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Juden in Sachsen-Anhalt

Geschichte und Gegenwart

Einleitung

Was haben der Wegbereiter der jüdischen Emanzipation Moses Mendelssohn, die Schriftsteller Ludwig Börne und Heinrich Heine, der Dichter Alfred Wolfenstein, der Komponist Kurt Weill, das Firmenimperium Hirsch, die Philosophen Edmund Husserl und Emil Ludwig Fackenheim, der Romanist Victor Klemperer und der Gegenwartsschriftsteller Edgar Hilsenrath gemeinsam? Sie alle haben oder hatten enge Verbindungen zum heutigen Sachen-Anhalt. Mendelssohn und Weill wurden in Dessau geboren, Wolfenstein und Fackenheim erblickten in Halle das Licht der Welt, Hilsenrath ist dort aufgewachsen, Börne verschlug es in jungen Jahren nach Halle, Heine kam während seiner Harzreise hierhin. "Aron Hirsch & Sohn" machten Halberstadt zum Begriff im internationalen Metallhandel, Husserl las als Privatdozent in Halle über Grundprobleme der Psychologie, und der Enzyklopädie und Klemperer erhielt 1948 eine Professur an der Martin-Luther-Universität in Halle. All diese Namen stehen stellvertretend für das deutsch-jüdische Bürgertum, das seit der Aufklärung die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung nicht nur in Sachsen-Anhalt mitgeprägt hat. Aber nicht erst seit dieser Zeit lebten und wirkten Juden in dem Land an Elbe und Saale, das zu den ältesten jüdischen Siedlungsgebieten in Deutschland gehört. Schon im Jahr 965 kamen die ersten Juden nach Magdeburg und Merseburg. Vor allem Magdeburg verdankt seine wirtschaftliche Bedeutung jüdischen Kaufleuten. Unter dem Datum vom 12.Juni 965 vermerkt die Chronik: "Die Juden in Magdeburg brauchen weder Zoll noch Heeresdienst leisten. Sie sind nur für die Verleihung von Privilegien abgabepflichtig." In einer Urkunde Ottos des Großen, in der er dem Magdeburger Moritzkloster die Gerichtsbarkeit über die Stadt verleiht, werden sowohl die in Magdeburg ansässigen Juden als auch andere dort wohnende Kaufleute der Obrigkeit des Klostervorstehers unterstellt. Sein Sohn Otto II. schenkt 980 in Merseburg ebenfalls alles, was die Mauern der Stadt einschließt, Juden und Kaufleute, der Kirche, genauer: dem Bistum Merseburg. In Halle wiederum werden um 970 jüdische Salzwerke am Fluss Salawa erwähnt. Der Legende nach soll eine jüdische Gemeinde hier sogar schon vor der Geburt Christi bestanden haben. Solch eine Aussage weist zweifellos auf ein hohes Alter der jüdischen Ansiedlung hin. Andererseits haben sich Juden häufig der Schutzbehauptung bedient, ihre Vorfahren seien schon vor der Kreuzigung Jesu in Deutschland ansässig gewesen und folglich, entgegen der Annahme der mittelalterlichen Christenheit, unschuldig an seinem Tod. Urkundlich kommen Juden in Halle allerdings erst im Jahr 1184 vor.

Nach Halberstadt gelangten die ersten Juden wahrscheinlich 1146, und zwar, wie einige Chronisten meinen, von Halle her, weil man sie von dort vertrieben habe. Andere Urkunden wiederum besagen, dass die Juden aus Halle 1207 zum ersten Mal

vertrieben wurden. Erzbischof Albrecht II. von Magdeburg soll darüber erbost gewesen sein und die Vertreibung geahndet haben. Wie freundlich dieser Erzbischof Juden

gesonnen war, zeigt folgende Anekdote: "Als er von einem Besuch aus Rom

heimkehrte, gingen ihm die Juden von Magdeburg entgegen, und er bezeugte ihnen seine Achtung, indem er ihr Gesetzbuch, die Tora, küsste." Aber nicht immer war die hohe christliche Geistlichkeit Juden wohlgesonnen, im Gegenteil. Bischof Ernst

II. beispielsweise betrieb im l5.und 16.Jahrhundert eine extrem antijüdische Politik, und Bischof Heinrich Julius erklärte einige Jahrzehnte später Juden kurzerhand für vogelfrei und gab damit den Anstoß für Verfolgung und Mord. Andere Bischöfe wiederum verkauften und verpfändeten "ihre" Juden wie eine Handelsware an die Stadtherren. So geschehen in Halberstadt und an anderen Orten.

Aus weiteren Quellen geht hervor, dass sich Juden, die während des dritten Kreuzzuges irgendwo verfolgt worden waren, 1189 in Halberstadt niedergelassen haben. Indes - so viel ist sicher: der erste bischöfliche Schutzbrief für Juden in

Halberstadt stammt aus dem Jahr 1261. Zweifellos waren dem Bischof vom Halberstadt die Ankömmlinge als Einnahmequelle höchst willkommen. Rat und Bürgerschaft von Halberstadt versprachen, die Juden der Stadt vor Unrecht und Gewalttätigkeiten zu schützen. Ganz anders verhielt sich hingegen der Erzbischof Robert von Magdeburg. Als er einmal Geld brauchte, überfiel er zuerst die zum Laubhüttenfest versammelten

Magdeburger Juden, um von ihnen die ihm fehlenden finanziellen Mittel zu erpressen. Er plünderte ihre Häuser und wandte sich danach Halle zu, wo sich der Vorgang wiederholte. Die Halleschen Juden wurden gefangen genommen und um Lösegeld an-

gegangen. Die Bürger aus Halle verteidigten "ihre" Juden, woraufhin Erzbischof Robert die Stadt zwei Jahre lang belagerte. Wie der Streit ausging, ist nicht bekannt. 1310 indessen versuchte die Stadt ihrerseits, die Juden zu besteuern. Die nun doppelte finanzielle Last beschleunigte deren Entschluss, den Ort zu verlassen, zumal man ihnen die große Feuersbrunst, die Halle kurz zuvor schwer heimgesucht hatte, zur Last legen wollte. Erst als sich die Lage beruhigte, kehrten sie zurück. Da die Judengemeinde von Halle weiterhin unter der Schutzherrschaft des Erzbischofs von Magdeburg stand, bildete sie häufig einen Streitgegenstand zwischen dem Erzbischof und dem Rat der Stadt. Je nach der wirtschaftlichen Lage des Erzbischofs wurden sie von ihm bald feindlich behandelt und ausgebeutet, bald wieder gegen die Stadt in Schutz genommen. Während der Pestjahre 1348/49 kam es in Halle zu Ausschreitungen gegenüber Juden. Als diese nach ihrer neuerlichen Vertreibung zurückkamen, vermutlich um 1351, mussten sie für ihre Synagoge und Häuser einen jährlichen Zins von 12 rheinischen Gulden entrichten. 1382 wurden sie abermals verfolgt. Wieder einmal bezichtigte man sie der Brunnenvergiftung.


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