zurück vor auf Inhaltsverzeichnis


Aufstieg und Niedergang im 20.Jahrhundert

Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebten die jüdischen Gemeinden im heutigen Sachsen-Anhalt in relativ gesicherten, wenn auch bescheidenen Verhältnissen. Der beginnende Eintritt ins deutsche Kulturleben war auch in Sachsen-Anhalt mit einem teilweisen Verlust traditioneller Werte verbunden. Aber selbst in dieser Zeit kam es immer wieder zu judenfeindlichen Übergriffen, vor allem nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms

II. im Jahre 1890. In Halle existierte ein "Deutschsozialer antisemitischer Verein für Halle und Saalkreis",der sich lautstark und aggressiv bemerkbar machte. Um den Unsinn wirksam zu bekämpfen, den dieser Verein verbreitete, entstand in Halle ein "Verein zur Abwehr des Antisemitismus". Ein besonders schlimmer Antisemit kam aus Halberstadt: der kaiserliche Hofprediger Adolf Stoecker, der in Berlin eine antisemitische Vereinigung ins Leben rief. Dabei hätte er allen Grund gehabt, dankbar zu sein, meint der Autor W. Hartmann, "denn Joseph Hirsch hatte für seine Ausbildung

(1847-1854) im Domgymnasium gesorgt." Als um 1890 einer von Stoeckers

Propagandisten, Professor Bernhard Förster, in Halberstadt öffentlich auftrat, kam es zu einem Eklat. Halberstädter Arbeiter trugen den Redner einfach aus dem Saal und beendeten so kurzerhand seine provokatorische Rede. Leider trat die hier offen geübte Solidarität mit den diffamierten Juden nur sporadisch und sehr selten auf.

Denn selbst in der Zeit der Weimarer Republik blieb der Antisemitismus im heutigen Sachsen-Anhalt weiterhin virulent. Der Theaterintendant Leopold Sachse, der das Stadttheater in Halle seit 1915 leitete und weithin beachtete Inszenierungen herausbrachte, wurde wegen seiner jüdischen Herkunft immer wieder verunglimpft, so dass er schließlich Anfang der zwanziger Jahre an die Hamburger Staatsoper ging.

Antijüdische Boykottbewegungen waren in Halle schon vor der nationalsozialistischen Machtübernahme zu beobachten. In Magdeburg entwickelte sich in den zwanziger Jahren ein Justizskandal um den Juden Rudolf Haas, der des Mordes beschuldigt wurde. Haas wurde zwar freigesprochen. Gleichwohl hat dieser Vorfall viele Juden sehr beunruhigt. Nach dem Machtantritt Hitlers nahm auch in der sächsisch-anhaltinischen Region die antisemitische Hetze weiter zu. In Dessau schleiften die dortigen Nazis das Mendelssohn-Denkmal und tilgten am Wilhelm-Standbild die rückseitige, goldene

Inschrift, die auf den jüdischen Stifter hinwies. Im November 1938 wurde in Dessau das jüdische Gotteshaus, das mit dem Geld der Familie Cohn 1908 erbaut worden war, zerstört, ebenso die Synagogen in Halle und in vielen anderen Orten dieser Region. Zudem wurde in Dessau die einst repräsentative Friedhofshalle, gekrönt mit einem Davidstern, ein Raub der Flammen. Ganz ungeniert druckte am 9.November 1938 die

Zeitung "Der Mitteldeutsche": "Wir leuchten in Judennester. In Dessau leben noch 204 Juden. Hier sind ihre Namen... Haltet die Augen offen. Nun ist es genug... Unsere Geduld ist hier zu Ende! Wir werden ihnen die Quittung geben."

In Halle konnten knapp 600 jüdische Bürger bis 1939 auswandern, die meisten nach Shanghai. Viele begingen Selbstmord, die übrigen wurde in Konzentrationslager verschleppt. Am Tag des Einmarsches der Alliierten in Halle gab es noch 49 Juden

in der Stadt, die allein wegen ihrer nichtjüdischen Ehepartner überlebt hatten. Von den 2.300 Juden, die vor der Machtübernahme in Magdeburg wohnten, überstanden nur 119 die Deportationen und Vernichtungslager. Ähnlich traurig verliefen die Schicksale vieler Juden in den übrigen sächsisch-anhaltinischen Städten.


zurück vor auf uhomann@UrsulaHomann.de Impressum Inhaltsverzeichnis