Eine jüdische Literaturwissenschaftlerin, die sich um Schiller und Thomas Mann verdient gemacht hat
Über Käte Hamburgers Leben und Werk
Das Jahr 2005 steht für viele Literaturfreunde ganz im Zeichen von Friedrich Schiller und Thomas Mann. Zur Erinnerung: Schiller starb vor zweihundert Jahren, Thomas Mann wurde vor 130 Jahren geboren und starb achtzig Jahre später. Wäre es da nicht an der Zeit, in diesem Zusammenhang auch der jüdischen Literaturwissenschaftlerin Käte Hamburger zu gedenken, die sich um beide Dichter verdient gemacht hat?
Beginnen wir mit Schiller.
In seinem viel beachteten Buch "Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus" nennt Rüdiger Safranski Schiller einen "Sartre des späten 18.Jahrhunderts", weil er wie Sartre erklärt hat, dass es ganz darauf ankomme, "etwas aus dem zu machen, wozu man gemacht wurde", und weil er die Freiheit so radikal begriffen habe wie später nur noch Sartre. Doch ist Safranski keineswegs der Erste, der beide miteinander vergleicht. Das hat schon vor fast einem halben Jahrhundert die jüdische Literaturwissenschaftlerin Käte Hamburger getan in einem längeren Aufsatz, der zuerst 1959 im Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft erschien und einige Jahre darauf in Hamburgers, vom Kohlhammer-Verlag herausgegebenen Band "Philosophie der Dichter - Novalis Schiller Rilke" mitaufgenommen wurde. Sowohl Schiller als auch Sartre, seien, meint Käte Hamburger, Philosophen und Dichter der Freiheit gewesen und Moralisten dazu. "Der Dramatiker Schiller hat es mit dem Bereich der Existenz zu tun, den der Platonische Idealismus nicht erreicht, mit dem des Handelns, der Tat", heißt es an einer Stelle in dem Aufsatz und einige Seiten weiter: "Im Vordergrund von beider Denken und dramatischen Gestaltungen steht die aktivistische Freiheitsidee. Schillers Nähe zu Sartre beweise auch sein Satz "Alle anderen Wesen müssen, der Mensch ist das Wesen, welches will." Ähnlich habe sich Sartre ausgedrückt, schreibt die Literaturwissenschaftlerin, wenn auch etwas komplizierter.
Neben Friedrich Schiller galt Käte Hamburgers Interesse vor allem Thomas Mann, dessen philosophiefreudiges, scharf planendes Temperament sie als geistesverwandt erkannte und "durch liebende Zuwendung honorierte."(Gerd Ueding) Von dieser Beziehung soll gleich noch ausführlicher die Rede sein. Doch zunächst wollen wir der Frage nachgehen: Wer war eigentlich Käte Hamburger?
Geboren wurde sie als Tochter eines Bankiers am 21.September 1896 in Hamburg. Während des Ersten Weltkrieges begann sie ihr Studium. Sie studierte in München und Berlin Philosophie, Literaturgeschichte und Geschichte. Einmal habe sie, berichtet Hans Mayer in seinem Buch "Der Widerruf", einen Kant-Vortrag im philosophischen Seminar gehalten, "der großen Eindruck machte. Ein Mitstudent, etwas jünger als Käte Hamburger, der die Kommilitonin bis dahin kaum beachtet hatte, war fasziniert von ihr und ihrem Denken. Man traf sich und besprach das Philosophieren der Zeit. Auch dieser Kommilitone unternahm ein Leben lang die Gratwanderung zwischen der Philosophie und der Theologie. Er heißt Gerhard Scholem."
Die philosophische Orientierung stand schon ganz am Anfang von Käte Hamburgers wissenschaftlicher Arbeit. "Philosophie war mein Hauptfach im Studium", bekannte sie einmal in einem Interview. "Ich glaube, meine Arbeiten sind davon geprägt, dass ich von philosophischen Gesichtspunkten her an die Literatur herangegangen bin. Daher habe ich mich besonders für jene Dichter interessiert, die sich auch philosophische Fragen gestellt haben."
1922 wurde Käte Hamburger im Fach Philosophie mit einer Arbeit über "Schillers Analyse des Menschen als Grundlegung seiner Kultur- und Geschichtsphilosophie" bei Clemens Baeumker in München promoviert. (Ihre Habilitationspläne und ihre Hoffnungen auf eine universitäre Laufbahn fielen freilich zehn Jahre später dem Nationalsozialismus zum Opfer.) Von 1928 bis zum Ende der Weimarer Republik war sie die Assistentin des Berliner Philosophieprofessors Paul Hofmann. In dieser Zeit erschienen ihre ersten Arbeiten, wie etwa ihre Studie über "Novalis und die Mathematik".
1933 ging sie für ein Jahr nach Dijon, studienhalber, um Vorlesungen zu hören. Hier lernte sie eine Schwedin kennen, die sie nach Göteborg einlud. Ende 1934 folgte sie der Einladung und blieb dort - 22 Jahre lang, notgedrungen, in Deutschland hatten sich inzwischen die Nazis fest etabliert.
In der Emigration wählte sie dann endgültig die Literatur als ihr Hauptfach, verstand diese aber vornehmlich als Medium des Gedankens und nicht so sehr als Medium der historischen Erzählung. An der deutschen Literatur und Denktradition zwischen Lessing und Heine hat Käte Hamburger unbeirrt festgehalten, auch als sie durch das Dritte Reich vom deutschen Sprach- und Kulturraum abgeschnitten war. In ihrem Asylland Schweden, dessen Staatsbürgerschaft sie annahm und dessen Sprache sie sich aneignete, hat sie in den vierziger und fünfziger Jahren mit dazu beigetragen, dass in den Jahren der europäischen Verdunkelung das Interesse an dem deutschen literarischen Erbe in Schweden nie ganz erloschen ist.
Ihr erster Exilaufsatz - er handelt von Rahel Varnhagens Goethe-Verehrung - erschien 1934 allerdings in Frankreich. Als sie zwei Jahre zuvor Thomas Mann ihren Aufsatz "Thomas Mann und die Romantik" zugeschickt hatte, war dieser voll des Lobes und nannte die Absenderin eine "starke kritische Begabung", die sich gewiss eines Tages "an den würdigsten Gegenständen" bewähren würde. Der Schrift selbst war zunächst kein langes Leben beschieden. "Sie wurde", schreibt Käte Hamburger in einem kurzen Lebensabriss, "1933 gleich vom Verlag Juncker & Humblot vernichtet. Aber sie verschaffte mir die persönliche Bekanntschaft mit Thomas Mann, den ersten, natürlich unvergesslichen Besuch in der Poschingerstraße im September 1932. Die Verbindung blieb dank meiner weiteren Beschäftigung mit seinem Werk bis zu seinem Tod in einem Briefwechsel bestehen."
Später, im Jahr 1945, hat Käte Hamburger dann in ihren Arbeiten den Weg Thomas Manns von den frühen Erzählungen und den "Buddenbrooks" über den symbolischen Realismus des "Zauberbergs" bis zum symbolisch-humoristischen Menschheitsroman "Joseph und seine Brüder" genau beschrieben. Thomas Mann, der ihr seit ihrer ersten Begegnung verbunden blieb (trotz einer späteren zeitweiligen Verstimmung, weil Käte Hamburg es gewagt hatte, seinen "Doktor Faustus" zu kritisieren), und dankbar dafür war, seine "Zugehörigkeit zur deutsch-idealistisch-klassisch-romantischen Tradition so überzeugend nachgewiesen zu sehen", schrieb ihr nach der Veröffentlichung ihrer Einführung "Thomas Manns Roman 'Joseph und seine Brüder' " am 31,Januar 1946 folgende Zeilen: "Das Buch ist ein Ereignis in meinem Leben,- ich darf und muss es so nennen, da es eine Exegese meines Werks von dieser liebevollen, wissenden und alles aufzeigenden Breite und Tiefe ... noch nicht gegeben hat. Den Bestand, der meinem wunderlichen Erzählwerk beschieden sein wird, wird Ihre 'Einführung', dieser sympathievolle Kommentar eines gestaltenden Kommentators, der seinesgleichen auch noch nicht gehabt haben mag, mit ihm teilen. Immer wird diese Erläuterung des sich oft schwatzhaft Erläuternden, das sich aber doch so wenig wie irgend etwas Seiendes wirklich selbst erkennen kann, neben ihm stehen und in vollkommener Klugheit dafür zeugen."
1956 folgte Käte Hamburger einer Einladung Fritz Martinis nach Stuttgart, bei dem sie sich ein Jahr später als Sechzigjährige habilitierte. Als Dozentin und Professorin für Vergleichende und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Technischen Hochschule und späteren Universität Stuttgart wirkte sie noch zwanzig Jahre lang und verschaffte während dieser Zeit der Literaturwissenschaft an eigentlich ungewohnter Stelle neue Bedeutung. Allerdings konnte sie nach deutschem Beamtenrecht nicht mehr "ordentliche" Professorin werden, obwohl sie viel länger gelehrt hat als viele Jüngere, die in jenem Alter an den Ruhestand denken, in dem sie erst mit ihren Vorlesungen begann. Doch wurde sie vielfältig geehrt. Sie wurde PEN-Mitglied, Ehrendoktorin der Universitäten in Siegen und Göttingen, Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes und des Schiller-Preises. Ihre Dankesrede hierfür im Jahr 1989, in der sie sich mit Thomas Manns Schiller-Bild befasste, war der letzte Text, mit dem sie hervortrat, neben "Ibsens Drama in unserer Zeit". Denn ihr lag viel daran, die Arbeiten des Exils über Henrik Ibsen nun auch deutschen Lesern zugänglich zu machen. Gestorben ist Käte Hamburger im Alter von 95 Jahren am 8.April 1992 in Stuttgart.
An der jüdischen Literaturwissenschaftlerin ist, nach Aussage von Hans Mayer, viel gesündigt worden: "Aus Hamburg wurde sie vertrieben, so wie man nur allzu viele von uns vertrieben hat. Doch konnte sie das Leben ihrer Mutter retten. In Schweden jedoch gab es nicht nur Freundlichkeit und ein im guten Sinne 'mitleidiges Asyl'. Viele Spezialisten für deutsche Sprache und Literatur an schwedischen Schulen und Hochschulen hatten nach 1933 erstaunlich viel Verständnis für ein angeblich 'erwachendes Deutschland'. ..Käte Hamburger hat über ihre Erfahrungen in der Universitätsstadt Göteborg stets mit Bitterkeit gesprochen....In den fünfziger Jahren, bei ihrer Rückkehr nach Deutschland wäre es möglich gewesen, Käte Hamburger zu habilitieren oder auch, in Würdigung ihrer vorhandenen Arbeiten, als Professorin an ein Deutsches Seminar einer Universität zu berufen. Dagegen gab es Widerstände, nicht allein von alteingessenen Kollegen, die das Dritte Reich überdauert hatten, in einem erschreckenden Fall sogar von der Emigrantenseite." Hingegen wurden im Ausland, insbesondere in Frankreich und im angelsächsischen Sprachraum, Käte Hamburgers Arbeiten, wenn auch hier ebenfalls verspätet, sehr viel unvoreingenommener rezipiert als in Deutschland.
Ihre Buchtitel wie "Philosophie der Dichter" und "Logik der Dichtung" sind Indizien für ihr Pendeln zwischen Philosophie und Literatur. In ihrer Stuttgarter Habilitationsschrift "Logik der Dichtung" entwirft Käte Hamburger in bewundernswerter analytischer Klarheit ein System des Erzählens, in dem der für dieses Jahrhundert so wichtige Ich-Roman eigentlich keinen Ort hat. Was das Wesen literarischer Fiktion ausmacht, befindet Volker Hage, sei zuvor noch nie so eigenwillig und folgerichtig beschrieben worden. Kein Wunder, dass das Werk weit über Germanistenkreise hinaus Aufsehen erregte. Gleichwohl wurde es auch harsch kritisiert mit dem Argument, das Werk sei zu rational, zu grammatisch und zu empirisch. Hingegen glaubt die in Amerika an der Princeton-Universalität lehrende Germanistin Barbara Hahn, dass dieses Buch einer der ganz wenigen Texte sei, "die der deutschen Literaturwissenschaft nach 1945 eine neue Richtung gaben."
1979 schrieb Käte Hamburger ein weiteres Werk zur Literatur und darüber hinaus zur Kunst insgesamt: "Wahrheit und ästhetische Wahrheit." "Furchtlos und unbestechlich", urteilt der Literaturwissenschaftler Eberhard Lämmert, "kann man auch dieses Buch nennen, das sie Fritz Martini widmete, der seine jugendlichen Erbötigkeiten gegenüber dem Dritten Reich mit einer lebenslangen Sorge für die Rehabilitierung - dies im Wortsinne - Käte Hamburgers abgetragen hat."
Der Goethe-Zeit und der Moderne vor und nach 1900 galt nicht nur das fachliche Interesse der Literaturwissenschaftlerin, sondern auch ihre persönliche Lese-Leidenschaft. Immer wieder schlug sie Brücken zwischen den beiden Epochen, benutzte sie als Medien wechselseitiger Erhellung und konturierte die eine durch die andere. Laut Käte Hamburger werfen Schiller, wie oben angedeutet, als der "Existentialist des Idealismus" und Sartre als der "Idealist des Existentialismus" Licht aufeinander. Ebenso verfährt sie mit Novalis und dem Neukantianismus und mit Rilke und Husserl. Denn, so erläutert sie im Vorwort zu "Philosophie der Dichter" und zitiert eine Äußerung von Friedrich Schlegel - "so lange wir noch an Bildung wachsen, besteht ja ein Teil, und gewiss nicht der unwesentlichste, unseres Fortschreitens eben darin, dass wir immer wieder zu den alten Gegenständen, die es wert sind, zurückkehren, und alles Neue, was wir mehr sind oder mehr wissen, auf sie anwenden, die vorigen Gesichtspunkte und Resultate besichtigen, und uns neue Aussichten eröffnen."
Neben grundlegenden Arbeiten zu Fragen der Literaturinterpretation und einem Aufsatz über Film und Literatur hat Käte Hamburger zahlreiche Monographien und kleinere Abhandlungen über verschiedene Dichter und Schriftsteller verfasst, zum Beispiel über Jean Paul, Lev Tolstoi, Nelly Sachs und Paul Celan - einige davon sogar in schwedischer Sprache, der Sprache ihres Zufluchtlandes.
In ihrem Buch "Von Sophokles zu Sartre" wiederum (1962) untersucht die Wissenschaftlerin griechische Dramenfiguren in antiker und moderner Ausformung und schlägt so einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart. In ihrer Studie "Das Mitleid" (1986) mustert sie kritisch Mitleidstheorien und formuliert Thesen gegen die philantropische Kardinaltugend Lessings und Schopenhauers, wobei sie jede Form von Herzensträgheit und "bloße Gefühlsäußerung des Jammers" verwirft, da diese keine Spur in den wirklichen Kämpfen des Lebens hinterlässt. Das Mitleid, konstatiert sie, wahrt Distanz, ist unpersönlich, an sich unverbindlich und deshalb im allgemeinen folgenlos. Stattdessen befürwortet Käte Hamburger "tätiges Helfen" und unterscheidet, wie Hans Mayer ganz richtig bemerkt, das tatenlose und insgeheim gefühllose Mitleid sorgfältig von aller Barmherzigkeit. Überwindet diese doch wie auch der Humor - im Gegensatz - zur Ironie, die Entfremdung zum Mitmenschen.
Was ihr Werk aber vor allem auszeichnet ist ein klarer Stil voll Eleganz, Lebendigkeit und souveräner Gelassenheit. Jedoch sind Literaturwissenschaft und Philosophie für die verfolgte Jüdin aus gutbürgerlicher Hamburger Familie niemals Selbstzweck gewesen, sondern auch Heimat, gerade im Exil. Mit unbeirrter Zuversicht hat sie zudem häufig darauf hingewiesen, dass bedeutende Literatur zu den sinnstiftenden Elementen der Kultur gehört.
Käte Hamburger war zwar jüdischer Herkunft, aber, im Gegensatz zu manch anderen Juden, völlig frei vom sogenannten "jüdischen Selbsthass". Sie hat auch nie unter ihrer Herkunft gelitten. Im Gegenteil, zu ihrer jüdischen Abstammung und zu dem Milieu einer angesehenen Bürgerfamilie in der Freien und Hansestadt Hamburg hat sie sich stets, auch in der Zeit des schwedischen Exils, mit Nachdruck bekannt.
"Ich bin in der deutschgeistigen Welt aufgewachsen, und das hat mich geprägt. Dabei bin ich durchaus eine bewusste Jüdin. Es würde mir nie in den Sinn kommen, zu einem anderen Glauben überzutreten. Ich habe mich mit der jüdischen Religion gründlich beschäftigt, als ich mein Buch über Thomas Manns Josephs-Roman und seine Erzählung 'Das Gesetz' geschrieben habe", gestand sie während eines längeren Gesprächs mit Herlinde Koelbl. "Aber ich habe dieses Buch als Literaturwissenschaftlerin geschrieben, nicht als Jüdin. Ich bin, was den Glauben angeht, ziemlich neutral. Das sind nicht die Probleme, die mich beschäftigen", und sie fügte hinzu: "Mein bewusstes Judentum. Ich drücke das immer so aus: Ohne Judentum gäbe es kein Christentum und keine Ethik. Das Judentum hat die große Idee Gottes geschaffen. Deshalb kann ich die entsetzliche Feindschaft, die verbrecherischen Handlungen der christlichen Kirche gegen das Judentum im Mittelalter überhaupt nicht verstehen. Was wäre denn die christliche Religion ohne die jüdische? Das hat Thomas Mann in seiner Josephs-Roman-Tetralogie wunderbar dargestellt. Das ist für mich das Entscheidende. Die große Tat des unsichtbaren Gottes gegenüber der heidnischen Umwelt. Abrahams große Tat, seine Gespräche mit Gott. Und Moses, der mit den zehn Geboten die Ethik der Menschheit begründet hat. All das verdanken wir dem Judentum, nicht dem Christentum, aber es ist auch gültiges Christentum. Den Begriff der Nächstenliebe eingeschlossen. Das Gebot 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst' stammt aus dem Alten Testament, aus dem Pentateuch. In meinem Buch "Das Mitleid", das 1983 erschienen ist, habe ich das dargestellt. Paulus hat dann dieses Gebot in die Evangelien aufgenommen. Das Christentum hat sich aus dem Judentum entwickelt."
Als die Interviewerin sie nach der Bedeutung der deutschen Sprache für sie selbst fragte, antwortete Käte Hamburger: "Ich finde, dass die deutsche Sprache eine wunderbare Sprache ist. Sie ist eine der reichsten und schönsten Sprachen, die ich kenne. Und außerordentlich flexibel, was die Zusammensetzung von Wörtern angeht...Ich habe die deutsche Sprache auch in der Emigration nicht aufgegeben. Im Gegenteil, ich habe Deutsch unterrichtet. Mit dieser Sprache bin ich ja identisch. Ich glaube, die Muttersprache entscheidet letztlich darüber, ob man sich einer Nation zugehörig fühlt."
Als Herlinde Koelbl von ihr wissen wollte: "Verstehen Sie sich als deutsche Schriftstellerin?" entgegnete sie: "Ja, natürlich. Das gilt auch für die großen jüdischen Schriftsteller wie Heinrich Heine, Jakob Wassermann und viele andere. Das waren deutsche Schriftsteller. Dass sie zufällig auch noch Juden waren, spielt keine Rolle. Heine ist ein deutscher Dichter und ein jüdischer Mensch. So hat er sich selbst nicht bezeichnet, aber er war es seinem ganzen Wesen nach."
Auf die Frage, in welcher Beziehung sie zur Bundesrepublik stehe, bekannte sie: "Ich bin sehr zufrieden, dass ich hier lebe. Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht. So etwas wie der Nationalsozialismus und der Massenmord ist in der Geschichte noch niemals vorgekommen. Aber es ist auch noch nicht vorgekommen, dass dann der Nachfolgestaat, also die Bundesrepublik Deutschland, dieses große Unternehmen der Wiedergutmachung durchgeführt hat. Das hat mich beeindruckt. Und natürlich bejahe ich auch die demokratische Entwicklung in der Bundesrepublik."
Benutzte Bücher:
- Käte Hamburger: Philosophie der Dichter. Novalis Schiller Rilke.
Kohlhammer Stuttgart 1966
Johanna Bossinade und Angelika Schaser (Hr.) Käte Hamburger.
Zur Aktualität einer Klassikerin. Wallstein, Göttingen 2003
ISBN 3-89244-650-4
- Herlinde Koelbl (Photographien und Interviews): Jüdische Porträts.
S.Fischer, Frankfurt am Main 1989,
ISBN 3-10-040204-9
- Hans Mayer: Der Widerruf. Über Deutsche und Juden.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994.
ISBN 3-518-40582-9
Der Bericht erschien in gekürzter Fassung in der Internetzeitschrift "Literaturkritik.de" Nr.8 August 2005.
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