zurück vor auf Inhaltsverzeichnis


Was will Nietzsche?
Auf Erden muss der Mensch sein Glück suchen.

"Dass Gott Mensch geworden ist, weist darauf hin, dass der Mensch nicht im Unendlichen seine Seligkeit suchen soll, sondern auf der Erde seinen Himmel gründe", schreibt Nietzsche und entscheidet sich im Verlauf seines Denkweges eindeutig zugunsten der Welt und gegen Gott. Wie Faust sich vornimmt, in dem Nichts, zu dem ihn Mephistos überredet, "das Sein" zu suchen, so gewinnt Nietzsche im Sog des Nihilismus durch den ihm schon von früher her bekannten Gedanken einer blind vertrauenden Schicksalsbejahung neuen Stand und Halt.

Ihm kommt es auf die Heiligung des Diesseits an, und so nahm er alles, auch den Glauben an die Vernunft und ihre Wahrheit, unter der Perspektive des Lebens wahr. Die Wahrheit wiederum definierte er als grenzenlosen Prozess, als ein unaufhörliches Interpretationsgeschehen und das Erkennen als perspektivisches Sehen, das wesentlich durch unsere Affekte und unsere Stimmungen bestimmt wird.

Für Friedrich Nietzsche war die sogenannte "wahre" Welt, die angeblich entweder nur der Vernunft oder nur dem Glauben zugänglich ist, nichts anderes als eine Projektion des Menschen. Der Mensch ist, laut Nietzsche, auf Interpretationen angewiesen, um sich zu behaupten und um sich mit ihnen eine Welt zu schaffen, in der er leben und seine Identität finden kann. Doch frei sind wir erst dann, wenn wir uns selbst an die Stelle aller anderen Ursachen setzen, wenn wir uns selbst für unsere Setzungen verantwortlich fühlen, wenn wir Schuld auf uns nehmen, "ohne sie erklärend von uns abzuschieben" oder etwa anderem zuzuschreiben. "Wir sind dann für uns selbst das Unerklärte schlechthin". Gefordert ist damit das Aushalten dieser Verantwortung und das Verzichten auf "wahre" Erklärungen. Genau darin liegt für Nietzsche die positive Deutung des Nihilismus.

Aushalten der Fragwürdigkeit der Welt und die für Nietzsche feststehende Tatsache, dass es hinter dieser Welt nichts gibt.

Die Grundzüge des neuen Evangeliums verheißen Reichtum von dieser Welt ohne Transzendenz. Da Gott tot ist, kann der Mensch nur eine Erhöhung seiner selbst anstreben. Der Mensch

wird von Nietzsche auf sich allein gestellt, er muss weitergehen ohne Gottheit. Nietzsches Ideal ist nicht der grübelnde, um Erkenntnis ringende einsame, kontaktschwache und empfindliche Gelehrte, der er selber um Grunde war, sondern die starke Natur, die vital und beherrscht ist. Nietzsches Konzeption ist widersprüchlich: einerseits soll der Mensch überwunden werden und zum Übermenschen sich steigern, andererseits herrscht die Gewissheit vor, dass alles Geschehen determiniert ist, dass alles aus schicksalhaftem Zwang sich stets wiederholen müsse. Nietzsche hilft sich mit einem dialektischen Gedanken: in der Wiederkehr liegt die Möglichkeit der Steigerung und Vollendung des Lebens.

Zu den grundlegenden Erfahrungen in Nietzsches Leben gehört die Erfahrung des Tragischen und des Todes. Aber er flüchtet nicht in Weltverneinung, wie sie Schopenhauer in "Die Welt..als Wille und Vorstellung" angesichts des Grauenvollen des Leben predigt, sondern seine Lösung heißt: Weltbejahung noch im Angesicht des Untergangs, gewonnen am Phänomen der griechischen Tragödie und an der griechischen Kunst. Nietzsche bezieht also eine entscheidende Gegenposition zu Schopenhauers Pessimismus und Mitleidsethik, aber auch zu jener Moral, wie sie in den zehn Geboten bis zur Bergpredigt, in der sokratischen Gleichung zwischen Tugend und Wissen bis hin zu Kants kategorischem Imperativ zum Ausdruck kommt, da alle diese Gebote und Imperative für ihn im Widerspruch zum Leben stehen.

Das Christentum dient einer Kultur des Todes, gegen die Nietzsches Umwertungsarbeit ihre eigene "Gegenwerthung des Lebens" stellt: eine rein artistische, eine antichristliche. Er nennt sie die dionysische. Der Weg zur Wiederherstellung des Christentums stand Nietzsche nicht offen. Seine Wege sind: Verneinung aller Moral und aller Wahrheit, die sich aus dem Christentum herleiten.

Am Ende steht der hinausgeschleuderte Satz: Nichts ist wahr, alles ist erlaubt." Seine zweite Antwort ist der Entwurf der neuen Weltanschauung. Das Positive der philosophischen Gegenbewegung ist beschlossen in den Worten: Leben, Stärke, Wille zur Macht, Übermensch, Werden, ewige Wiederkehr, Dionysos.


zurück vor auf uhomann@UrsulaHomann.de Impressum Inhaltsverzeichnis