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Die Geschichte einzelner jüdischer Gemeinden

Später erfolgten großangelegte Rückführungsaktionen. Juden durften sich wieder in den kurmainzischen Städten ansiedeln, 1353 in Speyer und Worms und 1356 in Mainz. Auch in Andernach ließen sich erneut Juden nieder. Die Kleinstadt am Rhein ging gewissermaßen ein Zweckbündnis mit den vorwiegend aus dem Kölner Raum zugewanderten Juden ein. Jene lebten vom Kredithandel, den sie vor allem in den großen Städten abwickelten. Die Stadt Andernach wiederum benötigte finanzielle Unterstützung im Kampf um ihre Eigenständigkeit und den damit verbundenen kostspieligen Auseinandersetzungen mit den Kölner Landesherren. Die Andernacher wurden jedoch nicht nur von den eigenen Juden, sondern auch von den Koblenzer Juden unterstützt, die zu regelrechten Bankiers der Stadt Andernach aufstiegen. Der wohl bedeutendste Koblenzer Kreditgeber des 14. Jahrhunderts war bemerkenswerterweise eine Frau, namens Reynette. Als Geschäftsfrau führte sie ein eigenes Siegel und war so bekannt, dass sich ihr zweiter Mann lediglich als "Reynettes Ehemann" bezeichnete.

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Trier - ihre Blütezeit fiel in das 13. und 14.Jahrhundert - war eng verknüpft mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Koblenz, der zweiten Residenzstadt des Kurstaates Trier, die sich aufgrund ihrer guten Verkehrslage zu einem mittelalterlichen Handelszentrum entwickelt hatte. In Trier lebten etwa dreihundert Juden im Ghetto. Sie waren Geldverleiher, Händler, Apotheker und Ärzte. Während die Trierer Juden im entlegeneren Moseltal noch in relativer Ruhe lebten, zwangen Pogrome und Vertreibungen Ende des 14. und Anfang des 15.Jahrhunderts die Koblenzer Juden, in die umliegenden Ortschaften zu ziehen. Ihre rigide Ausweisung hat freilich den Erzbischof bald gereut. Denn die Vertriebenen hinterließen große Lücken im Wirtschaftsgefüge. Da die hohen Steuern, die der Erzbischof den Juden auferlegt hatte, nun wegfielen, fehlten wichtige Einnahmen. Aber auch die Juden in Trier, Speyer, Mainz und anderen Städten in der heutigen Rheinpfalz entgingen auf die Dauer den Ausweisungen nicht. Erst zu Beginn zu 17.Jahrhunderts durften ihre Nachfahren in die alten Heimatorte endgültig zurückkehren.

In Worms wiederum hat die im 15. und 16.Jahrhundert verhältnismäßig starke Judengemeinde die Verfolgungswellen in diesen Jahrhunderten ziemlich unbeschadet überstanden, auch den Aufstand, den Bauern aus dem Umland von Worms und von Niederadligen, die bei Wormser Juden verschuldet waren, 1431 gegen sie angezettelt hatten. 1524 gab die Stadt Worms der dort ansässigen Judenschaft erstmals ein aus 20 Artikeln bestehendes sogenanntes Gedinge, das 1541 mit unwesentlichen Änderungen bestätigt wurde. 1548 erhielten die Wormser Juden eine endgültige umfassende Judenordnung. Anfang des 17.Jahrhunderts entstanden in der Reichsstadt Worms Bürgerunruhen aus einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der patrizischen Stadtregierung heraus. Die Empörung wurde auf die Judengemeinde projiziert, der man unrechtmäßige Zusammenarbeit mit dem Patriziat vorwarf. Da der Rat in kaiserlichem Auftrag zum Schutz der Juden verpflichtet war, schien er in den Augen der Zünfte deren unrechtes Tun zu unterstützen. Man beschwerte sich beim Rat über erhöhte Zinssätze der Juden, ohne Gehör zu finden. Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz(1610-32), der spätere "Winterkönig" in Böhmen, versuchte erfolglos als Schiedsrichter zwischen den Parteien zu vermitteln. Am Ostersonntag 1615 führte der seit 1613 schwelende Konflikt zu Gewalttätigkeiten und Plünderungsaktionen gegenüber Juden. Sie wurden über den Rhein vertrieben. Die Judengasse wurde teilweise zerstört, die Synagoge erheblich beschädigt und der Friedhof geschändet. Doch die Vertreibung der Juden rief nun auch den Kaiser als obersten Schutzherrn auf den Plan. Er gebot der Bürgerschaft, den Juden die Stadttore wieder zu öffnen, sie wieder in ihre Nutzungsanteile an der städtischen Allmende zuzulassen, den gegen sie begonnen Strafprozess niederzuschlagen und die abgenommenen Pfandstücke zurückzuerstatten. Nach langem Tauziehen kam ein Vergleich zwischen dem Rat und der Judenschaft zustande. Einige Jahren später durften die Juden in die Stadt zurückkehren und ihre Synagoge erneuern. Fast tausend Jahre lang waren die Wormser Juden, aber nicht nur sie, der wirtschaftlichen Habgier und religiösen Intoleranz ihrer christlichen "Beschützer" oder dem Neid und Judenhass der Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Viermal wurden sie förmlich aus der Stadt gejagt.

Besser erging es den Juden in der im 17.Jahrhundert entstandenen Residenzstadt Neuwied. Denn hier hatte der reformfreudige Graf die Anssiedlungswilligen 1661 in die Stadt gelockt nach dem Motto: "Sie seyen, weß Standts oder Religion Sie wollen." Ein außergewöhnliches Postulat in einer Zeit, in der in anderen rheinischen Territorien die Juden diskriminierenden Rechtsordnungen unterworfen waren. Freilich wurden auch hier jüdische Handwerker, wie überall, nicht in die Innungen oder Zünfte aufgenommen.

In Mainz bemühte man sich Ende des 18.Jahrhunderts um die Eingliederung der Juden in den Untertanenverband. Mit dem Regierungsantritt des 1774 gewählten Mainzer Kurfürsten Friedrich Karl Joseph von Erthal(1774-1802) kam die Aufklärung zum Durchbruch. Erthal führte verschiedene Reformen zugunsten der Juden durch und veranlasste die Aufhebung von Bildungsschranken (offensichtlich war ihm hierin Österreich ein Vorbild). 1784 erteilte er den Juden seines Kurstaates die Erlaubnis zum Erwerb und zur Bebauung landwirtschaftlicher Nutzflächen und gewährte ihnen die rechtliche Gleichstellung. Erthals Beschäftigungsprojekt scheiterte jedoch. Sowohl die Ressentiments der christlichen Bevölkerung als auch das Beharrungsvermögen der Juden auf ihren Traditionen standen einer über die formale rechtliche Gleichstellung hinausgehenden Emanzipation entgegen. Die Eroberung weiter Teile Deutschlands durch die Franzosen seit 1794 beendete schließlich die Herrschaft der Kurfürsten im Rheinland und bescherte den dort lebenden Juden 1792/93, die vollen Bürgerrechte.


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