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Seine Leser werden ihm die Treue halten

Zum Tod des israelischen Schriftstellers Ephraim Kishon

Wenn ich in den vergangenen Jahren die Frankfurter Buchmesse besuchte, begegnete mir dort oft ein freundlicher älterer Herr mit weißem Haar, der versonnen oder verschmitzt vor sich hinlächelte. Es war kein anderer als der israelische Schriftsteller und Humorist Ephraim Kishon. Obwohl Kishon in seinem Bändchen "Kishons beste Reisegeschichten" versichert hat: "Nein, zur Messe gehe ich nicht", so war er doch häufig Gast nicht nur auf der Frankfurter Buchmesse, sondern in Deutschland überhaupt. Immerhin hatte er hier seine meisten und eifrigsten Leser.

Kishon - er starb am 29.Januar 2005 achtzigjährig an seinem zweiten Wohnsitz, im Schweizer Ort Appenzell - hat mehr als fünfzig Bücher geschrieben, die in 37 Sprachen übersetzt wurden und deren weltweite Auflage 43 Millionen beträgt. Davon erschienen allein 32 Millionen in deutscher Sprache. Geht man davon aus, dass jedes Buch im Schnitt von zwei bis drei Lesern konsumiert wird, so bedeutet dies, dass rein rechnerisch jeder Deutsche mindestens ein Werk von ihm kennt. Zu seinen Fans gehört auch der ehemalige Bundeskanzler Kohl, der dem israelischen Schriftsteller 1993 das deutsche Verdienstkreuz Erster Klasse verliehen hatte, mit den Worten, dieser Aufgabe unterziehe er sich nicht in erster Linie "als Kanzler", sondern "als Leser".

Kishon, der sich selbst als Vater des hebräischen Humors bezeichnet hat, bemerkte hin und wieder, dass der Einfluss Hitlers ihn zum Satiriker gemacht habe, "denn ohne Sinn für Satire hätte man den Nationalsozialismus nicht überleben können." Die deutschen Leser aber habe er mit der hebräischen Sprache erobert, "mit einer Sprache, die heute niemand mehr sprechen würde, hätten die Nazis ihr Ziel erreicht. Ich wurde zum Lieblingsautor der Nachkommen meiner Henker." Das sei die wahre Ironie der Geschichte, dass er gerade in Deutschland so beliebt sei. "Ich verspüre Genugtuung darüber, dass die Enkel meiner Henker in meinen Lesungen Schlange stehen", meinte er und bekannte, dass er jungen Deutschen gegenüber keinen Hass empfinde, da es keine kollektive Schuld, sondern nur kollektive Schande gebe. Er selbst habe mit seinem Humor wesentlich zur Versöhnung beigetragen. Für nicht wenige Deutsche verkörperte er darum den "guten Juden", der nichts nachträgt, mit anderen Worten: Ephraim Kishon war vielen Deutschen ihr "liebster Israeli".

Zur Gegenwart hatte Kishon ein völlig unbelastetes Verhältnis: "Das ganze Thema Rechtsradikalismus ist in Deutschland viel zu aufgeblasen. Das ist doch nicht das deutsche Volk, das ist eine pathologische Erscheinung, die es auch in allen anderen Ländern gibt. Deutschland ist heute das israelfreundlichste Land in Europa. Das sage ich auch immer wieder meinen Landsleuten daheim." Unmissverständlich deutlich äußerte sich Kishon indes immer dann, wenn es um seine Heimat Israel ging, auf die er nichts kommen ließ.

"1924 in Ungarn geboren, neugeboren 1949 in Israel. Zu viele Schulen. Zu viele Arbeitslager", so umriss Ephraim Kishon einmal sein Leben und behauptete: "Ich bin kein Schriftsteller. Ich bin ein Humorist" und: "Erst wenn man stirbt, wird man ein Schriftsteller." Noch vor kurzem bedauerte er, dass er seiner Beerdigung nicht lauschen könne. "Man wird so schöne Sachen über mich sagen, ich werde ein großer Philosoph sein. Schade, dass ich das verpasse."

Er betrachtete es stets als ein Wunder, dass er den Vernichtungslagern der Nazis und dem Gulag Stalins entgangen war und betonte nicht selten: "Ich glaube, jemand hat mich gern da oben", denn "Gott liebt die Humoristen".

Eine Reihe von Wundern war tatsächlich nötig, damit der am 23. August 1924 in Budapest als Ferenc Hoffmann geborene ungarische Jude den Holocaust überleben konnte. So half ihm beispielsweise seine Schach-Begabung in einem Arbeitslager, weil der Kommandant ebenfalls ein Faible für diesen Sport hatte. Viele aus seiner Familie kamen in den Gaskammern von Auschwitz um. Im Mai 1949 bestieg der junge Ferenc Hoffmann ein Flüchtlingsschiff nach Israel. Kurz zuvor hatte er sich den Namen Kishont zugelegt. Bei der Ankunft im Hafen von Haifa verkürzte der Beamte den Namen auf Kishon und ersetzte den Vornamen Ferenc, mit der lakonischen Bemerkung "gibt es nicht", durch Ephraim.

In seiner Wahlheimat Israel gelang Kishon in den fünfziger Jahren der literarische Durchbruch mit der Geschichte vom "Blaumilchkanal". In zahlreichen Satiren hat der als eher konservativ geltende Schriftsteller mit viel Liebe und Ironie das Leben des israelischen Mannes auf der Straße geschildert und allgemein menschliche Schwächen wie die Heuchelei um das Institut der Ehe aufgespießt, obwohl er mit der "besten aller Ehefrauen" verheiratet war, sowie die grassierende Bürokratie. Seine "Familiengeschichten" gelten als das meistverkaufte hebräische Buch der Welt nach der Bibel. Aber er hat auch sarkastische, zynische Satiren über den Sechstagekrieg und Jom Kippur verfasst, einen mehr oder weniger erfolglosen Krieg gegen die Kunstmafia der "Moderne" geführt und den Kommunismus als die unmenschlichste Regierungsform demaskiert.

Als Emigrant, der selbst mit einer neuen Sprache und mit neuen sozialen und politischen Verhältnissen konfrontiert war, richtete Kishon einen satirischen und zugleich wohlwollenden Blick auf eine Gesellschaft, die aus Emigranten bestand und auf der Suche nach einer sprachlich-nationalen Identität war. Dementsprechend waren seine Figuren nicht die heroischen Pioniere und Untergrundkämpfer, sondern die kleinen Leute, die mit der Absurdität der modernen Arbeitswelt fertig zu werden versuchen. Bei allem Humor, der ihm zu eigen war, waren selbst einem Ephraim Kishon pessimistische Anwandlungen nicht fremd: "Vielleicht kann man überhaupt nur als Satiriker überleben. Das Leben ist von Grund auf absurd. Schon in der Bibel steht auf der zweiten Seite geschrieben, dass der Mensch schlecht sei von Geburt an. Ich weiß nicht, warum der liebe Gott das schon auf der zweiten Seite vermerkt hat, aber jedenfalls sind die Menschen unglaublich schwache Geschöpfe. Jeder lügt, stiehlt und betrügt, wenn er glaubt, dass er nicht erwischt wird."

Seine kleine Glossen und Satiren haben freilich mit dem ursprünglichen jüdischen Witz kaum Ähnlichkeit. Geht es doch bei Kishon nicht mehr um das nackte Überleben. Seine Zielscheiben und Späße kommen auch in den Witzen anderer Völker vor. Schalom Ben Chorin hat über den Witz von Ephraim Kishon daher einmal zu Recht gesagt, er folge nicht mehr der Selbstironie der Unterlegenen, vielmehr sei er die Emanzipation zum Lachen über den problematischen, aber immerhin israeleigenen Fortschritt. Er meine nicht nur die Israelis, so erklärte Kishon selbst, er meine die Menschen schlechthin. Aus seinem Spott könne man erkennen, wie es wirklich um diese Welt bestellt sei.

Neben seiner Schriftstellerei war er auch als Journalist, Regisseur und Verfasser von Theaterstücken tätig. Für das Jahr 2001 war er für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden. Aber der blieb ihm dann versagt. Dafür erhielt er ein Jahr später für sein Lebenswerk die höchste Auszeichnung des Staates Israel, den Israel-Preis.

Allerdings war Ephraim Kishon nicht unumstritten. Mancher nahm ihm seine enge Freundschaft mit dem deutschen Verleger Helmuth Fleissner, einem konservativ-patriotischen Mann, der auch Autoren vom rechten Rand verlegte, übel. Doch von etwaigen Berührungsängsten wollte Kishon nichts wissen. Andere Zeitgenossen wiederum hatten bei Kishons zum Lachen und Schmunzeln anregenden Geschichten und Geschichtchen aus dem orientalischen Vielvölkerstaat mitunter das Gefühl, sie lachten unter ihrem Niveau. Als ich einmal während eines Gesprächs mit dem Satiriker Gabriel Laub eine kleine Glosse zitierte, von der ich glaubte, dass Laub sie geschrieben habe, obwohl sie, wie sich schnell herausstellte, von Kishon stammte, fragte mich Laub ganz entrüstet: "Wollen Sie mich etwa beleidigen?"

Kishons Lesergemeinde wird ihm jedoch auch über seinen Tod hinaus die Treue bewahren und seine Bücher weiterhin eifrig lesen.

Hier noch zwei Zitate von Ephraim Kishon:

"Ich verehre Menschen, die eine ideale Gesellschaftsordnung suchen, und fürchte diejenigen, die sie gefunden haben."

"Der Mensch bringt sogar die Wüste zum Blühen. Die einzige Wüste, die ihm noch Widerstand bietet, befindet sich in seinem Kopf."

Der Betrag erschien in "Der Literat", Fachzeitschrift für Literatur und Kunst.

47.Jg.März 3/2005.

Ursula Homann


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