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Konflikte in der jüdischen Gemeinde

Durch ihren sozialen Aufstieg und ihre Angleichung an die bürgerliche Umwelt, lösten sich viele Juden allmählich von ihren strengen Riten und Gebräuchen. Die Religion stand zwar immer noch im Mittelpunkt ihres Daseins. Doch bestimmte sie nun nicht mehr allein das Grundmuster ihrer kulturellen Existenz. Sie begannen sich nicht nur als Juden, sondern auch als Deutsche oder als echte Westfalen oder mehr noch als Arnsberger oder Neheimer Bürger zu sehen. Dabei kam es zu einem schärfer wachsenden Konflikt zwischen den Generationen und innerhalb der Gemeinden, vor allem zwischen den Anhängern der Orthodoxie und den Vertretern der gleichfalls in sich gespaltenen Reformbewegung. In Westfalen gruppierten sich die jüdische Orthodoxie und die Reformer um die beiden Hauptkontrahenten Abraham Sutro (1784-1869), den Landesrabbiner von Münster, und Lazar Levi Hellwitz (1786-1860) aus Soest, den Obervorsteher der Juden im Herzogtum Westfalen. Während dieser für eine völlige geistige Assimilation der Juden eintrat, die er mit Hilfe des Staates "zu einer gleichen Stufe der Bildung mit den Christen hinzuleiten" gedachte, sah sein Gegenspieler Sutro in der Emanzipation eine rein juristische Angelegenheit.

Ansatzweise kam es auch in Arnsberg in der jüdischen Gemeinde zu Konflikten zwischen modernen und konservativen Juden. Überwiegend waren die Mitglieder der Gemeinde fortschrittlich und liberal eingestellt. "Einige Juden, gehören zu den Altgläubigen", heißt es in einem amtlichen Schreiben, "die Mehrheit sind Neologen. Ein Unterschied in sittlicher Beziehung hat sich nicht herausgestellt."

Verhältnismäßig früh waren daher in der jüdischen Gemeinde in Arnsberg deutsche Gesänge eingeführt worden. Ein Schlaglicht auf die damaligen Situation in kleinen Gemeinden wirft ein Brief des Arnsberger Bürgermeisters vom 18.6.1843 an seine Vorgesetzten, in dem er darüber berichtet, daß man auf deutsche Gesänge in der Gemeinde wieder verzichtet habe, da der derzeitige Lehrer den Gesang nicht zu leiten verstünde. Es würden aber Predigten und Konfirmationen in deutscher Sprache gehalten. Es fehlte in der Arnsberger Gemeinde mithin nicht so sehr an Reformwillen, sondern an kompetenten Leuten, die als "Vorsänger" mit den neuen musikalischen Formen vertraut waren.

Wie aber kam es, daß ausgerechnet in dem sonst so konservativen Westfalen die jüdischen Gemeinden durchaus liberal eingestellt waren? Arno Herzig sieht den Grund hierfür im sozialen Aufstieg der Juden in den mittleren bis gehobenen Bürgertum, das politisch zum Liberalismus neigte. Das jüdische Bürgertum sei in das nichtjüdische integriert gewesen, meint Herzig, ohne auf sein Bekenntnis zur jüdischen Religion zu verzichten. Ihre Integration sei auch dadurch erleichtert, weil die jüdischen Bürger im Bürgertum keine Sonderklassen bildeten. Es fehlte in Westfalen die jüdische Geldaristokratie, da es hier weder übermächtige Bankiers noch überreiche Industriemagnaten gab. Auch die Schicht der kritischen Intellektuellen, die den Sozialisten nahestanden und das Bürgertum attackierten, sucht man unter den westfälischen Juden vergebens. Diese fühlten sich mehr und mehr, das gilt besonders für die Anhänger des Reformjudentums, als Zugehörige der deutschen Nation.

Dennoch sind die Bemühungen der jüdischen Gemeinde in Arnsberg, religiöse Reformen einzuführen, letztlich gescheitert, da die Mehrzahl der westfälischen Juden außerhalb Arnsbergs am überlieferten Judentum hartnäckig festhielt. Der allgemeine Säkularisierungsprozeß machte zwar vor dem Sauerland nicht Halt, doch traten all diese Entwicklungen hier nur abgeschwächt in Erscheinung.

Wie tolerant und liberal damals schon einige Juden dachten, verdeutlicht eine Annonce des in Arnsberg wohnenden jüdischen Kaufmanns Albert Ostwald, mit der er einen Lehrling suchte und der es hieß:"..nach einem bestimmten Religionsbekenntnis wird nicht gefragt, da bei der im Hause herrschenden Toleranz jedem vollste Rechnung getragen wird."


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