenburg-Neustrelitz ging es überdies im viel größeren Mecklenburg-Schwerin zu. Herzog Friedrich, "der Fromme", dessen Regierungszeit in die Zeit der Aufklärung fiel, war zwar kein Judenfeind, vielmehr verhielt er sich Juden gegenüber durchaus tolerant. Doch ihre "Bekehrung" zum Christentum lag ihm am Herzen. Einer seiner eifrigsten Gehilfen war der Bützower Orientalist Georg Oluf Tychsen, ein hartnäckiger Proselytenmacher, der einmal bei seinen Versuchen, Juden zur Taufe zu bewegen, mit einer deftigen Tracht Prügel bedacht wurde. Ähnlich ambivalent wie der Herzog benahm sich Ende des 18.Jahrhunderts Professor Georg Brockmann, Pastor an St.Marien in Greifswald. In einer Predigt forderte er Christen zur Toleranz auf und verlangte von ihnen, sie sollten durch ihren Lebenswandel, "den Unglauben der Juden beschämen". Dieser Geistliche verzichtete zwar auf Gewaltanwendungen, nicht aber auf christliche Missionierung.

Unter den Machtkämpfen der Landesherren mit der Ritterschaft und den Städten in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts hatten vor allem die Juden zu leiden. Als die Ritter und Städte einmal mit Nachdruck die Vertreibung der Juden verlangten, erließ der Schweriner Herzog 1749 die Ordre, dass außerhalb der Jahrmärkte in seinem Territorium keine Juden zu dulden seien, ausgenommen jene, die eine herzogliche Spezialkonzession besäßen. Zu einer Vertreibung kam es indessen nicht, weil Mecklenburg während des siebenjährigen Krieges (1756-1763) bis an den Landkonkurs geraten war und Landesherr und Städte folglich auf die Finanz- und Handelsbeziehungen der Juden angewiesen waren.

Während der Napoleonischen Zeit konnten sich die mecklenburgischen Juden einige Jahre lang der Toleranz und freien Entwicklung erfreuen. "Ihre Sklavenketten brachen, wo die Soldaten Frankreichs erschienen", stellt der Chronist lakonisch fest. Nach der Niederlage Napoleons wurde im Großherzogtum Mecklenburg ein großer Teil der Emanzipationsversprechungen wieder aufgehoben. In Güstrow, "Klein-Paris" genannt, plante man 1819 sogar, Juden am Abend des Versöhnungstages in der Synagoge zu

überfallen und zu töten. Doch wurde die Synagoge auf Veranlassung des Güstrower Bürgermeisters von Soldaten bewacht, während die Offiziere dem Gottesdienst beiwohnten. Die Rädelsführer mit ihren bewaffneten 173 Helfershelfer hatten "den Riesenmuth, 14 wehrlose Familien an ihrem heiligsten Feste zu überfallen und wohl auch zu misshandeln oder gar niederzumachen; waren aber viel zu feige, mit den 70 Soldaten der Garnison und der Polizei in gefährliche Berührung zu kommen", heißt es in der Chronik.

Herzog Friedrich Franz I. (1756-1837) war einer der wenigen deutschen Herrscher, der sich ernsthaft um die Beseitigung der Ausgrenzung von Juden bemühte. Am 22.Februar 1813 wurde gegen den Widerstand der Ritterschaft und der Magistrate der Städte allen Juden durch landesherrliche Verordnung die bürgerliche Gleichstellung eingeräumt. Anfeindungen der Stände ließen nicht lange auf sich warten. Als sich auch der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz auf die Seite der Ritter und Stände stellte, blieb Großherzog Friedrich Franz I. nichts anderes übrig, als sein fortschrittliches Gesetz 1817 ersatzlos aufzuheben. Die Juden standen verfassungsrechtlich wieder auf dem Stand von 1755. Noch am 20.Januar 1814 hatte der Herzog darauf hingewiesen: "Die in Mecklenburg geborenen Juden sind auch Mecklenburger, Unsere Untertanen, die ein gleiches Recht mit anderen auf Unsere Landesherrliche Vorsorge und Bedachtnahme der Verbesserung ihres Zustandes haben, welche letztere sich nicht ohne Vorteil für die übrigen Untertanen und das ganze Land denken läßt."

Nach der Revolution von 1848 wurden Juden auch in Mecklenburg zum ersten Mal in die Parlamente gewählt. Doch das Wechselbad zwischen Emanzipation und Restriktion ging weiter. Erst Jahrzehnte später wurde mit der vollen rechtlichen Gleichstellung, die am 3.Juli 1869 vom Norddeutschen Bund beschlossen und 1870/71 auf das geeinte Deutschland ausgedehnt wurde, jeder religiösen Diskriminierung der Rechtsboden entzogen. Damit war auch in Mecklenburg "die politisch-bürgerliche Leidens-Toleranz und Emanzipations-Geschichte der Juden abgeschlossen, und wie wir hoffen mit göttlicher Hilfe für alle Zeiten", schreibt Donath frohgemut, nicht ahnend, welch schlimmes Schicksal die Deutschen ihren jüdischen Landsleuten im nächsten Jahrhundert bereiten würden. "In politisch-bürgerlicher Beziehung", meint er weiter, "wird es für alle Söhne des deutschen Reiches, ohne Unterschied der Confession, fortan nur eine Geschichte des engeren Vaterlandes - für uns Mecklenburg - und des großen deutschen Vaterlandes, geben. Was sich bei den Juden als solche, an deutscher Geschichte abspielen wird, wird nur, wie bei den anderen Confessionen, auf religiösem Gebiet sich bewegen."

In dieser Zeit hat sich auch Rostock, das sich jahrhundertelang gegen den Zuzug von Juden gesträubt hatte, eines besseren besonnen und Juden aufgenommen. Hier erstand die größte Gemeinde Mecklenburgs neben Schwerin und Güstrow. Eine eigene jüdische Schule hat Rostock freilich nie besessen. Rostocker Juden mussten daher ihre Kinder auf die Thora-Schulen in Hamburg und Frankfurt/Main schicken. Ihren weltlichen Unterricht erhielten jüdische Kinder in städtischen Schulen und in Privatschulen. Die meisten besuchten das Gymnasium. Die Hansestadt hat durch die Ansiedlung von Juden aber nicht nur zahlungskräftige Steuerzahler gewonnen, sondern auch eine große Zahl tüchtiger Ärzte, Rechtsanwälte, Universitätsprofessoren und Kaufleute. Die größte soziale Leistung vollbrachte die Reformpädagogin Marie Bloch mit dem Fröbelschen Kindergarten. In Stralsund waren ebenfalls die oft sehr angesehenen jüdischen Geschäftsleute in das gesellschaftliche Leben der Stadt fest integriert. Immer häufiger kam es zu Eheschließungen zwischen Juden und Christen. Die kleine Gruppe der "Ostjuden" blieb dagegen isoliert.

Ende des 19. Jahrhunderts zogen zahlreiche jüdische Familien in die prosperierende Hauptstadt Berlin und in die weltoffenen Handelsplätze wie Hamburg oder Frankfurt. Nach dem Ersten Weltkrieg gerieten auch Juden in Not. Inflation und Weltwirtschaftskrise trafen sie genauso wie nichtjüdische Bürger. Jüdische Firmen gingen in Konkurs. Synagogen wurden verkauft, um mit dem Erlös die Friedhöfe erhalten zu können.

Der Nazi-Terror

Als die Nazis ihre unheilvolle Herrschaft antraten, lebten ungefähr 1.003 Juden in Mecklenburg, verteilt auf 47 israelische Gemeinden. Das waren gerade 0,13 Prozent der in Deutschland ansässigen Juden. In ganz Pommern waren im Jahre 1925 7761 jüdische Einwohner gezählt worden, wie viele von ihnen zu jener Zeit im heutigen Vorpommern lebten, steht nicht genau fest. Nur so viel ist sicher, dass 1933 in Stralsund etwa 160 jüdische Bürger ansässig waren.

Gleich 1933 begann im heutigen Mecklenburg-Vorpommern wie überall in Deutschland die Judenverfolgung. Einige Beispiele mögen die wachsende Eskalation verdeutlichen. 1933 wurde an der Universität Greifswald ein Zweig des Amtes für Rassenhygiene" gegründet, wo exponierte Rassenfanatiker, unter ihnen Theodor Oberländer, ihren dubiosen Forschungen nachgingen. Am 10.5.1933 fand in Greifswald wie in vielen anderen Universitätsstädten eine Bücherverbrennung statt, während jüdische Gelehrte und andere Juden geächtet und verfolgt wurden.

Der international angesehene Stomatologe Hans Moral (1855-1933), der zwei Jahrzehnte lang die Rostocker Universitätsklinik für Mund- und Zahnkrankheiten geleitet hatte, war schon vor 1933 Ziel antisemitischer Anfeindungen. Nach dem Verlust seiner Arbeit nahm er sich am 6.August 1933 das Leben. Der 1919 nach Rostock berufene Professor David Katz(1884-1953), der das Psychologische Institut an der Universität Rostock gegründet und die Psychologie zum anerkannten Fach entwickelt hatte, wurde 1933 von den Nazis zur Emigration gezwungen. Die Stadtverwaltung von Putbus gab im Herbst 1935 kund, "keine Juden mehr bedienen" zu wollen. Im selben Jahr wurde Pastor Köhler aus Zernin verhaftet, weil er Geld für Juden gesammelt hatte. Aber seine Haltung war fragwürdig. Hatte er doch in einer Predigt selbstgerecht getönt: "Die Juden sind wohl unsere Feinde, aber wir müssen ihnen vergeben." 1938 machte der Landrat von Wollin den Vorschlag, die pommerschen Juden auf der Insel Rügen zu konzentrieren oder Heringsdorf als "Judendorf" einzurichten. Während der Pogromnacht im November 1938 brannten in vielen Städten die Synagogen: in Alt-Strelitz, Güstrow, Neubrandenburg, Rostock und Schwerin. Jüdische Friedhöfe wurden geschändet, Geschäfte jüdischer Bürger beschädigt und geplündert, während die Juden selbst einer entwürdigenden und unmenschlichen Hetze ausgesetzt waren. Auch von den Mecklenburger Juden wurden viele in Auschwitz, Majdanek und Theresienstadt ermordet. Manche wählten den Freitod wie der Mathematiker Felix Hausdorff (1868-1942), der an der Universität Greifswald die Grundlage für Mengenlehre und Topologie geschaffen hatte. In jedem Ort spielten sich Tragödien ab, still und fast anonym. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verhielt sich die Bevölkerung während der Nazizeit gleichgültig oder unterstützte die Diskriminierung jüdischer Menschen. Nur wenige Nichtjuden standen bedrohten Juden bei, wie etwa in Warin, wo sich der pensionierte preußische Kammergerichtsrat Ernst Wolff aus Köslin von 1943 an bei Freunden verstecken konnte und so die Shoah überlebte.

Außerdem wurden in Mecklenburg mehrere Konzentrationslager eingerichtet:in Reiherhorst bei Wöbbelin, das berüchtigte Lager Ravensbrück bei Fürstenberg und in Neubrandenburg.

Nach 1945

Vierzehn jüdische Bürger überlebten in Rostock die Schreckensjahre der Verfolgung. Zwei jüdische Frauen kamen aus Theresienstadt zurück. In Stralsund fanden sich ebenfalls nur zwei Juden ein, die den nationalsozialistischen Völkermord überlebt hatten. Am 2.September 1947 versammelten sich hier zweiundzwanzig Juden, um mit Zustimmung des Vizepräsidenten der neuen "antifaschistisch-demokratischen" Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, Gottfried Grünberg, eine jüdische Gemeinde für die Kreise Stralsund, Rügen, Usedom, Grimmen, Demmin, Greifswald und Anklam zu gründen. In Schwerin bildeten Holocaust-Überlebende zusammen mit aus der Emigration zurückgekehrten Juden Anfang 1947 die "Jüdische Landesgemeinde Mecklenburg" und richteten in der ehemaligen Israelitischen Schule einen kleinen Betsaal ein. Zudem erhielt die Gemeinde von der Sowjetischen Militäradministration Mecklenburgs zahlreiche, von den Nazis geraubte Grundstücke, darunter viele Friedhöfe, zurück. Weitere Gemeinden entstanden in Mecklenburg zunächst nicht, weder in Rostock noch in Wismar oder anderswo.

Allerdings nahm in Schwerin die Zahl der Gemeindemitglieder rasch ab. 1960 hatte die Gemeinde nur noch dreißig Mitglieder. Auch der in Pommern gegründeten jüdischen Gemeinde war keine lange Lebensdauer beschieden. In Schwerin existierte freilich noch bis 1962 ein regelmäßiges jüdisches Leben, das dann durch Umzüge etlicher Mitglieder nach Berlin oder Westdeutschland mehr und mehr zum Erliegen kam. 1973 fand der vorläufig letzte Gottesdienst statt. Lediglich eine Lehrerin, die selbst keine Jüdin war, kümmerte sich noch um die Pflegeverträge für die jüdischen Friedhöfe.

Jüdische Beisetzungen gab es nach dem Ende der Nazi-Herrschaft allein in Schwerin und in Rostock. Lange Zeit fand man nur auf diesen beiden Friedhöfen auf einigen Grabsteinen Hinweise, die an die Nazi-Opfer einzelner Familien erinnerten. Ausgerechnet die See-und Handelsstadt Rostock, die sich durch fünf Jahrhunderte hindurch dem Zuzug von Juden starrköpfig widersetzt hatte, besitzt heute den größten jüdischen Friedhof in Mecklenburg-Vorpommern.

Insgesamt 34 jüdische Begräbnisstätten hat Mecklenburg noch aufzuweisen. Halbwegs gut erhaltene stillgelegte jüdische Friedhöfe gibt es in Grabow, Teterow, Krakow, Penzlin und Ludwigslust. Einige Friedhöfe und Synagogen stehen unter Denkmalschutz oder sind inzwischen zu Gedenkstätten umgestaltet worden. Anderen droht der Verfall. Viele sind überwuchert, verschüttet oder ganz vergessen. In mehreren Städten sind die Friedhöfe vollständig verschwunden. Oft wissen nicht einmal mehr die Ortsansässigen, dass ihre Stadt einen Judenfriedhof besaß. Im Plau benachbarten Lübz liegen Juden, die hier gelebt haben, auf dem örtlichen Friedhof begraben. Aber keine Tafel erwähnt ihre Geschichte. In manchen Städten wurden jüdische Grabsteine anderweitig verwendet. In der Marienkirche von Parchim beispielsweise ist in der Grundmauer ein jüdischer Grabstein eingemauert worden. Auch in Rehna dienten Steine vom jüdischen Friedhof als Treppenstufen und Schwellsteine, allerdings nicht in einer Kirche, sondern vor einer Gastwirtschaft am Markt. In Plau wird die ehemalige Synagoge jetzt als katholische Kirche benutzt. Der frühere jüdische Friedhof ist heute Gedenkstätte. Jedoch wurde die Beschriftung eines Grabsteins am jüdischen Friedhof herausgemeißelt und zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus umgewidmet. Derartig "sonderbehandelt" steht er nun, knapp hundert Meter entfernt von seinem ursprünglichen Standort, in einem Park. Im Zentrum von Güstrow klafft dagegen am Ort der zerstörten Synagoge eine große Baulücke, dicht neben dem heute baufälligen Haus des Rabbiners und dem jüdischen Schulgebäude. Hier fehlt ebenfalls jeder Hinweis auf die einst bedeutende jüdische Gemeinde der Stadt. In der Kleinstadt Krakow am See im Landkreis Güstrow erinnern heute nur noch ein Friedhof - er ist Eigentum des Zentralrats der Juden in Deutschland - und eine ehemalige Synagoge an die frühere jüdische Gemeinde. Von den vierzehn ehemaligen Synagogen und Bethäusern in Mecklenburg-Vorpommern ist lediglich in Krakow am See die Alte Synagoge fast vollständig erhalten geblieben. Sie war 1920 an die Stadt als Turnhalle verkauft worden und wurde 1995 zu einem Kultur- und Begegnungszentrum umgestaltet. Gedenkstätten und Mahnmale, die an die Verbrechen der Hitler-Zeit erinnern, findet man in Bützow (hier war das Zuchthaus Bützow-Dreibergen) und in Wöbbelin (hier endete der "Todesmarsch" der Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen).

Unbekümmert feierte indessen schon am 2.9.1946 der "Judenmissionsverein für Mecklenburg-Schwerin" seine Auferstehung, um Juden das Christentum wie eh und je aufzudrängen, gerade so, als sei nichts geschehen. 1966 wurde der Verein umgetauft in "Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum".

Seit Anfang der 90er Jahre hat Mecklenburg/Vorpommern wieder zwei jüdische Gemeinden in Rostock und in Schwerin. Ihre Mitglieder - die Zahl beläuft sich gegenwärtig auf fünfhundert - stammen alle aus der ehemaligen Sowjetunion, mit Ausnahme eines Juden, der von Frankfurt am Main nach Rostock umgezogen ist. Erste Hilfestellung beim Aufbau der Gemeinde leistete in Rostock eine Außenstelle der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), die dort ein Büro einrichtete. Behilflich war und ist auch der in Schwerin ins Leben gerufene "Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern". Er organisiert erste Kontakte zwischen Emigranten und Einwohnern, hilft bei Behördengängen und Sprachproblemen, bei der Beschaffung von Wohnraum, Kleidung, Hausrat und bei der Integration der Neuankömmlinge. Er kümmert sich um Verbindungen zu den verschiedenen Institutionen und bemüht sich um Dokumentationen, Begegnungen, Gespräche, wissenschaftliche Vorträge, künstlerische Veranstaltungen und Exkursionen. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern half den Gemeinden mit einer finanziellen Überbrückung von 15.000 Mark, freilich deckt dieses Geld gerade die Kosten im Sozialbereich. Hinzu kommen, seitdem im Juni 1996 mit der Landesgemeinde ein Staatsvertrag abgeschlossen wurde, jährlich 480.000 Mark. Aber Geld allein löst natürlich nicht alle Probleme. Wichtig ist bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben vor allem der Einsatz von Sozialarbeitern.

Ferner müssen Deutschkurse abgehalten werden, um Neuankömmlinge mit der deutschen Sprache vertraut zu machen. Das größte Problem aber ist nach wie vor die Arbeitslosigkeit. Die meisten der Einwanderer finden keine Anstellung, obwohl viele von ihnen akademisch ausgebildet sind, als Bauingenieure, Architekten und Ärzte. Nicht wenige leben von der Sozialhilfe. Besser steht es dagegen mit der religiösen Betreuung. Um diese kümmert sich, in Rostock und in Schwerin, seit Oktober 1997 Andrew Steinmann, ein Religionslehrer aus Berlin, so dass jetzt alle zwei Wochen abwechselnd in jeder Gemeinde ein Schabbatgottesdienst gefeiert werden kann. Außerdem vermittelt Steinmann durch intensiven Nachhilfeunterricht russischen Eltern und Kindern die wichtigsten Kenntnisse über die jüdische Religion. Für Abwechselung und Entspannung in den Gemeinden sorgen hingegen die vor kurzem gegründeten Video- und Seniorenklubs und Jugendgruppen. Die Rostocker Gemeinde verfügt sogar über ein eigenes kleines Theater.(Stand 1998/1999)

Quellen

Der Bericht erschien erstmals in "Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums", 38.Jahrgang Heft 151, 3.Quartal 1999 und wurde erneut abgedruckt in "Juden in Deutschland nach 1945. Bürger oder 'Mit"-Bürger?," (Hrsg. Otto R.Romberg & Susanne Urban-Fahr).Edition Tribüne, Frankfurt am Main 1999.


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