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"Das Leid der Welt zur Sprache bringen" Leben und Werk von Jochen Klepper

Einleitung

Neben Ernst Wiechert, Reinhold Schneider und Gertrud von Le Fort war Jochen Klepper einer der herausragendsten Vertreter der sogenannten "inneren Emigration" während der NS-Zeit. Am 24.1.1940 schrieb Klepper an Reinhold Schneider: "Ich bin ein Emigrant im Vaterland."

Kleppers Leben und Leiden ist vor allem in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg wiederholt beschrieben worden. Herausgestellt wurde dabei besonders seine Verbundenheit mit Menschen in Not, eine Verbundenheit, die in tiefer christlicher Überzeugung wurzelte und wie selbstverständlich jüdische Bürger miteinschloss. Kategorisch hat Klepper allen Lockungen und Drohungen, sich von seiner jüdischen Frau und ihren beiden Töchtern zu trennen, widerstanden, obwohl ihm auch der Kleppersche Familienverband die Solidarität versagt hatte, weil man fürchtete, Kleppers 'nichtarische' Frau und deren Nachkommen könnten die Verwandten in staatlichen Funktionen und Parteistellen in eine bedenkliche Lage bringen.

Geboren wurde Jochen Klepper am 22.März 1903 in Beuthen an der Oder als Sohn eines evangelischen Pfarrers. Er hatte zwei ältere Schwestern, Margot und Hilde, und zwei jüngere Brüder, Erhard und Wilhelm. Seine Beziehung zu den Eltern könnte man mit den Stichworten umschreiben: Überschwengliche Liebe zur Mutter, heftige Konflikte mit dem Vater. Der Vater war deutsch-national, lebensfreudig, gutem Essen, der Jagd und der Marschmusik zugetan, übermächtig und den Widerspruch des Sohnes herausfordernd. Die Ehe der Eltern war nicht sehr harmonisch. Als Pastor genoss der Vater hohes Ansehen, jedoch war er nicht in der Lage, die in Katechese und Glaubenslehre vermittelten Inhalte seiner eigenen Familie vorzuleben. Diese Widersprüchlichkeit löste bei dem heranwachsenden Jochen Klepper eine schwere Krise aus. Früh bekam er auch die Spannungen zwischen Vater und Mutter mit. Seine Mutter Hedwig lehnte die Rolle der Pfarrfrau ab und zeigte ihre innere Ablehnung zum Beispiel dadurch, dass sie zwar um der Gemeinde willen die Predigten des Vaters über sich ergehen ließ, dabei aber im verschlossenen Kirchenstuhl Patiencen zu legen pflegte.

1934 schreibt Jochen Klepper in sein Tagebuch, kurz vor dem Tod des Vaters: "Vater und ich sind uns ja eine der schwersten Prüfungen gewesen, die Gott uns auferlegt hat, und was Sünde und Gnade, Führung Gottes ist, haben wir in großen Erregungen und Leiden aneinander erfahren. Es ist das einzige Mal, dass ich im Leben die Bitte des Vaterunsers ganz begriffen habe, im jahrelangen Prozess: 'Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern'."

Der Konflikt zwischen Vater und Sohn verschärfte sich, als Jochen am 28.März 1931 standesamtlich die verwitwete Jüdin Johanna Gerstel-Stein heiratete, die dreizehn Jahre älter war als er und zwei Töchter, Renate(Reni) und Brigitte, damals sieben und neun Jahre alt, mit in die Ehe brachte. An dieser Trauung sollen weder Kleppers Eltern noch seine Geschwister teilgenommen haben. Durch Hanni jedoch erhielt Jochen Klepper die Möglichkeit, sich von den Fesseln seiner Herkunftsfamilie zu befreien und seine eigene Identität zu finden. Sie gab ihm nach Jahren schwerster innerer Wirren und Gefährdung Ruhe und Bestätigung und bereitete ihm den einzigartigen Schaffensgrund, dessen er so sehr bedurfte.

Journalistische Laufbahn

Doch gehen wir zuerst noch kurz auf Jochen Kleppers Kindheit und Jugend ein. Kleppers Motto schon als Zwölfjähriger lautete: "Bevor du Wissenschaft lernst, lerne dich selbst kennen". Nach dem Abitur studierte er zunächst Theologie, um in die Fußstapfen seines Vater zu treten und Theologe zu werden; dann jedoch entdeckte er sein schriftstellerisches Talent und verlegte sich aufs Schreiben. Er verfasste Kurzgeschichten, Gedichte und Kritiken. Schon in den Jahren zuvor hatte er seine Erstlingsgedichte an etwa sechzig Zeitungen geschickt, in denen mitunter auch eines veröffentlicht wurde. Eins seiner ersten Gedichte schrieb er zum Tode Rainer Maria Rilkes im Jahr 1926.

Es war wohl eher Zufall, dass Jochen Kleppers literarisches Debüt im Jahre 1927 in der Würdigung einer Reihe von "Dichtern und Denkern" bestand. Als angehender Journalist, der zur Geltung kommen wollte, musste er die von den Redakteuren gewünschten und von der Aktualität gebotenen Themen aufgreifen. Dazu gehörten derzeit der zehnte Todestag des im Ersten Weltkrieg gefallenen Schriftstellers Walter Flex wie die Todestage von Baruch Spinoza, Angelus Silesius, August Hermann Francke und Rainer Maria Rilke.

Um Geld zu verdienen, arbeitete Klepper seit April 1927 im 1914 in Schlesien gegründeten Evangelischen Preßverband, dem späteren Presseverband, und wurde Presseredakteur. Schon die Begegnung mit dem jüdischen Kunsthistoriker Franz Landsberger hatte Klepper nach seiner Studienzeit zur Mitarbeit an dessen Zeitschrift "Schlesische Monatshefte" verholfen. In den Jahren 1927 bis 1932 schrieb er für "Unsere Kirche", hg.vom Ev.Preßverband für Schlesien, für die "Breslauer Zeitung", für das"Deutsche Pfarrerblatt", die "Niederschlesische Zeitung", "Leipziger Volkszeitung" , für die Zeitschrift "Eckart", die 1924 neu gegründet worden war, (diese Literaturzeitschrift wagte es, gegen den Stachel zu löcken, gegen kirchliche Konventionen wie auf katholischer Seite "Hochland") und gelegentlich auch für die SPD-Zeitung "Vorwärts" Aufsätze, in denen Klepper vor allem menschliche, künstlerische und landschaftliche Fragen behandelte.

Klepper erhielt ferner journalistische Aufträge, die ihn mit bedeutenden Persönlichkeiten zusammenbrachten, zum Beispiel mit Asta Nielsen, Jürgen Fehling, Fritzi Massary, mit Renée Sintenis und Arnold Zweig. Er schloss sich dem von Kurt Ihlenfeld geleiteten Eckart-Kreis an, dem u.a.Josef Wittig und Agnes Miegel angehörten und dem Eugen Rosenstock-Huessy nahe stand. Im "Eckart" hatte bis zu seinem Tod auch Walter Flex publiziert, dem Klepper in jungen Jahren ebenso zugetan war wie dem Schriftsteller Hans Grimm, der als Autor des Romans "Volk ohne Raum" bekannt geworden ist.

Stolz schrieb er am 24.April 1928 an seinen Mentor, den Theologieprofessor Rudolf Hermann, dass er "schon über hundert Manuskripte veröffentlicht" habe. Außer Zeitschriften habe er als ständiges Absatzgebiet Zeitungen in Berlin, Essen, Nürnberg, Hamburg und in Breslau. Es gelang Klepper in der Tat, in allen großen Zeitungen anzukommen und viele namhafte Zeitschriften als feste Abnehmer zu gewinnen. Wenig bekannt ist dagegen Kleppers Tätigkeit am Rundfunk, zuerst am Breslauer, später am Berliner Rundfunk, an den ihn Harald Braun als sein Assistent geholt hat. (Braun ist der Regisseur der bekannten Filme: Träumerei, Nachtwache, Königliche Hoheit). Kleppers Funkdebüt am 12.6.1927 ging mit einem Beitrag über August Hermann Francke über die Bühne. Klepper stellte wohl als erster evangelische Morgenandachten für den Rundfunk zusammen und entwickelte sich zu einem Pionier anspruchsvoller Hörprogramme. Er gestaltete "Bücherstunden" und bereitete u.a. eine große Volkstrauersendung vor. Für den Karfreitag 1933 konzipierte er beispielsweise die Hörfolge "Chronik der Familie Bach". Eine andere Hörfolge hieß: "Der gestirnte Himmel über dir." Zwischendurch erschienen von ihm immer wieder hier und dort Gedichte und Prosatexte.

Mit kleineren literarischen Veröffentlichungen wollte sich Jochen Klepper den Weg zum Beruf des freien Schriftstellers ebnen, aber sein erster Roman fand keinen Verleger.

Wie schwierig es schon 1932 für einen Journalisten und Schriftsteller war, Artikel unterzubringen, geschweige denn eine feste Anstellung irgendwo zu bekommen - Wirtschaftskrise und große politische Unsicherheit kennzeichneten die damalige Situation -, geht deutlich aus Kleppers Tagebuchaufzeichnungen und aus dem Buch von Rita Thalmann "Jochen Klepper: Ein Leben zwischen Idyllen und Katastrophen" hervor. Auf jeden Fall war es nicht einfach, von der Veröffentlichung einzelner Artikel zu leben.

Rita Thalmann schreibt: "Mit dreißig Jahren, einem unveröffentlichten Roman, drei Novellen und vielen Aufsätzen, von denen er nur wenige schätzt, steht Jochen Klepper vor einer ungewissen Zukunft."

Aber dann schienen der Erfolg seines 1933 veröffentlichten Romans "Der Kahn der fröhlichen Leute" und eine Festanstellung beim Berliner Rundfunk im Herbst 1932 ihm doch eine sichere Existenz zu garantieren. Zunächst wurde es für ihn jedoch im Oktober 1932 unvermeidlich, aus der SPD auszutreten und mit dem "Vorwärts", für den er bis dahin gelegentlich geschrieben hatte, reinen Tisch zu machen.

Aber im Dritten Reich, als sich Klepper weigerte, sich scheiden zu lassen, wurde er wegen seiner "jüdischen Familie" und als früherer Mitarbeiter beim "Vorwärts" am 7.Juni 1933 entlassen. Bereits fertig gestellte Hörfolgen, ganze Zyklen, die im Grunde Kleppers geistiges Eigentum waren, wurden unter anderem Namen ausgestrahlt. Eine Zeitlang wurde Klepper noch anonym beschäftigt.

"Dreißig Wochen voller Freude, Verbitterung und maßloser Arbeit - alles reißt jäh ab.. es ist hart, denn mein Erfolg war gut, und meine Arbeit hatte einen Plan und Gehalt."

Fünf Wochen später, am 27.Juli 1933, fand Klepper eine Anstellung im Ullstein-Haus bei der Funkzeitung "Sieben Tage". Diese dauerte allerdings auch nur zwei Jahre - bis September 1935.

Außerdem hatte Klepper von der Redaktion der Wochenzeitschrift "Literarische Welt" - sie wurde 1925 von Willy Haas gegründet und seit 1933 von dem späteren Verleger Karl Rauch geleitet - den Auftrag erhalten, regelmäßig Funkkritiken zu schreiben. Hier musste schon im Januar 1934 die Arbeit wieder eingestellt werden, denn die "Literarische Welt" durfte nach einem Verbot durch die Geheime Staatspolizei nur weiterarbeiten, "wenn sie alle aktuelle Kritik lässt."

Am 12.1.1935 bekam Klepper vom Eckart-Verlag die Aufforderung, kirchliche Gedichte für eine kleine Anthologie einzureichen. "Dergleichen vermerke ich jetzt sehr dankbar", schreibt Klepper in sein Tagebuch, und am 19.Oktober 1938 notiert er, dass im Eckart-Verlag kaum noch ein Prospekt erscheint, in dem nicht seine Bücher erwähnt werden.

Ende 1937 wird Klepper von der Reichsschrifttumskammer, in die er noch 1934 aufgenommen worden war, ausgeschlossen.

Journalistisches Publizieren schien nun nicht mehr möglich sein. Aber mit einem Bescheid im Monat Juni 1937 wurde ihm mitgeteilt, dass die Ausschlussverfügung einstweilig ausgesetzt sei und er bis zur endgültigen Entscheidung durch den Herrn Präsidenten der Reichskulturkammer in der Ausübung der kammerpflichtigen Tätigkeit nicht behindert sei. Denn "in dem fatalen Institut", schreibt Kurt Ihlenfeld, gab es mindestens einen Beamten (mit Namen Dr. Koch), "der den 'Fall Klepper' mit eben so viel Noblesse wie Kühnheit behandelte und dem armen gejagten Autor jahrelang.. zur Seite stand" bis am 18.2.1942 an seine Stelle ein SS-Mann kommt, der mit dem 'milden Geiste' in Kochs Ressort aufräumen soll. Hin und wieder schrieb Klepper noch kleinere bis größere Aufsätze, zum Beispiel im September 1937 einen Essay über Kant, Voltaire und den Maler Ludwig Richter, den Paul Fechter für das "Berliner Tagblatt" haben wollte. Dieser erschien am 16.Januar 1938 unter dem Titel "Vollendung der Einsamkeit in der "Deutschen Zukunft".

Daneben verfasste Klepper rund 20 Artikel anlässlich des 250.Geburtstags von Friedrich Wilhelm I., besprach ausführlich Ina Seidels Roman "Lennacker" und Reinhold Schneiders "Las Casas vor Karl V." und wirkte an Filmskripten mit.

Literarische Laufbahn

Seine literarische Laufbahn setzte Klepper bis zu seinem Tod fort, wenn auch mit vielen Unterbrechungen wegen der sich, vor allem für Juden zuspitzenden Gefährdung, die die Seinen und ihn immer mehr in Bedrängnis brachten. Immerhin galten seine Ambitionen der Arbeit eines freien Schriftstellers. Kurt Ihlenfeld schreibt in "Freundschaft mit Jochen Klepper": "Er war ein Dichter - und sein Werk wäre darum der erste und wichtigste Weg, den wir einzuschlagen haben, wenn wir wissen wollen, wer er war. Es verteilt sich auf die drei Erscheinungsjahre 1933, 1937, 1938. Rechnen wir noch das wohl 1942 abgeschlossene Katharina-Fragment hinzu, so ergibt sich ein Zeitraum von einem Jahrzehnt, während dessen Kleppers Werk entstand."

1926 hatte Klepper die unveröffentlicht gebliebene Erzählung "Der eigentliche Mensch" entworfen. Hier geht es um die Nöte und Probleme eines jungen Menschen. In einer anderen seiner ersten Novellen "Die Nacht in der Schachtel" (1932) schildert der Schriftsteller die Gemütsverwirrungen eines Knaben, zwei weitere Novellen hat er noch in der Schublade: "Geburt" und "Handel in Dornrick". Im Oktober 1933 plante er eine Novelle über ein Kind in einem Altersheim. "So leben sie noch heute" sollte der Titel lauten.

Sein im August 1932 während eines Aufenthalts in Beuthen begonnener Roman "Hoffnungslosigkeit" über seine Geburtsstadt Beuthen, der im Herbst 1921 mit Belegen über die durch Erzbergers Ermordung hervorgerufene Erregung im arbeitenden Volk und das Verbot rechtsstehender Zeitungen wegen ihrer Ausfälle gegen die Republik endet und die Umwandlungen der kleinen Städte in die Moderne behandelt, wurde nicht vollendet.

1929 nahm Klepper den 1927 begonnenen Moderoman "Die große Directrice" wieder auf. Es geht um den Aufstieg einer großen Modeschöpferin, wobei die Mode aufgefasst wird Symbol für das "Glück der Vergänglichkeit". Erwählung und Verworfensein der Menschen stehen hier im Mittelpunkt. Unpolitisches Mitfühlen werden mit theologischen Kategorien verbunden. Der Roman wird von den Verlagen nicht günstig aufgenommen. Er sei zu "fantastisch für einen Abdruck", befindet ein Verleger. Auf Wunsch eines Verlages schreibt Klepper ihn um in "Das Glück der Vergänglichkeit" - siebenmal. "War es die fehlende formale Sicherheit oder war es der bereits aufkeimende Antisemitismus, der seinen Roman zunichte machte, dessen Hauptfigur eine jüdische Frau darstellte? fragt sein Biograf Martin Wecht. Allerdings kommt dann auch der Autor selbst zu der Erkenntnis, dass dieses Manuskript für einen literarischen Anfang ebenso wenig taugt wie sein Roman "Hoffnungslosigkeit".Das literarische Debüt glückte dann ganz unerwartet mit dem schon erwähnten, 1933 veröffentlichten heiteren Roman "Der Kahn der fröhlichen Leute", in dem Klepper die Flussschifffahrt und das Leben auf den Oderkähnen schildert und damit seiner schlesischen Heimat ein Denkmal setzte. Die Geschichte des resoluten Schiffermädchens Wilhelmine Butenhof ist bald nach dem Krieg verfilmt worden.

Das Buch war Klepper gut und flott von der Hand gegangen, wurde günstig besprochen und war auch "finanziell auswertbar". Klepper kommt es indes etwas voreilig vor, wenn die meisten Blätter und Zeitschriften sein "literarisches Entrée" durch dieses Buch für absolviert halten. Doch wie dem auch sei, seit dem "Kahn" zählt Klepper zu den "guten Heimatdichtern".

Am 10.3.1934 erfährt Klepper, dass die 2.Auflage vom "Kahn" gedruckt wird. Diesmal erhält er viele Kritiken aus dem Ausland. In einer holländischen Rezension ist zu lesen: "Über dem Buch liegt, was vielleicht nur wenige verstehen werden, eine evangelische Sorglosigkeit."

1933 beginnt Klepper mit dem Roman "Der Vater". (Über den Vater-Roman habe ich einen eigenen Aufsatz ins Internet auf dieser Homepage gestellt.) Anschließend um 1937 herum schreibt er noch zwei Ergänzungsschriften zum "Vater", nämlich "In tormentis pinxit" mit Briefen und Bildern des Soldatenkönigs (1938) sowie "Der Soldatenkönig und die Stillen im Lande" mit Berichten, Begegnungen und Gesprächen des Königs mit August Hermann Francke, Gotthilf August Francke, Johann Anastasius Freylinghausen und Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf.

Stolz berichtet er in seinem Tagebuch am 9.August 1938, dass von dem zuletzt erwähnten Buch "trotz des glühenden Sommers schon 1400 Stück verkauft" worden seien. Dabei hätten Ihlenfeld und er nur "mit einem ganz kleinen Leserkreis gerechnet".

1935 hatte Klepper außerdem die Erzählung "Das Ende" geschrieben, die in der Zeitschrift "Das innere Reich" veröffentlicht wurde. Sie erschien noch einmal nach dem Krieg 1962.

Klepper machte weitere Pläne. Doch von dem beabsichtigten Luther-Roman "Das ewige Haus" - er war noch breiter angelegt als "der Vater" - wurde nur der erste Teil fertig: "Die Flucht der Katharina von Bora." Denn Klepper kam nicht recht voran und notierte am 28.März 1940 in sein Tagebuch:" Ist's eine Prüfung Gottes? Ist's der Teufel, der Gottes Werk auch am "Ewigen Haus" hindern will?" Im Juni 1940 hatte er gerade das erste große Kapitel, das die Überschrift "Die klugen und die törichten Jungfrauen" trägt, beendet.

Offensichtlich wollte Klepper ein großes Buch auch über Voltaire schreiben. Im Januar 1933 notierte er in sein Tagebuch: "Am Voltaire-Plan hänge ich noch sehr; nun schon seit sechs Jahren." Er kommt noch öfter auf dieses Buch zu sprechen. Am 2.September 1940 schreibt er in sein Tagebuch, dass ihn das Voltaire-Buch noch immer nicht loslässt, Voltaire, "Darstellung des einsamen, ungläubigen Menschen". Auch soll er sich nach Aussage seines Freundes Ihlenfeld mit dem Plan eines Paul-Gerhardt-Romans getragen haben.

Darüber hinaus wurden ein Band Gedichte und einige Aufsätze von ihm veröffentlicht. Unter dem 10.Oktober 1938 liest man in seinem Tagebuch: "Die sehr angesehene Zeitschrift "Corona" will jetzt auch Gedichte von mir". Diese Zeitschrift wurde von Martin Bodmer und Herbert Steiner herausgegeben und zählte R.A.Schröder zu ihren wenigen auserwählten Mitarbeitern.

Werden Kleppers Bücher in der Literatur einen bleibenden Platz einnehmen?

Sein Tagebuch "Unter dem Schatten deiner Flügel" (1956), Dokument eines Schicksals im Dritten Reich und zugleich Zeugnis seines Lebens "aus Glauben", sicherlich. Gehört es doch zu den erschütterndsten autobiografischen Zeugnissen aus der Zeit des Dritten Reiches, neben den Büchern von Sebastian Haffner und Victor Klemperer sowie Gertrud Kolmars Briefen. Das Tagebuch, in dem Klepper laut eigenem Bekunden, nur aufgezeichnet hat, "was nicht in den Zeitungen steht", gibt Aufschluss über Kleppers seelische Lage in den Jahren von 1932 bis 1942 und lässt auch den schmerzlichen Werdegang des Romans "Der Vater" erkennen. Aus Kleppers Tagebuch erfährt man aus erster Hand sehr viel Authentisches über den Alltag im Dritten Reich, über das Verhalten nichtjüdischer Deutscher gegenüber Juden - "Die menschliche Härte feiert heute Orgien" - und über das Anbiedern der offiziellen Kirche an die braunen Machthaber, aber auch von dem mehr oder weniger versteckten Widerstand und Aufbegehren einzelner Menschen.

Kleppers Lyrik, vor allem seine "Geistlichen Lieder", die unter dem Titel "Kyrie" im Eckart-Verlag 1938 erschienen sind und wesentlich zur Erneuerung des evangelischen Kirchenlieds aus dem Geist der Heiligen Schrift beigetragen haben, dürften ebenfalls von Bestand sein. Schon 1939 wurden in einzelnen Morgenandachten die "Kyrie-Lieder" gelesen. "Das Kyrie ist in die Häuser gedrungen". Einiges fand in dieser Zeit schon Eingang in evangelische Kirchengesangbücher der deutschen Schweiz. Mancher hat dieses Buch mit in den Krieg genommen. "Ihlenfeld rief mich an: "Kyrie 6.-8.Tausend", schreibt Klepper am 28.11.1939 in sein Tagebuch und am 14.12.1939: "Im Eckart-Verlag aber wird täglich von den Buchhandlungen wegen der neuen "Kyrie"-Auflage gemahnt." Am 6.Mai 1940 erfährt Klepper von Ihlenfeld, dass die dritte, erweiterte Auflage von "Kyrie" vorbereitet wird.

Angesichts seiner "Ehe im Schatten" (so der Titel eines Film über das Schicksal der Familie Gottschalk) ist Kleppers literarisches Werk nach dem Erscheinen des "Vater" schmal geblieben.

Allgemeine Rezeptionsgeschichte der Klepperschen Werke

Unmittelbar nach dem Krieg erreichten etwa zwanzig Jahre lang Jochen Kleppers Werke - insbesondere die geistlichen Gedichte und die gekürzte Ausgabe seiner Tagebücher - hohe Auflagen. Freunde und Bekannte haben des Schriftstellers in pietätvoller Weise gedacht. Neben den Aussagen der Zeugen erhoben sich meistens Stimmen der Huldigung, die auf das "Opfer der Dämonie" und den "standhaften Glauben des überzeugten Christen" hinwiesen.

Wohl durch den nachträglichen Kult irritiert, erhob sich 1959 in der Schweiz eine für dieses friedfertige Land ungewohnt harte Stimme gegen den "hehren Überwinder, der auf jeden von uns ohne mit der Wimper zu zucken geschossen hätte, wenn ihm das von seinem Nazistaat befohlen worden wäre, und für diese Führung und Fügung obendrein seinem Gott auf den Knieen gedankt hätte." (R.J.Humm: "Ein deutsches Schaf" in :"Unsere Meinung, Zürich, Februar/März 1959).

Der westdeutsche Kritiker Dietrich Lattmann und der Pastor Jürgen Henkys, der die Einführung zur DDR-Ausgabe der Tagebücher schrieb, waren der Meinung, dass der unverwechselbare Jochen Klepper, der einen einsamen Weg beschritt, gleichzeitig "eben doch nur dachte und handelte, wie die meisten Deutschen seiner Kreise damals taten." (D.Lattmann in "Die neue Schau, Kassel Juli 1957; J.Henkys: Zur Einführung in J.K. Unter dem Schatten. Berlin (DDR 1967).

Er war, so Lattmann, "wie die Mehrheit dieser Schicht politisch zu arglos, innerlich zu wenig vorbereitet und im Grunde seines Wesens dem Staat gegenüber zu gehorsam, als dass er hätte gänzlich sehen und begreifen können, was um ihn vorging." Rita Thalmann meint dagegen: "Der protestantische Schriftsteller Jochen Klepper ist weder ein "Märtyrer der Kirche" noch war er ein "deutsches Schaf". Sein Lebenslauf bekundet nur mit besonderer Prägnanz die Irrungen und Wirrungen eines Bürgertums, dessen Erziehung zur 'gottgewollten Gemeinschaft in Volk und Vaterland' keinen Raum für eine kritische Auseiandersetzung ließ.

Martin Johannes Wecht, der mit einer Arbeit über Jochen Klepper in den neunziger Jahren promoviert wurde, unterscheidet drei Phasen der Klepper-Rezeption: die erste Phase seit 1956 beruhte eher auf der Publikation der Tagebücher Kleppers und Äußerungen von Zeitzeugen. Die zweite Phase ist dadurch gekennzeichnet, Leben und Werk Kleppers wissenschaftlich zu erforschen. Mit Kleppers 50.Todestag(1992) beginnt die dritte Phase, die in einer kritischen Sichtung der bisherigen Leitbilder der Klepper-Darstellung besteht, näherhin den Publikationen von Rita Thalmann (1977) und Gérard Imhoff (1982), die pauschal Klepper abwerten.

Wie aktuell ist Klepper heute noch? Werden seine Bücher noch gelesen?

1957 fragte sich Kurt Ihlenfeld, ob Klepper mittlerweile in Vergessenheit geraten sei, und meinte, dass dies wohl nicht der Fall sei im Kreis der evangelischen Gemeinde und der kirchlichen Leserschaft. Aber er könne sich nicht entsinnen, dass Klepper in den literarischen Zeitschriften und Feuilletons vorkomme, noch habe er "in den vielen Aufsätzen, Broschüren und Büchern zur modernen Literatur, die unsereinem in den letzten Jahren zu Gesichte gekommen sind - je den Namen Jochen Klepper gelesen... Zum Beispiel nicht in der 'zweiten, völlig erneuerten Auflage' des von Wolfgang Kayser und Fritz Martini herausgegeben 'Kleinen Literarischen Lexikons', obwohl es doch Autoren wie Kolbenheyer und Blunck, wie Ganghofer oder Bonsels ausführlich behandelt."

Auf meine Fragen im Internet: "Wer von Euch kennt Jochen Klepper? Wer hat etwas von ihm gelesen? Und wenn ja, was und wann zuletzt?" erhielt ich zwei Zuschriften:

In der ersten war zu lesen: "Mir imponiert der moralische Rigorismus, den er vertreten und wohl auch gelebt hat. ..Dem "Vater" ist eine gewisse hagiographische Tendenz nicht abzusprechen, stilistisch gelungen, eine Mischung aus hohem Ton und Rankescher Objektivität. Seine Verteidigung des starken Staates lässt sich durchaus im Nazisinne vereinnahmen. Der Kontrast zwischen gerechter Regierung hier und Terrorregime da hat wohl auf die Zeitgenossen stärker gewirkt als das heute nachvollziehbar ist."

Die zweite Zuschrift lautete: "Es ist fast 50 Jahre her, da habe ich den "Vater" gelesen. Seither nichts mehr. Das gehörte damals, in der DDR, in protestantischen Kreisen, sozusagen zur Pflichtlektüre, auch wegen der Kirchenlieder, die Klepper geschrieben hat."

Später fand ich noch im Internet andere Reaktionen auf Klepper und seinen Roman "Der Vater:

"Gemeinwohl vor Eigennutz - Pflichtlektüre für Politiker." "In diesem Roman sind für mich Ethik- und Moralbegriffe von einem Staatsmann gelebt worden, die von zeitgenössischen Politikern mindestens in Deutschland nicht erreicht werden. Ein König brauchte nicht von Wahltermin zu Wahltermin zu schielen. Doch auch vom politischen Standpunkt her gesehen ist dieses Buch ein wahrer Leckerbissen!"

"Dieses über 900 seitige Buch ist keine leichte Lektüre. Wer jedoch über die nötige Zeit und Musse verfügt, sich der schon fast poetischen Sprache Kleppers anzunehmen, wird durch den reichen Inhalt und viele sehr intensive und nachklingende Bilder entsprechend belohnt."

Im Besprechungsdienst für Öffentliche Büchereien heißt es: "Der Vater" 'bleibt heute wie damals der gewiss bedeutendste historisch-biografische Roman der deutschen Literatur".

Wie haben Jochen Klepper und die Seinen die letzten Jahre erlebt?

Nach der Reichspogromnacht 1938 war die Gefährdung der Familie von Monat zu Monat gewachsen. Am 18.Dezember 1938 lässt sich Hanna taufen, die Ehe wird kirchlich eingesegnet. Später am 8.6.1940 wird auch die Tochter Renate getauft. Es gibt Kontakte mit deutschen und schwedischen Stellen wegen der Auswanderung von Frau und Tochter.

Als Klepper 1940 zur Wehrmacht einberufen wird, glaubt er, damit seine Familie besser schützen zu können. Doch schon ein Jahr später - er lag mit seiner Einheit vor dem ukrainischen Poltawa - wird er wegen "Wehrunwürdigkeit" wieder entlassen. Das Jahr 1942 gestaltete sich zu einem Wettlauf mit dem Tod. Die ältere Tochter hatte noch 1939 nach England emigrieren können; der jüngeren, der von Klepper innig geliebten "Renerl", gelingt dies nicht mehr. Von Reichsinnenminister Frick hatte Klepper eine Art "Schutzbrief" bekommen, der die Frauen tatsächlich eine Weile schützte. Aber dann kann auch Frick nicht mehr helfen: "Ich war bei Frick. Er steht zu dem, was er zugesagt hat, er will Renate aus Deutschland heraushelfen. Aber hier kann er nicht mehr helfen. Erregt lief er am Schreibtisch auf und ab. Solche Dinge kommen zu den Ohren des Führers, und dann gibt es einen Mordskrach."

Klepper versucht es bei Adolf Eichmann und wird tatsächlich auch vorgelassen. "Ich habe noch nicht mein endgültiges Ja gesagt, aber ich denke, die Sache wird klappen." Das war blanker Zynismus, denn am folgenden Tag erfährt Klepper, dass der Tochter die Ausreise in das aufnahmebereite Schweden nicht gestattet wird. Das Todesurteil über Renate Stein sprach Adolf Eichmann am 10.Dezember 1942 aus, indem er die Ausreise Renate Steins nicht gestattete. Die Familie fühlt: Das ist das Ende.

Kleppers letzte Sätze am 10. Dezember 1942: "Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun, ach, auch das steht bei Gott. Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In diesem Anblick endet unser Leben."

So schied Klepper zusammen mit seiner jüdischen Frau und seiner Stieftochter am 11.Dezember 1942 aus dem Leben. Sie hatten den Gashahn des Küchenherdes geöffnet. Die Haushälterin findet die drei Toten am Morgen, an der Küchentür ein Schild "Vorsicht Gas".

Jochen Klepper war alles andere eine Kämpfernatur gewesen. Nichts hatte zu Beginn seiner literarischen Laufbahn auf das dramatische Ende hingedeutet. Kleppers Schwester Hilde, die am letzten Abend bei der Familie war, und diese voll böser Vorahnung verlassen hatte, wurde am nächsten Morgen dringend nach Nikolassee in deren Haus Teutonenweg 23 gerufen: "Ich kann mich noch entsinnen, wie ich weinend durch die Straßen lief und die Leute mich ansahen. Als ich ankam, hatte man die drei Leichen in Jochens Arbeitszimmer gelegt. Drei Männer in Uniform waren da, der eine bemerkte, das sind nicht die ersten. Wir haben heute schon ein junges Mädchen in Wannsee abgeholt'."

In der Glaubensgewissheit, dass Gott größer ist als das menschliche Herz es je begreifen kann, war die Familie Klepper in den Tod gegangen. In der Nacht vom 10. zum 11.Dezember 1942 eilen sie zu Gott, "ehe er sie gerufen hat" schrieb Reinhold Schneider Jahre danach.

Drei Nachspiele

Als 1961 der ehemalige Leiter des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt Adolf Eichmann in Jerusalem danach befragt wurde, ob er sich an den "Fall Klepper" erinnere, antwortete er - wie zu erwarten war: "Nein, ich erinnere mich nicht."

Anfang der fünfziger Jahre waren die Jugendleiter des Evangelischen Jugendwerks Mannheim zu ihrer Jahresrüste vom zweiten Weihnachtsfeiertag bis zum 2.Januar versammelt. Die Jahresschlussfeier war vorbereitet. Einer der Jugendleiter hatte das schöne Lied ausgewählt: "Der Du die Zeit in Händen hast..." Als dieses Lied angekündigt wurde, stand der leitende Pfarrer auf und verließ den Raum mit den Worten: "In meiner Gegenwart wird kein Lied von Jochen Klepper gesungen." Später erklärte er: "Ich kann nicht Worte eines Mannes singen, der Hand an sich gelegt hat."

In den siebziger Jahre sollte in einer norddeutschen Kleinstadt das neue evangelische Gemeindezentrum einen Namen bekommen. Zur Wahl standen "Martin-Luther-King-Haus" und "Jochen-Klepper-Haus". Aber beide Namen stießen auf Widerstand. Die einen nahmen Anstoß am politisch engagierten "Negerpfarrer", die anderen wollten das Gemeindezentrum nicht nach einem Mann benannt wissen, der mit Frau und Tochter freiwillig aus dem Leben schied. Schließlich fand sich eine knappe Mehrheit für den Namen "Jochen-Klepper-Haus" - immerhin sei er wenigstens ein deutscher Dichter gewesen und sogar das Gesangbuch enthalte ja einige Lieder von ihm.

Fazit

Jochen Klepper war kein Widerstandskämpfer. Er war ein "Stiller im Lande", ein im wahrsten Sinne Mitleidender, der sich bewusst auf die Seite der Leidenden gestellt, nicht nur weil er mit einer jüdischen Frau verheiratet war und ihr im Gegensatz zu manch anderen auch unter den Nazis die Treu gehalten hat, sondern auch aufgrund seiner christlichen Prägung, die ihn- auch hierin im Gegensatz zu anderen Christen keine antijudaistische Haltung einnehmen ließ, sondern ihn auf die Seite der verfolgten Juden stellte. (Römer 11, Ersterwählung der Juden) Zudem hat sein christliches Bekenntnis vielen Menschen in den Jahren der Unmenschlichkeit Trost gegeben und vielleicht vermittelt Klepper auch heute noch, sechzig Jahre nach seinem Tod, dem ein oder anderen Trost und Halt in unserer kirchenfernen Zeit, in der Religion und religiöse Strömungen oft recht beliebig geworden sind.

Auswahlbibliographie:


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