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Welche Rolle spielt der Humor in Goethes Dichtungen?
Goethe betrachtete die Kunst als ernstes Geschäft und lehnte theoretisch den Humor als unvereinbar mit einem ernstem Verantwortungsgefühl ab. Deswegen wurde auch der große Humor, der sich in seinem literarischen Gesamtwerk oft ausdrückt, leicht übergangen und verkannt. Goethe hat aber nie den Humor als solchen an sich abgelehnt, sondern nur eine bestimmte Humorauffassung.
Die Wirklichkeit, lachend in ihren Widersprüchen zu schildern, diese Form des Humors begegnet uns bei Goethe zu allen Zeiten seines Schaffens. Von den dramatischen Jugendsatiren und Jugendgedichten bis zum "Divan" und den Sprüchen der Alterszeit.
Selbstverständlich darf man von seinen Jugendschöpfungen nicht die gleiche Tiefe humorvoller Lebensweisheit erwarten wie in seinen reifen Altersfrüchten. Mit dem Wandel des Lebensalters, mit der Umbildung von jugendlich stürmerischer Aktivität zu milder Resignation wandelt sich auch die Art des Humors, der bekanntlich reiche und ernste Lebenserfahrungen und intensives Nachdenken über Sinn und Wesen der Dinge und des Lebens voraussetzt. Wie sich Goethes künstlerische Form im Laufe seines langen Lebens umgestaltet, so ändert sich auch die Art seines Humors. Im Alter hat Goethe dem Humor bei seiner eigenen Produktion ein bedeutendes Mitspracherecht eingeräumt. Freilich war es nicht mehr der übermütige, satirische Humor seiner Jugend, vielmehr war es ein geläuterter, reifer entsagender und mit der Welt sich versöhnender Humor oder anders gesagt: In des Dichters Jugend begegnen wir vor allem dem zynischen Humor. Später erkannte sein Humor auch das Ewige an, als er überall das Normative herauszuarbeiten suchte, der Künstler durch die Klassik, der Botaniker durch die Urpflanze, der Mensch durch das Humanitätsideal.
Vier Phasen lassen sich dabei unterscheiden, die den großen Abschnitten seines Lebens entsprechen.
Von der Frankfurter Kinderzeit kennen wir in erster Linie Kinderstreiche, die denen aller Kleinkinder ähneln. So soll er einmal, wie seine Mutter im Bekanntenkreis zum Besten gab, die Tischdecke zerschnitten und aus Stühlen Türme gebaut haben, die ihn und seine Schwester zu erschlagen drohten. Viele Kindergeschichten, die Bettine von Arnim von seiner Mutter erfahren hatte, hat Goethe in "Dichtung und Wahrheit" übernommen, wie etwa das Zerdeppern des Geschirrs auf der Straße, wozu ihn die gegenüber wohnenden Ochsensteins angestiftet hätten.
Er erzählt auch davon, wie er und seine Schwester Cornelia zu Weihnachten 1753 ein echtes Puppentheater bekommen haben, und lässt in diesem Zusammenhang in "Wilhelm Meister" die Mutter sagen: "Kinder müssen Komödien haben und Puppen."
In seiner Studienzeit in Leipzig, dem damaligen "Klein-Paris", das für Goethe eine neue Welt bedeutete, hatte er Freude am Witz, an geistreichen Pointen und den Possen seines Freundes Ernst Wolfgang Behrisch. In "Dichtung und Wahrheit" erzählt er von Späßen und Torheiten mit ihm und einer ganzen Clique. "Unglücklicherweise hatte Behrisch, und wir durch ihn, noch einen gewissen anderen Hang zu einigen Mädchen, welche besser waren als ihr Ruf; wodurch denn aber unser Ruf nicht gefördert werden konnte." Die großen Humoristen lagen zu jener Zeit noch außerhalb von Goethes Gesichtskreises. Humoristisch ist sicher auch die Art und Weise, wie der junge Goethe den angesehenen Gottsched beschreibt und wie er über die Leipziger lacht, weil er wegen seiner närrischen Art, sich zu kleiden, von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt, und wie er sich nach seinem Sturz vom Pferde über sein Aussehen tröstet, es sei alles auf gutem Wege, solange sich sein Mädchen nicht über die Verunzierung des Gesichts beschwere.
Aus den Briefen der Leipziger Zeit erkennen wir, dass der junge Goethe schon zu jener Zeit viele Register humoristischer Äußerungsart zu ziehen verstand. Als Beispiele seien angeführt das Gedicht "Annette an ihren Geliebten" das "Leipziger Liederbuch", Goethes ironische Umkehrung des Pygmalionstoffes in der Romanze "Pygmalion" im Buch "Annette", die Gedichte "Das Schreien" und "Wunsch eines kleinen Mädchen". In dieser Periode findet besonders das einfachste Stilmittel zum Ausdruck des Humors seine Anwendung: die Situationskomik. Von der Selbstironie, wie sie der junge Goethe übte, ist der Sprung bis zur Satire nicht mehr groß.
Ganz anders dagegen war es mit dem Humor in der Straßburger Zeit bestellt. Hier waren zunächst jugendliche Burschikosität und übermütige Streiche mit den Brüdern Stolberg angesagt. Goethes Lust am geistreichen wie drastischen Spott auf Unnatur, Falschheit, Bosheit, Unsinn, auf literarische und moralische Verirrungen und sonstige Verkehrtheiten kommt ganz besonders in der bald einsetzenden Sturm- und Drang-Zeit zum Vorschein in rasch improvisierten dramatischen Possen, Farcen, Schwänken und Fastnachtsspielen in Prosa oder Knittelvers.
In Straßburg selbst lebte er in einem Kreis, in dem die Neigung zum Absurden in voller Blüte stand und in dem man viele Spässe machte. Goethe belustigte sich darüber, wie Mayer die Professoren nachahmte. Auch Lenz steckte sich in die Possenjacke. Derbe Komik prägt Goethes Epistel an Gotter und Merck aus jener Zeit.
Aus Briefen des jungen Goethe an Merck und Herder erkennt man, dass der Humor dem mit sich und der Welt im Kampf liegenden Genie als Mittel dienen musste, um der Spannungen in seinem Gemüte Herr zu werden.
"Ohne Wein und ohne Weiber hol' der Teufel unsre Leiber", dichtete frisch, fröhlich, frei Goethe am 15.6.1775 in sein Reisetagebuch.
Aber in Straßburg lernte Goethe durch Herder auch die Dichtung als Welt- und Völkergabe kennen und mit ihr die Humoristen der Weltliteratur, wie etwa den englischen Satiriker Jonathan Swift, der zu Herders Lieblingsschriftstellern zählte und dessen Humor auch Goethe bewunderte. Den meisten Vertretern des Humors, denen der Dichter in der Straßburger Zeit begegnet war, hat er zeitlebens Treue, Anerkennung und Dankbarkeit bewahrt: Shakespeare, Cervantes, den französischen Vertreter des Humors, Hans Sachs und der nordischen Mythologie. Gerade an Shakespeares Humor hat sich Goethe geradezu berauscht. Die "Anekdote zu den Freuden des jungen Werthers" liefert dafür ein Beispiel.
Nie war Goethe innerlich so empfänglich gewesen, den großen Humor auf sich einwirken zu lassen, wie in jener Zeit. Denn nach der eben überstandenen Krise war nun wieder neue Lebenslust in ihm wach geworden. Seine Freude am Witz wurzelte jetzt nicht mehr in blasierter Resignation und Anpassung an einen konventionellen Gesellschaftston, sondern im Überlegenheitsgefühl des Genies. Daraus entwickelten sich Satire und Pasquill, also Schmäh- und Spottschriften.
Dabei gewann Goethe aus dem Überlegenheitsgefühl des Genies und der Zwiespältigkeit seiner Natur mehr und mehr die Haltung eines echten Humoristen. Die derbe Lust am Dasein und Sosein jedes Vorhandenen habe Goethe, so Friedrich Gundolf, ausgetollt in Farcen. "Alles, was Goethe als Humorist oder als Satiriker schrieb, gehört hierher."
Der gleiche Ton klingt noch in der ersten Weimarer Zeit nach. Auch aus diesem Lebensabschnitt sind zahlreiche Anekdoten von lustigen Streichen und Verkleidungsszenen von Goethe und dem Herzog Carl August bekannt geworden.
Aber dann in den zehn Weimarer Ministerjahren, in denen sich Goethe durch Pflicht zur Entsagung durchringt, beanspruchen die Amtsgeschäfte einen großen Teil seiner Kraft und bestimmen auch sein Verhältnis zum Humor. Aus dem fröhlichen Originalgenie wird ein ernster Mann, der gewissenhaft seine Pflichten als Legationsrat erfüllt und sich an höfische Gemessenheit bindet, dessen innere Widersprüche durch Frau von Stein geglättet werden.
Außerdem haben der hohe Idealismus der klassischen Weltanschauung, der pathetische Vortrag dieser Gedankenwelt, die didaktische Absicht und die Bewusstheit der Kunstformung die Elemente humoristischer Dichtung aus den Tagen des Sturm und Drang zurücktreten lassen. Erst im Alter fand Goethe zu einer heiter-geselligen Haltung.
Wenn der Humor auch nicht als entscheidende Gesamthaltung bei Goethe auftritt, so liegt doch die Tendenz zum Humor und zwar zu einem vielseitigen Humor in seiner Persönlichkeit begründet, die auch in seinen Dichtungen mannigfaltig, wenn auch manchmal nur zwischen den Zeilen, sichtbar wird, zuweilen in Form von Komik, Satire, Spott, Parodie, Ironie und Witz, wie etwa im "Jahrmarktsfest", in der "Judenpredigt" und den "Mitschuldigen". Der Wirt in diesem Stück ist eine humoristische Gestalt, während Söller und Alceste einen zynischen Humor an den Tag legen. Es kommt zu mimischen Scherzen, Zeitanspielungen, Anreden an die Zuschauer, zu doppelsinnigen Gesprächen zwischen Sophie und Alceste. Aber die befreiende humoristische Wirkung bleibt aus. In den Werken vollendeter Klassik, in "Iphigenie", "Tasso", "Hermann und Dorothea" klingt der Humor in bejahenden, aber zarten Tönungen an. Heiter ist in "Iphigenie" in erster Linie Pylades. Die anderen ringen zu sehr um etwas, Orest um seine Gesundung, Thoas um den Besitz der Priesterin, Iphigenie um Humanität, die allerdings mit ihrem menschlichen Verstehen ein günstiger Nährboden für den Humor ist. Im "Tasso" kennen alle außer dem Titelhelden den Humor. In den "Römischen Elegien" herrscht die unbefangene Freude des heiteren Sinnenmenschen vor. Der "Götz" legt dagegen einen derben Humor an den Tag. An humoristischen Klängen fehlt es selbst bei "Werther" nicht, ebenso wenig in einer Reihe von Gedichten wie "Autoren", "Rezensent", "Legende" und in Balladen wie "Die Wandelnde Glocke", "Der getreue Eckart", "Der Totentanz". Diese beschwören zum Teil mit köstlicher Komik und barockem Humor Phantasiegestalten herauf. Hierzu gehören auch "Der Zauberlehrling" und "Das Hochzeitslied". Im ersteren wird der Gegensatz zwischen Meister und Lehrling ironisiert, während der Schlussvers des Hochzeitsliedes das Gedicht in den großen Zusammenhang der ewigen Wiederholung des Schicksalsablaufs jedes einzelnen rückt. Der Graf selber nimmt sein Unglück mit Humor. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an "Ritter Kurts Brautfahrt". Gerade die Balladen von 1813 bedeuten eine Flucht aus der tragischen Wirklichkeit in den Humor.
Selbst in seiner Rezension der "Alemannischen Gedichte" von Johann Peter Hebel waltet zeitweise ein ganz feiner Humor. Goethe gefiel es, wie Hebel die Leser mit Heiterkeit durchs Leben führt und eine neckische Sprachweise meistert. Im Grunde hat der Dichter den Humor, wo er sich in der Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" äußert, nirgends abgelehnt.
Besonders die Reisebriefe Goethes schlagen einen humoristischen Ton an. In der "Italienischen Reise" schreibt Goethe von einem Mann, der mehrere "Polizeimissbräuche" "bescherzte", "mir zu tröstlichem Beweis, dass der Mensch noch immer Humor genug hat, sich über das Unabwendbare lustig zu machen."
In einigen Gedichten und Liedern wie "Frühlingsorakel", klingt nicht so sehr Humor, sondern eher fröhliche Heiterkeit durch. "Reineke Fuchs" wiederum ist, bei aller Lust am behaglichen Fabulieren, kein eigentlich humoristisches Werk. Bei den gemeinsam mit Friedrich Schiller verfassten "Xenien" erhebt sich die literarische Parodie nur selten zu unbefangener Fröhlichkeit wie in dem Gedicht "Musen und Grazien in der Mark", das sich gegen den Musenkalender des Pfarrers Schmidt von Werneuchen richtet und sich mit fröhlichem Lächeln über den satirischen Anlass erhebt. Auch die überlieferten Anekdoten bezeugen die sich verändernde Haltung des Dichters: Das beißende Witzwort überwiegt, die unbefangene Fröhlichkeit tritt zurück. Vor allem im "Faust" lässt sich der Wandel erkennen. Davon gleich mehr.
Anfang Januar 1774 geht die Satire "Prolog zu den neuesten Offenbarungen Gottes", die eine Übersetzung des Neuen Testaments durch den Gießener Theologen K.F.Bahrdt verspottet in Druck. Hier wendet sich Goethe gegen die verwässernde, im Zeitgeschmack modernisierte Sprache und den platten Rationalismus von Bahrdts Bearbeitung des Neuen Testaments. Die vier Evangelisten besuchen in ihrer archaischen Gestalt mit ihrem Symboltieren ihren ehrfurchtslosen Verächter in seinem Studierzimmer, ergreifen jedoch die Flucht vor seinem Versuch, ihnen eine kraftlose Sprache, stutzerhafte Kleidung und Lebensart aufzuzwingen.
Im März desselben Jahres folgt die Satire "Götter, Helden und Wieland." Einige Monate darauf rühmt Wieland in einer souverän entwaffnenden Reaktion diese Farce als "Meisterstück von Persiflage und sophistischem Witze". Wielands gelassene Reaktion und Goethes Versöhnungsbrief ebneten den Weg zur langjährigen Freundschaft der beiden Dichter.
1781 wird die Literatursatire "Das Neueste aus Plundersweilern" bei Anna Amalia aufgeführt. Im April 1785 sendet Goethe den Text für ein Singspiel mit dem Titel "Scherz, List und Rache" an seinen Freund P.Ch. Kayser zur Komposition. Doch fiel diese enttäuschend aus. Im April 1793 entsteht das Lustspiel "Der Bürgergeneral" und wird einen Monat später aufgeführt.
In den "Xenien" (Gastgeschenke) bedienten sich die beiden Dichter Goethe und Schiller, der treffsicheren Mittel unbekümmert frecher Satire, Parodie, Karikatur, Ironie und Witz. "Ein willkommenes Korrektiv zum herkömmlichen Bild der Klassik merkt Gero von Wilpert an. Der satirische Angriff der beiden Dichter galt der herrschenden kulturellen und literarischen Mittelmäßigkeit. "Wir haben", sagte Goethe zu Eckermann am 16.Dezember 1828, "viele Distichen gemeinschaftlich gemacht, oft hatte ich den Gedanken und Schiller machte die Verse, oft war das Umgekehrte der Fall, und oft machte Schiller den einen Vers und ich den anderen."
Beide glaubten, heißt es in den Anmerkungen der Hamburger Ausgabe von Goethes Werken, zwischen ihren großen Arbeiten einmal auch Satire bringen zu dürfen. Zu ihrer beider Natur gehörte auch Witz, gelegentliche Schärfe und ein Schuss Kampfesfreude in geistigen Dingen.
Resolut rechnet Goethe in einigen seiner späteren Gedichten ab mit Muckertum und Philistertum, zum Beispiel in "Stiftungslied", "Tischlied" und "Kriegsglück". Mit wahrem Galgenhumor ruft er in "Vanitas! Vanitatum vanitas" in die trübe Zeit und noch trübere Zukunft hinein : "Ich hab' mein Sach auf Nichts gestellt. Juchhe!" Erstaunlich tief und vielseitig ist der Humor im "Westöstlichen Divan". Goethes Humor kann aber auch bitter werden wie in "Wanderers Gemütsruhe". Im "Ewigen Juden" behandelt er Christus und im Buch Suleika die höchsten Offenbarungen mit Humor. Fröhlich und übermütig wirken wiederum Gedichte wie "Die Lustigen von Weimar" und "An Fanny Caspers".
In "Wilhelm Meisters theatralischer Sendung" ist der Held humorlos, ein unpraktischer Idealist, der das Leben nicht zu meistern vermag. Nur ein einziges Mal und zwar im 4.Kapitel des zweiten Buches ironisiert er selber seine frühere dramatische Produktion. Goethe als Autor wiederum verfolgt, mit Ironie und leisem Humor, Wilhelms von falschen Voraussetzungen ausgehendes Trachten und seine Irrwege, ähnlich wie Mephisto die von Faust. In beiden Werken, "Wilhelm Meisters Lehrjahre" und "Faust", gehen Ernst und Heiterkeit, Tragik und Humor bis zum Ablauf der Geschehnisse nebeneinander her.
In "Wilhelm Meister" (1.Buch 6.Kapitel) lesen wir: "Wenn er vom besten Humor ist, mag er gern die Schrecknisse eines Familientisches lebhaft schildern, wo jedes Glied mit fremden Gedanken beschäftigt sich niedersetzt, ungern zuhört.."
Mephisto, Spötter und Verführer, vertritt den zynischen Humor und belächelt das Streben und die seelischen Qualen des liebenden und nach Unendlichkeit strebenden Faust. In "Auerbachs Keller" überwiegt die Freude am Sinnlich-Kräftigen der zechenden Studenten. Derb und burschikos äußert sich hier Goethes Humor. Von ganz anderer Art ist der Humor, mit dem Goethe Frau Marthe Schwerdtlein bedenkt. Da äußert sich die überlegene Freude des Dichters an den beschränkten bürgerlichen Zuständen. Nur Gretchen kennt den Humor nicht, um so wirkungsvoller ist der Kontrast zwischen ihr und Frau Marthe.
Die Szenen, in denen sich der Dichter mit dem Universitätsleben befasst, gehört in die Gruppe von Goethes satirisch-humoristischer Dichtung, ebenso seine Bemerkungen über den Dünkel der Aufklärung, über kalte Redekunst, die Kirche, die allein unrechtes Gut verdaut, die Darstellung Wagners, dem Typ des kleinen pedantischen Gelehrten. Der Dichter teilt Hiebe aus gegen Leidenschaften und Vorurteile, wobei auch das Heilige und Kirchliche nicht verschont werden. Viele werden mit feinem bis satirischem Humor belächelt, neben den Studenten die Handwerksburschen und Dienstmädchen, im zweiten Teil der Dichtung die Hofgesellschaft und die hohen Beamten. Über sie alle macht sich der Dichter lustig und lässt den Narr hier als den Gescheitesten auftreten. Im Prolog bekundet Gott von oben herab Freude am Schalk. Er hat sich zwar das Lachen abgewöhnt, ist aber nicht ohne Humor. Sein Gegenspieler Mephisto äußert sich über ihn und die Schöpfung humoristisch. Den lobpreisenden Erzengeln ist indes der Humor völlig fremd ebenso der Hauptperson. Diese ist der ernste Strebende und Sucher.
"Welch großartiger Gedanke", meint Borcherdt, "auch der Gottheit ein gütiges Lächeln und mildes Verstehen für das Wesen des Schalks anzudichten! Hier bahnt sich schon die heitere Erhabenheit des Geistes an, die für Goethes letzte Lebens- und Schaffensperiode charakteristisch ist."
Humor erfüllt auch die letzte Erdenszene im Faust, das burleske Nachspiel, für das der Titel "Der geprellte Teufel" wohl voll und ganz zutrifft. Im "Faust" begegnet uns der Humor mithin in allen Klangfarben und hält sich mit dem Ernst die Waage. Davon hat man früher freilich im Schulunterricht, sofern überhaupt Goethe und Faust noch vorkamen, nie gehört. Wohl kaum ein Lehrer dürfte darauf hingewiesen haben, dass der "Faust" voller komödiantischer Einfälle steckt. Darauf musste man schon selbst kommen.
In seinem letzten Lebensabschnitt entwickelte der Dichter eine heiter-gesellige Haltung, die eine Brücke zu den Menschen schlägt. So ist es wohl kein Wunder, dass viele gesellige Lieder - die meisten dichtete Goethe nach 1810 - dieser letzten Lebensperiode ihre Entstehung verdanken.
Auch etliche Anekdoten und Gespräche bezeugen die Freude an der Geselligkeit. Fröhliche Weinlaune herrscht in den Gedichten, in denen der Wein "Eilfer" gepriesen wird, sowie in den verschiedenen Erzählungen von seinen Geburtstagsfeiern. Da konnte Goethe sich dann ganz leicht und beschwingt geben. Das heitere Erlebnis mit Lili Parthey steht neben dem schmerzlichen mit Ulrike von Levetzow. Goethe parodierte auch die Gelehrsamkeit seines philologischen Freundes Friedrich August Wolf. An Stelle dröhnender Negation erfolgt jetzt ein leises sokratisches Lächeln, das sich selbst zwar verspottet, das sich aber des Eigenwertes der Persönlichkeit bewusst bleibt. Diese Haltung trennt die frühen humoristischen Gedichte von denen des "Divan" wie auch die Schülerszene des 1.Teils von der Baccalaureusszene des 2.Teils des Faust. Aus dem Überlegenheitsgefühl heraus werden jetzt die satirischen Gedichte zu fröhlich humoristischen Geschichten. Aber auch an der Groteske fand Goethe großen Gefallen.
Im 7.Buch von "Wahrheit und Dichtung" gibt sich Goethe Rechenschaft über seine Veranlagung zum Humoristen. Sie sei ganz entschieden in seiner Natur gelegen, bekennt er. Kurz lässt er sich hier auch über Satire und Kritik aus und nennt sie "Erbfeinde alles behaglichen Lebens und aller heiteren selbstgenügsamen, lebendigen Dichtkunst. Der Bürger werde "durch den Satiriker, der Autor durch den Kritiker gestört, und so die friedliche Gesellschaft in eine unangenehme Bewegung gesetzt."
Weiter gesteht er, dass seine ersten Stücke stets "mit einem tragischen Ende drohten", so dass er eins nach dem anderen fallen ließ bis auf die "Mitschuldigen". Diese seien das einzig fertig geworden Stück gewesen, dessen heiteres und burleskes Wesen auf düsterem Familienhintergrund auf dem deutschen Theater keinen Eingang finden konnte. "Über dem Ernst, der meine ersten Stücke verdüsterte, beging ich den Fehler, sehr günstige Motive zu versäumen."
Den Anteil des Humors an seinem dichterischen Lebenswerk beschreibt Goethe wie folgt: "Hätte ich aber solche Stoffe, die mir so nahe zur Hand lagen, ergriffen und ausgebildet, so wären meine ersten Arbeiten heiterer und brauchbarer gewesen." Und so spricht er, nachdem ihm offensichtlich der positive Wert des Humors bewusst geworden war, humoristischen Kühnheiten, mit Geist und Sinn auf das Theater gebracht, größte Wirkung zu und misst ihnen den größten Wert bei.
"Der liebe Gott hat die Nüsse geschickt, aber er hat sie nicht geknackt", hat Goethe einst in das Tagebuch eines Studenten geschrieben. Solches Nüsseknacken hat er selbst immer wieder versucht - in ersten und in heiteren Stunden.
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