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Der alte Goethe über seinen Freund
Als Goethe 1828 bei Cotta in Tübingen seinen Briefwechsel mit Schiller veröffentlichte, gewährte er in ihre Freundschaft einen tiefen Einblick und lieferte auch wichtige Dokumente zu Schillers Leben und die entscheidenden Materialien zum Verständnis der Weimarer Klassik. Während er mit dieser Arbeit beschäftigt war, teilte er Zelter am 30.10.1824 mit "..redigiere meine Korrespondenz mit Schiller von 1794 - 1805. Es wird eine große Gabe sein, die den Deutschen, ja ich darf wohl sagen, den Menschen geboten wird. Zwei Freunde der Art, sie sich immer wechselseitig steigern, indem sie sich augenblicklich expektorieren. Mir ist dabei wunderlich zu Mute, denn ich erfahre, was ich einmal war."
(Nebenbei bemerkt: 1830 veröffentlichte Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen ebenfalls bei Cotta die erste, auf zwei Bände angelegte materialreiche Biographie über Schiller. Im selben Jahr gab Wilhelm von Humboldt seinen Briefwechsel mit Schiller heraus. Auch Schillers längste, zwanzig Jahre dauernde Freundschaft mit Körner hat sich in einem umfangreichen Briefwechsel niedergeschlagen, der 1847 publiziert wurde.)
Im hohen Alter, viele Jahre nach dem Tod des Weggenossen der Jahre 1794 bis 1805, hat Goethe verschiedentlich vor aller ffentlichkeit die Bedeutung der freundschaftlichen Zeit mit Schiller gewürdigt. "Schillers Anziehungskraft war groß, der hielt alle fest, die sich ihm näherten." Immer wieder griff er auf miteinander diskutierte Gedanken in seinen späteren Werken zurück und gab zu verstehen, dass die Anregungen, die er Schiller verdankte, noch lange nachgewirkt haben.
Auch in seinen Gesprächen mit Eckermann kam Goethe immer wieder auf Schiller zu sprechen.
So heißt es unter dem 14.11.1823: Schiller "musste über jedes, was er tat, reflektieren, woher es auch kam, dass er über seine poetischen Vorsätze nicht unterlassen konnte sehr viel hin und her zu reden, so dass er alle seine späteren Stücke Szene für Szene mit mir durchgesprochen hat. Dagegen war es ganz gegen meine Natur, über das, was ich von poetischen Plänen vorhatte, mit irgend jemand zu reden, selbst nicht mit Schiller." Doch hören wir ihm weiter zu, was Eckermann über Goethes Gespräche zu berichten hat:
4.1.1824: "Man beliebt einmal, erwiderte Goethe, mich nicht so sehen zu wollen, wie ich bin, und wendet die Blicke von allem hinweg, was mich in meinem wahren Lichte zeigen könnte. Dagegen hat Schiller, der, unter uns, weit mehr ein Aristokrat war als ich, der aber weit mehr bedachte, was er sagte, als ich, das merkwürdige Glück, als besonderer Freund des Volkes zu gelten. Ich gönne es ihm von Herzen und tröste mich damit, dass es anderen vor mir nicht besser gegangen."
18.1.1825: "Schillers Talent war recht fürs Theater geschaffen. Mit jedem Schritt schritt er vor und ward vollendeter; doch war es wunderlich, dass ihm noch von den 'Räubern' her ein gewisser Sinn für das Grausame anklebte, der selbst in seiner schönsten Zeit ihn nie ganz verlassen wollte. So erinnere ich mich noch recht wohl, dass er im 'Egmont' in der Gefängnisszene, wo diesem das Urteil vorgelesen wird, den Alba in einer Maske und in einen Mantel gehüllt im Hintergrunde erschienen ließ, um sich an dem Effekt zu weiden, den das Todesurteil auf Egmont haben würde. Hierdurch sollte sich der Alba als unersättlich in Rache und Schadenfreude darstellen. Ich protestierte jedoch, und die Figur blieb weg. Er war ein wunderlicher großer Mensch."
Und in "glückliches Ereignis" äußert sich Goethe wie folgt über Schiller:
"Ferneres in bezug auf mein Verhältnis zu Schiller. Jeder Mensch in seiner Beschränktheit muss sich nach und nach eine Methode bilden, um nur zu leben. Er lernt sich allmählich kennen.. Selten ist es aber, dass Personen gleichsam die Hälften von einander ausmachen, sich nicht abstoßen, sondern sich anschließen und einander ergänzen..
Nun ist aber zu bedenken, dass ich so wenig als Schiller einer vollendeten Reife genoss, wie sie der Mann wohl wünschen sollte; deshalb denn zu der Differenz unserer Individualitäten die Gärung sich gesellte, die ein jeder mit sich selbst zu verarbeiten hatte, weswegen große Liebe und Zutrauen, Bedürfnis und Treue im hohen Grade gefordert wurden, um ein freundschaftliches Verhältnis ohne Störung immerfort zusammen wirken zu lassen."
Goethe zu Eckermann 12.3.1825: Nun streitet sich das Publikum seit zwanziger Jahren, wer größer sei: Schiller oder ich, und sie sollten sich freuen, dass überall ein paar Kerle da sind, worüber sie streiten können."
Am 11.April 1827: "Dagegen war mein Verhältnis mit Schiller so einzig, weil wir das herrlichste Bindungsmittel in unsern gemeinsamen Bestrebungen fanden und es für uns keiner sogenannten besonderen Freundschaft weiter bedurfte."
Folgende Geschichte gab Goethe am 26.September 1827 zum Besten: "Wir waren, wie gesagt und wie wir alle wissen, bei aller Gleichheit unserer Richtungen, Naturen sehr verschiedener Art, und zwar nicht bloß in geistigen Dingen, sondern auch in physischen. Eine Luft, die Schillern wohltätig war, wirkte auf mich wie Gift. Ich besuchte ihn eines Tages und da ich ihn nicht zu Hause fand und seine Frau mir sagte, dass er bald zurückkommen würde, so setzte ich mich an seinen Arbeitstisch, um mir dieses und jenes zu notieren. Ich hatte aber nicht lange gesessen, als ich von einem heimlichen Übelbefinden mich überschlichen fühlte, welches sich nach und nach steigerte, so dass ich endlich einer Ohnmacht nahe war. Ich wusste anfänglich nicht, welcher Ursache ich diesen elenden, mir ganz ungewöhnlichen Zustand zuschreiben sollte, bis ich endlich bemerkte, dass aus einer Schieblade neben mir ein sehr fataler Geruch strömte. Als ich öffnete, fand ich zu meinem Erstaunen, dass sie voll fauler Äpfel war. Ich trat sogleich an ein Fenster und schöpfte frische Luft, worauf ich mich denn augenblicklich wiederhergestellt fühlte. Indes war seine Frau wieder hereingetreten, die mir sagte, dass die Schieblade immer mit faulen Äpfeln gefüllt sein müsse, indem dieser Geruch Schiller wohltue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne."
7.10.1827: "Ein Glück war es indes", fuhr Goethe fort, "dass ich Schillern hatte. Denn so verschieden unsere beiderseitigen Naturen auch waren, so gingen doch unsere Richtungen auf eins, welches denn unser Verhältnis so innig machte, dass im Grunde keiner ohne den anderen leben konnte."
18.11.1827:"Durch alle Werke Schillers", fuhr Goethe fort, "geht die Idee von Freiheit, und diese Idee nahm eine andere Gestalt an, sowie Schiller in seiner Kultur weiter ging und selbst ein anderer wurde. In seiner Jugend war es die physische Freiheit, die ihm zu schaffen machte und die in seine Dichtungen überging; in seinem späteren Leben die ideelle."
11.9.1828: "Als nun Goethe heute bei Tisch von den mannigfaltigen Geschenken erzählte, die ihm zu seinem Geburtstag nach Dornbusch gesendet worden, fragte ich ihn, was das Paket von Abeken (Hauslehrer der Schillerschen Kinder) enthalten.
'Es war eine merkwürdige Sendung', sagte Goethe, 'die mir viel Freude gemacht hat. Ein liebenswürdiges Frauenzimmer, bei Schiller den Tee getrunken, hat die Artigkeit gehabt, seine Äußerungen niederzuschreiben. Sie hat alles sehr hübsch aufgefasst und treu wiedergegeben, und das liest sich nun nach so langer Zeit gar gut, indem man dadurch unmittelbar in einen Zustand versetzt wird, der mit tausend anderen bedeutenden vorübergegangen ist, in diesem Fall aber glücklicherweise in seiner Lebendigkeit auf dem Papiere gefesselt worden. Schiller scheint hier, wie immer im absoluten Besitz seiner erhabenen Natur; er ist groß am Teetisch, wie er es im Staatsrat gewesen sein würde. Nichts geniert ihn, nichts engt ihn ein, nichts zieht den Flug seiner Gedanken herab; was in ihm von großen Ansichten lebt, geht immer frei heraus ohne Rücksicht und ohne Bedenken. Das war ein rechter Mensch, und so sollte man auch sein!"
Eckermann notiert unter dem Datum 24.März 1829: "So waltete bei meiner Bekanntschaft mit Schiller durchaus etwas Dämonisches ob; wir konnten früher, wir konnten später zusammengeführt werden; aber dass wir gerade in der Epoche wurden, wo ich die italienische Reise hinter mir hatte und Schiller der philosophischen Spekulationen müde zu werden anfing, war von Bedeutung und für beide von größtem Erfolg."
14.März 1830: "Hier kommt Goethe nochmals auf die Balladen zu sprechen, die während seiner Freundschaft mit Schiller entstanden sind: 'Ich verdanke sie größtenteils Schillern, der mich dazu trieb, weil er immer etwas Neues für seine 'Horen' brauchte. Ich hatte sie schon seit vielen Jahren im Kopf, sie beschäftigten meinen Geist als anmutige Bilder, als schöne Träume, die kamen und gingen und womit die Phantasie mich spielend beglückte'."
Am 25.Mai 1831 sprachen Goethe und Eckermann über "Wallensteins Lager", denn Eckermann hatte gehört, dass Goethe an diesem Stück teilgehabt und dass besonders die Kapuzinerpredigt von ihm herrühre.
"Im Grunde, sagte er, ist alles Schillers eigene Arbeit. Da wir jedoch in so engem Verhältnis miteinander lebten und Schiller mir nicht allein den Plan mitteilte und mit mir durchsprach, sondern auch die Ausführung, so wie sie täglich heranwuchs, kommunizierte und meine Bemerkungen hörte und nutzte, so mag ich wohl daran einigen Teil haben. Zu der Kapuzinerpredigt schickte ich ihm die Reden des Abraham a Santa Clara, woraus er sogleich eine Predigt mit großem Geiste zusammenstellte."
Auch an anderen Stellen kommt Goethe häufig auf seine Freundschaft mit Schiller zu sprechen, zum Beispiel in seinem Aufsatz "Zur Naturwissenschaft im Allgemeinen".
"Unsere Gespräche", schreibt er hier, "waren durchaus produktiv oder theoretisch, gewöhnlich beides zugleich: er predigte das Evangelium der Freiheit, ich wollte die Rechte der Natur nicht verkürzt wissen. Aus freundschaftlicher Neigung gegen mich, vielleicht mehr aus eigner Überzeugung, behandelte er in den ästhetischen Briefen die gute Mutter nicht mit jenen harten Ausdrücken, die mir den Aufsatz über 'Anmut und Würde' so verhasst gemacht hatten."
In seinen Tag- und Jahresheften heißt es unter dem Jahr 1794: "Noch war der Zwiespalt, den das wissenschaftliche Bemühen in mein Dasein gebracht, keineswegs ausgeglichen: denn die Art, wie ich die Naturerfahrungen behandelte, schien die übrigen Seelenkräfte sämtlich für sich zu fordern. In diesem Drange des Widerstreits übertraf alle meine Wünsche und Hoffnungen das auf einmal sich entwickelnde Verhältnis zu Schiller, das ich zu den höchsten zählen kann, die mir das Glück in späteren Jahren bereitete; von der ersten Annäherung an war es ein unaufhaltsames Fortschreiten philosophischer Ausbildung und ästhetischer Tätigkeit. Zum Behuf seiner "Horen" musste ihm sehr angelegen sein, was ich im stillen gearbeitet, angefangen, unternommen, sämtlich zu kennen, neu anzuregen und zu benutzen; für mich war es ein neuer Frühling, in welchem alles froh nebeneinander keimte und aus aufgeschlossenen Samen und Zweigen hervorging. Die nunmehr gesammelten und geordneten Briefe geben davon das unmittelbarste, reinste und vollständigste Zeugnis."
In seiner "Geschichte der Farbenlehre" spricht Goethe von "meinem unersetzlichen Schiller" und notiert "..wenn ich manchmal auf meinem beschaulichen Wege zögerte, nötigte er mich durch seine reflektierende Kraft vortwärtszueilen, und riss mich gleichsam an das Ziel, wohin ich strebte."
Zu K.F.Reinhard sagte Goethe am 30.5./10.7.1807: "Mir machte dieser Aufsatz (Schillers 'Über naive und sentimentalische Dichtung') große Freude und ich erkannte, dass auch ich durch mein Zeitalter und meine Ausbildung zur modernen Poesie gehöre."
Der Weimarer Jurist Carl Friedrich Anton Conta berichtet über Goethe am 26.Mai 1820: "Im Mai 1820 war ich so glücklich, in Karlsbad mehrere Wochen im täglichen Umgang mit Goethe zu verleben. Goethe war von der heitersten Laune, er sprach gern und viel von seinen früheren Verhältnissen, am liebsten von seinem Freunde Schiller. von dem er sagte: 'Wenn ich ihn nur drei Tage nicht gesehen hatte, so kannte ich ihn nicht mehr; so riesenhaft waren die Fortschritte, die er in seiner Vervollkommnung machte.' ... Höchst anziehend war mir, was er von der verschiedenen Art zu sein und zu arbeiten von sich und Schiller sagt. Er wartet stets die Neigung ab, lauscht auf Eingebung - Schiller, die Freiheit des Willens verteidigend, nahm sich die Arbeiten vor, gab sie sich auf und zwang sich zur Begeisterung. Das aber hat ihn auch allzu früh aufgerieben. Schiller wäre nach Goethes Behauptung noch unendlich höher gestiegen, hätte er länger gelebt. Goethe geriet in Begeisterung, wie er von seinem Freunde sprach - unsäglich viel hätte er in ihm verloren.
Von Schillers frühem Tod sprechend, sagte er: Man hat mich vielfältig getadelt, dass ich nicht auf unserm Theater, wie es andernwärts geschah, eine Totenfeier veranstaltete. Wie konnte ich das? Ich war vernichtet!' "
Gegenüber J.S.Grüner bedauerte der Dichterfürst am 19.8.1822: "Ich bedaure nur, dass ich mit einem solchen Manne, der so etwas (Geschichte des Dreißigjährigen Krieges) schreiben konnte, einige Zeit im Missverständnisse leben konnte. Schiller wohnte drei Häuser von mir, und wir besuchten uns nicht, weil ich, von Italien zurückkommend, vorwärtsgedrungen war und die durch Schiller veranlassten Räubergeschichten nicht ertragen konnte."
Gegenüber Jacobi bekannte er: "Mit Schiller, dessen Charakter und Wesen dem meinigen völlig entgegenstand, hatte ich mehrere Jahre ununterbrochen gelebt, und unser wechselseitiger Einfluss hatte dergestalt gewirkt, dass wir uns auch da verstanden, wo wir nicht einig waren. Jeder hielt alsdann fest zu seiner Persönlichkeit, solange, bis wir uns wieder gemeinschaftlich zu irgend einem Denken und Tun vereinigen konnten."
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