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Jiddische Sprache und Literatur in Israel

Das Ringen zwischen dem Hebräischen und dem Jiddischen war in der Geschichte des jüdischen Geistesschaffens und des jüdischen Selbstbewusstseins in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg von erheblicher Bedeutung. Die Theorie, das jüdische Volk sei von jeher zweisprachig gewesen, vermochte die Differenzen zwischen den beiden Gruppen nicht zu verringern. Viel Kraft wurde an sinnlose Zänkereien um den Sprachenstreit und die Frage der jüdischen Kreativität verschwendet. Doch diese Auseinandersetzung förderte bei der jüdischen Intelligenz auch ein reges Schaffen.

Aaron Megged lässt seinen Protagonisten Fojglman sagen: "Hebräisch hat ein ernstes Gesicht, Jiddisch hingegegen ein lachendes. Was auf Hebräisch hart ist, wird auf Jiddisch weich. Schwierigkeiten, die das Hebräische voll Pathos bekämpft, besiegt das Jiddische mit einem Scherz. Und zu den Sabres sagte er: "Ihr, die ihr Hebräisch sprecht, seid hart wie Zypressen, und wir sind weich wie Binsen. Die Zypressen werden von einem harten Sturm zerbrochen, uns biegt er nur. Seien Sie also nicht erstaunt, wenn sie Jiddischsprechende gebeugt gehen sehen. Gebeugt aber sie halten mehr aus."

In einem Brief an Zwi Abel beklagt Fojglman auf fünf Seiten die große Tragödie des Jiddischen, einer tausend Jahre alten Sprache, die ihr Volk verloren habe, "die wie die Geister der Toten durch die Welt irrt, wie der Schatten Peter Schlemihls, der von seinem Besitzer getrennt worden ist." Die Menschen, die sie sprechen, lesen, schreiben, würden immer weniger, sie seien die letzte Generation. "Und es gibt Nächte, in denen ich aus dem schrecklichen Traum erwache, dass ich 'gewald' schreie und niemand meine Sprache versteht."

"Die einzige Hoffnung der jiddischen Sprache nach der großen Vernichtung", so meint er weiter, "war, dass sie in eben jenem Land, in das die Überlebenden des zerstörten Hauses geflohen seien und in dem sie das neue Haus aufbauten, wie Phönix aus der Asche auferstehen könne..." Der Zwist zwischen beiden Sprachen sei zwar zur Ruhe gekommen. "Aber der 'Hausfriede', der nun herrsche, sei kein großer Trost. 'Wir sind die arme Dienstmagd im Haus des Reichen.'" Und doch sei es so, dass Hebräisch der 'Vater' der jüdischen Kultur sei, 'Jiddisch' aber die 'Mutter'".

In Israel gab und gibt es viele Fojglmans, viele im Jiddischen verwurzelte Einwanderer, die es schwer hatten, in Israel heimisch zu werden, wie etwa der 1939 in Bessarabien geborene jiddische Dichter Lev Berinski. Die Ankunft in Israel im Jahr 1991 sei für ihn, sagte Berinski einmal in einem Zeitungsinterview, keine Ankunft gewesen. Er habe den Eindruck, dass Israel weder ihn, den jiddischen Dichter, noch die jiddische Kultur brauche. Wahrscheinlich hätte er in der modernen hebräischen Sprache dichten müssen, um willkommen zu sein.

"Die neue Heimat hat mich nicht aufgenommen mit meinem Kind, dem jiddischen Gedicht", so klagte auch der schon 1924 in das heutige Israel eingewanderte Josef Papiernikow (geboren 1897 in Warschau, gestorben 1985 in Tel Aviv), und obgleich er heute als einer der Gründer der israelischen jiddischen Literatur gilt, fühlte er sich lange Zeit in Israel von allem ausgeschlossen."Wie ein Armer auf dem Fest eines Reichen bin ich in meinem eigenen Land," sagte er einmal, "nach Jahrzehnten bin ich noch immer kein Teil von ihm geworden. Ich bleibe ein Außenseiter mit meinem beschämten Gedicht, meinem jiddischen Lied von Liebe, Preis und Dank."

Aber nicht nur die Dichter, auch die anderen Neueinwanderer haben die Israelis in der Anfangszeit oft recht schroff behandelt. Erwarteten sie doch von den Neuankömmlingen, dass sie sich sofort und umstandslos mit dem Sabre-Stereotyp identifizierten. Selbst die polnische Widerstandskämpferin Rozka Korczak wurde wegen ihrer jiddischen Ausdrucksweise gelegentlich angefeindet, obwohl sie im Ghetto von Wilna gegen die Deutschen gekämpft hatte und in Palästina im Dezember 1944 als Heldin empfangen worden war. Kurz nach ihrer Ankunft erschien sie vor einer Versammlung der Histradut und sprach jiddisch. David Ben Gurion war entsetzt und beschwerte sich darüber, dass die "Genossin Flüchtling" eine Fremdsprache benutzt, eine "fremde, misstönende Sprache" und nicht Hebräisch geredet habe. Dabei hat der in Polen geborene Ben-Gurion wahrscheinlich selbst jiddisch gesprochen. Ignatz Bubis pflegte dagegen ein viel entspannteres Verhältnis zur jiddischen Sprache. Im Jahr 1993 als Polen und Juden gemeinsam des Aufstandes im Warschauer Ghetto gedachten, hielt Bubis seine Rede auf jiddisch. Auch der ehemalige Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, der einstige Bürgermeister von Tel Aviv, der ehemalige Religionsminister Josef Burg und der ehemalige Ministerpräsident Jitzhak Schamir haben sich nicht davon abhalten lassen, gelegentlich jiddisch zu sprechen.

Diese Reaktion ist um so erstaunlicher, da nicht nur die ersten Zionisten in Israel fast durchweg Ostjuden waren, sondern da man im späteren Israel und damaligen Palästina auch das Jiddische als Landessprache in Erwägung gezogen hatte. Dieser Einfall wurde jedoch rasch aufgegeben, mit der Begründung, Jiddisch sei ein reines Exilidiom und orientalischen Juden nicht zuzumuten. Man entschied sich für Hebräisch, genauer für Iwrit, also für eine moderne hebräische Sprache, die der Philologe Ben Jehuda (1858-1922) eigens für den israelischen Alltag und die israelische Literatur entwickelt hatte. Daraufhin sagte man dem Jiddischen den Kampf an. Jiddische Kabarettisten wurden mit dem Aufschrei"rak iwrith"(nur "hebräisch")niedergebrüllt. In Israel entbrannte sogar ein regelrechter Kulturkampf zwischen Hebraisten und Jiddisten. Letzteren wurden nicht selten Papierzuteilung und Druckmöglichkeiten für ihre Texte verweigert. Vergeblich bat Isaac Bashevis Singer Menachem Begin, das Jiddische zu fördern. Begin entgegnete geringschätzig, auf jiddisch könne man nun einmal nicht kommandieren. Vielleicht kam Begins Bemerkung nicht von ungefähr, denn das Jiddische kennt nun mal keine Ausdrücke für Waffen. Singer soll Begins Bemerkung sogar als Lob seiner Muttersprache verstanden haben.

Die Wiedergeburt der hebräischen Sprache ging also einher mit der Ablehnung der Diaspora und der jiddischen Mundart. Die freie jüdische Nation sollte hebräisch sprechen. So wurde "Iwrit" zum Symbol seiner nationalen Wiedergeburt. Der Schriftsteller Nathan Birnbaum (1864-1937) umriss diese Entwicklung mit folgenden Worten: "Als aber die jüdische Intelligenz national wurde, hatte sie für die jüdische Sprache nicht viel übrig. Sie betrachtete sie vielmehr als eine Art Übel, das man leiden muss, dem man sich aber nicht ausliefern darf." Nathan Birnbaum selbst - er war Zeitgenosse von Herzl und prägte den Begriff Zionismus - hat sich stets für die Pflege der ostjüdischen Kultur und den Erhalt der jiddischen Sprache eingesetzt.

Die Ablehnung der jiddischen Sprache übertrug sich vielfach auch auf jene Menschen, die diese Sprache benutzten. Galten doch Ostjuden im allgemeinen als nicht sehr stolz, als sentimental,als entwurzelt, als ewig sich beklagend und mitleiderregend. Für Israel aber wollte man den neuen Menschen, den Sabre, den selbstbewussten, wehrhaften und siegreichen Israeli. Mit der hebräischen Sprache sollte,wie Megged ganz richtig erkannte, an die Erfahrung der biblischen Zeit angeknüpft werden. Mit allem, was danach kam, nämlich den Erfahrungen der Juden in Europa, die das Jiddische mitaufgenommen haben, wollten die neuen Juden in Israel nichts mehr zu tun haben.

Schließlich hat der durch den Eichmann-Prozess ins Bewusstsein gerückte Holocaust die Israelis milder gestimmt gegen die Mameloschen, die Muttersprache des Großteils der Gemordeten. Heute wird Jiddisch an den israelischen Universitäten gelehrt und erforscht, auch werden in Israel die meisten jiddischen Bücher gedruckt, ja es gibt sogar einen jiddischen Radiosender. Etliche Zeitungen und Zeitschriften kommen ebenfalls auf jiddisch heraus. Im März 1996 hat die Knesset sogar ein Gesetz zur Förderung der jiddischen Sprache und Kultur verabschiedet.

Das jiddische Theater in Tel Aviv ist das einzige in der Welt, in dem ausschließlich jüdische Schauspieler Theaterstücke in jiddischer Sprache aufführen. Es trägt seit mehr als zehn Jahren dazu bei, dass allenthalben und mittlerweile auch in Deutschland Bühnenwerke in dieser Sprache zu sehen und zu hören sind. Kishons Familienkomödie "Der Trauschein" wurde für die Bühne eigens in jiddisch umgeschrieben.

Neuerdings besinnen sich wieder viele junge Israelis auf die jiddische Sprache und belegen Jiddisch-Kurse an der Universität. In Israel erscheint die jiddische Tageszeitung "Letzte Neies". Das reisende Theater "Jiddisch" agiert von Tel Aviv aus. "Eine Blutspende für das Jiddische" nennen israelische Jiddisch-Kenner die jüngste Einwanderungswelle von 500.000 jiddisch sprechenden Juden aus der GUS.


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