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Haben Sie einen Lieblingsautor?

Kürzlich wurde mir die Frage gestellt: "Haben Sie einen Lieblingsautor?" Ich war darüber so verblüfft, dass ich die Antwort schuldig blieb. Nach einigem Nachdenken fiel mir ein, natürlich habe ich Lieblingsautoren, für jede Lebensphase einen anderen.

Als ich die Zeit der Nesthäckchen- und Puckibücher hinter mich gelassen hatte, schwärmte ich für Hermann Hesse, insbesondere für "Steppenwolf", "Demian" und "Siddharta". Seine Gedichte "Seltsam im Nebel zu wandern" und "Stufen" konnte ich bald auswendig hersagen. Für sein "Glasperlenspiel" vermochte ich mich allerdings nicht allzu sehr erwärmen. Dieses Werk war mir zu abgehoben, zu sehr durchtränkt von Altersweisheit.

Als das Abitur bevorstand, wurde uns nahegelegt, uns einen Lieblingsautor auszusuchen. Wir würden in der mündlichen Deutschprüfung unweigerlich danach gefragt. Als ich mit einer Mitschülerin auf dem morgendlichen Schulweg darauf zu sprechen kam und ihr verriet, dass ich mir Hermann Hesse auserkoren hätte, antwortete sie, der sei zwar auch ihr Lieblingsautor, aber "für die Nonnen" sei er ihr zu schade. Wie vorausgesagt, wurde ich tatsächlich von der Oberschulrätin, die die Prüfung abnahm, nach meinem Lieblingsautor gefragt und als sie die entsprechende Antwort bekommen hatte, wollte sie wissen, warum. "Weil", so antwortete ich, "Hermann Hesse die Zerrissenheit des modernen Menschen so treffend dargestellt hat." Worauf sie mir entgegnete, sie sei auch ein moderner Mensch, fühle sich aber keineswegs zerrissen. Da hatte ich also mein Fett weg, aber das kümmerte mich herzlich wenig, nachdem ich das Abitur in der Tasche hatte und "der aufgehenden Sonne der Neuzeit entgegen winkte", wie unser Lateinlehrer unser Schulende poetisch umschrieb.

Die Bücher von Stefan Zweig gehörten bald darauf zu meinen stärksten Leseeindrücken, nachdem ich begonnen hatte. mit Hilfe der hiesigen städtischen Bücherei Werke jener Autoren für mich zu entdecken, die im Hitler-Reich verfemt und verboten waren, neben Thomas Mann, Joseph Roth, Oskar Maria Graf, Lion Feuchtwanger vor allem Stefan Zweig. Oft dachte ich bei der Lektüre all dieser Bücher, wie armselig, engstirnig und kleinkariert wäre mein Weltbild ausgefallen, hätte ich mir nur den von den Nazis geduldeten Lesestoff zu Gemüte führen dürfen. Von Stefan Zweig indes war ich so angetan, dass ich ein Buch nach dem anderen von ihm verschlang, und zwar so ausgiebig und lange, bis ich eines Tages dieses Schriftstellers ein wenig überdrüssig zu werden begann. Eines seiner Bücher hat mich indes durch all die Jahre und Jahrzehnte hindurch begleitet, nämlich "Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers". Ich zog den Band immer zu Rate, wenn ich wissen wollte, was in der Lebenszeit von Stefan Zweig dann und dann geschah und wie er die einzelnen Ereignisse und seine Zeitgenossen eingeschätzt hat.

Später wandte ich mich stärker den damaligen Gegenwartsschriftstellern zu: Günter Grass, Martin Walser, Siegfried Lenz und bald darauf auch Walter Kempowski. Ich habe sie eifrig und gern gelesen, ohne dass jedoch einer von ihnen mein ausgesprochener Lieblingsschriftsteller geworden ist. Siegfried Lenz interessierte mich vor allem deshalb, weil er in der masurischen Stadt Lyck aufgewachsen ist, in der auch unsere Familie einige Jahre gewohnt hat und ich eingeschult worden bin. Meine spätere Schulzeit setzte ich dann in Kempowskis Heimatstadt Rostock fort, wo ich die Bombennächte von 1943 miterlebte.

Später stillten russische Schriftsteller meinen Lesehunger, allen voran Dostojewski. Als ich einer etwa achtzigjährigen ehemaligen Deutschlehrerin davon berichtete, wehrte sie ab: "Ach nein, Dostojewski, der ist mir zu schwer und zu düster. In meinem Alter kann ich ihn nicht mehr lesen und nicht mehr verkraften."

Ja und dann weckte plötzlich die Philosophie mein Interesse. Ich begann mit Karl Jaspers "Vom Ursprung und Ziel der Geschichte" und lernte von ihm, dass es auf sogenannte letzte Fragen keine für alle verbindlichen endgültigen Antworten gibt, was mich ungeheuer beruhigte. Als ich bei den Vorsokratikern landete, mit denen bekanntlich das philosophische Fragen des Abendlandes begann, musste ich an einen Vers aus Hesses Gedicht "Die Stufen" denken: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne."

So habe ich mich von Dichter zu Dichter, von Philosophen zu Philosophen gehangelt und habe mich schließlich wieder für Goethe und Schiller erwärmt, nicht zuletzt durch diverse Jahrestage.

Entdeckt habe ich aber auch für mich jetzt erst so richtig Heinrich Heine und Alfred Döblin. Ich war von deren Leben und Werk so angetan, dass ich heute Mitglied sowohl der Heinrich-Heine-Gesellschaft als auch der Alfred Döblin-Gesellschaft bin.


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