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Brunos Rezeption während der letzten Jahre
Wie aber ist es gegenwärtig mit der Rezeption seiner Bücher und Lehren bestellt. Wir wollen einen kurzen Blick auf einige Bruno-Bücher werfen, die in den letzten Jahren erschienen sind.
JOCHEN KIRCHHOFF: Giordano Bruno in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 149 S. Rowohlt, Reinbek 1980; ISBN 3-499- 50285-2, DM 9,80
Kirchhoffs Bruno Monographie dürfte die erste in deutscher Sprache abgefasste Einführung in Leben und Werk des italienischen Philosophen gewesen sein. Sie erschien erstmals 1980 und wird auch immer wieder von neuem aufgelegt. Nicht von ungefähr, denn sie ist auch heute noch gut lesbar, aktuell und durchaus ernst zu nehmen - mit einer Ausnahme. Der Verfasser nimmt nämlich Brunos Philosophie in Anspruch, um gegen den angeblichen Machtwillen der modernen mathematischen Naturwissenschaft zu polemisieren. Bruno war sicherlich nicht der Wegbereiter eines säkularisierten und verwissenschaftlichen Weltbildes. Vielmehr war er voller Misstrauen gegenüber den zu seinen Lebzeiten erstarkenden Idealen experimenteller Empirie und mathematischer Abstraktion, weil diese sich dem für ihn so zentralen mystischen Einheitsgedanken nicht vereinbar waren. Aber ob man deshalb so weit gehen kann, wie Kirchhoff es nahelegt, in Brunos naturwissenschaftlichem Ansatz und kosmischer Metaphysik die einzig mögliche Alternative zur modernen physikalischen Forschung zu sehen, das dünkt dann doch recht zweifelhaft.
Gerade im Fall des italienischen Philosophen Giordano Bruno sind die historischen Quellen recht spärlich, dagegen sind die Interpretationen seiner Werke vielfältig, widersprüchlich und manchmal auch etwas einseitig. Viele Autoren haben es daher vorgezogen, sich in erster Linie mit Brunos abenteuerlichen Leben und seinem spektakulären Ende zu befassen. Sie haben die biographischen Spuren seines Weges von Nola bei Neapel bis zum Scheiterhaufen in Rom verfolgt und sich um die Entschlüsselung seines Seelenlebens bemüht, oft unter Einbeziehung einer Lehren und Ansichten gestellt.
- EUGEN DREWERMANN:Giordano Bruno oder Der Spiegel des Unendlichen.415 S.Kösel,München 1992; ISBN 3-466-20363-5, DM 44,-
Recht eindrucksvoll ist Brunos Porträt bei dem Paderborner Theologen Eugen Drewermann ausgefallen - trotz einiger historischer Unstimmigkeiten. Allerdings erfährt man dabei fast mehr von der Seelenlage des Autors als über den Dargestellten selbst.Immerhin sind die Parallelen offenkundig: beide gelten als Ketzer. Nur wurde Bruno 1600 verbrannt, während Drewermann, zwar amtsenthoben, seine Thesen weiter vertreten kann. Wortgewaltig formuliert er sie in einer fiktiven Denkschrift seines Helden - poetisch, blumenreich, wenn es um eigene Ansichten geht, schroff und zugespitzt, wenn er von den Amtsträgern der Kirche spricht. Vor allem mit "den gottverdammten, scheinheiligen und blutgierigen Dominikanern" (S.15) lässt Drewermann seinen Bruno scharf ins Gericht gehen. Die Lehre der Kirche nennt dieser "einen schrumpeligen Beutel veralteter Vorurteile.. einen schlaffen Sack mit toten Hoden"(S.43). Dann wieder ergeht sich Bruno-Drewermann in lyrischen Betrachtungen über die Liebe von Mann und Frau und hält Zwiesprache mit einer fiktiven Diana.
- ANACLETO VERRECCHIA: Giordano Bruno, Nachtfalter des Geistes.
424 S. Böhlau, Köln 1999; ISBN 3-205-98881-7, DM 68,-
Schwungvoll und beredt,mit viel Anteilnahme für das tragische Schicksal seines Helden verfolgt der italienische Kulturkritiker Verrecchia die Lebensspuren von Giordano Bruno. Wie Drewermann spart er nicht mit markigen Sprüchen und heftigen Attacken gegen die katholische Kirche. "Das Christentum", so schreibt er, "war mit dem Schrei nach Erlösung angetreten und hatte sich in Italien und im übrigen Europa in eine Teufelei verwandelt"(S.45) Obwohl im Mittelpunkt Brunos "stürmische Durchquerung Europas"steht, wirft der Verfasser zwischendurch immer wieder einen Blick auf dessen Bücher und Gedankenwelt und vermittelt so eine gerade für Laien informative Vorstellung von den Lehren und Thesen jenes Mannes, der ihretwegen sogar den Tod auf dem Scheiterhaufen in Kauf nahm. Zugleich zeichnet Verrecchia ein anschauliches Sittengemälde von Brunos Epoche.
- HANS ULBRICH/MICHAEL WOLFRAM: Giordano Bruno. Dominikaner, Ketzer, Gelehrter. 226 S. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1994; ISBN 3-8479-901-0 DM 39,80
Der Lebensweg von Giordano Bruno wird in diesem Buch, beginnend mit dem Abschied Brunos von seinen Eltern und seiner Heimatstadt Nola im Sommer 1561 über seine Odyssee bis hin zu seinem qualvollen Ende, in einem einfachen Stil,in einem fast kindlichen Ton erzählt, so dass man zunächst glaubt, man habe es hier mit einem Jugendbuch zu tun. Nach Ulbrich und Wolfram sind es vor allem schöne Frauen, wie die attraktive Carubina, die den Nolaner anziehen, und sinnliche Wünsche in ihm wecken. Die Autoren, die leider nicht näher vorgestellt werden, fügen oft Texte und Zitate aus den Werken Brunos und anderen Schriftstellern ein(Homer,Aretino,Rabelais u.a.), und so erfährt man auch einiges aus der Gedankenwelt des Philosophen.
Wie der Franziskaner Wilhelm von Ockham habe Bruno die völlige Trennung von weltlicher Philosophie und übernatürlicher Quelle, der Heilsgeschichte gefordert. Denn, laut Bruno, könne der Verstand durchaus etwas für falsch erkennen, das die Kirche für wahr hält. Bruno stellt sich damit, nach Auffassung der Autoren in die Reihe der Denker der Spätscholastik, die bis an die völlige Auflösung der mittelalterlichen Ideale des Gottesdenkens gelangten. Das aber sei Ketzerei. Ockham war für solche Denken der Prozess gemacht worden, dem er sich nur durch die Flucht entziehen konnte. Bruno war gewarnt: "Wer Theologie nicht als Dogmengeschichte betreibt, betreibt keine Theologie!"(S-59).
Da für Ulbrich und Wolfram bei Bruno gleichwohl die Sehnsucht nach Wissen stärker als manch andere Verlockung gewesen war, steht bei ihnen trotz aller äußeren Vorkommnisse die geistige Entwicklung des Philosophen im Vordergrund. Da sie aus der Welt ihres Protagonisten durchweg in der Gegenwart berichten, wirkt ihre Darstellung unmittelbar und authentisch. Obwohl sie mehr Fragen als Antworten formulieren und vielfach auf Vermutungen angewiesen sind, so dass gezwungen sind, fiktive Tagebuchnotizen einzufügen und häufig auf ein "so muss es gewesen sein", "vielleicht" auszuweichen, ermöglicht ihre allgemein verständliche Darstellung philosophisch unbewanderten Lesern und Schülern einen ersten Zugang zum Leben und zum Werk von Giordano Bruno mit einem plastischen, wenn auch nicht so bombastischen Einblick wie Verrecchia in die damaligen gesellschaftlich-politischen Zeitumstände.
- SERGE FILIPPINI. Der Ketzer vom Campo dei Fiori. Ein Giordano Bruno Roman. 470 S. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999; 3-7466-1576-3 DM 19,90
Serge Filippini lässt in seinem schon 1992 bei Rütten und Loening unter dem Titel "Der flammende Mensch" erschienenen und jetzt im Aufbau-Verlag unter der Überschrift "Der Ketzer vom Campo dei Fiori", Giordano Bruno sieben Tage vor seiner Hinrichtung zur Feder greifen, um in einer Mischung von Fakten und Fiktion sein abenteuerliches Leben auf der Flucht vor der Inquisition, die ihn in viele Länder Europas, an Königs- und Fürstenhöfe, an die berühmtesten Universitäten und in die Häuser reicher genussfreudiger Freunde führte, Revue passieren zu lassen.
Bruno stellt sich selbst als Schriftsteller, Professor der Naturphilosophie, einstigen Ratgeber des Königs von Frankreich, Meister des Gedächtnisses, der Literatur, der Wissenschaft, der magischen Künste und als Autor von vierzig Büchern vor, wobei er die Zuversicht äußert, dass "die glorreiche Nachwelt" den "Reformator des Himmels und des Wissens anerkennen" wird, während seine Feinde "in der Vorhölle de Unwissenheit schmachten" werden (S.19).
Filippini streift zwar auch Brunos Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin und erzählt, dass Kardinal Cusa mit seiner "De docta ignoratia" seine Neugier erregt habe ebenso der Katalane Raymundus Lullus, der ihm die Organisationsprinzipien des sicheren Gedächtnisses vermittelte, sowie Brunos Begegnung mit Montaigne, aber im Vordergrund stehen Brunos abenteuerliches Leben und unbändiger Charakter. Nach Filippini soll sich Bruno seinen Lebensunterhalt als Liebesbote der Huren von Santa Maria del Carmino verdient haben und soll, da er leicht aufbrausend war, auch immer bereit gewesen sein, sich zu streiten und zu raufen. In jungen Jahren habe Bruno als kräftiger Bursche und wahrer Haudegen sogar einen Priester im Streit erstochen. Filippini unterstellt Bruno im Gegensatz zu Ulbrich und Wolfram homosexuelle Neigungen und eine große Vorliebe für Amors Freuden. Frauen seien ihm ein Gräuel gewesen. Plastisch beschreibt Filippinis Protagonist seine Richter, seine Folter, die Qual seiner letzten Tage sowie kleine Wohltaten, die ihm sein Kerkermeister gewährt. Offen bleibt allerdings, ob sich alles wirklich so zugetragen hat, wie es hier erzählt wird oder ob nicht zuweilen die Phantasie mit dem in Paris lebenden Autor(Jg.1950) durchgegangen ist.
Zumindest haben wir es hier in erster Linie mit einem farbenprächtigen, bilderreichen, streckenweise auch blutrünstigen Roman, mit einem historischer Schinken in saftiger Sprache zu tun, der dank einiger Anspielungen auf Brunos Werk allenfalls einen romanhafter Zugang zu dem Philosophen eröffnet, der jedoch philosophisch versierte Leser mitnichten zufriedenstellt.
- ANNE EUSTERSCHULTE. Giordano Bruno zur Einführung. 174 S. Junius, Hamburg 1997; ISBN 3-88506-945-8, DM 24,80
Eine aktuelle, zuverlässige, dabei erfreulich sachliche und gut lesbare Einführung nicht nur in das Leben, sondern vor allem in das Denken des Philosophen, die die bisher vorgestellten Bruno-Bücher weit in den Schatten stellt, ist der Kasseler Philosophiedozentin Anne Eusterschulte gelungen. Sie beschäftigt sich sowohl mit dem italienischen Frühwerk als auch mit dem lateinischen Spätwerk von Bruno und wirft einen kurzen Blick auf die Vielzahl seiner mnemotechnischer Schriften, zu denen Bruno durch das Studium der Lehren von Lullus angeregt worden war.
Nach einer kurzen Skizze seines bewegten Lebensweges umreißt die Autorin die wichtigsten Fragestellungen und Problemaspekte in Brunos Werk und erläutert in einem zweiten Schritt die Weiterführung, Verortung und Bedeutung seiner philosophischen Positionen. Der Band endet mit einem kurzen Ausblick auf die bisherige, völlig unzulängliche Rezeption der Werke Brunos.
- PAUL RICHARD BLUM: Giordano Bruno. 169 S. Beck, München 1999; ISBN 3-406-41951-8, DM 24,--
Blums Ausführungen stehen der Einführung von Eusterschulte in nichts nach, im Gegenteil, in manchem sind noch informativer und aktueller. Geschickt verbindet er die Schilderung von Brunos bewegtem Leben mit der Darstellung seiner Philosophie, wobei man einen fundierten Einblick in Brunos nicht immer leicht nachvollziehbare Denkwege und Werke, darunter auch unbekanntere Schriften, erhält, mit all ihren Voraussetzungen, Folgen und Rezeptionen. Er schildert sein Auftreten in den einzelnen Städten, seine Dispute und Kontroversen mit zeitgenössischen Wissenschaftlern und geht dabei oft sehr ins Detail.
Vor allem geht der in Budapest lehrende Philosophieprofessor ausführlich, unter Berücksichtigung auch der neueren Forschung auf jene Philosophien und Systeme ein, auf die Bruno reagiert, die er entweder weitergeführt oder denen er widersprochen hat. Für Blum ist "der fahrende Ritter der Gedankenfreiheit" durchaus ein Repräsentant seiner Epoche, war doch nicht nur er, sondern andere auch in allen Teilen Europas fieberhaft auf der Suche nach Alternativen zum scholastischen, metaphysisch belasteten Naturbegriff und schöpften wie zum Beispiel Hobbes, Descartes und Locke, Newton aus den gleichen Quellen, die auch Bruno inspiriert hatten, aus dem Atomismus, dem Stoizismus und den verschiedensten Formen von Platonismus und Geheimwissenschaften , die sie aufnahmen und amalgierten wurden.
- GERHARD WEHR: Giordano Bruno. 159 S., Deutscher Taschenbuch-Verlag 1999: ISBN 3-423-31025-1, DM 16,50
Auch diese allgemein verständliche und dazu noch vorzüglich farbig bebilderte und übersichtlich gegliederte Einführung dürfte im Bruno-Jahr anläßlich seines 400.Todestages aufmerksame Leser finden. Wehr erzählt Brunos Leben ohne Effekthascherei, führt konzentriert und gut nachvollziehbar in seine Gedankenwelt ein und berücksichtigt bei der Rezeptionsgeschichte auch entlegenere, esoterische Strömungen und Denker wie Rudolf Steiner und Ken Wilber. In den Text eingestreute, farbig abgesetzte zusätzliche Informationen über einzelne Geistesgrößen und Ereignisse der Renaissance und andere Epochen erhöhen den Reiz des attraktiv aufgemachten Bändchens. Als Einstieg in Leben und Werk Brunos ist das mit Zeittafel, Literaturhinweisen und Register ausgestattete Bändchen hervorragend geeignet, noch vor Eusterschulte und Blum.
- WOLFGANG WILDGEN. Das kosmische Gedächtnis. Kosmologie, Semiotik und Gedächtnistheorie im Werke Giordano Brunos(1548-1600). 277 S. Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998; ISBN 3-631-32953-9 DM 84,--
Wolfgang Wildgen, Jahrgang 1944, seit 1981 Professor für Linguistik an der Universität Bremen, konzentriert sich in seiner Studie ausschließlich auf die Kosmologie und Semiologie bei Giordano Bruno.
Die Persönlichkeit, das Schicksal und die Art der geistigen Bewältigung seiner ungünstigen Lebensumstände, die Wahrhaftigkeit und Autonomie des Denkers Bruno hätten ihn fasziniert, gesteht Wildgen gleich zu Beginn seiner Abhandlungen, in denen er seine eigenen jahrelangen Forschungen zur Semiotik Brunos und zu deren Grundlagen in der Kosmologie und in der Gedächtnistheorie zusammenfasst, wobei er eine bis ins Detail gehende und manchmal recht mühsam nachzuvollziehende Interpretation von Brunos Systementwürfen vermittelt. Denn bei Wildgen steht nicht so sehr Brunos Weltanschauung in ihrer Gesamtheit auf dem Prüfstand, "sondern sein Versuch, eine Vielfalt von Detaillösungen in eine wohlproportionierte, ins Unendliche reichende Wissensarchitektur zu integrieren" (S.9).
Bruno habe, meint Wildgen, metaphysische, naturphilosophische, ethische, semiotische und poetologische Aspekte zum Entwurf eines möglichst kohärenten Bildes vereint, und dabei das antike Erbe als Ausgangspunkt benutzt. Der roten Faden in seines Schaffens sei aber die Architektur unseres Wissens, das Gedächtnis der Kultur- und Wissensgemeinschaft. Denn alles, was wir wissen und erschließen können, wollte er in einer Einheit zusammen denken und als Zeichensystem realisieren.
Wildgen, der einzelne Stationen von Brunos Lebensweg aufgesucht hat, flicht seine eigenen Reiseeindrücke in den Bericht mit ein und schildert, wie er versucht habe, all diese Orte als Semiotiker, insbesondere aber die Stadt Rom im Lichte des tragischen Schicksals von Bruno zu lesen. Daneben unternimmt der Verfasser eine analytische Wanderung durch einige der erhaltenen Werke von Bruno. Er beginnt bei den Quellen für seine Gedächtnistheorie und verfolgt
Die nach den Prinzipien einer copernicanischen Kosmologie aufgebaute Gedächtnistheorie Brunos wird anhand seiner Texte rekonstruiert und als wichtiger Beitrag zu einer theoretischen Zeichenlehre(Semiotik)interpretiert. Nachdem Wildgen auch noch kurz auf die Nachgeschichte der gedächtnistheoretischen Schriften Brunos eingegangen ist - diese waren beispielsweise bis weit ins 17.Jahrhundert sehr einflussreich -, kommt er auf die Aktualität von Brunos gedächtnis- und sprachtheoretischen oder wissenschaftsphilosophischen Werkes zu sprechen und vergleicht ihn in diesem Zusammenhang mit Charles Sanders Peirce (1839-1914), dem Begründer der modernen Semiotik. Wildgens subtile Untersuchungen und differenzierte Überlegungen dürften sicherlich nur einen kleinen Leserkreis erreichen.
- NUCCIO ORDINE: Giordano Bruno und die Philosophie des Esels.
S. 266. Wilhelm Fink, München 1999;ISBN 3-7705-3341-0,DM 48,-
Nuccio Ordine, italienischer Universitätsprofessor und Herausgeber der kritischen Ausgabe der Werke von Giordano Bruno, hat das geheimnisvolle Symbol des Esels, Beispiel eines Koinzidierens opponierender Eigenschaften, zum Leitfaden für eine durchaus unterhaltsame und zitatenreiche Einführung in Brunos verschlungene Denkwege gewählt. Nicht von ungefähr, schließlich taucht das Bild des Esels in Brunos Werken häufig auf.
1582 veröffentlichte Bruno ein Werk über Mnemotechnik "De umbris idearum" und erwähnt darin eine verschollene Schrift mit dem Titel "Die Arche Noah", deren Urheberschaft er später beansprucht. Schon in der "Arche" hat das Symbol des Esels die Hauptrolle gespielt. In der "Kabbala des Pegaseischen Pferdes" und dem angehängten "Kyllenischen Esel" wird das Grautier zum unbestrittenen Hauptdarsteller. Hier bringt Bruno Überlegungen und Notizen ein, die er im Laufe der Jahre gesammelt hat.
Allerdings war Bruno nicht der erste, der sich des Esels bediente, um seine Gedanken und Ansichten zu veranschaulichen und bestimmte Themen miteinander zu verknüpfen. Schon vor ihm gab es eine reichhaltige "Eselliteratur", die von den Versen Machiavellis bis hin zu den Werken des Cornelius Agrippa reicht. Originell ist bei Bruno jedoch die radikale Ausbeutung des Eselthemas, "die häufige Wiederkehr und Zentralität des Motivs und der Bedeutungsreichtum, den er ihm verleiht" (S.9).
Traditionell haftet dem Eseltum ein negatives metaphorisches Etikett an. Bruno hat dieses nicht zuletzt zur Charakterisierung und Diffamierung seiner Gegner benutzt. Viele Autoren und Interpreten Brunos haben nur den negativen Aspekt des Esels gesehen. Aber Ordine hat auch einen positiven Pol des Eseltums ausgemacht. Gerade das zweideutige Spiel - hier das negative Eseltum, dort das positive Eseltum - lässt mit seinen Bedeutungsumkehrungen einen ergiebigeren Interpretationsansatz und eine semantische Vieldeutigkeit zu, die sie in gewisser Hinsicht zum idealen Symbol für die coincidentia oppositorum macht. In einem Kapitel skizziert Ordine die Bedeutungsebene des Esels in ihrer Mehrdeutigkeit an den Gegensatzpaaren wohltätig/dämonisch, stark/demütig, wissend/ unwissend. Alle diese Eigenschaften können auf Esel zutreffen. In Brunos "Vertreibung" und in der "Kabbala" ist das Eseltum zwar die "triumphierende Bestie, die verbannt werden muss, weil sie unter den Menschen dominiert, erhält aber andererseits am Sternenhimmel einen positiven Platz. "Habt ihr denn noch niemals vernommen, dass die Torheit, Unwissenheit und Eseltum dieser Welt in jener anderen Welt Weisheit, Gelehrtheit und Göttlichkeit sind?"sagt Saulin in Cabbala.
Der Esel ist eine fügsame Figur in Brunos Spiel, das die symbolischen Eigenschaften des Eseltums auf den Menschen selbst überträgt. Der göttlichen und menschlichen Natur des Esels entspricht die Vorstellung vom Menschen als einem Vermittler zwischen Tierhaftigkeit und Göttlichkeit.
Als Symbol des Unwissens hat der Esel sogar sprichwörtliche Bedeutung erlangt. Der Nolaner selbst verwendet die Termini "Eselei", "Narrheit" und "Unwissenheit" oft als Synonyme.
Am positiven Eseltum hebt Bruno die Eigenschaften: Bereitschaft zu harter Arbeit, Demut und Geduld lobend hervor. Sie seien Voraussetzungen für das Entstehen der Zivilisationen. Ohne sie sei es unmöglich, sich im Labyrinth der Erkenntnis zu orientieren. Überdies lehrt uns der Esel, dass Demut, Geduld und Arbeit unentbehrlich seien -und das gilt für jedes Gebiet -, um eine Untersuchung zu beginnen und positive Ergebnisse zu erzielen. Dagegen wirkt sich das negative Eseltum mit Müssiggang, Arroganz und Beschränktheit zerstörerisch auf die Entwicklung des Wissens und den Fortschritt der Zivilisation aus.
Der Esel zeigt uns ferner,in Übereinstimmung mit der Gestalt des Sokrates als Silen, dass man dem Schein nicht trauen darf, dass die Suche nach dem Wissen ohne Ende ist, dass die Natur und unser Wissen von Vergänglichkeit und Wandel beherrscht sind. Die skeptische und aristotelische Haltung war dagegen, nach Auffassung von Bruno, zu starr und daher unfähig, eine positive Beziehung zum Wissen aufzubauen.
Der Stellenwert von der Unendlichkeit des Universums, der Unendlichkeit der Erkenntnisprozesse, der Vielfalt, des ständigen Wandels der Formen in einem pluralen Universum in Brunos Philosophie, verdeutlicht der Autor an der doppelten Valenz des Eseltums.
Auch der italienische Autor reiht wie Kirchhoff und Wildgen Bruno in eine Denktradition ein, die Qualität, nicht Quantität als das Wesentliche am Wissen betrachtet und in der die Überzeugung vorherrscht, dass Kosmos und Leben nicht durch rein mathematische Begriffe erklärt werden können .
Ordines Bruno-Buch besticht nicht zuletzt durch Klarheit der Gedankenführung, durch Themenvielfalt und einen atemberaubendenden Parcours, der die Beziehungen zwischen den verschiedenen Wissensgebieten im Werk Brunos raffiniert miteinander verbindet: Philosophie und Literatur, Wissenschaft und Religion, Ethik und Ästhetik.
Seine Studie wird zweifellos die Neugier der Leser wecken, zu denen in erster Linie Philosophen, Literaten und Naturwissenschaftler zählen dürften, und eine Lanze brechen für Brunos außerordentliche philosophische Erfahrungen und Einsichten.
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