zurück . auf Inhaltsverzeichnis


Echo auf die Verleihung des Literaturnobelpreises

Auf der Buchmesse herrschte große Freude über die hundertste Entscheidung des Nobelpreiskomitees. Da werde endlich einer ausgezeichnet, der es wirklich verdient habe, hieß es, schließlich habe Naipaul als Reiseschriftsteller und als Romancier einen bedeutenden Beitrag für die Literatur des 20.Jahrhunderts geleistet. Er sei "ein sensationell guter Schriftsteller", befand Denis Scheck, "ein großer wunderbarer Erzähler, der opulente Romane schreiben kann", so Elke Heidenreich.

Allerdings blieb die Kritik an der Entscheidung der Stockholmer Akademie nicht aus. Der palästinensische Autor Edward Said bemängelte, dass Naipaul wie Kipling Ost und West klischeehaft gegenüberstelle und alte Vorurteile weiterschreibe. Paul Theroux, lange Zeit sein Freund und Reisegefährte , der sich aus persönlichen Gründen von Naipaul verletzt fühlt, warf ihm Snobismus, Eitelkeit und Streitsucht vor. Marcel Reich-Ranicki nannte die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Naipaul "keine Überraschung, aber eine Enttäuschung." Der Schriftsteller Hans Christoph Buch und der Literaturkritiker Helmuth Karasek begrüßten dagegen die Entscheidung. "Ich glaube", sagte Karasek auf der Buchmesse, "im Moment kann man sich fast keinen besseren Kandidaten wünschen."

Die in Russland erscheinende Zeitung "Iswestija" verwies auf Naipauls "Islamische Reise", in der er die Gewalt des islamischen Fundamentalismus gegen die nichtarabischen Kulturen geschildert hat. Ein gebürtiger Brite hätte sich wohl kaum so unverfroren geäußert. Aber jemand aus Trinidad und Tobago und dazu noch Oxford-Absolvent und Ehrendoktor vieler Universitäten könne es sich erlauben, die unangenehme Wahrheit über die aufbrausenden Anhänger des Propheten Mohammed zu sagen. "Nach dem 11.September konnte so ein Schriftsteller nicht mehr übersehen werden." Die französische Zeitung "Le Progrès", die in Lyon erscheint, bemäkelte wiederum, dass das Nobelpreiskomitee nicht davor zurückgeschreckt sei, "einen Autor auszuzeichnen, der politisch nicht korrekt ist."

In seinem Dankestelegramm erklärte Naipaul den Preis als eine große Ehre, "sowohl für England, mein Wohnland, wie für Indien, die Heimat meiner Vorfahren."

Vielleicht geht jetzt eine Prophezeiung in Erfüllung, die Salman Rushdie, der aus Indien stammt und sich einst blasphemisch mit dem Islam auseinandergesetzt hat und der daher von der Fatwah ereilt worden war, einmal gesagt hat: Die Literatur der Zukunft sei eine Literatur von den Rändern her, und genau diese Literatur von den Rändern her schreibt auch Vidiadhar Surajprasad Naipaul.

(Der Beitrag erschien erstmals in der Fachzeitschrift für Literatur und Kunst "Der Literat". 43.Jg. Dezember 12/2001


zurück . auf uhomann@UrsulaHomann.de Inhaltsverzeichnis