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Was aber bleibt - das ist die Sprache: "Mutterland Wort"

Porträt von Rose Ausländer

"Warum ich schreibe?" fragt die deutsch-jüdische Dichterin Rose Ausländer in einem ihrer autobiographischen Aufzeichnungen und gibt zur Antwort: "Vielleicht weil ich in Czernowitz zur Welt kam, weil die Welt in Czernowitz zu mir kam. Jene besondere Landschaft, die besonderen Menschen, Märchen und Mythen lagen in der Luft, man atmete sie ein. Das viersprachige Czernowitz war eine musische Stadt, die viele Künstler, Dichter, Kunst-, Literatur- und Philosophieliebhaber beherbergte." Rose Ausländer hat Recht. Czernowitz, die Hauptstadt der Bukowina, in der sie als Tochter Rosalie der deutschsprachigen jüdischen Familie Scherzer vor hundert Jahren am 11.Mai 1901 das Licht der Welt erblickte , war in der Tat eine den Wissenschaften und schönen Künsten zugetane Stadt, als sie noch zu Habsburg gehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus dem ungarisch-österreichischen Czernowitz das rumänische Cernauti, einige Jahrzehnte später kam die Stadt zur Ukraine. Aus ihr stammten deutsche und jüdische Dichter, Schriftsteller und Wissenschaftler, zum Beispiel der jiddische Lyriker Itzig Manger, der Dichter Alfred Margul-Sperber (er gilt als einer der wichtigsten Vertreter jüdischer Literatur deutscher Sprache in Rumänien), die Dichter und Schriftsteller Paul Celan sowie Immanuel Weißglas, Alfred Kittner, Georg Drosdowski, Moses Rosenkranz, Gregor von Rezzori, der Essayist und Biochemiker Erwin Chargaff.

Schwarze Sappho der östlichen Landschaft

So war es eigentlich kein Wunder, dass Rose Ausländer schon früh mit Literatur und Philosophie in Berührung kam. Die Dichterin in ihr erwachte allerdings erst während der zwanziger Jahre, als sie in Amerika als einfache Bankangestellte ein bescheidenes Dasein fristete und sich den Eindrücken der Großstadt hilflos ausgeliefert sah. Von jenem Zeitpunkt an wurden für sie Schreiben und Dichten unentbehrlich und im Kellerversteck während der Nazizeit geradezu lebensrettend. "Wir zum Tode verurteilten Juden waren unsagbar trostbedürftig. Und während wir den Tod erwarteten, wohnten manche von uns in Traumworten - unser traumatisches Heim in der Heimatlosigkeit. Schreiben war Leben/Überleben", dichtete Rose Ausländer über diese Epoche.

In jungen Jahren hatte sie Literaturwissenschaft und Philosophie studiert, das Studium aber nach einem Jahr wieder abgebrochen. Sie verliebte sich in ihren Studienkollegen Ignaz Ausländer - beide gehörten einem Zirkel an, der sich mit den Werken Spinozas beschäftigte. Nach dem Tod des Vaters wanderte sie aus wirtschaftlichen Gründen, auf Drängen der Mutter, zusammen mit Ignaz nach Amerika aus. Dort heiraten sie 1923,

ließen sich jedoch nach drei Jahren scheiden. Sie hatte sich, so sagt man, in der Ehe gelangweilt. In Amerika hielt sie sich als Bankangestellte finanziell über Wasser und

war gleichzeitig als Journalistin und Schriftstellerin tätig. Tagebuch hatte Rose Aiusländer übrigens schon seit dem 17.Lebensjahr geschrieben. Als die Mutter in den dreißiger Jahren schwer erkrankte, kehrte sie nach Europa zurück. Sie pflegte ihre kranke Mutter und erfuhr in der Beziehung zu dem Graphologen Helios Hecht die Liebe ihres Lebens.

Zudem hatte sie inzwischen die Bekanntschaft mit Alfred Margul-Sperber, gemacht, dem Entdecker Paul Celans. Margul-Sperber war Redakteur des "Czernowitzer Morgenblatts" und publizierte dort ihre ersten Gedichte, die ihn zu dem Urteil veranlasst hatten, diese "schwarze Sappho unserer östlichen Landschaft" habe "ein denkendes Herz, das singt." Auch sorgte er dafür, dass 1939 ihr erster Gedichtband "Der Regenbogen" erscheinen konnte. Die Presse der Bukowina äußerte sich enthusiastisch. Auch Manfred Hausmann und Hans Carossa bekundeten ihre Wertschätzung für Rose Ausländers Gedichte. Ein Erfolg beim großen Publikum blieb ihr jedoch versagt. In Deutschland wurde das Buch einer Jüdin ohnehin nicht mehr zur Kenntnis genommen. Im Krieg ging dann die Restauflage des Gedichtbandes verloren sowie ihre Tagebücher, Lyrikmanuskripte und Essays über Spinoza, Constantin Brunner, Platon und Freud. Rose Ausländers zweiter Gedichtband "Blinder Sommer" konnte erst 1965 veröffentlicht werden.

Doch kehren wir zurück in die schlimmen Jahre der Nazizeit, in denen kaum ein Land in Europa von den braunen Barbaren verschont blieb.

Bekanntschaft mit Paul Celan

1941 wurde auch Czernowitz von den Deutschen besetzt. Viele Juden wurden in Konzentrationslager abtransportiert. Rose, die zuvor mit ihrer Familie und anderen Juden im Ghetto gelebt hatte, hauste nun, um den Deportationen zu entgehen, zusammen mit ihrer Mutter, ihrem Bruder Max, ihrer Schwägerin und anderen von den Nazis verfolgten Menschen versteckt im Keller einer Fabrik. Ihr jüdischer Verleger war ähnlichen Verfolgungen ausgesetzt wie seine Autorin und wurde nach der Entlassung aus dem Ghetto 1944 nach Sibirien verschleppt, wo er bald darauf starb. Im Ghetto lernte Rose Ausländer Paul Celan kennen - er hieß damals noch Paul Antschel - und war von seiner Lyrik sehr beeindruckt. Im Keller lasen sie sich gegenseitig ihre Gedichte vor.

Im Frühjahr 1944 wurde Czernowitz von den Russen befreit. Gesundheitlich haben diese Jahre Rose Ausländer stark geschädigt. Aber ihre Sprache blieb ungebrochen. "Ich habe immer geschrieben", bekannte sie, "was zu mir gekommen ist, ich zwinge mich nie, zu schreiben." Sie wanderte abermals in die USA aus, arbeitete als Sekretärin in New York und wurde amerikanische Staatsangehörige. Später erhielt sie von Amerika eine kleine Altersrente. Die Begegnung mit den amerikanischen Schriftstellern Edward Estlin Cummings, William Carlos Williams und Marianne Moore ermöglichten ihr einen dichterischen Neuanfang. Ihre Gedichte verfasste die Dichterin zu jener Zeit in englischer Sprache. Denn nach dem Krieg fühlte sie sich lange Zeit unfähig, ein Gedicht in deutscher Sprache zu schreiben. Erst 1956 fand sie wieder zu ihr zurück, zu ihrem "Mutterland", zur deutschen Sprache. Vor allem die Wiederbegegnung mit Paul Celan, dem Dichter der "Todesfuge", inspirierte und ermutigte sie, weiter zu dichten. Celan machte sie mit der lyrischen Moderne bekannt. Radikal änderten sich dadurch Form und Stil ihrer Arbeit. Nun erst fand sie zu ihrer eigenen unverwechselbaren dichterischen Ausdrucksweise. Sie verzichtete auf expressionistisches Pathos und auf

Reime, denn "was über uns hereinbrach, war ungereimt, so voll erlittenen Schock , so alpdruckhaft beklemmend .., dass der Reim in die Brüche ging. Blumenworte welkten. Auch viele Eigenschaftswörter waren fragwürdig geworden in einer mechanisierten Welt..". Ihre Gedichte sind von nun von bestechender Einfachheit, Klarheit und epigrammatischer Kürze, bilderreich, voller Poesie und Musikalität, kostbare Miniaturen.

Blinder Sommer

Warum aber schrieb sie ab 1956 wieder deutsch? Sie selber gab die Antwort: "Mysteriös, wie sie erschienen war, verschwand die englische Muse. Kein äußerer Anlass bewirkte die Rückkehr in die Muttersprache. Geheimnis des Unterbewusstseins." Das leichte wandelbare Wort wurde ihr nach dem Verlust aller Sicherheit zum unzerstörbaren Halt. Im Mittelpunkt ihrer Gedichte stehen das Grauen der Verfolgung, die Trauer um die verlorene Heimat, Erinnerungen an die Eltern und an glückliche Kindertage, die Erfahrung von Verlassenheit und Einsamkeit in der Fremde. Ihre Gedichte, die mit der Zeit immer kürzer und dichter werden, sind Gespräche, Selbstgespräche des lyrischen Ich und Anreden an ein Gegenüber.

Der Gedichtband "Blinder Sommer" entlarvt die Nachkriegszeit als heillose Epoche, weil in ihr die Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen dem Verderben ausgesetzt sind. Mit der Metapher "Aschensommer" im Titelgedicht verweist sie auf die Judenvernichtung und macht so die historische Ursache dieser Wandlungen kenntlich.

"Die Rosen schmecken ranzig-rot /
es ist ein saurer Sommer in der Welt /
Die Beeren füllen sich mit Tinte /
und auf der Lammhaut rauht das Pergament /
Das Himbeerfeuer ist erloschen /
es ist ein Aschensommer in der Welt /
Die Menschen gehen mit gesenkten Lidern /
am rostigen Rosenufer auf und ab /
Sie warten auf die Post der weißen Taube /
aus einem fremden Sommer in der Welt /
Die Brücke aus pedantischen Metallen /
darf nur betreten wer den Marsch-Schritt hat /
Die Schwalbe findet nicht nach Süden /
es ist ein blinder Sommer in der Welt."

Rose Ausländer denkt an die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Czernowitz - nur 5 000 von 60 000 haben dort die deutsche Besatzung überlebt - und dichtet:

"Sie kamen /
mit scharfen Fahnen und Pistolen /
schossen alle Sterne und den Mond ab /
damit kein Licht uns bliebe /
damit kein Licht uns liebe /
Da begruben wir die Sonne /
Es war eine unendliche Sonnenfinsternis."

Asche, Urne, Schatten, Finsternis, Feuer, Schwert, Rauch und Atem sind häufig wiederkehrende Schlüsselwörter in ihren Gedichten.

Sie gibt gefilterte Erfahrung weiter, das Weggleiten der Wirklichkeit und das

"Trostwunder", darüber schreiben zu können. Am Ende wird der Schrecken dieser Gegenwelt durch andere Gedichte "Israel" und "Im Chagall-Dorf" aufgehoben. Das gelobte Land und die Kunst des jüdischen Malers erscheinen als Versprechen eines neuen Lebens.

"Zurück /
ins zukünftige /
Meinland Deinland /
Hier heißt der Stein /
Zeder Zitrone /
unvergesslich /
die stählernen Brüder /
vergaßen den Schlaf /
Nicht ins Schlaraffenland /
komm /
ins stachlige Hier /
auf rebellischem Boden /
verlässlich die Hüter /
pflanzen /
beständigen Traum /
Komm /
ins Zurück /
die Stacheln grünen /
Saft /
aus dem Stein /
schlägt der Mosessohn."

"Im Chagall-Dorf /
weidet die Kuh /
auf der Mondwiese /
goldne Wölfe /
beschützen die Lämmer."

Emigration und fremd gewordene Heimat drückt sie zum Beispiel in folgendem Gedicht aus:

"Wir kamen heim /
ohne Rosen /
sie blieben im Ausland /
Unser Garten liegt /
begraben im Friedhof /
Es hat sich /
vieles in vieles /
verwandelt /
Wir sind Dornen geworden /
in fremden Augen."

An ihre Kindheit in der Bukowina denkt sie in folgenden Versen :

"Landschaft die mich /
erfand /
wasserarmig /
waldhaarig /
die Heidelbeerhügel /
honigschwarz /
Viersprachig verbrüderte /
Lieder /
in entzweiter Zeit. /
Aufgelöst /
strömen die Jahre /
ans verflossene Ufer."

Und:

"Ich vergesse nicht /
das Elternhaus /
die Mutterstimme /
den ersten Kuss /
die Berge der Bukowina /
die Flucht im Ersten Weltkrieg /
den Einmarsch der Nazis /
das Angstbeben im Keller /
den Arzt, der unser Leben rettete /
das bittersüße Amerika /
Hölderlin Trackl Celan /
meine Schreibqual /
den Schreibzwang noch immer."

Wohnen im Menschenwort

In den späteren Gedichten setzte sich Rose Ausländer immer wieder mit dem Wort, der Sprache auseinander, die zur eigentlichen Heimat der heimatlos gemachten Dichterin geworden war:

"Ich will wohnen im Menschenwort", so heißt es in einem ihrer Gedichte, und:

"Wir verstehen uns aufs Wort /
wir lieben einander." /
"Mein Vaterland ist tot /
sie haben es begraben im Feuer /
Ich lebe in meinem Mutterland /
Wort."

"Ich glaube an die Wunder /
der Worte, /
die in der Welt wirken /
und die Welten erschaffen."

"...ich taste die Länge und Breite /
der Wörter /
suche erfinde /
das atmende /
Wort."

"Heimathungrig /
unsern täglichen Tod /
begraben wir im Wort /
Auferstehung."

"Ein Lied erfinden /
heißt geboren werden /
und tapfer singen /
von Geburt zu Geburt."

Bekenntnis zum Judentum

Mit dem Satz:"Mein aus der Verzweiflung geborenes Wort", gibt sie ihren Motivationshintergrund wieder. Sie ist voll Vertrauen in die Assoziationskraft des Wortes, in das Vermögen des Gedichts, Welt auszusprechen und sichtbar zu machen.

Aber auch alttestamentarische Themen, babylonisches Legendengut, Fragen der jüdischen Mystik färben die Lyrik von Rose Ausländer.

Das Judentum spielt ebenfalls eine gravierende Rolle: "Ich bin 5000 Jahre jung" ist eine gern und oft zitierte Sentenz aus ihrem Gedicht "Jerusalem", in dem sie ein Bekenntnis zum Judentum abgelegt. Sie hat sich zwar früh von der jüdischen Religion gelöst, doch hat sie sich immer zugehörig gesehen zum Volk und zur

Schicksalsgemeinschaft der Juden. Das bringt sie hier zum Ausdruck, indem sie in diesem Gedicht ihr Alter gleichsetzt mit dem Alter der Stadt Jerusalem. Das 5000jährige Jerusalem und sie sind "Altersgenossen. Wir haben ein Spiel in der Luft."

"Wenn ich den blauweißen Schal /
nach Osten hänge /
schwingt Jerusalem herüber zu mir /
mit Tempel und Hohelied /
Ich bin fünftausend Jahre jung /
Mein Schal /
ist eine Schaukel /
Wenn ich die Augen nach Osten /
schließe /
schwingt Jerusalem auf dem Hügel /
fünftausend Jahre jung /
herüber zu mir /
im Orangenaroma /
Altersgenossen /
wir haben ein Spiel /
in der Luft."

Die schon erwähnten Gedichte "Israel" und "Im Chagall-Dorf sind ebenfalls Zeugnisse für Schrecken und Schönheit jüdischen Lebens. Auch im zunehmend abstrakt werdenden Spätwerk bezieht sie sich häufig auf die jüdische Herkunft, wobei der Glaube an das poetische Wort fast messianischen Charakter annahm("ohne visum").

Ihre starke Bindung an die Mutter bezeugt das Gedicht:

"Mein Stern hängt /
an ihrer Nabelschnur /
Ich trinke ihre Milch /
Bald /
werde ich geboren /
hinter meinem Tod /
wächst sie mir zu."

Rückkehr nach Europa und später Ruhm

1964 kehrte sie dann endgültig nach Europa zurück, zuerst nach Wien - zwischendurch unternahm sie zahlreiche Reisen - und ließ sich schließlich in Düsseldorf nieder. 1972 zog sie ins Nelly-Sachs-Haus, dem Elternhaus der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf.

Noch lange nach ihrer Rückkehr galt die Dichterin als Geheimtipp. Das änderte sich erst, als Helmut Braun 1975, auf der Suche nach unbekannten Autoren für seinen neu gegründeten Verlag, ihren Weg kreuzte. Rose Ausländer hatte mittlerweile das 74.Lebensjahr erreicht. Braun hatte Rose Ausländer bis dahin auch noch nicht gekannt, obwohl sie schon sechs Bücher veröffentlicht hatte, aber eben nur in einer Gesamtauflage von knapp 3000 Exemplaren und das auf über 40 Jahre verteilt. Der Gedichtband "Blinder Sommer" hat, wie die geringe Zahl der Rezensionen beweist, kaum Resonanz gefunden. Noch fünfzehn Jahre nach der Erstpublikation war das Buch im Buchhandel erhältlich, obwohl es nur in einer Auflage von fünfhundert Exemplaren erschienen war. Dabei halten Kenner gerade diese Veröffentlichung für die bedeutendste ihrer Bücher, bestimmt durch das Gedenken an den "Aschensommer" der Judenverfolgung.

Von nun an hat Braun Rose Ausländer beraten und betreut, ihr Gesamtwerk herausgegeben und ihre Biographie verfasst, denn die Dichterin hatte sich dem jungen Verleger gegenüber sehr aufgeschlossen gezeigt und war schnell bereit gewesen, mit

ihm zusammenzuarbeiten. Heute verwaltet Helmut Braun Rose Ausländers literarischen Nachlass. Da sie, als sich beide kennenlernten, schon an Arthritis litt und die Hände ihr den Dienst versagten, hat Braun während ihrer letzten Lebensjahre all ihre Gedichte zu Papier gebracht, die zuvor in ihrem Kopf, nicht selten zu nachtschlafender Zeit, entstanden waren. Braun war - das bekannte er kürzlich in einem Rundfunkinterview - von Anfang an von Rose Ausländer fasziniert gewesen, von ihrer ungeheuren kreativen Kraft, die sie ausstrahlte. Körperlich habe sie zwar schwach und hinfällig gewirkt, doch sei sie ganz im Gegensatz dazu eine sehr starke Persönlichkeit gewesen mit großer Vitalität und Durchsetzungskraft, auch noch als sie ab 1978 ständig bettlägerig war.

Obwohl sie seit jener Zeit das Zimmer nicht mehr verlassen konnte, wuchsen von nun an ihre Wirkungs- und Publikationsmöglichkeiten. Seit 1974 erschien zu ihren Lebzeiten kontinuierlich jedes Jahr mindestens ein Gedichtband. Heute liegen ihre gesammelten Werke in einer achtbändigen Ausgabe vor. Ihre Arbeiten wurden ins Englische, Französische, Tschechische und Hebräische übersetzt. Auch an Preisen und Ehrungen für die Autorin hat es nicht gefehlt. So erhielt sie beispielsweise den Droste-Preis der Stadt Meersburg 1967, 1977 den Ida-Dehmel-Preis sowie den Andreas-Gryphius-Preis und 1986 den Literaturpreis des Verbandes evangelischer Büchereien. Marie Luise Kaschnitz rühmte ihre "kühne und traurige Stimme."

In ihrer späten Lyrik verbinden sich Sensibilität und Intellektualität, Phantasie und Ratio.

Biblisch inspirierte Lyrikerin

Bei aller Tendenz zur Einfachheit, zu lapidarer Aussage und bisweilen epigrammatischer Kürze sind ihre Verse doch getragen von Musikalität.

Die Bilder, Metaphern, Parabeln und Traumvisionen Rose Ausländers sind nicht schwer auszudeuten. Häufig sind es Versuche, ins dichterische Wort zu bannen, was sich

direkter Schilderung entzieht. Alles kann Motiv sein, sagte sie einmal: "Meine Bäume, meine Sterne, meine Brüder; in diesem Stil rede ich zu ihnen." Sie wagt auch Wortkoppelungen wie "Winterwort", "Fiebergesicht", "Mohnheu", "Halmzeit", Springbrunnensprache".

Ihre Lyrik ist Deutung der Welt, von tragisch anmutender Widersprüchlichkeit. Zeitgeschichtliche Ereignisse werden als mythische Vorgänge verstanden und sind nicht selten auf einen verborgenen teleologischen Sinn ausgerichtet. Den Antagonismus von Welt und Leben bannt sie in Bilder, die sie der biblischen Schöpfungsgeschichte entnimmt. Gott hat mit seiner Strafe, laut Rose Ausländer, für den Sündenfall den Menschen, der auf Erkenntnis des Absoluten ausgerichtet ist, in den Bereich des Begrenzten verbannt, der Zeit, der Sterblichkeit, des Todes.

Rose Ausländer zählt neben Else Lasker-Schüler, Gertrud Kolmar und Nelly Sachs zu den letzten unter den biblisch inspirierten jüdischen Lyrikerinnen deutscher Sprache.

"Erbarme dich /
Herr /
meiner Leere /
Schenk mir /
das Wort /
das eine Welt /
erschafft."

"Im Umkreis meiner Liebe zum All /
bete ich /
Ich gehe auf und unter im Gebet."

"Gäbe es dich /
Gott der Liebe /
wir lebten noch heute /
im Eden /
Volk an Volk /
du an du /
Gäb es dich nicht /
o Liebesgott /
wir wären nicht /
nichts wäre."

Eva wird für sie zur paradigmatischen Leitfigur, die dank ihres Sündenfalls Sinngewissheit verbürgt und als Drang zur Wahrheit, zur Menschlichkeit und zu selbstbestimmtem Handeln fortlebt und weiterwirkt.

"Lasst uns Sünder sein /
verbotene Worte lieben /
und Menschen /
unter drohendem Himmel."

Mit dieser Verschiebung der männlich geprägten geschichtlichen Erfahrungswelt schafft Ausländer die Basis für ihre neue dichterische Existenz. Sie gründet sich auf der verzweifelten Hoffnung, dass Dichten noch möglich sei.

"Ich sing das verbotene /
Apfellied /
das vor der Geburt erlernte."

Dem Tod Gedichte abgetrotzt

Das Haus, in dem sie, von 1978 an bis zu ihrem Tod am 3. Januar 1988 ans Bett gefesselt, wohnt, heißt mehr denn je, ähnlich wie in den Jahren im Ghetto und im Versteck, Sprache. Viele Gedichte sprechen davon. Trotz Todesnähe und Leiden gibt sie den Worten und Bildern Schönheit, Leuchten, und Hoffnung.

"Ich schreibe mich /
ins Nichts /
Es wird mich /
ewig aufbewahren."

Mühelos stellen sich bei ihr die Worte ein, die andere scheuen, wie Schönheit und Welthaftigkeit. So trotzt sie dem Tod noch in ihrer Bettlägrigkeit viele Gedichte ab.

"Das Zimmer behütet mich /
da ich es hüten muss /
Kommt stückweis die Welt /
an mein Fenster /
Pappeln Sperlinge Wolken /
Briefe von alten und fremden Freunden /
besuchen mich täglich /
Die Zeit /
ein Gespräch /
Wirklichkeit /
sagst du /
ich sage /
Traum."

Und:

"Auf meinen Wänden /
blühen Bilder /
Poeten dichten /
im Regal /
Ich schaue, lese /
spreche mit den /
schaffenden Gefährten /
Mein kleines Zimmer /
ist ein Riesenreich /
Nicht herrschen will ich /
Dienen."

Und:

"Ich öffne /
alle Türen /
Die Welt /
flutet herein /
flutet mit mir hinaus /
zu blühenden Bäumen /
leidenden Brüdern."

Selbst im Alter, als ihre Welt auf Krankenzimmer und Bett geschrumpft ist und sie den Wechsel der Jahreszeiten im Park nur noch durch das Fenster erlebt, hilft ihr das Dichten. Sie richtet sich jetzt ganz ein im dichterischen Wort, es wird ihr nun vollends zur Wohnung. "Warum ich schreibe? Weil ich meine Identität suchend, mit mir deutlicher spreche als auf dem wortlosen Bogen." "Ich denke viele Gedichte und schreibe nur einen kleinen Bruchteil davon", bekennt sie einmal. Vertrauend auf die Kraft des gesprochenen Wortes bringt sie bis fast zuletzt das persönliche Schicksal tastend zur Sprache, frei von Larmoryanz, Lautem und Schrillem.

"In meinen Tiefträumen /
weint die Erde /
Blut. /
Sterne /
lächeln in meine Augen /
Kommen Kinder zur mir /
mit vielfarbenen Fragen /
Geht zu Sokrates /
antworte ich /
Die Vergangenheit /
hat mich gedichtet /
ich habe /
die Zukunft geerbt. /
Mein Atem heißt es JETZT."

Das dichterische Wort schlägt nicht nur die Brücke zur Welt, sondern wird auch zum Schutzraum für die eigene Existenz.

"Ich wohne im Wort":

"Und Gott gab uns /
das Wort /
und wir wohnen /
im Wort /
Ist es bewohnbar /
nehm ich es auf."

"Wenn ich verzweifelt bin, schreibe ich Gedichte /
Bin ich fröhlich /
schreiben sich Gedichte /
in mich."

Am Ende hat Ausländer, sich der Sprache hingebend, den Deutschen ein Wortkunstwerk geschenkt, wie es stärker im Ausdruck, besser in der Form und präziser in der Aussage kaum zu denken ist.

"Noch bist du da /
Wirf deine Angst /
in die Luft /
Bald /
ist deine Zeit um /
Bald /
wächst der /
Himmel /
unter dem Gras /
fallen deine Träume /
ins Nirgends /
Noch /
duftet die Nelke /
singt die Drossel /
noch darfst du /
lieben /
Worte /
verschenken /
noch bist du da /
Sei was du bist /
Gib was du hast."

So gelingt ihr noch im hohen Alter das Schwerste, nämlich dem Schweren Leichtigkeit zu geben.

"Ein Wunder /
Wir starben /
und leben doch"

oder:

"Der letzte Tod /
hat mich fast umgebracht-Ich warte /
auf das neue Sterben."

Vergeblichkeit des dichterischen Sprechens, meint Bernd Witte im Kritischen Lexikon der Gegenwartsliteratur, konstatierten jedoch folgende Zeilen, Ausländer habe sie wahrscheinlich bewusst an den Schluss ihres letzten Gedichtbandes und damit ihres Lebenswerks gesetzt:

"Gib auf /
Der Traum /
lebt /
mein Leben /
zu Ende."

Das im "Gib auf" formulierte Eingeständnis lässt sich auch so lesen: "Der Traum lebt - mein Leben ist zu Ende", glaubt Witte und variiert diese Aussage mit dem Kafkaschen Satz "So ist denn unendlich viel Hoffnung vorhanden, aber nicht für uns." Der Trost liegt also letztlich nur noch im Wort, im Gedicht, in der Fähigkeit, sprechen zu können. Was dann kam, Paradies und Gott oder das Nichts - wir wissen es nicht.

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