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Otto Weininger - Judenhasser oder ein Heiliger des Judentums?

Einleitung

Was veranlasste den jungen jüdischen Philosophen Otto Weininger, dem schon früh Ruhm und Karriere sicher waren, am 4.10.1903 mit nur 23 Jahren, ausgerechnet im Sterbezimmer Beethovens, aus dem Leben zu scheiden? Spektakulär und skandalös wie sein Ende ist auch sein Buch "Geschlecht und Charakter", mit dem Weininger kurz zuvor seine Zeitgenossen in helle Aufregung versetzt hatte und von dem heute noch Wissenschaftler zehren, insbesondere Kulturphilosophen, Psychoanalytiker und andere Geisteswissenschaftler. Wahrscheinlich hat keine Veröffentlichung im Wien des Fin de siècle so heftige Kontroversen ausgelöst wie jenes schrille Dokument von Frauenhass und Judenhass. Es wurde zum Synonym für jüdischen Antisemitismus und jüdischen Selbsthass.

Wer aber war der lebensmüde junge Mann, und was hat es mit seiner umfangreichen "prinzipiellen Untersuchung" (so der Untertitel) über "Geschlecht und Charakter" auf sich, mit dem er, wie es im Vorwort heißt, "das Verhältnis der Geschlechter in ein neues entscheidendes Licht" rücken wollte und dem noch ein schmales Nachlassbändchen folgte?

Geboren wurde Otto Weininger am 3.4.1880 in Wien als Sohn eines Goldschmieds. Er galt als früh vollendetes Genie. Beherrschte er doch nicht nur viele Fremdsprachen - darunter Norwegisch, um Ibsen im Original studieren zu können - sondern verfügte ebenfalls über eine umfassende, wenn auch eklektizistische und von Vorurteilen geprägte geistes- und naturwissenschaftliche Bildung. Aufgewachsen ist er im Wien Gustav Mahlers und der Neuromantiker, der Empiriokritizisten Richard Avenarius und Ernst Mach, die ihn begeisterten und wohl auch veranlassten, an der Universität Physik und Physiologie zu studieren. Zweifellos sind die Thesen seines Buches über M und W, männliche und weibliche Biofaktoren, aus solchen Studien erwachsen. Später trat Immanuel Kant, der oberste Bürger für Ordnung und Gesetz, immer mehr an die Stelle von Avenarius und Mach. Friedrich Georg Jünger behauptete sogar, dass Weininger erst durch die Schriften Kants wach geworden sei und dass diese sein eigenes Denken in Bewegung gesetzt hätten. Nebenbei entwickelte sich der junge Weininger zum Wagnerianer und wollte daher mit Nietzsche nichts zu tun haben. Im Jahr 1902 promovierte er mit Auszeichnung in Philosophie und konvertierte am 21.Juli 1902, dem Tage seiner Promotion, zum Protestantismus. Damit brach er sowohl mit der eigenen Herkunft als auch mit seiner katholischen Heimatstadt. Denn dort war der Erwerb des protestantischen Religionsbekenntnisses keineswegs mit einem Statusgewinn verbunden, sondern eher mit der Gefahr, als Außenseiter zu gelten. Indem Weininger, so Jacques Le Rider, den Protestantismus wählt, "entscheidet er sich für die 'geistige Nation' Kants. Er verleugnet also nicht nur seine jüdische Herkunft, sondern auch seine Zugehörigkeit zur Wiener Kultur."

Im August desselben Jahres reiste Weininger nach Bayreuth, um den "Parsifal" zu hören, den er über alles schätzte und liebte, weil hier das Weibliche auf Schuld und Magdtum der Kundry reduziert wird.

Allerdings scheint es Weininger, den Judenhasser, nicht gestört zu haben, dass Richard Wagner die Uraufführung des "Parsifal" dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi anvertraut hatte. Anschließend fuhr Weininger nach Christiania, in die Stadt Henrik Ibsens. Nach Erscheinen seines großen Buches im Mai 1903 unternahm er eine weitere große Reise - diesmal nach Italien. Ende September 1904 kehrte er nach Wien zurück und erschoss sich am 4.Oktober.

Seinen Sarg begleiteten namhafte Persönlichkeiten wie Stefan Zweig, Karl Kraus und der damals vierzehnjährige Ludwig Wittgenstein. August Strindberg schickte aus Stockholm einen Kranz und verfasste einen Nekrolog, den Karl Kraus später in der "Fackel" abdruckte und in dem es heißt: "Unabhängig von Ansichten ist wohl das Faktum, dass das Weib ein rudimentärer Mann ist.. es war dieses bekannte Geheimnis, das Otto Weininger auszusprechen wagte; es war diese Entdeckung des Wesens und der Natur des Weibes, die er in seinem männlichen Buche mitteilte, und die ihn das Leben kostete."


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