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Nicht immer waren deutsche Philosophen Juden wohl gesinnt

Bücher über judenfeindliche Tendenzen der Aufklärung

Die Philosophen der Aufklärung postulierten die uneingeschränkte Gleichheit der Menschen, da sie von der Annahme ausgingen, dass alle gleichermaßen vernunftbegabt seien. Diese Auffassung bewirkte - zumindest theoretisch - einen Wandel der allgemeinen Einstellung gegenüber Juden. Doch wie ernst meinten es die Philosophen wirklich mit der Befreiung der Juden aus der von ihnen nicht verschuldeten Diskriminierung? Haben sie deren Kampf um die Gleichberechtigung als Menschen, Bürger und Religionsgemeinschaft tatkräftig unterstützt? Gerade in den letzten Jahren sind wiederholt Einstellungen, Äußerungen und Überzeugungen deutscher Denker zu Tage gefördert worden, die dem Geist der Aufklärung eklatant widersprechen und die man wohl oder übel als judenfeindlich bezeichnen muss.

Waren die Philosophen des Deutschen Idealismus am Ende gar Vordenker der Nazis? Immerhin bezog sich Adolf Eichmann auf Kant. Andere Nazis beriefen sich auf Fichte oder Schleiermacher. Auch wenn heute nach dem Holocaust Kants Forderung nach einer "Euthanasie des Judentums" schockiert, so ist doch der Verdacht, dass er und seine Nachfolger die geistigen Urheber des Nationalsozialismus seien, nicht haltbar. Zu diesem Resümee kommt Micha Brumlik, Professor für Erziehungswissenschaft, in seiner Studie, für die er die Zeit zwischen 1789 und 1848 kritisch unter die Lupe genommen und sich dabei gefragt hat: Was dachten Philosophen über Juden und wie standen sie zu ihrem Kampf um Gleichberechtigung?

MICHA BRUMLIK: Deutscher Geist und Judenhass. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum. 351 S., Luchterhand-Verlag, München 2000, ISBN 3-630-88003-7, DM 48,-

Brumlik hat die Werke, Äußerungen und das Verhalten einzelner Denker sorgfältig analysiert und ist dabei auf viele antijüdische Aussagen gestoßen, deren Funktion, Gewicht und Bedeutung er im Kontext des Schaffens des jeweiligen Philosophen und des gesamten Deutschen Idealismus genau herausstellt. Im Unterschied zu England und Frankreich, wo die Aufklärung atheistisch oder agnostisch war, hatte sie in Deutschland Gehalte des Christentums aufgenommen und transformiert. Die durchweg theologisch vorgebildeten Philosophen wollten das Christentum, zu dem sie fast alle ein prekäres Verhältnis hatten, das wiederum eine bestimmte Deutung des Judentums impliziert, aus der Instanz der Vernunft und nicht aus der des Glaubens erklären. Das Judentum betrachteten sie daher nicht nur als gesellschaftliche Größe, sondern vor allem als Religion und zwar sowohl durch die Brille der lutherischen Lehre des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium wie durch die Brille der atheistischen Aufklärung, die das Judentum verunglimpfte, wenn sie die katholische Kirche meinte. Allerdings verraten einige der von Aufklärern geäußerten antijüdischen Vorwürfe ein erhebliches Maß an Unwissenheit. Hinzu kommt, dass die meisten Philosophen bestrebt waren, Staat und Religion zu trennen, und ihnen infolgedessen das Judentum, das von seinem Selbstverständnis her seine weltlichen Gesetze von Gott am Berge Sinai empfangen hatte, von vornherein suspekt dünkte.

Obgleich Kant in seinem Sittengesetz genau das artikulierte, was die Bibel mit ihrer Erinnerung an den Bund entfaltet hat, meinte er 1798, dass die "unter uns lebenden Palästinenser...durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil in den nicht unbegründeten Ruf des Betruges" gekommen seien. "Was in aller Welt", ruft Brumlik aus, "ging im Kopf dieses großen Aufklärers vor sich", als er Juden 'Vampyre der Gesellschaft' nannte. Andererseits entwarf der Königsberger Philosoph Reformvorschläge für das Judentum und war mit Juden wie Marcus Herz eng befreundet. Er lobte Moses Mendelssohn und soll ihn in aller Öffentlichkeit sogar umarmt haben.

Kants Schüler Fichte wiederum war ein ohne persönliche Leidenschaft argumentierender Judenfeind, dessen Thesen, nach Ansicht von Brumlik, zum Nährboden eines militanten Antisemitismus wurden. Hegels Bild des Judentums wandelte sich im Laufe seines Lebens durch einen schmerzhaften Lernprozess, den Brumlik ebenfalls detailliert verfolgt. Schleiermacher verstieg sich zu einem massiven Antijudaismus, obgleich die ungetaufte Jüdin Henriette Herz seine engste Vertraute war. Weitgehend frei von Judenhass war dagegen Schelling, mehr noch, er glaubte sogar, dass Juden einzelnen Völkern den Weg zur Menschheit ebnen könnten. "Positiveres über die Juden... hatte die Philosophie des Deutschen Idealismus vorher und später nicht zu sagen", merkt Brumlik an. Als sich die soziale Lage breiter Bevölkerungsschichten verschlechterte, traten die Frühsozialisten, allesamt glühende Antisemiten, auf den Plan und bald darauf auch Marx mit seiner Forderung nach"Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum". Dennoch könne man Marx nicht als Urheber des sowjetischen Antisemitismus ansehen, betont Brumlik und weist darauf hin, dass gerade die idealistische Tradition das moderne Judentum wie kaum eine andere geistige Strömung geprägt habe.

Der Autor argumentiert redlich und präzise und ist bemüht, jedem Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er beleuchtet das Denken einer ganzen Epoche und befasst sich auch mit den Vorläufern der einzelnen Philosophen und jenen Menschen, zu denen nicht selten Juden gehörten, die die Philosophen angeregt haben. Da Brumlik weit ausholt und die philosophischen Texte auch philosophisch liest, verlangt er dem Leser intensive Mitarbeit ab.

Frank Schäfer beschäftigt sich ausschließlich mit der Beziehung des Aphoristikers Georg Christoph Lichtenberg zu Juden in seiner Studie

FRANK SCHÄFER: Lichtenberg und das Judentum.

(Lichtenberg-Studien Band X.) 175 S., Wallstein-Verlag, Göttingen 1998; ISBN 3-89244-306-8, DM 48,-.

Diese Veröffentlichung soll gleich nach ihrem Erscheinen den Zorn einiger Anhänger Lichtenbergs erregt haben, die die judenfeindliche Einstellung des Philosophen, die bisher häufig unterschlagen wurde, nicht wahrhaben wollten.

Tatsächlich aber hat Lichtenberg Juden im allgemeinen mit Misstrauen betrachtet und sie mit einem Spott bedacht, dessen Satire gelegentlich zur reinen Bosheit wurde. Insbesondere wenn es ihm darum ging, 'den Juden' als Kollektiv-Singular zu bestimmen, sind seine Äußerungen voller ironisch-gehässiger Seitenhiebe, Gereiztheiten und Animositäten. "Weder Lichtenbergs aufklärerischer Impetus", schreibt Frank Schäfer, "sein viel beschworener Skeptizismus, sein konjunktivisches wie konziliantes Denken noch sein offensichtlicher Hang zum nachprüfbaren Experiment, zur Empirie und seine gleichzeitige Scheu vor der vorschnellen Abstraktion und Systematisierung haben ihn davor bewahrt. die zeitüblichen judenfeindlichen Klischees zu adoptieren. .."(S.19).

Gleichwohl fällt es Lichtenbergs Bewunderern oft schwer, judenfeindliche Tendenzen mit dem Bild dieses vermeintlich vorurteilslosen Aufklärers in Einklang zu bringen. Lichtenbergs verworrenes Verhältnis zum Judentum wurde dadurch bisher, wenn überhaupt, nur beiläufig und dann meistens apologetisch behandelt. Einige Autoren, insbesondere jene, die in der Hitler-Zeit dem Nationalsozialismus nahe standen, versuchten, wie etwa Wilhelm Grenzmann in seiner merklich braun gefärbten Monographie, Lichtenberg als Ahnherren rassisch-völkischer Gedanken in Anspruch zu nehmen. Andere wiederum wie Wilhelm Jagow, der 1950 "eine Auslese aus seinen Sudelbüchern" herausgab, sahen in Lichtenberg den "Stammvater des Widerstandes". Ein jüdischer Emigrant in den USA, Egon Schwarz, verglich hingegen Lichtenbergs judenfeindliche Urteile mit seinen Mesalliancen über andere Völker und kam dabei zu dem Ergebnis, dass keine andere Nation Lichtenbergs Abneigung derart provoziert habe wie ausgerechnet die Juden. Schwarz diagnostiziert wohl eine zunehmende Aggressivität Lichtenbergs im Alter, glaubt ihn aber noch frei von rassistischen Implikationen. Er erwähnt auch Lichtenbergs Bewunderung für die jüdischen Philosophen Spinoza und Mendelssohn und seine Unvoreingenommenheit gegenüber Juden, mit denen er persönlich Kontakt hatte. Das von Schwarz skizzierte Judenbild Lichtenbergs spiegelt trotz seiner Holzschnittartigkeit den Stand der Forschung von 1954 wider.

Fast fünfzig Jahre später nimmt nun Frank Schäfer den Forschungsgegenstand wieder auf und weist anhand von Lichtenbergs privaten Aufzeichnungen und Publikationen nach, dass dessen Antisemitismus in hohem Grade konsistent und keineswegs zeitlich isolierbar gewesen war.

Lichtenbergs Angriffe richteten sich gegen das Judentum als Religion - vor allem der jüdische Auserwähltheitsanspruch hat ihn immer wieder zu Spott gereizt - und gegen das Judentum als Volk. "Sein Antisemitismus", meinte Joseph Peter Stern in seiner Lichtenberg-Monographie, und Schäfer pflichtet ihm bei, "entspringt derselben Quelle wie sein Antiklerikalismus"(S.12). Lichtenberg habe die Rituale der jüdischen Religion lächerlich gemacht und sich mit unverhohlener Abneigung über den jüdischen Gottesdienst geäußert.

Als Aufklärer stand er in der Tradition der englischen Deisten und ihrer Nachfolger, die das Judentum wegen seiner irrationalen Elemente, wegen seines Offenbarungs- und Wunderglaubens, wegen seiner Liturgie ablehnten und angriffen, in erster Linie, um das orthodoxe Christentum zu unterhöhlen, dessen Verwandtschaft zur jüdischen Religion sie immer wieder hervorhoben.

Über den einzelnen Juden urteilte Lichtenberg, er sei "ein unersättlicher, habgieriger Betrüger, besessen von einem skrupellosen Handels- und Schachergeist", amoralisch, hinterhältig, gerissen, schmarotzerhaft. "Der Jude" habe eine viel zu hohe Meinung von seiner Intelligenz, sei "ausgesprochen anpassungsfähig, "nutzlos" und "schädlich für die Umwelt", ein Paradigma des Bösen und eine Identifikation des Minderwertigen.

In seinen "Sudelbüchern" verglich Lichtenberg Juden mehrfach mit Sperlingen, wobei man wissen muss, dass Sperlinge damals als schlimme Flurschädlinge bekämpft wurden. Auch Reflexe des gerade aufkommenden Proto-Rassismus, der einen unveränderlichen biologischen Unterschied des jüdischen Volkes begründet und so dessen Assimilation und Emanzipation unmöglich erscheinen lässt, tauchen, wie Schäfer feststellt, in seinen späten Schriften auf.

Jedoch sei er gefeit gewesen, hebt der Autor hervor, vor einer oberflächlichen, christlich motivierten Ablehnung der Juden, also vor dem mittelalterlichen Antijudaismus und seinen Legenden, die auch noch im Zeitalter der Aufklärung und darüber hinaus bis ins 20.Jahrhundert hinein im kollektiven Gedächtnis ihren festen Platz hatten. Der Mythos vom Gottesmord sowie die Ritualmordfantasien kommen in seinen Aussagen ebensowenig vor wie der Vorwurf des Hostienfrevels und der Brunnenvergiftung.

Außerdem hat Lichtenberg einzelne assimilierte und gebildete Juden geschätzt und unterstützt, ohne auf die einschlägigen Stereotypen zurückzugreifen, weil er bei diesen Juden bewusst von ihrem Judentum absah.

Für Schäfer ist Lichtenberg ein Repräsentant aufgeklärter Judenfeindschaft. Er habe wohl religiöse Toleranz postuliert und sich gegen jede Form christlicher Gewaltanwendung ausgesprochen, doch sich hämisch über die jüdische Religion ausgelassen.

Seine Emanzipationsfeindschaft gegenüber Juden, behauptet der Autor weiter, resultiere aus einer relativ festen Verbundenheit mit den vorgegebenen sozialen und politischen Normen seiner Zeit, die er in seinen privaten Aufzeichnungen zwar in Frage stelle, in der Praxis aber selten übertreten habe. Einen gewissen Einfluss übte sicher auch das universitäre Umfeld aus, in dem sich viele Gegner der jüdischen Gleichstellung, fatalerweise anerkannte Kapazitäten, aufhielten.

Wie viele seiner Zeit hegte Lichtenberg prinzipielle Zweifel an der Assimilierbarkeit der Juden und widersprach Christian Wilhelm von Dohm, der in seiner Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" ihre vermeintliche moralische Verwerflichkeit als eine Folge ihrer bedrückenden Lebensumstände gesehen hatte, die Dohm wiederum den Christen zur Last legte. Obwohl Lichtenberg als Aufklärer an die Perfektibilität des Menschen glaubte, war er von der Unverbesserlichkeit des jüdischen Volkes überzeugt.

Für Gudrun Hentges steht dagegen fest, dass in der Epoche der Aufklärung die Ablösung eines religiös fundierten Antijudiasmus durch einen rassisch begründeten Antisemitismus begonnen hat. In ihrer für den Druck leicht überarbeiteten Dissertation

GUDRUN HENTGES: Schattenseiten der Aufklärung. Die Darstellung von Juden und 'Wilden' in philosophischen Schriften des 18. und 19. Jahrhunderts. 298 S., Wochenschau Verlag, Schwalbach/Taunus 1999, ISBN 3-87920-485-3, DM 58,-

befasst sie sich mit ausgewählten Schriften von Voltaire, Rousseau, mit Artikeln in der von Diderot und d'Alembert herausgegebenen Enzyklopädie sowie Abhandlungen von Kant, Fichte und Hegel.

Der "Januskopf Voltaire", so führt die Autorin aus, habe die jüdische Nation für die verachtenswerteste aller Nationen gehalten. Als Vertreter der Ideen der Aufklärung und damit des Gedankens der Toleranz hatte er wohl Religionsverfolgungen und inquisitorischen Maßnahmen eine strikte Absage erteilt und sich mit seiner Forderung "Ecrasez l'Infáme!" - Zermalmt das Ruchlose - an die Spitze des Kampfes gegen die Kirche, den Fanatismus und den Aberglauben gesetzt. Doch seine Bibelrezeption war ganz darauf ausgerichtet, das angeblich Verachtenswerte der Hebräer/ Israeliten/Juden in den Vordergrund zu stellen. Dafür hatte er alle negativen Aussagen, die sich über die Juden der biblischen Zeit in den Schriften finden, zusammengetragen, zu einem Gesamtbild verdichtet und dieses auf die Juden seiner Zeit bezogen mit antiemanzipatorischen Schlussfolgerungen. So habe schon Voltaire mit dazu beigetragen, dass sich die rassistische Rhetorik aus der religiösen herauszuschälen begann.

Jean-Jacques Rousseau - auch er war ein engagierter Verfechter des Toleranz-Gedankens - sprach hingegen allen Religionen eine Existenzberechtigung zu, sofern sie mit den staatsbürgerlichen Prinzipien in Einklang stehen. Im Gegensatz zu Voltaire bekämpfte er nicht die jüdische Religion und Kultur als vermeintliche Repräsentantin des Religionswahns und religiösen Fanatismus. Mit Fug und Recht könne man daher behaupten, dass Rousseau von den hier vorgestellten Geistesgrößen die toleranteste und verständnisvollste Position gegenüber dem Judentum vertrat, sozusagen einen "anti-antisemitischen Standpunkt", wie die Autorin anmerkt.

Judenfeindlich eingestellt waren wiederum Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert, die Herausgeber der Enzyklopädie. Im Artikel "Judaisme" (wahrscheinlich hat ihn Diderot verfasst) werden Diskriminierung und Pogrome der Juden nüchtern und sachlich dargestellt, rein deskriptiv, ohne deutliche Parteinahme gegen den Antijudaismus, bemängelt Hentges. In einem anderen Beitrag vertrat Diderot die These, dass die jüdische Nation ignorant, abergläubisch und fanatisch sei. Dagegen arbeitet der Artikel "Juif", der von de Jaucourt verfasst worden ist, den Funktionsmechnismus von sozialer Ausgrenzung und ökonomischen Zwängen heraus und bezieht Stellung gegen die Judenfeindschaft, die, nach Meinung dieses Verfassers, mit der christlichen Moral unvereinbar sei.

Immanuel Kant hat in seinen Schriften den jüdischen Glauben ebenfalls einer vernichtenden Kritik unterworfen. Der jüdische Glaube sei ein bloß "statuarischer", schrieb Kant, und die Geschicklichkeit, andere zu betrügen, eine jüdische "Gemüthsschwäche im Erkenntnißvermögen". Juden bildeten, eine "Nation von Betrügern", und "Misanthropen". Da Kant Juden Hass auf das gesamte Menschengeschlecht unterstellte, sieht Hentges in Kant einen Vordenker eines philosophisch begründeten Antijudaismus.

Wie bei Kant finden sich auch in den Schriften von Johann Gottlieb Fichte, laut Gudrun Hentges, sowohl Elemente des traditionellen Antijudaismus als auch Elemente eines modernen Antisemitismus, mehr noch: Das Feind- und Bedrohungsszenario, das er entwickelt habe, meint die Verfasserin, antizipiere bereits Elemente des Gedankens der jüdischen Weltverschwörung. Skeptisch äußerte sich Fichte zur Frage, ob Juden ein integraler Bestandteil einer bürgerlichen Gesellschaft werden könnten. Da er glaubte, dass die christliche Taufe allein nicht ausreiche, um in die neu entstehenden Gesellschaften gleichberechtigt eingegliedert zu werden, strebte er die "Befreiung " der Juden von ihrem "rückständigen Judentum" an. Darauf deutet seine häufig zitierte Aussage hin: "Ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein anderes Mittel als das: in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzustecken, in denen auch nicht eine jüdische Idee steckt."

So bekannt wie dieser Ausspruch ist auch der folgende von Hegel: "Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuss, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele". Bei Georg Wilhelm Hegel versucht die Autorin ebenfalls nachzuweisen (nicht alle Leser werden ihr hierin folgen und zustimmen mögen), dass sich sein Antijudaismus aus traditionellen und modernen Elementen zusammensetzt und dass die volkstümlichen Elemente von Hegels Argumentation wie auch Aspekte seiner Religionskritik dem christlichen Antijudaismus entspringen.

Die Judenfeindschaft der Aufklärung, so fasst Gudrun Hentges ihre Recherchen zusammen, zeichnet sich aus durch Kritik an den religiösen, kulturellen und geistigen Grundlagen des Judentums, der jüdischen Religion und Philosophie und an den angeblich jüdischen Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmalen und Charaktereigenschaften. Sie ist eine spezifische Variante des Judenhasses, die weder im traditionellen Antijudaismus noch im rassistischen Antisemitismus aufgeht, auch wenn schon erste Anzeichen zu erkennen seien, dass der religiös begründete Judenhass nun dem politisch und zunehmend rassistisch begründeten weichen muss.

Die Aufklärung habe zwar den Universalismus und das Prinzip der Gleichheit aller Menschen proklamiert, doch auf konkreter Ebene habe sie auf vielfältige Weise Ungleichheiten und Ungleichwertigkeiten zwischen Menschen unterschiedlicher Religion und Hautfarbe und unterschiedlichen Geschlechts begründet. So werden gerade viele der Aufklärer zu Apologeten der Ungleichheit zwischen Christentum und Judentum, Europäern und 'Wilden', Frauen und Männern. Letzter Punkt wird nur angedeutet, aber entgegen ursprünglicher Absicht der Autorin nicht näher erforscht.

Die Verfasserin macht ferner darauf aufmerksam, dass sich Antijudaismus und Antisemitismus gegen eine Menschengruppe richteten, die, wenngleich im mittelalterlichen Europa Pogromen ausgesetzt und ghettoisiert worden war, dennoch integraler Bestandteil der west- und osteuropäischen Gesellschaften gewesen ist, während bei den "Wilden", den Menschen nicht-weißer Hautfarbe, die in die Forderung nach universeller Gleichheit nicht einbezogen wurden, noch erschwerend hinzukam, dass sie nicht zur abendländischen Kultur und Zivilisation gerechnet werden konnten.

In ihrem Bemühen, ihren Thesen und Ansichten über judenfeindliche Einstellungen der vorgestellten Philosophen Nachdruck zu verleihen, übersieht die Autorin völlig, dass man diesen nicht einfach und umstandslos das Etikett "Judenfeind" aufkleben kann. Viele hatten zu Juden und Judentum eine ambivalentere Einstellung als Hentges annimmt, die von Autoren wie Brumlik und Berghahn differenzierter als von ihr herausgearbeitet wird.

Wie aber haben die einzelnen Philosophen ihre antisemitischen und antijudaistischen Positionen begründet? Welche sozialen, kulturellen und politisch-ökonomischen Faktoren haben diese begünstigt? Wie konnte es zu den aus heutiger Sicht frappierend antiaufklärerischen Einstellungen des Antisemitismus und Antijudaismus im Denken Kants und anderer Aufklärer kommen? Liegen sie in ihrem aufklärerischen Denken, in ihrer Vernunftauffassung selbst beschlossen oder sind sie primär den damaligen historischen Verhältnissen anzulasten?

Um diese Fragen ging es in dem wissenschaftlichen Preisausschreiben, das die Philosophisch-Politische Akademie (PPA) im Jahr 1997 unter der Überschrift "Antisemitische und antijudaistische Motive bei Denkern der Aufklärung" veranstaltet hat. Viele Einsender bemühten sich um plausible Antworten. Vier prämierte Aufsätze liegen inzwischen gedruckt vor in:

HORST GRONKE/THOMAS MEYER/BARBARA NEISSER(Hr.):Antisemitismus bei Kant und anderen Denkern der Aufklärung. 284 S., Königshausen & Neumann, Würzburg 2001;ISBN 3-8260-2144-4, DM 68,-- EURO 34, 34,77.

In den Beiträgen dieses Sammelbandes werden die antisemitischen und antijudaistischen Motive in den Werken von Immanuel Kant, Jacob Friedrich Fries, Adolph Freiherr Knigge und Salomon Maimon detailliert analysiert.

Die erste Preisträgerin Bettina Stangneth untersucht Kants Verhältnis zum Judentum und listet alle Aussagen auf, die in seinem Werk über das Judentum "schwarz auf weiß" zu finden sind. Kant charakterisierte das Judentum als "Nation der Betrüger" und sagte Juden "Wuchergeist" nach. Zudem behauptete er, dass sie reicher seien als Angehörige anderer Nationen und das Vertrauen missbrauchten, das ihnen der Staat schenkt, "unter dem sie Schutz finden". Den jüdischen Glauben hielt er für Aberglauben. Doch habe Kant, schreibt die Preisträgerin, nicht den geringsten Versuch gemacht, seine Ansichten zu begründen. Er sei auf dem Niveau des bloßen Klischees geblieben. Die Autorin legt dar, dass Kants antisemitische Auslassungen weniger in seinem aufklärerischen Vernunftverständnis als in "tiefsitzenden, sozialisatorisch erworbenen" Vorurteilen begründet seien. Seine antisemitischen und antijudaistischen Motive seien nicht so sehr im Zentrum seines Aufklärungsdenkens zu verorten, sondern beruhten größtenteils auf Gedankenlosigkeit. Mit Ausnahme seines Antijudaismus, verstanden als ein dem Antichristianismus gleichstellter Antiklerikalismus, blieben, so Bettina Stangneth, alle judenfeindlichen Motive bei dem Königsberger Philosophen äußerlich. Er habe achtlos vor sich hingeredet, ohne sich über mögliche Missverständnisse oder sogar Wirkungen Rechenschaft abzulegen. Das sei zweifellos eine Haltung, die mit einem kritischen Geist, wie ihn Kant eigentlich verkörperte, nicht zu vereinbaren ist.

Der zweite Preisträger Gerald Hubmann stellt in seinem Beitrag über den Kantianer Jakob Friedrich Fries, fest, dass auch Fries antijüdische Ressentiments hegte. Vor allem habe ihm die "Selbstständigkeit und Einheit des deutschen Volks" am Herzen gelegen. Diese habe Fries schlechthin als ethischen Imperativ empfunden und infolgedessen eine "Philosophie der Tat" propagiert. Gerade in seinem Eintreten für gemeinschaftliche "Einigkeit" wurzeln Fries' Abneigung gegen Juden und seine Ablehnung der Existenz des Judentums als eigener Kulturgemeinschaft, da diese den Homogenitätskriterien eines christlich-deutsch gedachten Volkstums widerspräche. Folglich verlangte Fries in seiner Schrift zur Judenfrage bedingungslos die Konversion von Juden und ihre Assimilation an das christlich-deutsche Volkstum. Gleichheit konnten für Fries nur Juden beanspruchen, die sich in ihrer Kultur und Religion völlig dem christlich-deutschen Volkstum assimilierten. Fries' Judengegnerschaft war, laut Hubmann, nicht mehr traditionell religiös begründet, sondern beruhte auf einem nationalen oder völkischen Motiv. Eine biologisch begründete rassistische Trennung habe er indes noch nicht propagiert. Ihm sei es um totale Integration und damit um sittliche Auslöschung des Judentums gegangen. Gerald Hubmann spricht in diesem Zusammenhang von einem fehlgeleiteten liberalen Engagement, weil bei Fries die Idee der staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit mehr und mehr ergänzt und ersetzt worden sei durch ein Konzept der Gleichheit auch der Lebensformen.

Almut Rüllmann setzt sich mit dem Verhältnis von Adolph Freiherrn Knigge zu Juden auseinander. Sie weist darauf hin, dass sein weit verbreiteter Verhaltenskodex "Über den Umgang mit Menschen", der seit 1788 eine Zeitlang immer wieder neu aufgelegt wurde, auch ein Kapitel über Juden enthält. Allerdings könne bei ihm von einem rassistisch geprägten Antisemitismus nicht die Rede sein. Vielmehr habe Knigge unreflektiert zeitkonforme, überwiegend negativ konnotierte Stereotypen über "den Juden" aufgenommen. Juden erscheinen bei ihm als Hofjuden, Wucher- und Schacherjuden, Hausierer- und Jahrmarktjuden sowie als abergläubige Wanderjuden. Indessen gab Knigge auch zu, dass es selbst unter Juden edel Gesinnte und Tugendhafte geben könne wie etwa Moses Mendelssohn.

Freilich habe man Knigges Einstellung zu Juden, schreibt Rüllmann, bisher wenig Beachtung geschenkt. Seine Auffassungen von Juden gerieten deshalb noch schneller in Vergessenheit als seine Benimmbücher, die seinen Namen bis heute bekannt machten. Erst die Aufklärungsforschung des 20.Jahrhunderts zieht nun auch sein Hauptwerk in der Originalversion als Forschungsgrundlage heran.

Unter dem Titel "Theoretischer und praktischer Gott" erläutert Martin Damken Salomon Maimons vielfach zerrissene Einstellung zum Judentum. Er nimmt die Haltung des im polnischen Ghetto aufgewachsenen und zum Rabbiner ausgebildeten jüdischen Philosophen gegenüber dem Judentum in Augenschein. Bei Maimon zeige sich das Doppelgesicht der Aufklärung, die Verbindung des emanzipatorischen Anspruchs mit einem rigoristischen und einseitigen Rationalismus. Maimon, dessen Weg vom orthodoxen Judentum zur Berliner Aufklärung führte, verstand die jüdische Geschichte als Verfallsgeschichte vom vernünftigen Urjudentum bis zur vernunftlosen Erstarrung der jüdischen Religion und Kultur. Der jüdische Philosoph sah das Judentum nicht mehr als lebendige Religion an, die sich den Erfordernissen der Zeit anpassen konnte. Universale Vernunft und positive Regelungen traten für ihn im Konkreten auseinander. Damken kommt zu dem Ergebnis, dass Maimons Denken durch seinen Versuch, Vernunft und Glauben, ewige Wahrheit und positive Offenbarung miteinander zu versöhnen, antijudaistisch geworden sei.

Im Mittelpunkt des umfangreichen Bandes

HANS-JOACHIM BECKER: Fichtes Idee der Nation und das Judentum. Die vergessenen Generationen der jüdischen Fichte-Rezeption. Fichte-Studien Supplementa Band 14. 417 S., Rodopi-Verlag, Amsterdam 2000. 90 Gulden, 41 Euro, ISBN 90-420-1502-0

steht, wie der Titel andeutet, der Philosoph Johann Gottlieb Fichte. Allgemein gilt er heute als ein früher, extremer Feind des Judentums und als der theoretische Begründer des deutschen Nationalismus. In der Antisemitismuskritik wird durchweg davon ausgegangen, dass mit Fichte eine neue Qualität in die Judenfeindschaft hineingekommen sei, weil er den Übergang vom religiösen Antijudaismus zur politisch motivierten Judenfeindschaft herbeigeführt habe. Nicht wenige Forscher sehen in Fichtes Aversion gegenüber Juden sogar eine Frühform des rassisch motivierten Antisemitismus.

Dabei sei Fichte, behauptet Hans-Joachim Becker, lange Zeit der bevorzugte Philosoph des Judentums, insbesondere des Zionismus, gewesen, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich. Inzwischen sei verdrängt, vergessen oder überhaupt noch nicht wahrgenommen worden, dass Fichte für das intellektuelle Judentum eine große Rolle gespielt habe und von vielen Juden, die in ihm den Erben der Freiheitsversprechen von Aufklärung und Revolution sahen, verehrt worden sei. Die völkisch-nationalistische Adaption, betont Becker, sei eine verhältnismäßig späte Pflanze, die sich indessen in den beiden Jahrzehnten vor dem Dritten Reich und im nationalsozialistischen Regime gegen den heftigen Widerstand der jüdischen Fichte-Interpreten in Deutschland und Frankreich in den Vordergrund gedrängt habe.

Der Verfasser vertritt die Meinung, dass gebanntes Starren auf die Jahre des Nationalsozialismus und auf die Jugendschrift Fichtes zu einer Engführung des Blickes auf den Philosophen geführt habe, so dass die Wandlungen, die Fichte selbst in seinem Verhältnis zum Judentum durchlaufen hat, nicht mehr ins Blickfeld kommen. Becker möchte daher mit seiner Publikation die fortschrittlich-liberale Fichte-Rezeption und die Vielschichtigkeit von Fichtes Verhältnis zu Juden wie auch deren Verhältnis zu ihm wieder mehr ins Zentrum der Diskussion rücken.

Fichte, dessen frühe Sicht auf das Judentum zunächst religiös bestimmt war, spricht im "Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die Französische Revolution von 1793" in dem zweifellos sehr unschönen Bild metaphorisch davon, allen Juden "die Köpfe abzuschneiden und neue aufzusetzen, in denen nicht eine jüdische Idee sey. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken."Das war in der Tat, wie Becker zugibt, eine harsche Aufforderung an das Judentum zu bedingungsloser Kapitulation.

Fichte, der durchaus einen Unterschied machte zwischen Menschenrechten und Bürgerrechten, hatte zuvor das tradierte orthodoxe Judentum auf einer Polenreise im Sommer 1791 kennen gelernt, das er strikt ablehnte. Allerdings verläuft bei ihm die Scheidelinie, wie bei anderen Aufklärern auch, sowohl bei nichtjüdischen wie bei jüdischen, nicht zwischen Christentum und Judentum, sondern zwischen Voraufklärung oder Orthodoxie und Aufklärung, belehrt uns Becker und versucht zu belegen, dass die von der "Christlich-deutschen Tischgesellschaft", zu der auch Fichte gehörte, befürwortete Absonderung von Juden Fichte selbst nicht sonderlich ernst genommen habe.

Natürlich habe die Form von Fichtes Kritik, mit der der Aufklärer nur die Orthodoxie meinte, Juden sehr verletzt. Fichte habe das auch später eingesehen, schreibt Becker. Er habe sich in der sogenannten Verantwortungsschrift von 1799 von den Positionen im "Beitrag" distanziert und seine dortige Judenkritik niemals wiederholt.

Mehr noch, Fichte vollzog einen regelrechten Wandlungsprozess in seinem Verhältnis zum Judentum, Durch Dorothea Veit-Schlegel, der Tochter von Moses Mendelssohn, wurde Fichte in die jüdischen Kreise Berlins eingeführt. Über sie berichtete er an seine Frau: "Das Lob einer Jüdin kann in meinem Munde seltsam erscheinen, aber diese Frau hat meine Überzeugung zerstört, in der ich verharrte, nämlich, dass nichts Gutes von dieser Nation kommen könne." Ja, Fichte hat sich, laut Becker, in seiner frühen Berliner Zeit zu Ende der 90-er Jahre so stark an Friedrich Schlegel und Dorothea Veit angeschlossen, dass er sogar einmal an eine ménage à trois dachte.

Auch Fichtes Bekanntschaft oder sogar Freundschaft mit David Veit, Salomon Maimon, Rahel Levin-Varnhagen, ihrem Bruder Ludwig Robert und anderen habe zu seiner Gesinnungsänderung mit beigetragen. Bekannt ist auch Fichtes Hochschätzung des jüdischen Philosophen Salomon Maimon und sein Eintreten für einen verunglimpften jüdischen Studenten während seiner Rektoratszeit an der Universität Berlin.

Becker neigt dazu, alle diese Phänomene bei Fichte als Ausdruck einer neuen Sicht des Judentums, die sich von alten Sichtweisen und Vorurteilen gelöst habe, zu bewerten. Zumindest seien vom Philosophen so barsche Worte wie in seinem frühen Beitrag, auf den man Fichte immer wieder festzunageln versucht, nie wieder gefallen.

Selbst in seinen "Reden an die deutsche Nation", die ihren Ausgang im Rahelschen Salon genommen haben sollen, sei, so Becker, mit keiner Silbe mehr die "Judenfrage" auftaucht. Überdies bedeutet für Becker Fichtes Hinwendung zum Patriotisch-nationalen in den "Reden an die deutsche Nation", die häufig als Bestätigung und weitere Verstärkung der früh sich ausdrückenden antijüdischen Tendenzen bei ihm interpretiert worden sind, keineswegs die Verabschiedung von seinen freiheitlichen und kosmopolitischen Idealen.

Im zweiten Teil seiner Studie widmet sich der Autor ausführlich der Wirkungsgeschichte von Fichtes politischer Philosophie, auch der Fichte-Rezeption im Zionismus. insbesondere durch Chaim Herzog, Martin Buber und Nahum Goldmann. Becker hat viel Material zusammengetragen, um die Affinität von Fichteschem und jüdischem Denken nachzuweisen und holt dabei eine Reihe verschütteter Tatsachen ans Tageslicht. Da seine Ausführungen in erster Linie auf historischen, weniger auf philosophischen Untersuchungen beruhen, bleibt manches ohne philosophische Vertiefung an der Oberfläche.

So glimpflich wie bei Becker, der sich gegen ungerechte Etikettierungen Fichtes wehrt und sich ganz in der Dienst der Rehabilitation dieses Philosophen gestellt hat, kommt Fichte bei Brumlik und anderen Autoren, die in diesem Bericht erwähnt werden, nicht davon. Auch in dem Band

KLAUS L.BERGHAHN: Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung. 304 S., Böhlau-Verlag, Köln 2001.(2.durchgesehen Ausgabe) ISBN 3-412-08701-7, DM 58,-

wird die Judenfeindlichkeit und allgemeine Einstellung Fichtes gegenüber Juden heftig kritisiert. Berghahn erwähnt zwar auch Fichtes Sinneswandel durch die Begegnung mit Dorothea Veit. Aber er misst dieser weniger Bedeutung bei als Becker, sondern kommentiert den Vorgang mit folgenden Worten: "Wieder einmal wird eine edle Jüdin idealisiert, was an der Verachtung der Juden wenig ändert"(S.222).

Fichte sei, stellt Berghahn fest, auf "vertrackte Weise" antisemitisch gewesen. Die Kälte seiner scheinbar rationalen Argumentation mache seine Äußerungen zum Judentum unerträglich. Fichte ruft nicht zu Pogromen auf, vielmehr beruft er sich auf abstrakte Prinzipien wie "politische Freiheit", "autonomes Ich" und später "Nation", um den jüdischen Handelsgeist als fremd und feindselig zu verketzern. "Von religiöser Intoleranz und nackter Gewalt gegenüber den Juden distanziert sich Fichte, weil Juden eben auch Menschen sind, aber vom politischen und sozialen Leben der bürgerlichen Gesellschaft will er sie ausschließen, weil sie Fremdkörper in einer gesunden Nation sind"(S.227).

Berghahn beginnt sein Werk "Grenzen der Toleranz" mit einem Zitat von Moses Mendelssohn: "Schicket euch in die Sitten und in die Verfassung des Landes, in welches ihr versetzt seid, aber haltet auch standhaft bei der Religion eurer Väter. Traget beide Lasten, so gut ihr könnet." Als Moses Mendelssohn, der "Sokrates von Berlin" seinen jüdischen Mitbürgern 1783 diesen Rat gab, konnte er mit gutem Grund hoffen, dass Toleranz und Religionsfreiheit als Resultate der Aufklärung auch Juden zugute kommen würden. Sie sollten sich, wie es Mendelssohn schon tat, fortan in zwei getrennten Sphären bewegen: in der modernen Welt der Aufklärung wie in der traditionellen Welt des Judentums.

Der jüdische Aufklärer Mendelssohn forderte Glaubensfreiheit vom Staate und Gewissensfreiheit von der Kirche. Er beteiligte sich aktiv an der öffentlichen Toleranzdebatte und verlieh dadurch den Juden, die bisher nur stumme Empfänger von staatlichen Edikten waren, eine hörbare Stimme.

Zusammen bilden, so Berghahn, Mendelssohns "Jerusalem", Lessings Humanitätsdrama "Nathan der Weise" und Dohms Memorandum "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" den Höhepunkt der Toleranzdebatte im 18.Jahrhundert, die die politisch praktische Emanzipation der Juden in Deutschland vorbereitete. Aus der Achtung des Andersdenkenden musste sich dann ein Recht auf Anderssein ergeben. Die "bürgerliche Verbesserung" oder "Aufnahme" der Juden, ihre Forderungen nach Menschen- und Bürgerrechten wurden jedoch nicht selten kontrovers diskutiert. Oft wichen die Aufklärer dem akuten jüdischen Problem aus, indem sie die Juden des Alten Testaments wegen ihrer Verdienste um eine Erziehung des Menschengeschlechts priesen, ohne auf die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der unter ihnen lebenden Juden einzugehen. So verfuhr auch Herder, der wohl ein Freund der Hebräer, aber ein unbarmherziger Kritiker der Juden war. Nicht wenige Aufklärer verlangten die Selbstaufgabe des Judentums und den Übertritt der Juden zum Christentum. Kaum einer fragte danach, was diese totale Anpassung für die jüdische Existenz bedeuten würde.

Betrachtet man die Epoche der Aufklärung und ihre Menschheitsideale aus kritischer Sicht, so lassen sich schon in dieser Zeit Widersprüche erkennen, stellt der Autor fest, die das Scheitern der jüdischen Emanzipation antizipieren - was folgte, war eine "Spur der Leiden"(Adorno) für die Juden in Deutschland. Aber eine konsequente Entwicklung des deutschen Antisemitismus von Luther bis Hitler, wie oft behauptet wird, gibt es auch für Berghahn nicht, wohl aber oder übel die Erfahrung eines "Zivilisationsbruchs" (Hannah Arendt) und der gescheiterten Emanzipation. Immerhin prägten die Epoche von Kant und Mendelssohn nicht nur judenfeindliche Tendenzen, sondern auch die Anfänge eines deutsch-jüdischen Dialogs. Ja, vielleicht sei das Zeitalter der Toleranz(1750-1812) die positivste Epoche des deutsch-jüdischen Dialogs überhaupt gewesen, vermutet Berghahn. Gegen den christlichen Antijudaismus freilich, unter dem Juden seit Jahrhunderten zu leiden hatten und der quer durch alle Stände ging und an dem Christen festhielten, als wäre er ein Dogma der Kirchen, gegen den vermochten Aufklärung, Vorurteilskritik und Volkserziehung nur wenig auszurichten, zumal die Aufklärer selbst von antijüdischen Tendenzen nicht frei waren.

Zum unterschwellig fortwirkenden christlichen Judenhass trat ein neuer Antisemitismus hinzu, der sich aus kulturellen, politischen und ökonomischen Vorurteilen zusammensetzte. Die aufgeklärten Reformer diskutierten nämlich auch darüber, wie man Juden dem Staat nützlich machen könnte. Denn von ihrem Handelsgeist und Kapital erhoffte man sich Gewinn für Staat und Gesellschaft. Dieser Aspekt wiederum löste Widerstände und Ressentiments aus, im traditionellen Bürgertum und nicht minder in der traditionellen Judenschaft. Genau aus diesen Momenten, Befreiung auf der einen Seite und Blindheit und Versklavung durch Vorurteile auf der anderen, speiste sich die Dialektik der Emanzipation, die wiederum das janusköpfige Bild der Aufklärung bestimmte.

Berghahn konzentriert sich in seiner Publikation auf Goethe, Herder, Kant und Fichte und deren Verhältnis zu Juden. Goethes Haltung gegenüber Juden und Judentum war zwiespältig und indifferent. Herder sei wohl "ein Freud der Hebräer im protestantischen Talar", konstatiert Berghahn, aber für die Juden seiner Zeit sei er ohne Verständnis gewesen. Er habe sie für verderbt und ehrlos gehalten und geglaubt, dass man sie nur durch Erziehung bessern könne. Mehr oder weniger forderte auch er die Selbstaufgabe des Judentums als Voraussetzung für die nationale und kulturelle Integration in die jeweilige Nation.

Kant zählte wie Goethe und teilweise auch Fichte Juden zu seinen besten Freunden. Aber er war, wie der Neukantianer Hermann Cohen später betonte, "kein Sachverständiger in Fragen der Religion und der Wissenschaft des Judentums." Kant grenzte das Judentum vom Christentum radikal und polemisch ab. Von Juden verlangte er, sich von ihren Ritualgesetzen zu trennen und sich öffentlich zu einem ethischen Gottesglauben, nämlich zu seiner, Kants Vernunftreligion, zu bekennen, um "aller Rechte des bürgerlichen Zustandes" teilhaftig werden zu können. Einige radikale jüdische Aufklärer stimmten mit den Reformvorschlägen des Königsberger Philosophen sogar überein.

Im Grunde haben Kant und Fichte, wie der jüdische Philosoph Saul Ascher erkannt hat, auf den Berghahn ebenfalls zu sprechen kommt, die gesamte Emanzipationsdebatte wieder auf ein bloßes Religionsproblem und die Duldung der Juden reduziert. Mit Fichte hätte man sich schon 1793, meint Ascher, der Nachtseite der Romantik genähert: ihrem politischen Antisemitismus und ihrer späteren "Germanomanie".

Berghahn verdeutlicht ferner, dass Bildung das Erziehungsideal der Anhänger der jüdischen Aufklärer, der Haskala, gewesen sei. Dieses Ideal habe die Emanzipation der Juden ins deutsche Bildungsbürgertum ermöglicht und ihnen zugleich als Eintrittsbillett in die christliche Gesellschaft gedient. Bis zum bitteren Ende seien Juden die besten Bildungsbürger geblieben.

Die Geburt der jüdischen Salons geschah ebenfalls aus dem Geiste der Aufklärung. Hier wurde die doppelte Schranke von Religion und Stand durchbrochen und wurden jene Momente vorweggenommen, die im 19. und 20.Jahrhundert zur Integration der Juden in die bürgerliche Gesellschaft beitrugen. Darin lag das utopische Moment dieser geselligen Zirkel, deren Kehrseite die Loslösung vom Judentum und die Illusion einer deutsch-jüdischen Symbiose war.

Berghahn differenzierte und objektive Darstellung ist erfreulich gut lesbar, ja sogar spannend, auch dort, wo es um sattsam Bekanntes geht. Mit ihren vielen Querverweisen und Literaturangaben entpuppt sie sich als wahre Fundgrube für eigene Recherchen.

Der Beitrag erschien in "Philosophischer Literaturanzeiger"

Band 55, Heft 2. April - Juni 2002


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