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Fragen an das Christentum

Seit Beginn der Neuzeit erlebte das Christentum einen vierfachen Schock: durch Kopernikus, durch Darwin, durch Marx und durch Freud.

Durch Kopernikus erfuhr es, dass die Erde und damit auch der Mensch nicht Mittelpunkt der Schöpfung sind, durch Darwin, dass der Mensch von den Affen abstammt, zumindest mit ihnen verwandt ist, durch Marx, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, das heißt vor allem die ökonomischen Verhältnisse, in denen er aufwächst, und durch Freud, dass der Mensch ein Triebwesen ist und in erster Linie durch sein Unterbewusstsein geprägt wird, so dass Geist und Seele nur eine dünne Oberschicht bilden, die nicht immer allen Stürmen und Anfechtungen gewachsen sind.

Tatsächlich ist mittlerweile auch das katholische Christentum in seinem Auftreten und in seinen Ansprüchen, nicht zuletzt durch das zweite Vatikanische Konzil in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, etwas bescheidener geworden, so weit ich es als evangelische Christin beurteilen kann. Die Gemeinde wird seitdem stärker in die Verkündigung mit eingebunden, die Gläubigen dürfen selbst die Bibel lesen, die ihnen lange nicht zugänglich war, und der Missionierungsdrang tritt seit langem nicht mehr so radikal zutage wie einst, als man, vor allem in Südamerika, auf die dortigen Religionen und Kulturen keine Rücksicht nahm - eine Tatsache, die schon Alfred Döblin und Heinrich Heine in ihren Büchern gebrandmarkt haben.

Dennoch reden noch einige Christen der Missionierung das Wort. Ich wiederum halte es mehr mit Karl Jaspers. Schreibt er doch sinngemäß in seinem Aufsatz "Der philosophische Glaube": Die Wahrheit, aus der ich lebe, gilt nur dadurch, dass ich mit ihr identisch werde, für mich gilt sie unbedingt. Aber sie ist in ihrer objektiven Aussagbarkeit nicht allgemeingültig. Ich darf also nicht daraus schließen, dass, weil diese Wahrheit für mich unbedingte Allgemeingültigkeit besitzt, diese auch für andere hat. Die Wahrheit, aus der ich lebe, ist eben nicht Wahrheit für alle. Ich muss akzeptieren, da ich nicht allwissend bin wie Gott, dass andere aus anderen Wahrheiten leben. Wichtig ist nur, dass keiner den anderen mit Gewalt missionieren will oder gar nach dem Leben trachtet, weil er nicht seinen Glauben teilt.

Gleichwohl gibt es immer noch Fragen, die mir bislang kein Christ zufriedenstellend beantworten konnte. Klar dürfte wohl sein, dass die Bibel nicht direkt von Gott stammt, sondern von Menschen verfasst wurde, die glaubten, Gottes Stimme zu hören. Doch war es auch immer Gottes Stimme? Die Evangelien sind oft voller Widersprüche, die schon manchen vom Theologiestudium, ja vom Glauben selbst abgebracht haben. Manches in der Bibel, vor allem die Apokryphen, wird als Legende abgetan. Aber was ist Wahrheit? Was ist Legende? Wie viel Legende steckt in der Wahrheit? Wie viel Wahrheit in der Legende?

Fragen wir weiter:

Wieso wird der Mensch durch die Kreuzigung Christi erlöst? Jedenfalls ist es seit seinen Tagen auf der Erde selbst um keinen Deut besser geworden. Franz M.Wuketits schreibt in seinem Buch “Warum uns das Böse fasziniert”: Die Kreuzigung sei wohl ein “Musterbeispiel für Selbstlosigkeit und Selbstaufopferung. Geholfen hat das zwar, im nachhinein besehen, niemandem, aber unzählige Menschen sind nach wie vor beeindruckt von dieser sinnlosen Tat.”

Und dass wir unsterblich sind und “nicht in Äonen untergehen”, wie Goethe glaubte, trifft doch wohl nur auf die Großen dieser Welt zu.

Das wirklich Positive am Christentum ist, wie auch Goethe erkannte, seine Ethik bzw. seine Moral, die Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Gnade und Vergebung an die erste Stelle setzt, Tugenden, die man allerdings bei vielen Christen, gerade bei eifrigen Kirchgängern, zuweilen schmerzlich vermisst, gelegentlich auch beim Papst, der immerhin Leute wie Hans Küng, Eugen Drewermann, Uta Ranke-Heinemann, Befreiungstheologen, Geschiedene von Sakramenten und Ämtern in der Kirche ausschließt, aber keine Priester, die sich an Kindern vergehen, solange dies nicht publik wird.

Ist der Papst tatsächlich der Unfehlbare? Denkt man an diverse Fehlleistungen im Vatikan in jüngster Zeit, so hat man doch seine Zweifel.

(Normalerweise sind viele Witze im Karneval eher zum Weinen als zum Lachen wegen ihrer Banalität und Vulgarität. Aber über einen habe ich einmal herzlich schmunzeln müssen. Da stirbt ein Papst und bittet bei Petrus um Einlass in den Himmel. Petrus fragt: “Wer ist denn da?” Antwort: “Der Unfehlbare.” “Komm rein”, antwortet Petrus nachsichtig. “Irren ist menschlich.”)

Der jüdische Religionsphilosoph Pinchas Lapide betonte oft, dass man die Bibel nicht wörtlich, doch ernst nehmen solle. Nur - soll man alles und jedes in der Bibel ernst nehmen?

Fragen über Fragen, die mich immer wieder veranlassen, mit Goethes Faust zu seufzen: “Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.”


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