Giordano Bruno - ein anstößiger Denker
Tod auf dem Scheiterhaufen vor vierhundert Jahren
Lange Zeit nahm Giordano Bruno neben seinem berühmten Zeitgenossen Galilei Galileo eine eher randständige Bedeutung ein. Sein wissenschaftlich-philosophischer Rang und die Wirkung seines umfangreichen Werkes waren von seinen Lebzeiten bis weit in die Moderne umstritten.
Kein Zweifel, Bruno war ein unbequemer Philosoph und ist in seinem ereignisreichen Leben immer wieder in das Ränkespiel verfeindeter Lager geraten.Sicherlich haben seine Unnachgiebigkeit in philosophischen Fragen und seine nonkonformistische Haltung, etwa sein vehementer Antiklerikalismus und seine antischolastische Position, die auch vor der Lehre des Aristoteles nicht haltmachte, ihm nicht gerade große Beliebtheit eingetragen.
Brunos Lebenslauf
Geboren wurde Philippo Bruno - erst später im Kloster nahm er den Namen Giordano an - 1548 in Nola. Hier ist er auch aufgewachsen. Allerdings soll seine Kindheit nicht allzu glücklich gewesen sein. Mit siebzehn Jahren trat er in Neapel in den Dominikanerorden ein, erhielt 1572 die Priesterweihe und studierte Theologie. Dann geriet er in Konflikt mit der Klosterleitung, der sich vor allem an seiner Ablehnung christlicher Heiligen- und Marienverehrung entzündete. Als er der Ketzerei angeklagt wurde, verließ er den Orden und nahm eine philosophische Wanderexistenz auf, die ihn durch eine Vielzahl von Stationen in ganz Europa führte. Aus der nicht geplanten Flucht wurde, "ein konstruktiver Lebensweg, auf dem sein philosophisches Werk Gestalt annehmen konnte", schreibt Wolfgang Wildgen in" Das kosmische Gedächtnis. Kosmologie, Semiotik und Gedächtnistheorie im Werke Giordano Brunos".
Bruno reiste durch Italien und Frankreich nach Genf, das er 1579, nachdem er sich kurz zuvor immatrikuliert hatte, im Streit mit den Calvinisten verließ. In Toulouse hatte er 1579 kurzfristig einen Lehrstuhl für Philosophie inne. 1581 machte er sich in Paris einen Namen, fuhr bald darauf nach England, wo er sich mit den anglikanischen Theologen in Oxford überwarf. Einen literarischen Niederschlag fand diese Zeit in seiner in London veröffentlichten Schrift "Das Aschermittwochsmahl" ("La cena de le ceneri"), in der der unbequeme Philosoph schonungslose Polemik gegen den Oxforder Gelehrtenstand übte und das Londoner Geistesleben heftig karikierte. Später gelangte er über Wittenberg nach Prag, 1589 an die Universität Helmstedt und dann nach Frankfurt. In Helmstedt wurde er nach kurzer Zeit von Pastor Boethius aus der lutheranischen Gemeinde ausgeschlossen. Wie man sieht: überall war der Nolaner nach kurzer Zeit persona non grata. Meistens wurde er nur geduldet und hatte nicht die Chance, in den jeweiligen Lehrkörper integriert zu werden. Aber an einigen Orten konnte er einige seiner Schriften publizieren, die ihre Wirkung nicht verfehlten.
1591 erreichte ihn eine Einladung nach Venedig, die tragische Folgen haben sollte. Denn in der Lagunenstadt fiel er der Denunziation seines dortigen Gastgebers Giovanni Mocenigo zum Opfer. Giovanni Mocenigo, hat ihn aus Enttäuschung darüber, dass Bruno nicht wie erwartet die Geheimnisse der praktischen Magie lehrte, angezeigt. Endlich hatte der Philosoph einen Mäzen und Bewunderer gefunden, und nun konnte er dem Ruf nicht entsprechen, der ihm vorausgeeilt war.
Er wurde eingekerkert, nach Rom überstellt und schließlich, weil er sich weigerte, seine Lehren zu widerrufen, zum Tod auf den Scheiterhaufen verurteilt. Am 17.Februar 1600 wurde das Urteil öffentlich vollstreckt. Ehe Giordano Bruno erstickte, reichte man ihm an einem langen Stab das Kreuz, aber statt dies Zeichen zu küssen, drehte er sein Gesicht mit letzter Anstrengung in die entgegengesetzte Richtung. Atheist ist Bruno indessen nie gewesen.
Zwei Tage später war in der Römischen Zeitung"Avisi di Roma" zu lesen: "Der abscheuliche Dominikanerbruder von Nola, über den wir schon früher berichtet haben, wurde am Donnerstag Morgen auf dem Campio dei Fiori bei lebendigem Leibe verbrannt. Er war ein ungemein halsstarriger Ketzer, der aus seiner eigenen Eingebung verschiedene Dogmen gegen unseren Glauben fabrizierte, besonders aber gegen die Heilige Jungfrau und andere Heilige. Der Elende war so hartnäckig, dass er gewillt war, dafür zu sterben." Ganz anders fiel dreihundert Jahre später das Urteil von Bertolt Brecht über Bruno im "Mantel des Ketzers"(1939)aus:"Giordano Bruno, der Mann aus Nola, den die römischen Inquisitionsbehörden im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen wegen Ketzerei verbrennen ließen, gilt allgemein als großer Mann, nicht nur wegen seiner kühnen und seitdem als wahr erwiesenen Hypothesen über die Bewegungen der Gestirne, sondern auch wegen seiner mutigen Haltung gegenüber der Inquisition, der er sagte:'Ihr verkündet das Urteil gegen mich mit vielleicht viel größerer Furcht, als ich es entgegennehme.'"
Die Kirche hat sich mit Bruno noch nicht ausgesöhnt
Von 1603 bis 1965 standen Brunos Schriften auf dem Index librorum, der Liste kirchlicherseits verbotener Bücher. Das mutet einigermassen paradox an, da Bruno alle seine 1603 auf den Index gesetzten Schriften erst nach Verlassen des Ordens verfasst hatte und das nicht als Theologe, sondern als Philosoph.
Der erste Konflikt mit den Glaubensinstitutionen war durch Brunos Interesse für die erasmischen Kommentare der Kirchenväter und seine Verachtung der gefühlsbetonten Marienverehrung entstanden. Hinzu kamen seine Zweifel am Dogma der Trinität sowie seine angespannte Beziehung zur christlichen Offenbarungsreligion insgesamt. Einige Autoren glauben sogar, dass Bruno das Christentum für eine bloße Perversion ägyptischer Kulte gehalten habe. Aber auch Brunos und Antiaristotelismus, der vor dem großen Thomas von Aquin nicht Halt machte, und sein Copernicanismus erregten Ärgernis.
Auch seine spätere Beschäftigung mit der Gedächtniskunst und den Lehren des Lullus erregte den Argwohn der Kirche. War doch der Lullismus in ihren Augen eine sektiererische Strömung. In gewisser Weise war der Lullismus des Giordano Bruno, nach Ansicht von Wildgen, "noch anrüchiger als sein Copernicanismus, denn die Werke des Copernicus standen noch nicht auf dem Index, und es hatte keine Verurteilung stattgefunden" (S.83). Dagegen war Lullus bei der Gegenreformation, weil er Christliches mit islamischer und jüdischer Weisheit in Verbindung gebracht hatte und sein Werk zur Alchimie und Magie missbraucht wurde, in Misskredit geraten.
Sein Tod auf dem Scheiterhaufen sollte ein Schreckenszeichen für die Gegner Romas sein. Er selbst wurde im 19.Jahrhundert zum Symbol der laizistischen Bewegung, durch deren Initiative am 9.Juni 1889 ein Monument für Giordano Bruno auf dem Campo de Fiori, wo er im Jahr 1600 verbrannt worden war, eingeweiht werden konnte. Diesem Festakt waren jahrelange Kämpfe vorausgegangen. Studentenproteste, die die Absetzung des papstfreundlichen Bürgermeisters forderten, und der Druck eines internationalen Ehrenkomitees waren dafür nötig gewesen, dem Victor Hugo, Ernest Renan, Herbert Spencer, Ernst Haeckel, Georg Ibsen und Ferdinand Gregorovius angehörten. Der Vatikan versuchte vergeblich, das Denkmal beseitigen zu lassen, und sprach, als ihm dies nicht gelang, einen der Unterzeichner des Todesurteils von Bruno, Kardinal Bellarmin, heilig. Nicht wenige sahen darin nur eine hilflose Trotzreaktion des Vatikans. Der damalige Papst Leo XIII. hatte selbst anlässlich der Enthüllung des Brunostandbildes auf dem römischen Campo dei fiori ein Sendschreiben an die gläubige Welt 1889 gerichtet mit folgenden Worten :""Er(Bruno)hat weder irgendwelche Verdienste um die Förderung des öffentlichen Lebens erworben. Seine Handlungsweise war unaufrichtig, verlogen und vollkommen selbstsüchtig, intolerant gegen jede gegenteilige Meinung, ausgesprochen bösartig und voll von einer die Wahrheit verzerrenden Lobhudelei."
Auch heute noch tut sich die Katholische Kirche mit dem anstößigen Philosophen schwer, und es ist fraglich, ob die Kurie, Bruno an seinem vierhundertsten Todestag genauso rehabilitiert wie kurzem Galilei. Offensichtlich sieht die Katholische Kirche in Giordano Bruno immer noch einen Häretiker.
Brunos Philosophie
"Bis in unser Jahrhundert", schreibt Anne Eusterschulte in ihrer kleinen Studie "Giordano Bruno zur Einführung", "sind die Einschätzungen des Brunoschen Werkes durch eine außerordentliche Ambivalenz gekennzeichnet. Von den einen wird er gefeiert als Wegbereiter neuzeitlicher Philosophie im Ausgang von der mittelalterlichen Scholastik und als wichtiger Vertreter einer Emanzipationsbewegung in den Naturwissenschaften, die von Kopernikus und Galilei zu Kepler führt. Von den anderen wird er als Anhänger eines magisch verbrämten, unsystematisch-spekulativen Obskurantismus verworfen"(S.12/13).
Für viele steht Bruno für eine halbes Jahrhundert europäischer Geistesgeschichte, für das Ende einer großen Epoche der Renaissance, und den Beginn einer neuen Ära, der Moderne. Wofür aber steht er in Wirklichkeit, welche Zeichen hat er gesetzt?
Bruno, der angetreten war, um "das Denken aus dem Kerker eines verschulten blinden Aristotelismus" zu befreien, und Aristoteles und seinen zeitgenössischen Anhängern vorwarf, die Existenz der Vielheit negiert zu haben, nahm den Himmel als Maß der Dinge. Er transzendierte die Zeit und sah die Welt sub specie aeternitatis, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit.
Bruno berief sich wohl auf Kopernikus, der die Ablösung des bis dahin gültigen geozentrischen Systems des Ptolemäus eingeleitet und damit die bis dahin ausgezeichnete Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung in Frage gestellt hatte, doch ging er über seine Theorie der Erdbewegung hinaus und vertrat die These einer Selbstbewegung jedes einzelnen Himmelskörpers innerhalb eines als unbegrenzt wahrzunehmenden Weltraums, in dem es keinen absoluten Mittelpunkt, keine sphärische Seinsordnung, keinen äußeren Rand oder Beweger gibt.
Sein Hauptthema war die Unendlichkeit des Universums, die unendliche körperliche Substanz im unendlichen Raum, die lebendige kosmische Einheit, die sich, so Bruno, in der Vielfalt im permanenten Umschlag des Entgegengesetzten, in der Wechselwirkung des Verschiedenen erhält. Das Weltall war für Bruno nicht nur unbegrenzt und unendlich, sondern auch erfüllt von unzähligen Welten, die womöglich ebenso bewohnt und belebt seine wie die Erde. Zudem hatte er die Vorstellung, dass alle Körper beseelt seien und sich in einer lebendigen Wechselwirkung im Universum befänden.
Bruno, der die Probleme des Erkennens der Frage nach dem Menschen und seinem Selbst- und Weltbezug unterordnet, denkt nicht anthropozentrisch, für ihn sind alle lebendigen Wesen verschiedene Phänomene der einen universalen Existenz, zwischen den Pflanzen, Tieren und dem Menschen besteht nur ein gradueller, kein qualitativer Unterschied, weil alle ihren Ursprung aus derselben metaphysischen Wurzel haben. Für Bruno gab es weder unbeseelte Materie noch Dualismus von Seele und Körper, Geist und Materie oder Instinkt und Vernunft, denn derselbe Geist prägt alle und alles.Alle Kreaturen haben eine Intelligenz, die ihren Bedingungen entspricht. "Die Natur ahmt die Wirksamkeit der Gottheit auf bewundernswürdige Weise nach, und das menschliche Ingenium wetteifert wiederum mit der Natur." Die Intelligenz begriff Bruno als eine göttliche Kraft, die allen Dingen als Erkenntnisfähigkeit innewohnt, durch welche alle Lesewesen wahrnehmen, fühlen und in irgendeiner Weise erkennen. Brunos Philosophie ist von vielen Interpreten sicher nicht zu Unrecht als Pantheismus oder Hylozoismus klassifiziert worden.
Bruno sieht die Welt nicht nur als ein lebendiges Ganzes, sondern auch als ein Ganzes in kontinuierlicher und ewiger Bewegung. Für ihn existierten keine Grenzen zwischen Objekt und Subjekt, zwischen Mensch und Welt. Damit nahm er Martin Heidegger vorweg, für den der Mensch bekanntlich nichts anderes war als ein "In-der-Welt-Sein", das heißt, "Das In-Der-Welt-Sein" war den Philosophen des Seins nichts anderes als die Definition des Menschen. Dieser Gedanke wurde von Bruno vorgeprägt. Er expliziert ihn freilich nicht nach mit Hilfe von Begriffen, sondern von Bildern, mit denen er auszudrücken versuchte, was andere Philosophen später mit Begriffen dingfest zu machen glaubten. Bruno war ein Poet, ein Künstler, so Wildgen, "der mit Begriffen malt".
Doch wusste er auch, dass eine angemessene Erkenntnis des über die natürlichen Dinge hinausgehenden unendlichen göttlichen Wirkens uns verwehrt ist, so dass wir"bestenfalls auf die Spur der Erkenntnis des ersten Prinzips und der ersten Ursache kommen können."
Denn all unser Wissen ist Unwissen. Die Wahrheit an sich bleibt der menschlichen Erkenntnis verschlossen. Der Status des Naturphilosophen oder Physikers markiert die Grenze dessen, was der Mensch als begründbares Wissen erreichen kann. Obgleich Bruno den Blick in die metaphysischen Abgründe der Welt und unserer Existenz richtete und den Weg, der von der empirischen Realität zur Idee führt, durchlief, wurde er nicht müde, zu wiederholen, dass die Sinne trügerisch seien, weil sie entweder die wahre Natur der Dinge verbergen oder sie unter einer falschen Erscheinung präsentieren.
Während Bruno in seinem Werk "Über das Unendliche, das Universum und die Welten" ("De l'infinito, universo e mondi") die Aufgehobenheit jedes individuellen Lebens in der Prozessualität der ewigen Natur betont und deutlich macht, dass der von unendlichem Leben erfüllte Raum gewissermaßen eine ethische Norm verkörpert, nämlich die Akzeptanz aller auf anderen Kontinenten oder auf anderen Welten möglichen Kulturen, Lebensweisen und die Achtung aller Arten des Lebendigen", kommen in seiner Schrift "Die Vertreibung der triumphierenden Bestie" ("Spaccio de la bestia trionfante")seine gesellschaftlichen Ideale klar zum Ausdruck: Förderung des Wohls des einzelnen wie des Gemeinwohls, die Sorge um das Vaterland und die Menschheit, zwischenmenschliche Großherzigkeit und mildtätige Gerechtigkeit bis hin zur indirekten Forderung nach sozialem und kulturellem Engagement.
Im Grunde hat er schon auf Kants 1791 gestellte Frage: was heißt, sich im Denken orientieren?, eine Antwort gegeben. Man muss die Welt befragen, wenn man wissen will, wie sich der Mensch verhält, und wenn man wissen will, wie die Welt sich verhält, so muss in das eigene Innere schauen, die Gesetze, die im Universum herrschen, herrschen auch im Menschen.
Im Rückgriff auf Cusanus bedient er sich des Gedankens der coincidentia oppositorum, des Zusammenfallens der Gegensätze im Unendlichen, so dass Gott überall anwesend ist. Bruno sieht überall fließendes Leben. Da es keine Grenzen gibt, schließen auch Gut und Böse nicht einander aus, sondern kommen beide zugleich vor. Weise aber ist der, der mit den Gegensätzen in der rechten Weise umzugehen weiß und sich nicht an ihnen stößt. Bruno, der ein aristokratisches Konzept von Kultur vor Augen hatte, hielt nur den Gebildeten für fähig, sich der Gegensätze bewusst zu sein und mit ihnen fertig werden.
In der Studie "Die Kabbala des Pegasus mit der Zugabe des Kyllinischen Esels"(Cabala del cavallo pegaseo/L'asino cillenico) wiederum ist die Dummheit das eigentliche Thema. Bruno ironisiert die heilige Unwissenheit, für die wahre Gottgefälligkeit allein in heiliger Dummheit und Unwissenheit liegt, und äußert unverhohlenen Spott über die christliche Prädestinations- und Gnadenlehre wie über die klerikale Knechtung der vernunftbegabten Seelen gemäß dem Verdikt, Gottergebenheit zeige sich im Verzicht auf den Vernunftgebrauch. Zugleich wird hier unüberhörbar die Selbstgefälligkeit des kirchlichen Gelehrtenstandes und einer in gelehriger Schafsköpfigkeit gehaltenen Herde scharf verurteilt. Bruno kritisiert die Vertreter einer Glaubensmacht, sofern sie vorgeben, im Besitz des wahren Wissens zu sein und ergeht sich in polemischen Tiraden gegen geistige Entmündigungspraktiken.
Brunos Gottesverständnis
Für Bruno war Gott "keine Intelligenz außerhalb der Welt, die diese im Kreise dreht und leitet. Würdiger muss es für ihn sein, das innere Prinzip der Bewegung zu bilden, eine Natur aus sich, von eigener Art, eine Seele für sich, an der alles teil,hat, soviel in seinem Schloss und Leibe lebt."
Goethe schrieb später:
"Was wäre ein Gott, der nur von außen stieße
im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemts, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,
So dass was in Ihm lebt und webt und ist
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermisst."Er war davon überzeugt, dass die Allmacht Gottes aktiv ist und ihr deshalb ein unendliches Wirkungsobjekt entspricht.
Bei Bruno ist das übernatürliche Wesen der Gottheit, das in seiner Philosophie durchaus eine systematische Begründungsfunktion hat, nicht im christlichen Sinne eines extraterristischen Schöpfergottes zu verstehen. Die Lehre eines unendlichen Universums lässt keinen solchen göttlichen Außenstandpunkt zu. Wenn die Welt ewig und unendlich ist, welchen Sinn hat dann der Mythos von einem persönlichen Gott, der die Welt aus dem Nichts geschaffen hat. Welterkenntnis führt zur Selbsterkentnis mit dem Ziel der Gotteserkenntnis.
Seine Religionskritik steht zwar dem Kult kritisch gegenüber, lehnt diesen aber nicht in Bausch und Bogen ab.Verehrung des Transzendenten ist für ihn eine Grundform menschlichen Denkens, die sich für diesen Zweck Götterbilder sucht, weil der Mensch nicht umhin kann, in den Naturdingen und in allen Menschen die Wirkung des Transzendenten, des Gottes zu suchen. Hier kommt er Kant ganz nahe.
Worin liegt die Wirkung von Giordano Bruno?
Brunos Spuren sind im Atomismus des Wittenberger Arztes Daniel Sennert ebenso nachzuweisen wie im Naturverständnis von Spinoza oder im Monadenbegriff von Leibniz. Immerhin hat Bruno als erster in der modernen Philosophie das Wort Monade gebraucht als unteilbare Einheit, als das konstituierende Element aller Dinge. Die einen halten ihn für einen Magier, andere für einen Kosmologen, Schriftsteller, Utopisten oder genialen Theoretiker. Von manchen Autoren, vor allem von jenen, die der Esoterik und der New-Age-Bewegung nahestehen, wird Bruno gerade wegen seiner Nähe zu östlichen Weisheiten und Seelenwanderungslehren sehr geschätzt. Um so dringlicher ist die unvoreingenommene und systematische Erschließung seiner Schriften. Aber es ist schwierig, Brunos Wirkung präzise zu erfassen. Daher hat es wohl auch nie Brunianer gegeben wie es etwa Galileianer, Cartesianer oder Leibnizianer gegeben hat.
Bruno hat in der Tat vieles vorweggenommen, auch auf dem Feld der Wissenschaft, daher verstanden ihn seine Zeitgenossen nicht. Galilei übernahm viele Ideen von Bruno, ohne ihn zu nennen, vielleicht aus Vorsicht, denn es wäre nicht klug gewesen, erwähnte er den Namen des Philosophen nicht, der von der Inquisition zum Scheiterhaufen verurteilt worden war.
Über Wirkung und Rezeption der Werke Brunos vom 16.bis zum beginnenden 19.Jahrhundert gibt es wenig zuverlässige Zeugnisse, kaum explizite Bezugnahmen, eine offene Auseinandersetzung mit seinen Schriften und eine Berufung auf den Nolaner war mit dem Risiko verbunden, als Sympathisant eines Irrlehrers in Verruf zu geraten. Brunos Einflüsse liegen wohl eher im Verborgenen, etwa bei Spinoza oder Leibniz. Anstoß für ein neuerliches Interesse an der Philosophie Brunos war eine Schrift F.H.Jacobis,in der Brunos Philosophie als pantheistische Lehre und Grundlage der Schriften Spinozas betrachtet wird. Hegel sah in Brunos Einheitsbewusstsein etwas Bacchantisches, das dann aber, unfähig zum systematischen Gebären, in mystische Schwärmerei umgeschlagen sei.
Auch Schelling und Goethe haben sich mit Brunos Werk beschäftigt. Beide faszinierte besonders der Gedanke der Weltseele, das Hervorgehen des Vielen aus dem Einen, die Verschränkung innerer und äußerer Ursachen, das Prinzip der coincidentia oppositorum, die Doppelbewegung von entwickelndem Herniedersteigen und erkennendem Aufsteigen, kurzum das Themenfeld des Neuplatonismus, das die Goethezeit mitbestimmt hat.
Man hat ihm viele Attribute verliehen: Zunächst sah man in ihm den Vertreter eines neuen Eklektizismus und Gegner des Christentums, dann verschiebt sich sein Bild vom Häretiker, Lullisten, Dissidenten und Pantheisten zum Dialektiker des "Ineinfalls" der Gegensätze. Zumeist fristete der Denker sein Dasein zwischen diffusem Okkultismus und Antiklerikalismus, als Geheimtip unter den Kennern, als Märtyrer der Geistesfreiheit und Opfer der Intoleranz, als fahrenden Ritter der Gedankenfreiheit. Cassirer sah in ihm den Zeugen eines neuen Weltgefühls, Blumenberg interpretierte seine Philosophie als Beginn der Neuzeit.
Eine entscheidende Wende bescherte, laut Blum, die englische Privatgelehrte Frances A.Yates der Bruno-Forschung. Sie kam nämlich zu dem Schluss, dass Hermetismus und Magie die wesentlichsten Elemente des Brunoschen Denkens gewesen seien. Durch ihren Theoriensynkretismus habe Yates, meint Blum, alle Spielarten von Renaissance-Okkultismus hoffähig gemacht und jene philosophischen Probleme wieder entdeckt, auf die Philosophen wie Bruno zu antworten versuchten.
Brunos Rezeption während der letzten Jahre
Wie aber ist es gegenwärtig mit der Rezeption seiner Bücher und Lehren bestellt. Wir wollen einen kurzen Blick auf einige Bruno-Bücher werfen, die in den letzten Jahren erschienen sind.
JOCHEN KIRCHHOFF: Giordano Bruno in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 149 S. Rowohlt, Reinbek 1980; ISBN 3-499- 50285-2, DM 9,80
Kirchhoffs Bruno Monographie dürfte die erste in deutscher Sprache abgefasste Einführung in Leben und Werk des italienischen Philosophen gewesen sein. Sie erschien erstmals 1980 und wird auch immer wieder von neuem aufgelegt. Nicht von ungefähr, denn sie ist auch heute noch gut lesbar, aktuell und durchaus ernst zu nehmen - mit einer Ausnahme. Der Verfasser nimmt nämlich Brunos Philosophie in Anspruch, um gegen den angeblichen Machtwillen der modernen mathematischen Naturwissenschaft zu polemisieren. Bruno war sicherlich nicht der Wegbereiter eines säkularisierten und verwissenschaftlichen Weltbildes. Vielmehr war er voller Misstrauen gegenüber den zu seinen Lebzeiten erstarkenden Idealen experimenteller Empirie und mathematischer Abstraktion, weil diese sich dem für ihn so zentralen mystischen Einheitsgedanken nicht vereinbar waren. Aber ob man deshalb so weit gehen kann, wie Kirchhoff es nahelegt, in Brunos naturwissenschaftlichem Ansatz und kosmischer Metaphysik die einzig mögliche Alternative zur modernen physikalischen Forschung zu sehen, das dünkt dann doch recht zweifelhaft.
Gerade im Fall des italienischen Philosophen Giordano Bruno sind die historischen Quellen recht spärlich, dagegen sind die Interpretationen seiner Werke vielfältig, widersprüchlich und manchmal auch etwas einseitig. Viele Autoren haben es daher vorgezogen, sich in erster Linie mit Brunos abenteuerlichen Leben und seinem spektakulären Ende zu befassen. Sie haben die biographischen Spuren seines Weges von Nola bei Neapel bis zum Scheiterhaufen in Rom verfolgt und sich um die Entschlüsselung seines Seelenlebens bemüht, oft unter Einbeziehung einer Lehren und Ansichten gestellt.
- EUGEN DREWERMANN:Giordano Bruno oder Der Spiegel des Unendlichen.415 S.Kösel,München 1992; ISBN 3-466-20363-5, DM 44,-
Recht eindrucksvoll ist Brunos Porträt bei dem Paderborner Theologen Eugen Drewermann ausgefallen - trotz einiger historischer Unstimmigkeiten. Allerdings erfährt man dabei fast mehr von der Seelenlage des Autors als über den Dargestellten selbst.Immerhin sind die Parallelen offenkundig: beide gelten als Ketzer. Nur wurde Bruno 1600 verbrannt, während Drewermann, zwar amtsenthoben, seine Thesen weiter vertreten kann. Wortgewaltig formuliert er sie in einer fiktiven Denkschrift seines Helden - poetisch, blumenreich, wenn es um eigene Ansichten geht, schroff und zugespitzt, wenn er von den Amtsträgern der Kirche spricht. Vor allem mit "den gottverdammten, scheinheiligen und blutgierigen Dominikanern" (S.15) lässt Drewermann seinen Bruno scharf ins Gericht gehen. Die Lehre der Kirche nennt dieser "einen schrumpeligen Beutel veralteter Vorurteile.. einen schlaffen Sack mit toten Hoden"(S.43). Dann wieder ergeht sich Bruno-Drewermann in lyrischen Betrachtungen über die Liebe von Mann und Frau und hält Zwiesprache mit einer fiktiven Diana.
- ANACLETO VERRECCHIA: Giordano Bruno, Nachtfalter des Geistes.
424 S. Böhlau, Köln 1999; ISBN 3-205-98881-7, DM 68,-
Schwungvoll und beredt,mit viel Anteilnahme für das tragische Schicksal seines Helden verfolgt der italienische Kulturkritiker Verrecchia die Lebensspuren von Giordano Bruno. Wie Drewermann spart er nicht mit markigen Sprüchen und heftigen Attacken gegen die katholische Kirche. "Das Christentum", so schreibt er, "war mit dem Schrei nach Erlösung angetreten und hatte sich in Italien und im übrigen Europa in eine Teufelei verwandelt"(S.45) Obwohl im Mittelpunkt Brunos "stürmische Durchquerung Europas"steht, wirft der Verfasser zwischendurch immer wieder einen Blick auf dessen Bücher und Gedankenwelt und vermittelt so eine gerade für Laien informative Vorstellung von den Lehren und Thesen jenes Mannes, der ihretwegen sogar den Tod auf dem Scheiterhaufen in Kauf nahm. Zugleich zeichnet Verrecchia ein anschauliches Sittengemälde von Brunos Epoche.
- HANS ULBRICH/MICHAEL WOLFRAM: Giordano Bruno. Dominikaner, Ketzer, Gelehrter. 226 S. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1994; ISBN 3-8479-901-0 DM 39,80
Der Lebensweg von Giordano Bruno wird in diesem Buch, beginnend mit dem Abschied Brunos von seinen Eltern und seiner Heimatstadt Nola im Sommer 1561 über seine Odyssee bis hin zu seinem qualvollen Ende, in einem einfachen Stil,in einem fast kindlichen Ton erzählt, so dass man zunächst glaubt, man habe es hier mit einem Jugendbuch zu tun. Nach Ulbrich und Wolfram sind es vor allem schöne Frauen, wie die attraktive Carubina, die den Nolaner anziehen, und sinnliche Wünsche in ihm wecken. Die Autoren, die leider nicht näher vorgestellt werden, fügen oft Texte und Zitate aus den Werken Brunos und anderen Schriftstellern ein(Homer,Aretino,Rabelais u.a.), und so erfährt man auch einiges aus der Gedankenwelt des Philosophen.
Wie der Franziskaner Wilhelm von Ockham habe Bruno die völlige Trennung von weltlicher Philosophie und übernatürlicher Quelle, der Heilsgeschichte gefordert. Denn, laut Bruno, könne der Verstand durchaus etwas für falsch erkennen, das die Kirche für wahr hält. Bruno stellt sich damit, nach Auffassung der Autoren in die Reihe der Denker der Spätscholastik, die bis an die völlige Auflösung der mittelalterlichen Ideale des Gottesdenkens gelangten. Das aber sei Ketzerei. Ockham war für solche Denken der Prozess gemacht worden, dem er sich nur durch die Flucht entziehen konnte. Bruno war gewarnt: "Wer Theologie nicht als Dogmengeschichte betreibt, betreibt keine Theologie!"(S-59).
Da für Ulbrich und Wolfram bei Bruno gleichwohl die Sehnsucht nach Wissen stärker als manch andere Verlockung gewesen war, steht bei ihnen trotz aller äußeren Vorkommnisse die geistige Entwicklung des Philosophen im Vordergrund. Da sie aus der Welt ihres Protagonisten durchweg in der Gegenwart berichten, wirkt ihre Darstellung unmittelbar und authentisch. Obwohl sie mehr Fragen als Antworten formulieren und vielfach auf Vermutungen angewiesen sind, so dass gezwungen sind, fiktive Tagebuchnotizen einzufügen und häufig auf ein "so muss es gewesen sein", "vielleicht" auszuweichen, ermöglicht ihre allgemein verständliche Darstellung philosophisch unbewanderten Lesern und Schülern einen ersten Zugang zum Leben und zum Werk von Giordano Bruno mit einem plastischen, wenn auch nicht so bombastischen Einblick wie Verrecchia in die damaligen gesellschaftlich-politischen Zeitumstände.
- SERGE FILIPPINI. Der Ketzer vom Campo dei Fiori. Ein Giordano Bruno Roman. 470 S. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999; 3-7466-1576-3 DM 19,90
Serge Filippini lässt in seinem schon 1992 bei Rütten und Loening unter dem Titel "Der flammende Mensch" erschienenen und jetzt im Aufbau-Verlag unter der Überschrift "Der Ketzer vom Campo dei Fiori", Giordano Bruno sieben Tage vor seiner Hinrichtung zur Feder greifen, um in einer Mischung von Fakten und Fiktion sein abenteuerliches Leben auf der Flucht vor der Inquisition, die ihn in viele Länder Europas, an Königs- und Fürstenhöfe, an die berühmtesten Universitäten und in die Häuser reicher genussfreudiger Freunde führte, Revue passieren zu lassen.
Bruno stellt sich selbst als Schriftsteller, Professor der Naturphilosophie, einstigen Ratgeber des Königs von Frankreich, Meister des Gedächtnisses, der Literatur, der Wissenschaft, der magischen Künste und als Autor von vierzig Büchern vor, wobei er die Zuversicht äußert, dass "die glorreiche Nachwelt" den "Reformator des Himmels und des Wissens anerkennen" wird, während seine Feinde "in der Vorhölle de Unwissenheit schmachten" werden (S.19).
Filippini streift zwar auch Brunos Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin und erzählt, dass Kardinal Cusa mit seiner "De docta ignoratia" seine Neugier erregt habe ebenso der Katalane Raymundus Lullus, der ihm die Organisationsprinzipien des sicheren Gedächtnisses vermittelte, sowie Brunos Begegnung mit Montaigne, aber im Vordergrund stehen Brunos abenteuerliches Leben und unbändiger Charakter. Nach Filippini soll sich Bruno seinen Lebensunterhalt als Liebesbote der Huren von Santa Maria del Carmino verdient haben und soll, da er leicht aufbrausend war, auch immer bereit gewesen sein, sich zu streiten und zu raufen. In jungen Jahren habe Bruno als kräftiger Bursche und wahrer Haudegen sogar einen Priester im Streit erstochen. Filippini unterstellt Bruno im Gegensatz zu Ulbrich und Wolfram homosexuelle Neigungen und eine große Vorliebe für Amors Freuden. Frauen seien ihm ein Gräuel gewesen. Plastisch beschreibt Filippinis Protagonist seine Richter, seine Folter, die Qual seiner letzten Tage sowie kleine Wohltaten, die ihm sein Kerkermeister gewährt. Offen bleibt allerdings, ob sich alles wirklich so zugetragen hat, wie es hier erzählt wird oder ob nicht zuweilen die Phantasie mit dem in Paris lebenden Autor(Jg.1950) durchgegangen ist.
Zumindest haben wir es hier in erster Linie mit einem farbenprächtigen, bilderreichen, streckenweise auch blutrünstigen Roman, mit einem historischer Schinken in saftiger Sprache zu tun, der dank einiger Anspielungen auf Brunos Werk allenfalls einen romanhafter Zugang zu dem Philosophen eröffnet, der jedoch philosophisch versierte Leser mitnichten zufriedenstellt.
- ANNE EUSTERSCHULTE. Giordano Bruno zur Einführung. 174 S. Junius, Hamburg 1997; ISBN 3-88506-945-8, DM 24,80
Eine aktuelle, zuverlässige, dabei erfreulich sachliche und gut lesbare Einführung nicht nur in das Leben, sondern vor allem in das Denken des Philosophen, die die bisher vorgestellten Bruno-Bücher weit in den Schatten stellt, ist der Kasseler Philosophiedozentin Anne Eusterschulte gelungen. Sie beschäftigt sich sowohl mit dem italienischen Frühwerk als auch mit dem lateinischen Spätwerk von Bruno und wirft einen kurzen Blick auf die Vielzahl seiner mnemotechnischer Schriften, zu denen Bruno durch das Studium der Lehren von Lullus angeregt worden war.
Nach einer kurzen Skizze seines bewegten Lebensweges umreißt die Autorin die wichtigsten Fragestellungen und Problemaspekte in Brunos Werk und erläutert in einem zweiten Schritt die Weiterführung, Verortung und Bedeutung seiner philosophischen Positionen. Der Band endet mit einem kurzen Ausblick auf die bisherige, völlig unzulängliche Rezeption der Werke Brunos.
- PAUL RICHARD BLUM: Giordano Bruno. 169 S. Beck, München 1999; ISBN 3-406-41951-8, DM 24,--
Blums Ausführungen stehen der Einführung von Eusterschulte in nichts nach, im Gegenteil, in manchem sind noch informativer und aktueller. Geschickt verbindet er die Schilderung von Brunos bewegtem Leben mit der Darstellung seiner Philosophie, wobei man einen fundierten Einblick in Brunos nicht immer leicht nachvollziehbare Denkwege und Werke, darunter auch unbekanntere Schriften, erhält, mit all ihren Voraussetzungen, Folgen und Rezeptionen. Er schildert sein Auftreten in den einzelnen Städten, seine Dispute und Kontroversen mit zeitgenössischen Wissenschaftlern und geht dabei oft sehr ins Detail.
Vor allem geht der in Budapest lehrende Philosophieprofessor ausführlich, unter Berücksichtigung auch der neueren Forschung auf jene Philosophien und Systeme ein, auf die Bruno reagiert, die er entweder weitergeführt oder denen er widersprochen hat. Für Blum ist "der fahrende Ritter der Gedankenfreiheit" durchaus ein Repräsentant seiner Epoche, war doch nicht nur er, sondern andere auch in allen Teilen Europas fieberhaft auf der Suche nach Alternativen zum scholastischen, metaphysisch belasteten Naturbegriff und schöpften wie zum Beispiel Hobbes, Descartes und Locke, Newton aus den gleichen Quellen, die auch Bruno inspiriert hatten, aus dem Atomismus, dem Stoizismus und den verschiedensten Formen von Platonismus und Geheimwissenschaften , die sie aufnahmen und amalgierten wurden.
- GERHARD WEHR: Giordano Bruno. 159 S., Deutscher Taschenbuch-Verlag 1999: ISBN 3-423-31025-1, DM 16,50
Auch diese allgemein verständliche und dazu noch vorzüglich farbig bebilderte und übersichtlich gegliederte Einführung dürfte im Bruno-Jahr anläßlich seines 400.Todestages aufmerksame Leser finden. Wehr erzählt Brunos Leben ohne Effekthascherei, führt konzentriert und gut nachvollziehbar in seine Gedankenwelt ein und berücksichtigt bei der Rezeptionsgeschichte auch entlegenere, esoterische Strömungen und Denker wie Rudolf Steiner und Ken Wilber. In den Text eingestreute, farbig abgesetzte zusätzliche Informationen über einzelne Geistesgrößen und Ereignisse der Renaissance und andere Epochen erhöhen den Reiz des attraktiv aufgemachten Bändchens. Als Einstieg in Leben und Werk Brunos ist das mit Zeittafel, Literaturhinweisen und Register ausgestattete Bändchen hervorragend geeignet, noch vor Eusterschulte und Blum.
- WOLFGANG WILDGEN. Das kosmische Gedächtnis. Kosmologie, Semiotik und Gedächtnistheorie im Werke Giordano Brunos(1548-1600). 277 S. Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998; ISBN 3-631-32953-9 DM 84,--
Wolfgang Wildgen, Jahrgang 1944, seit 1981 Professor für Linguistik an der Universität Bremen, konzentriert sich in seiner Studie ausschließlich auf die Kosmologie und Semiologie bei Giordano Bruno.
Die Persönlichkeit, das Schicksal und die Art der geistigen Bewältigung seiner ungünstigen Lebensumstände, die Wahrhaftigkeit und Autonomie des Denkers Bruno hätten ihn fasziniert, gesteht Wildgen gleich zu Beginn seiner Abhandlungen, in denen er seine eigenen jahrelangen Forschungen zur Semiotik Brunos und zu deren Grundlagen in der Kosmologie und in der Gedächtnistheorie zusammenfasst, wobei er eine bis ins Detail gehende und manchmal recht mühsam nachzuvollziehende Interpretation von Brunos Systementwürfen vermittelt. Denn bei Wildgen steht nicht so sehr Brunos Weltanschauung in ihrer Gesamtheit auf dem Prüfstand, "sondern sein Versuch, eine Vielfalt von Detaillösungen in eine wohlproportionierte, ins Unendliche reichende Wissensarchitektur zu integrieren" (S.9).
Bruno habe, meint Wildgen, metaphysische, naturphilosophische, ethische, semiotische und poetologische Aspekte zum Entwurf eines möglichst kohärenten Bildes vereint, und dabei das antike Erbe als Ausgangspunkt benutzt. Der roten Faden in seines Schaffens sei aber die Architektur unseres Wissens, das Gedächtnis der Kultur- und Wissensgemeinschaft. Denn alles, was wir wissen und erschließen können, wollte er in einer Einheit zusammen denken und als Zeichensystem realisieren.
Wildgen, der einzelne Stationen von Brunos Lebensweg aufgesucht hat, flicht seine eigenen Reiseeindrücke in den Bericht mit ein und schildert, wie er versucht habe, all diese Orte als Semiotiker, insbesondere aber die Stadt Rom im Lichte des tragischen Schicksals von Bruno zu lesen. Daneben unternimmt der Verfasser eine analytische Wanderung durch einige der erhaltenen Werke von Bruno. Er beginnt bei den Quellen für seine Gedächtnistheorie und verfolgt
Die nach den Prinzipien einer copernicanischen Kosmologie aufgebaute Gedächtnistheorie Brunos wird anhand seiner Texte rekonstruiert und als wichtiger Beitrag zu einer theoretischen Zeichenlehre(Semiotik)interpretiert. Nachdem Wildgen auch noch kurz auf die Nachgeschichte der gedächtnistheoretischen Schriften Brunos eingegangen ist - diese waren beispielsweise bis weit ins 17.Jahrhundert sehr einflussreich -, kommt er auf die Aktualität von Brunos gedächtnis- und sprachtheoretischen oder wissenschaftsphilosophischen Werkes zu sprechen und vergleicht ihn in diesem Zusammenhang mit Charles Sanders Peirce (1839-1914), dem Begründer der modernen Semiotik. Wildgens subtile Untersuchungen und differenzierte Überlegungen dürften sicherlich nur einen kleinen Leserkreis erreichen.
- NUCCIO ORDINE: Giordano Bruno und die Philosophie des Esels.
S. 266. Wilhelm Fink, München 1999;ISBN 3-7705-3341-0,DM 48,-
Nuccio Ordine, italienischer Universitätsprofessor und Herausgeber der kritischen Ausgabe der Werke von Giordano Bruno, hat das geheimnisvolle Symbol des Esels, Beispiel eines Koinzidierens opponierender Eigenschaften, zum Leitfaden für eine durchaus unterhaltsame und zitatenreiche Einführung in Brunos verschlungene Denkwege gewählt. Nicht von ungefähr, schließlich taucht das Bild des Esels in Brunos Werken häufig auf.
1582 veröffentlichte Bruno ein Werk über Mnemotechnik "De umbris idearum" und erwähnt darin eine verschollene Schrift mit dem Titel "Die Arche Noah", deren Urheberschaft er später beansprucht. Schon in der "Arche" hat das Symbol des Esels die Hauptrolle gespielt. In der "Kabbala des Pegaseischen Pferdes" und dem angehängten "Kyllenischen Esel" wird das Grautier zum unbestrittenen Hauptdarsteller. Hier bringt Bruno Überlegungen und Notizen ein, die er im Laufe der Jahre gesammelt hat.
Allerdings war Bruno nicht der erste, der sich des Esels bediente, um seine Gedanken und Ansichten zu veranschaulichen und bestimmte Themen miteinander zu verknüpfen. Schon vor ihm gab es eine reichhaltige "Eselliteratur", die von den Versen Machiavellis bis hin zu den Werken des Cornelius Agrippa reicht. Originell ist bei Bruno jedoch die radikale Ausbeutung des Eselthemas, "die häufige Wiederkehr und Zentralität des Motivs und der Bedeutungsreichtum, den er ihm verleiht" (S.9).
Traditionell haftet dem Eseltum ein negatives metaphorisches Etikett an. Bruno hat dieses nicht zuletzt zur Charakterisierung und Diffamierung seiner Gegner benutzt. Viele Autoren und Interpreten Brunos haben nur den negativen Aspekt des Esels gesehen. Aber Ordine hat auch einen positiven Pol des Eseltums ausgemacht. Gerade das zweideutige Spiel - hier das negative Eseltum, dort das positive Eseltum - lässt mit seinen Bedeutungsumkehrungen einen ergiebigeren Interpretationsansatz und eine semantische Vieldeutigkeit zu, die sie in gewisser Hinsicht zum idealen Symbol für die coincidentia oppositorum macht. In einem Kapitel skizziert Ordine die Bedeutungsebene des Esels in ihrer Mehrdeutigkeit an den Gegensatzpaaren wohltätig/dämonisch, stark/demütig, wissend/ unwissend. Alle diese Eigenschaften können auf Esel zutreffen. In Brunos "Vertreibung" und in der "Kabbala" ist das Eseltum zwar die "triumphierende Bestie, die verbannt werden muss, weil sie unter den Menschen dominiert, erhält aber andererseits am Sternenhimmel einen positiven Platz. "Habt ihr denn noch niemals vernommen, dass die Torheit, Unwissenheit und Eseltum dieser Welt in jener anderen Welt Weisheit, Gelehrtheit und Göttlichkeit sind?"sagt Saulin in Cabbala.
Der Esel ist eine fügsame Figur in Brunos Spiel, das die symbolischen Eigenschaften des Eseltums auf den Menschen selbst überträgt. Der göttlichen und menschlichen Natur des Esels entspricht die Vorstellung vom Menschen als einem Vermittler zwischen Tierhaftigkeit und Göttlichkeit.
Als Symbol des Unwissens hat der Esel sogar sprichwörtliche Bedeutung erlangt. Der Nolaner selbst verwendet die Termini "Eselei", "Narrheit" und "Unwissenheit" oft als Synonyme.
Am positiven Eseltum hebt Bruno die Eigenschaften: Bereitschaft zu harter Arbeit, Demut und Geduld lobend hervor. Sie seien Voraussetzungen für das Entstehen der Zivilisationen. Ohne sie sei es unmöglich, sich im Labyrinth der Erkenntnis zu orientieren. Überdies lehrt uns der Esel, dass Demut, Geduld und Arbeit unentbehrlich seien -und das gilt für jedes Gebiet -, um eine Untersuchung zu beginnen und positive Ergebnisse zu erzielen. Dagegen wirkt sich das negative Eseltum mit Müssiggang, Arroganz und Beschränktheit zerstörerisch auf die Entwicklung des Wissens und den Fortschritt der Zivilisation aus.
Der Esel zeigt uns ferner,in Übereinstimmung mit der Gestalt des Sokrates als Silen, dass man dem Schein nicht trauen darf, dass die Suche nach dem Wissen ohne Ende ist, dass die Natur und unser Wissen von Vergänglichkeit und Wandel beherrscht sind. Die skeptische und aristotelische Haltung war dagegen, nach Auffassung von Bruno, zu starr und daher unfähig, eine positive Beziehung zum Wissen aufzubauen.
Der Stellenwert von der Unendlichkeit des Universums, der Unendlichkeit der Erkenntnisprozesse, der Vielfalt, des ständigen Wandels der Formen in einem pluralen Universum in Brunos Philosophie, verdeutlicht der Autor an der doppelten Valenz des Eseltums.
Auch der italienische Autor reiht wie Kirchhoff und Wildgen Bruno in eine Denktradition ein, die Qualität, nicht Quantität als das Wesentliche am Wissen betrachtet und in der die Überzeugung vorherrscht, dass Kosmos und Leben nicht durch rein mathematische Begriffe erklärt werden können .
Ordines Bruno-Buch besticht nicht zuletzt durch Klarheit der Gedankenführung, durch Themenvielfalt und einen atemberaubendenden Parcours, der die Beziehungen zwischen den verschiedenen Wissensgebieten im Werk Brunos raffiniert miteinander verbindet: Philosophie und Literatur, Wissenschaft und Religion, Ethik und Ästhetik.
Seine Studie wird zweifellos die Neugier der Leser wecken, zu denen in erster Linie Philosophen, Literaten und Naturwissenschaftler zählen dürften, und eine Lanze brechen für Brunos außerordentliche philosophische Erfahrungen und Einsichten.
Schlussbetrachtung
Die Sekundärliteratur stieg in den letzten Jahren fast ins Unermeßliche. Brunos eigene literarische Aktivität jedoch dauerte nicht länger als ein Jahrzehnt. Seine Bücher, allesamt von großer expressiver Kraft, sind nicht gerade eine leichte Lektüre. So modern er in seinen wissenschaftlichen und philosophischen Intuitionen war, so altertümlich war seine Schrift. Bruno geht es nicht um glatte Lösungen, sondern um die Tiefe der Probleme. "Philosophie ist mein Beruf!"
Im Kerker verfasste er eine Vielfalt von Verteidigungsschriften, die allesamt noch im Dunkel der Archive auf den Tag des Lichtes warten.
In einer Epoche, in der in einem theologisierten und klerikalisierten Europa freies Denken Kerker und Tod mit sich brachte, erhob er die Stimme gegen Obskurantismus und Dogmatismus und war der erste, der von "philosophischer Freiheit" sprach.
Bruno hat es am eigenen Leibe erfahren: Denken ist anstößig und zwar immer dann, wenn es dem Leitsatz des Horaz folgt: "Sapere aude!" Kant hat ihm die Übersetzung gegeben:"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen - ein Mut, der manchmal heute noch tödliche Folgen haben kann.
Über Giordano Bruno schrieb ich für die Monatszeitschrift "Zeichen der Zeit. Lutherische Monatshefte" eine kurze Würdigung, erschienen in Heft 2/2000. Der Bücherbericht wurde im großen und ganzen für den Philosophischen Literaturanzeiger konzipiert. Einige der vorgestellten Bücher besprach auch für den Besprechungsdienst für Öffentliche Büchereien, Reutlingen.)
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