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Brunos Philosophie

"Bis in unser Jahrhundert", schreibt Anne Eusterschulte in ihrer kleinen Studie "Giordano Bruno zur Einführung", "sind die Einschätzungen des Brunoschen Werkes durch eine außerordentliche Ambivalenz gekennzeichnet. Von den einen wird er gefeiert als Wegbereiter neuzeitlicher Philosophie im Ausgang von der mittelalterlichen Scholastik und als wichtiger Vertreter einer Emanzipationsbewegung in den Naturwissenschaften, die von Kopernikus und Galilei zu Kepler führt. Von den anderen wird er als Anhänger eines magisch verbrämten, unsystematisch-spekulativen Obskurantismus verworfen"(S.12/13).

Für viele steht Bruno für eine halbes Jahrhundert europäischer Geistesgeschichte, für das Ende einer großen Epoche der Renaissance, und den Beginn einer neuen Ära, der Moderne. Wofür aber steht er in Wirklichkeit, welche Zeichen hat er gesetzt?

Bruno, der angetreten war, um "das Denken aus dem Kerker eines verschulten blinden Aristotelismus" zu befreien, und Aristoteles und seinen zeitgenössischen Anhängern vorwarf, die Existenz der Vielheit negiert zu haben, nahm den Himmel als Maß der Dinge. Er transzendierte die Zeit und sah die Welt sub specie aeternitatis, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit.

Bruno berief sich wohl auf Kopernikus, der die Ablösung des bis dahin gültigen geozentrischen Systems des Ptolemäus eingeleitet und damit die bis dahin ausgezeichnete Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung in Frage gestellt hatte, doch ging er über seine Theorie der Erdbewegung hinaus und vertrat die These einer Selbstbewegung jedes einzelnen Himmelskörpers innerhalb eines als unbegrenzt wahrzunehmenden Weltraums, in dem es keinen absoluten Mittelpunkt, keine sphärische Seinsordnung, keinen äußeren Rand oder Beweger gibt.

Sein Hauptthema war die Unendlichkeit des Universums, die unendliche körperliche Substanz im unendlichen Raum, die lebendige kosmische Einheit, die sich, so Bruno, in der Vielfalt im permanenten Umschlag des Entgegengesetzten, in der Wechselwirkung des Verschiedenen erhält. Das Weltall war für Bruno nicht nur unbegrenzt und unendlich, sondern auch erfüllt von unzähligen Welten, die womöglich ebenso bewohnt und belebt seine wie die Erde. Zudem hatte er die Vorstellung, dass alle Körper beseelt seien und sich in einer lebendigen Wechselwirkung im Universum befänden.

Bruno, der die Probleme des Erkennens der Frage nach dem Menschen und seinem Selbst- und Weltbezug unterordnet, denkt nicht anthropozentrisch, für ihn sind alle lebendigen Wesen verschiedene Phänomene der einen universalen Existenz, zwischen den Pflanzen, Tieren und dem Menschen besteht nur ein gradueller, kein qualitativer Unterschied, weil alle ihren Ursprung aus derselben metaphysischen Wurzel haben. Für Bruno gab es weder unbeseelte Materie noch Dualismus von Seele und Körper, Geist und Materie oder Instinkt und Vernunft, denn derselbe Geist prägt alle und alles.Alle Kreaturen haben eine Intelligenz, die ihren Bedingungen entspricht. "Die Natur ahmt die Wirksamkeit der Gottheit auf bewundernswürdige Weise nach, und das menschliche Ingenium wetteifert wiederum mit der Natur." Die Intelligenz begriff Bruno als eine göttliche Kraft, die allen Dingen als Erkenntnisfähigkeit innewohnt, durch welche alle Lesewesen wahrnehmen, fühlen und in irgendeiner Weise erkennen. Brunos Philosophie ist von vielen Interpreten sicher nicht zu Unrecht als Pantheismus oder Hylozoismus klassifiziert worden.

Bruno sieht die Welt nicht nur als ein lebendiges Ganzes, sondern auch als ein Ganzes in kontinuierlicher und ewiger Bewegung. Für ihn existierten keine Grenzen zwischen Objekt und Subjekt, zwischen Mensch und Welt. Damit nahm er Martin Heidegger vorweg, für den der Mensch bekanntlich nichts anderes war als ein "In-der-Welt-Sein", das heißt, "Das In-Der-Welt-Sein" war den Philosophen des Seins nichts anderes als die Definition des Menschen. Dieser Gedanke wurde von Bruno vorgeprägt. Er expliziert ihn freilich nicht nach mit Hilfe von Begriffen, sondern von Bildern, mit denen er auszudrücken versuchte, was andere Philosophen später mit Begriffen dingfest zu machen glaubten. Bruno war ein Poet, ein Künstler, so Wildgen, "der mit Begriffen malt".

Doch wusste er auch, dass eine angemessene Erkenntnis des über die natürlichen Dinge hinausgehenden unendlichen göttlichen Wirkens uns verwehrt ist, so dass wir"bestenfalls auf die Spur der Erkenntnis des ersten Prinzips und der ersten Ursache kommen können."

Denn all unser Wissen ist Unwissen. Die Wahrheit an sich bleibt der menschlichen Erkenntnis verschlossen. Der Status des Naturphilosophen oder Physikers markiert die Grenze dessen, was der Mensch als begründbares Wissen erreichen kann. Obgleich Bruno den Blick in die metaphysischen Abgründe der Welt und unserer Existenz richtete und den Weg, der von der empirischen Realität zur Idee führt, durchlief, wurde er nicht müde, zu wiederholen, dass die Sinne trügerisch seien, weil sie entweder die wahre Natur der Dinge verbergen oder sie unter einer falschen Erscheinung präsentieren.

Während Bruno in seinem Werk "Über das Unendliche, das Universum und die Welten" ("De l'infinito, universo e mondi") die Aufgehobenheit jedes individuellen Lebens in der Prozessualität der ewigen Natur betont und deutlich macht, dass der von unendlichem Leben erfüllte Raum gewissermaßen eine ethische Norm verkörpert, nämlich die Akzeptanz aller auf anderen Kontinenten oder auf anderen Welten möglichen Kulturen, Lebensweisen und die Achtung aller Arten des Lebendigen", kommen in seiner Schrift "Die Vertreibung der triumphierenden Bestie" ("Spaccio de la bestia trionfante")seine gesellschaftlichen Ideale klar zum Ausdruck: Förderung des Wohls des einzelnen wie des Gemeinwohls, die Sorge um das Vaterland und die Menschheit, zwischenmenschliche Großherzigkeit und mildtätige Gerechtigkeit bis hin zur indirekten Forderung nach sozialem und kulturellem Engagement.

Im Grunde hat er schon auf Kants 1791 gestellte Frage: was heißt, sich im Denken orientieren?, eine Antwort gegeben. Man muss die Welt befragen, wenn man wissen will, wie sich der Mensch verhält, und wenn man wissen will, wie die Welt sich verhält, so muss in das eigene Innere schauen, die Gesetze, die im Universum herrschen, herrschen auch im Menschen.

Im Rückgriff auf Cusanus bedient er sich des Gedankens der coincidentia oppositorum, des Zusammenfallens der Gegensätze im Unendlichen, so dass Gott überall anwesend ist. Bruno sieht überall fließendes Leben. Da es keine Grenzen gibt, schließen auch Gut und Böse nicht einander aus, sondern kommen beide zugleich vor. Weise aber ist der, der mit den Gegensätzen in der rechten Weise umzugehen weiß und sich nicht an ihnen stößt. Bruno, der ein aristokratisches Konzept von Kultur vor Augen hatte, hielt nur den Gebildeten für fähig, sich der Gegensätze bewusst zu sein und mit ihnen fertig werden.

In der Studie "Die Kabbala des Pegasus mit der Zugabe des Kyllinischen Esels"(Cabala del cavallo pegaseo/L'asino cillenico) wiederum ist die Dummheit das eigentliche Thema. Bruno ironisiert die heilige Unwissenheit, für die wahre Gottgefälligkeit allein in heiliger Dummheit und Unwissenheit liegt, und äußert unverhohlenen Spott über die christliche Prädestinations- und Gnadenlehre wie über die klerikale Knechtung der vernunftbegabten Seelen gemäß dem Verdikt, Gottergebenheit zeige sich im Verzicht auf den Vernunftgebrauch. Zugleich wird hier unüberhörbar die Selbstgefälligkeit des kirchlichen Gelehrtenstandes und einer in gelehriger Schafsköpfigkeit gehaltenen Herde scharf verurteilt. Bruno kritisiert die Vertreter einer Glaubensmacht, sofern sie vorgeben, im Besitz des wahren Wissens zu sein und ergeht sich in polemischen Tiraden gegen geistige Entmündigungspraktiken.


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