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Schiller und Goethe in ihrer Beziehung zu Juden

Schiller und Goethe wurden trotz ihres ambivalenten Verhaltens gegen Juden vom nationaldeutschen Judentum gegen Ende des 19.Jahrhunderts in einem erstaunlichen Identifikationsprozess "adoptiert", oft in der Hoffnung, über die Kunst den Weg zur von außen akzeptierten Integration und Assimilation zu finden.

Goethe, so scheint es zunächst, war kein Freund der Juden. Schiller war nicht einer ihrer zahllosen Gegner, zu denen Goethe vielleicht hingeneigt sein mochte. Aber auch Schiller war weit davon entfernt, sich als Freund des Judentums auszuzeichnen. Sicher ist: Keiner von beiden war ein entschiedener Sachverwalter der Juden. Sie waren es auf verschiedene Weise nicht.

Schiller war, wie oben dargelegt, für die meisten Ghettojuden, aber auch bei den osteuropäischen Gastvölkern "der" deutsche Dichter, mit dessen Humantitätsforderungen, mit dessen Freiheitspathos und Zukunftsvisionen viele sich identifizieren konnten. Etliche wählten seinen Namen, als sie durch ein Edikt zum Tragen eines deutschen Namens gezwungen wurden. Auch Lessing wurde von Juden solchermaßen verehrt.

Für Goethe scheint dies kaum zu gelten. Schiller war der programmatische, der verständliche, der populäre Dichter, Goethe der anspruchsvolle, der Autor einer Elite. gerade dadurch scheint er für die jüdischen Intellektuellen, die Maskilim, desto herausfordernder und attraktiver geworden zu sein. Goethe in seiner schwankenden, bisweilen verwirrenden Einschätzung und Behandlung der Juden zog gerade dadurch an, dass er sich entzog, zu Goethe bedurfte es im Gegensatz zu Schiller der Umwege. Diese reizten insbesondere gebildete Juden. Während Schillers Freiheitspathos eher im Ostjudentum zur Identifikation lockte, ermöglichte Goethes distanzierender, ins geschichtliche Modell ausweichender Blick manchen deutschen Juden die aufblickende Verehrung des epochemachenden Autors. In der gleichen Periode, als Börne den reaktionären "Monarchen" Goethe voller Hass attackierte und Heine den Weimarer "Kunstgreis" ironisch kritisierte, erschien 1825 in einem jüdischen Almanach die erste hebräische Übersetzung eines Goethe-Gedichts, nämlich ?Schäfers Klagelied"

Wenn Lessing für deutsche Juden den Schriftsteller repräsentierte, der ihnen als erster Tugend bescheinigt hatte, so weckte Schiller ihre Bewunderung durch seinen Humanitätsgedanken, an dem sie glaubten, teilhaben zu können. Schillers Begeisterung für Freiheit und menschliche Würde, sein Idealismus und seine hochgesinnte Moral schienen leicht vereinbar mit traditionellen jüdischen Werten. 1842 konnte Gabriel Riesser behaupten, dass es stets leichter sei, zehn begeisterte Bewunderer Schillers unter seinen Glaubensgenossen zu finden als einen, der es mit Goethe hielt. Schiller wurde zum Lieblingsschriftsteller jüdischer Erzieher und Lehrer. "Die jüdische Jugend richtet sich an Schiller auf, in ihm lernte sie lesen, an ihm lernte sie denken und fühlen." Goethe war mithin nicht so populär wie Schiller.


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