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Religion und Literatur

Welche Rolle spielt Gott in der modernen Literatur? Welchen Stellenwert räumen zeitgenössische Schriftsteller religiösen Erfahrungen und Fragen in ihren Romanen ein?

Einleitung

Welchen Stellenwert nehmen in der Literatur gegenwärtig religiöse Anliegen ein? Eine unmögliche oder gar kindisch einfältige Frage? Zumindest in den Augen derer, für die die religiöse Phase in der Literatur mit Camus, Böll und Frisch vor mehr als dreißig oder gar vierzig Jahren unwiderruflich zu Ende gegangen ist, und die glauben, dass wir inzwischen so erwachsen geworden seien, dass wir uns mit Kinderfragen wie denen nach Gott, Gut und Böse und dem Grund des Seins nicht mehr abzugeben brauchten.

Wovon erzählt und was beklagt wird

Erzählt wird in der heutigen Literatur durchweg, wie das Leben so spielt. Familiengeschichten werden aufgerollt, von Ehebruch und Dreiecksgeschichten ist häufig die Rede. Gelegentlich übt man sich in Gesellschaftskritik. Andere Themen sind die Suche nach sich selbst, Auseinandersetzungen mit Krankheit, Tod, Einsamkeit, die Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren. Oft sind Außenseiter die Protagonisten. Nicht selten werden Bilder einer zutiefst heillosen Welt entworfen. Natürlich wird auch der Sexualität wie in Film und Fernsehen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Religiöse Fragen werden, wenn überhaupt, nur verschämt und indirekt angeschnitten. Religiöse Literatur, wie sie einst Ina Seidel, Marie Luise Kaschnitz, Werner Bergengruen, Rudolf Alexander Schröder, Gertrud von LeFort, Reinhard Schneider, Ruth Schaumann, Willy Kramp und Rudolf Otto Wiemer schrieben, gibt es entweder nicht mehr oder wird nicht wahrgenommen, oder ihr mangelt es an Glaubwürdigkeit und Qualität, oder die Verfasser ergehen sich in mythischem Geraune wie etwa Jorgi Jatromanolakis in "Bericht von einem vorbestimmten Mord". Daneben gibt es noch die sogenannten Kult-Autoren wie die italienische Autorin Susanna Tamaro, die sich großer Beliebtheit erfreut, weil sie sogenannte Sinnfragen stellt und sie religiös, wenn auch nicht im kirchlichen Sinne, zu beantworten versucht. Ebenso verhält es sich mit dem brasilianischen Schriftsteller Paulo Coelho, der gerne mit aphoristisch verkürzten Wahrheiten aufwartet und den manche Leser sogar mit Saint Exupéry vergleichen.

Aber seien wir nicht so streng, vielleicht braucht der Mensch, um mit Odo Marquard zu sprechen, gar nicht so sehr christlich ewige Erlösung als vielmehr hin und wieder Entlastung von irdischer Mühsal und Kompensation seiner Probleme.

Im Grunde sei die sogenannte Blüte der christlichen Literatur in unserem Jahrhundert aufs Ganze gesehen eher unbedeutend gewesen, meint die Literaturwissenschaftlerin Magda Motté. Zumindest stelle sie im Rahmen der europäischen Literaturgeschichte nur eine restaurative, epigonale Randerscheinung dar und sei in der Nachkriegszeit von Kirchenkreisen als zeitbestimmend überbewertet worden. "De facto schrieben diese christlichen Autoren an der Zeit vorbei. Das eigentliche literarische Leben nämlich, das seismographisch Zukunftsentwicklungen erspürt, prophetische Bilder zeichnet und die Öffentlichkeit bestimmt, entwickelte sich seit Jahrhunderten außerhalb des kirchlichen Bezugrahmens." Die großen Namen in der Literatur des 20.Jahrhunderts wie etwa Gottfried Benn, Bert Brecht, Hermann Broch, Alfred Döblin, Robert Musil, Hugo von Hoffmannsthal, Franz Kafka, Heinrich und Thomas Mann, Robert Musil, Rainer Marie Rilke, Carl Zuckmayer und verschiedene andere seien zum Beispiel von der breiten katholischen Leserschaft erst spät oder gar nicht rezipiert worden. Inzwischen sei der Einfluss der Kirchen und der Religion insgesamt in Europa geschwunden. Der Glaube an Gott scheine das politische und private Handeln des Einzelnen nicht mehr zu bestimmen, glaubt Motté.

Noch härter urteilt der englische Literaturwissenschaftler und Autor David Lodge, als er behauptete: Viele der jüngeren Autoren schrieben in Ich-Form und blieben mit ihren Texten an der Oberfläche der Wirklichkeit. Sie schauten nicht ins Innenleben ihrer Figuren. Sie seien der Gegenwart existentialistisch verhaftet, ohne emotionale Tiefen, ohne Verbindung mit der Vergangenheit und ohne Zukunftssorgen. "Sie schildern ein unbeeindrucktes oberflächliches Lebens. Die Ideologien sind eingegangen, die Religion ist tot. Die Welt des Westens ist heute eher profan. Wir haben neue Tendenzen zum Aberglauben, aber keine Religiosität mehr. Wir erleben den totalen Mangel an Transzendenz. In Europa sind wir uns darüber einig, was wir wollen: ein gutes, erfreuliches Leben mit allen Dingen, die dazugehören. Dies hat vielleicht auch die moderne, eher an der Oberfläche bleibende Art von Fiktion hervorgerufen. Das Leben in diesen Romanen ist banal, weil das moderne Leben banal ist. Unsere arbeits- und kaufwütige Spaßgesellschaft hat einen drastischen Verlust an Tiefe erlitten."

Ähnlich klingt es bei dem amerikanischen Schriftsteller E.L.Doctorow. In einem, in der Wochenzeitung "Die Zeit" am 17.9.2001 veröffentlichten Interview sagte er: "Wir haben das Thema Religion sehr stark tabuisiert - wenn Sie heute in New York oder Köln zu einem Abendessen bei Freunden eingeladen sind, wird da niemand über Gott sprechen. Selbst wenn Sie die anderen Gäste mit der Frage konfrontieren, ob Sie gläubig sind, werden Sie bestenfalls ein verschämtes Ja oder Nein zur Antwort erhalten. Es gibt heute keine wirkliche Verbindung mehr zwischen Wissenschaft und Religion, lediglich noch eine Sehnsucht der Wissenschaft nach einem religiösen Kontext, den sie aber nur um den Preis ihrer Selbstaufgabe konstruieren kann. An unseren Kosmologen lässt sich das sehr schön beobachten. Mir schien es ein angemessenes Thema für einen Romancier, sich mit diesem Sachverhalt auseinander zu setzen."

Amerikanische Literatur

Das hat E.L.Doctorow tatsächlich auch getan und zwar in seinem Roman "City of God", in dem sich Thomas Pemberton, ein anglikanischer Pfarrer, auf die Suche nach einem glaubwürdigen Gott begibt. In seinen Zwiegesprächen mit dem Schöpfer hadert er unentwegt mit ihm und der Welt, die er geschaffen hat. Zugleich entwirft Doctorow ein buntes Kaleidoskop unterschiedlicher Schicksale und Charaktere, wobei er häufig weit abschweift, so dass man höllisch aufpassen muss, um jedesmal zu erkennen, wer gerade spricht, an welchem Ort, zu welcher Zeit und auf welcher Ebene sich das Ganze abspielt.

Das eigentliche Thema dieses Buches ist indessen die Suche nach Gott, nach den Möglichkeiten des Glaubens und dem Sinn des menschlichen Daseins. Es geht um prinzipielle und letztlich unbeantwortbare Fragen wie: Können wir unseres Glaubens gewiss sein? Wo ist Wahrheit zu finden. Wovon in Christi Namen glauben wir eigentlich zu sprechen? Nimmt sich nicht, wer sich im Besitz der Wahrheit wähnt, oft das Recht heraus, sie anderen einzubläuen? Doctorows Roman zeigt deutlich, dass die säkulare Moderne das im Menschen augenscheinlich tief verwurzelte Bedürfnis nach Transzendenz nicht zum Verschwinden gebracht hat.

Auch andere amerikanische Schriftsteller haben das Wagnis, von Gott zu reden und zu schreiben, auf sich genommen. Offensichtlich kann man in Amerika und in seiner Literatur sehr viel unbefangener und selbstverständlicher mit dem christlichen Glauben umgehen als in Europa. Man denke nur an John Updike und Denis Johnson. Selbst Norman Mailer hat ein Buch über das Leben Jesu geschrieben. Denn wie sagte doch einst Wittgenstein? "Die Amerikaner sind besessen von Gott." Das gilt cum grano salis auch heute noch, zum Beispiel für den 1949 geborenen amerikanischen Schriftsteller Denis Johnson. Seine Spezialität sind die Verlorenen und Verzweifelten.

Sein erster bereits 1983 im amerikanischen Original erschienene Roman "Engel" - bei uns wurde das Buch erst zwanzig Jahre später veröffentlicht - machte den Autor auf Anhieb berühmt. Das Buch erzählt von Jamie und Bill. Im kalifornischen Oakland besteigt Jamie einen Greyhound-Bus. Sie hat ihre beiden kleinen Töchter dabei, ein wenig Geld und ein paar Habseligkeiten. Jamie hat soeben ihren Mann verlassen, der sie belogen und betrogen hat. Sie will zu Verwandten im Norden der USA. Im Bus lernt sie Bill Houston kennen, einen Herumtreiber mit unzuverlässigem Charme. Bill überredet Jamie, die Reise in Pittsburgh zu unterbrechen, um sich ein paar schöne Tage zu gönnen. Doch als das Geld verbraucht ist, trennen sie sich. In Chicago verdient sich der stets bedröhnte Bill ein paar Dollars mit Handtaschenraub, während Jamie, die ihm in unbestimmter Sehnsucht nachgereist ist, einer brutalen Vergewaltigung zum Opfer fällt.

Es ist ein düsteres Buch voll dunkler religiöser und apokalyptischer Züge und religiösen Wahnsinns. Menschen werden Opfer der Gewalt oder üben selbst Gewalt aus. "Bete, bete" sagt der Verbrecher zum Kassierer, der am Boden liegt. Im Danteschen Sinne geht es hier um Vorhölle, Fegefeuer und Jesu Nachfolge. Erzählt wird eine Passionsgeschichte mit Hinweisen darauf, dass am Ende ein Moment der Erlösung vorhanden ist. Das Buch ist von realer Härte, aber ohne religiösen Kitsch, ein Klassiker, wobei man den Eindruck gewinnt, dass in diesem Roman aus Amerika, das sich gerne als "God's own Country" bezeichnet, inzwischen ein "Devils own Country" oder die Hölle geworden ist.

Denis Johnson rechtfertigt weder seine Figuren, noch verdammt er sie. Bill und Jamie erscheinen als Kronzeugen ihrer und unserer Zeit, die keine Wege weisen, noch den Himmel preisen, aber im Sturz das Leben berühren. Schließlich ist es nicht ihre Schuld, dass sie das wahre Leben vorher nicht kannten. Doch die Pfade der Erleuchtung sind verschlungen und führen durch dunkle Regionen. Der Roman endet mit einer Epiphanie. In Phoenix, der Heimat des Fegefeuers, erheben sich Engel, weil es nicht angeht, dass dieses Elend alles gewesen sein soll, was ein Mensch vom Leben hat. Auch in drei weiteren Romanen von Denis Johnson kommen Menschen vor, die am Rande der Gesellschaft leben und der Erlösung im besonderen Maße bedürfen.

In "Wiederbelebung eines Gehängten", einem weiteren Buch von Johnson, in dem die Ausweglosigkeit des Individuums thematisiert wird, will Leonard English nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch an der amerikanischen Ostküste als Privatdetektiv einen Neuanfang wagen. Aber sein Leben bleibt nach wie vor orientierungslos. Nach einem missglückten Attentat auf den Ortsbischof kommt er ins Gefängnis, wo er zu bleiben hofft.

In "Schon tot" treffen in einem kleinen Ort nördlich von San Francisco im September 1990 mehrere Menschen aufeinander, deren Existenz zerrüttet oder bedroht ist.

In "Jesus' Sohn" ist ein arbeitsloser und trunksüchtiger Drogenabhängiger in Kriminalität verstrickt und scheitert kläglich mit seinen Versuchen, einen Ausweg zu finden.

John Updikes Protagonisten sind ebenfalls traurig-komische Helden einer aus den Fugen geratenen Welt. Ihr Leben wird durchweg bestimmt durch Geld, Sex, Einsamkeit und Angst vor Krankheit. Updike führt sie durch alle Höhen und Niederungen des Daseins. Wir sind alle irgendwie verrückt, sagt er, "einschließlich ich selbst, der an das Christentum zu glauben vorgibt."

John Updike nennt sich einen bekennenden Christen, aber nicht einen christlichen Autor, als solcher wäre er, wie er sagt, "den christlichen Heucheleien verpflichtet." - "Ich bin Kirchgänger", gesteht er in einem Interview in der Wochenzeitung "Die Zeit", "sehe aber dieselbe Welt wie alle anderen Menschen auch, sehe denselben Widerspruch zwischen Gott und seiner Schöpfung und muss also frei sein zu schreiben, was ich sehe. Es gibt zu viele christliche Schriftsteller in diesem Land. Diejenigen, die dieses Etikett tragen, werden zu sehr eingeengt...Ich bin überzeugt, dass Menschen nur sehr schwer ohne Gott auskommen. In der ein oder anderen Form gibt es das individuelle Bedürfnis nach dem Transzendenten, um Kraft zu tanken. Nehmen wir eine meine bekanntesten Figuren - Harry Angstrom, Held der Rabbit-Serie. Er neigt durchaus dem Glauben zu und hofft, dass noch mehr zum Leben gehört, als nur zu tun, was man gesagt bekommt."

Der große Erfolg von Updike, meint Walter Grünzweig im "Kritischen Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur", "liegt in der Verbindung eines spezifischen Realismus mit stark ausgeprägter metaphysisch-religiöser Spekulation. Der Thematisierung von Entfremdung, Verdinglichung und Kommunikationslosigkeit wirkt allerdings einer in religiösem, mythischem oder symbolischem Gewand angebotenen Lösung auf höherer Ebene entgegen, die dem Leser einen Ausweg aus den unüberwindlich anmutenden Problemen des 20.Jahrhunderts zu weisen scheint." So hofft auch Updike Harry 'Rabbit' Angstrom auf Erlösung, verstrickt sich jedoch immer mehr in Schuld.

Man findet bei Updike religiöse Symbolik und theologische Einstreuungen von Pascal bis Kierkegaard und Karl Barth. Trotz widriger Strukturen erfahren Updikes Menschen die Sinnhaftigkeit ihres Lebens vor allem in der 'Erdnähe' des Menschen, insbesondere in der Sexualität, da Updike diese als religiöse Suche interpretiert.

Von Ehebruch, pornografischen Fantasien und intellektueller Gottsuche handelt auch sein Roman "Das Gottesprogramm". Im Mittelpunkt des Romans stehen der Theologieprofessor Roger Lambert, seine attraktive Frau Esther sowie seine Nichte Verena und der Student Dale, der mit Hilfe eines Computers die Existenz Gottes beweisen möchte.

Drei verschiedene Milieus werden vom Ich-Erzähler, dem Theologie-Professor Roger Lambert vorgestellt: sein eigenes liberales Verständnis und seine gut situierte Privatwelt, ferner die Ideenwelt des glaubensstarken Informatik-Genies Dale Kohler, eines Gottesfreaks, der ein PC-Simulationsprogramm zum Nachweis aller von einem personalen Gott gesteuerten und verantworteten Entwicklungsprozesse installieren möchte, vom Urknall bis zu sexuellen Attraktionen hin. Er ist dem Herrn aller religiösen Gesetze und naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten auf der Spur. Das dritte, etwas derangierte Milieu vertritt im Roman Professor Lamberts Nichte Verena, eine junge triebhafte, unselbständige Frau, rausgekegelt aus Schule und Elternhaus und materieller Gesichertheit, mit nervig-kreglem Kind, am Rande des sozialen Absturzes.

Gerade bei Updike stehen wir vor der Frage: Wo sind Spuren des unendlichen Gottes, wie können wir sie im Endlichen fassen? Wie sie verifizieren in unserer Biografie?

In "Gott und die Wilmots" haben vier Generationen der amerikanischen Familie Wilmot Schwierigkeiten, sich in der Welt zurechtzufinden. Sie hadern mit Gott und finden einzig in der Schein-Welt des Kinos Ruhe und Erlösung.

Sogar Norman Mailer hat in "Das Jesus-Evangelium" über das Leben Jesu geschrieben. Hierbei handelt es sich keineswegs um ein besinnliches Bibel-Remake, vielmehr ruft Mailer Jesus auf, selbst Zeugnis abzulegen von seiner kurzen, aber seit 2000 Jahren weltbewegenden Karriere und damit endlich seine selbst ernannten Nachfolger in die Schranken zu weisen. Mailers Jesus ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, der träumt, zweifelt, liebt, lacht, weint und leidet und sein eigenes Leben und Wirken auf Erden in Ich-Form erzählt. "Mailers Evangelium ist", laut Klappentext, "ein Hohelied auf die Liebe und die Menschlichkeit". Amerikanische Geistliche haben freilich gegen Mailers Buch Protest eingelegt weil es den Aussagen der Bibel widerspreche. Gerhard Beckmann in der "Welt" findet: "Literarisch ist Mailers "Jesus-Evangelium" dürftig, ein Wagnis, das in dieser Form scheitern musste."

In John Irvings Roman "Gottes Werk und Teufels Beitrag" geht es dagegen mehr um menschliches Tun, um Geburt, Entbindung und Abtreibung, um einen Arzt, der trotz des gesetzlichen Verbots Abtreibungen vornimmt und somit zu Gottes Werk des Teufels Beitrag hinzufügt.

Gott und himmlisches Personal bemüht auch der 1961 in Pittsburgh geborene amerikanische Schriftsteller Stewart O'Nan. Für seinen Erstlingsroman "Engel im Schnee" wurde ihm 1993 der William-Faulkner-Award zugesprochen. Der 1999 erschienene Roman "A Prayer for the Dying" (im Deutschen wurde er 2001 unter dem Titel "Das Glück der anderen"veröffentlicht) ist ein amerikanischer Hiob-Roman, so "etwas wie schwarze Erbauungsprosa", meinte Stefanie Holzer in der Frankfurter Rundschau vom 19.1.2001 und fügte gönnerhaft hinzu, aber es solle ja Leser geben, die so etwas mögen.

Auch der 1959 in Western Springs geborene Autor Jonathan Franzen, der wie Updike im Schatten der Kirche aufgewachsen ist, lässt in seinem Roman "The Corrections" die Theologie wiederkehren, während der jüngste Roman von Richard Rogers "Schattenflucht", laut Bruno Latour, "eine politische und theologische Betrachtung der wichtigsten Probleme unserer Zeit" ist.

Islamische Literatur

Eine ausgesprochen positive Rolle kommt der Religion - in diesem Falle der moslemischen Religion - in Jehan Sadats "Ich bin eine Frau aus Ägypten" zu.

Jehan Sadat, die Frau des 1981 ermordeten ägyptischen Staatspräsidenten Anwar el-Sadat, schildert, offen und spannend, ihr privates Leben und ihren "öffentlichen Werdengang", ihre Kindheit und Jugend in einem gleichermaßen islamisch wie westlich geprägten Elternhaus, ihre Heirat und ihre Ehe mit Sadat, seine Vorstellungen und Taten, aber auch ihre eigenen Aktivitäten als First Lady und ihr sozialpolitisches Engagement.

Jehan Sadats Bericht beginnt mit dem Attentat auf ihren Mann am 6.Oktober 1981, mit ihren letzten Erinnerungen an ihn, "wie er im Bad vor dem Spiegel steht und sich rasiert". Es werden Aufnahmen mit ihm und den Enkelkindern im Garten gemacht. Keiner ahnt, dass in wenigen Stunden weder Sadat noch der Fotograf mehr am Leben sein werden.

"Gott muss Anwar diesen letzten glücklichen Moment auf Erden bewusst geschenkt haben", schreibt sie.

Nach dem Tod Sadats wird noch im Operationssaal das traditionelle Moslemgebet für die Toten gesprochen: "Allah gehören wir, und zu ihm müssen wir zurückkehren. Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist Sein Prophet." (Der letzte Satz kommt häufig vor, er gehört zum Glaubensbekenntnis.) Am Spätnachmittag erscheint ein Zitat aus dem Koran auf dem Bildschirm: "Nichts wird uns geschehen, es sei denn, Allah habe es so bestimmt. Er ist unser Beschützer. In Allah mögen die Gläubigen ihr Vertrauen setzen."

Sadat war in den letzten Jahren sehr religiös geworden, fast zum Mystiker, hatte gefastet, auch wenn es gar nicht nötig war, und hatte mehr als die erforderlichen fünf Gebete gesprochen. Seine Seele werde mit Sicherheit in den Himmel einziehen, erklärt Jehan ihrem Sohn Gamal, "und mit der höchsten spirituellen Ehre belohnt werden: das Antlitz Allahs zu schauen." Doch weiß Jehan auch: "Schuld am Tod meines Mannes waren Nachlässigkeit und Sorglosigkeit."

Bei allem, was der Ägypterin begegnet, glaubt sie, dass Gutes wie Schlechtes, ausschließlich von Allah kommt. Niemand könne etwas an seinem Schicksal ändern, das Allah für uns vorbestimmt hat. Aber "Allah hilft nicht immer jenen, die sich nicht selbst helfen...es reicht nicht", sagt Jehan einmal zu ihrem Mann, "einfach zu sagen, Allah ist mit mir."

Frau Sadat hat im Grunde eine vernünftige Einstellung. Sie dankt Gott oder Allah für das Gute, das Versöhnliche im Leben, und wo ihr Negatives, Böses begegnet, sucht sie die Gründe dafür zunächst im menschlichen Tun und Trachten. Dafür gibt es meistens einsehbare, wenn auch nicht immer entschuldbare Gründe.

Wenn man nämlich Gott oder einer höheren Macht alles anlastet, auch das Negative, wie den Holocaust - für uns das Böse schlechthin -, macht man es sich zu leicht, dann enthebt man sich der Mühe nachzuforschen und sich zu fragen: Wo hat der Mensch versagt? Wo ist der Mensch schuldig geworden? Wofür trägt er die Verantwortung? Denn der Mensch ist nicht nur ein passiver Spielball in den Händen Gottes.

"Gott, gib uns die Gnade, mit Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die sich nicht ändern lassen, den Mut, Dinge zu ändern, die geändert werden sollten, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden", betete im Jahr 1943 der amerikanische Theologe deutscher Herkunft Reinhold Niebuhr (1892-1971). Ähnlich ist auch die Einstellung von Jehan Sadat. Was indessen an ihrem Bericht auffällt und ihn von westeuropäischen Romanen unterscheidet, in denen religiöse Spuren auszumachen sind, ist: dass hier an der Religion ohne Wenn und Aber festgehalten wird. Offensichtlich gibt es für Frau Sadat kein Hadern mit Gott, keine Zweifel, keinen Unglauben. Kurzum: Jehan Sadat bekundet eine Festigkeit im Glauben, die bei uns selten geworden ist.

Die Stricke der Religion

Aber Religion kann nicht nur Stütze sein und Halt verleihen, sie kann auch einengen und versklaven, insbesondere Frauen. Das war und ist vor allem in den monotheistischen Religionen der Fall. Im Christentum werden seit einigen Jahrzehnten die Frauen immer emanzipierter, im Islam und im orthodoxen Judentum dagegen sind Frauen nach unserem Verständnis noch immer arm dran. Das wird drastisch sichtbar in dem autobiografisch gefärbten Roman "Stricke" des israelischen Schriftstellers Chaim Be'er (Jahrgang 1945). Er spielt in der Welt der jüdischen Orthodoxie, in Mea She'arim, im Viertel der ultraorthodoxen Juden in Jerusalem. Die in diesem Viertel wohnenden Menschen widmeten, und tun es oft heute noch, ihr Leben dem Tora-Studium. Außenstehende sehen darin nicht selten nur ein Synonym für religiösen Fanatismus. Wer sich also auf die Lektüre dieses Buches einlässt, betritt eine bizarre, fast verwunschene, aber keineswegs heile Welt, die unserem Kulturkreis weitgehend unbekannt ist.

Da ist zunächst die achtzigjährige Großmutter. Sie erzählt gern abenteuerliche, mythische Geschichten - der eifrigste Zuhörer ist ihr kleiner Enkel Chaim - und verschlingt alles Gedruckte, das ihr in die Hände fällt, "mit unersättlicher Begierde". Dabei konnte sie bis zu ihrem fünfzigsten Lebensjahr weder lesen noch schreiben. Die fanatisch gottesfürchtigen Männer, die ihr Leben beherrschten, zuerst der Vater, später ihr Mann, haben ihr aufgrund religiöser Anschauungen verwehrt, Wissen zu erwerben - da dieses Recht ausschließlich Männern vorbehalten sei. Mit den Worten des Psalmisten, "die Würde der Königstochter zeigt sich im Hause", habe man ihr beigebracht, dass sich ihre Welt auf Kinder, Küche und die Frauenabteilung der Synagoge zu beschränken habe. Erst als Witwe blühte sie richtig auf. Heimlich und ohne fremde Hilfe brachte sie sich Lesen und Schreiben bei. Von ihr erfuhr nun der Enkel nach und nach die mit vielen überraschenden Wendungen, Wundern und Versuchungen überfrachtete Geschichte ihrer alten, aber jetzt auseinander brechenden Familie.

Die Mutter wiederum hatte als junges Mädchen der Engstirnigkeit ihres Vaters und der Unbildung ihrer Mutter zu entkommen versucht. Aber der Mann, auf den sie alle Hoffnung gesetzt hatte, hatte sie enttäuscht und betrogen, und als dann noch ihre beiden kleinen Töchter früh verstarben, verlor sie den Glauben an Gott. Nach ihrer zweiten Heirat schenkte sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem Sohn Chaim aus dieser Ehe.

Der Vater Chaims wiederum war ein Jude des Rituals, den es vor allem wegen der Form, nicht wegen der Inhalte in die Synagoge zog. Denn seitdem er in Russland Pogrome miterlebt hatte, glaubte auch er nicht mehr an Gott. Für ihn hatte das "Hurenhaus, das man gemeinhin die Welt nennt .. keinen Hausherrn." Trotzdem begab er sich regelmäßig in die Synagoge. Außerdem übte er wirkliche Barmherzigkeit aus, die darin besteht, dass man die Armen dabei nicht beschämt.

Daneben tauchen noch einige Verwandte auf, wie etwa der Onkel Jakob, der mit seiner Frau Sulka eine biblisch-idyllische Ehe führt.

Bei Licht betrachtet, bemühen sich hier drei Menschen auf unterschiedliche Weise, ihrer Tradition den Rücken zu kehren, ohne wirklich imstande zu sein, den engen Raum der Orthodoxie ganz zu verlassen. Erst dem Schriftsteller Chaim Be'er gelingt es, schreibend sich der Stricke, die alle gefesselt haben, bewusst zu werden und sich von ihnen zu befreien. Wichtig wird für Be'ers Lebenslauf die Bibliothek in Jerusalem, die er Mitte der fünfziger Jahre zum ersten Mal betritt. Für ihn wird sie das Tor zur Welt. Ähnlich erging es Ulla Hahn, als sie zum ersten Mal mit der Welt der Bücher in Berührung kam.

Im selben Milieu, nämlich in Mea Schearim in Jerusalem spielt auch der Roman "Die Verstoßene" von Eliette Abécassis. Die 26-jährige Rachel erzählt von ihrer Ehe mit Nathan, mit dem sie verheiratet wurde. Als die Ehe kinderlos bleibt und Rachel deswegen von ihrem Ehemann verstoßen wird, obwohl nicht sie an der Kinderlosigkeit schuld ist, sucht sie Befreiung im Tod. Die Restriktionen durch die jüdischen Religionsgesetze zeigen auch hier deutlich, dass für rigide Gläubige der einzelne Mensch und sein Glück nicht zählen.

In vielen anderen israelischen Roman, wie etwa in Leon de Winters "Leo Kaplan", treten dagegen glaubenslose Juden auf, die mit ihrer Religion jeden Halt in der Welt verloren haben.

Gottesverlust und Gottesferne spürt man auch in Gedichten von Paul Celan und in Elie Wiesels Roman "Abenddämmerung in der Ferne".

Wie sieht es in unserer Literaturlandschaft aus?

Gegen Ende des 16.Jahrhunderts und im 17.Jahrhundert war Gott anscheinend ein etwas häufigerer Besucher in der Werkstatt der Poeten und in der Einsiedelei der Metaphysiker, als er es in neuerer Zeit ist. Erinnern wir uns zunächst an einige ältere Schriftsteller, an Heinrich Böll, zum Beispiel an seinem Clown, der eine Schimpfpredigt hält gegen "die laufende Produktion von falschen Weltbildern." In "Dr.Murkes gesammeltes Schweigen" ist von jenem höheren Wesen, "das wir verehren", die Rede. Auch Frischs Stiller enthält Aussagen zu religiösen Themen. Camus wird in diesem Zusammenhang gleichfalls häufig genannt, obgleich für ihn der Himmel leer war. Aber diese Autoren, die ihre Bücher vor einigen Jahrzehnten schrieben, sind schon lange tot.

Kommt in der Moderne die Religion nicht mehr an? Im Hinblick auf das Wort "Gott" sind die Texte der modernen Literatur auffallend zurückhaltend. Gott scheint, seitdem durch die Aufklärung alle Lebensbereiche zunehmend säkularisiert wurden, aus Kunst und Literatur, öffentlicher Diskussion und privater Lebensplanung verschwunden zu sein.

Religiöse Dichter, die in poetischer Form eine religiöse Botschaft weitergeben, findet man heute kaum. Doch mit religiösen Zeichen, Bildern, Begriffen und Mythen aus der Welt der Religion arbeiten immer noch viele. Bei nicht wenigen Schriftstellern, auch wenn sie längst aus der Kirche ausgetreten sind, ist das abendländisch christliche Erbe noch sehr lebendig.

Begibt man sich auf die Suche nach religiösen Spuren in der modernen Literatur, so mutet dieses Unterfangen zunächst etwas mühsam an, stellt sich aber als nicht ganz vergeblich heraus. Denn die säkularisierte Gesellschaft ist keineswegs eine religionslose Gesellschaft, und so ist es kein Wunder, dass auch in der Literatur die transzendentale Obdachlosigkeit des Individuums vorkommt und mehr oder weniger verhüllt die Suche nach dem, was trägt. (Zwischenbemerkung: Den Begriff transzendentale Obdachlosigkeit prägte Georg Lukács in seiner Theorie des Romans (1916). Transzendental obdachlos sind mithin jene, die die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen und religiöse Antworten darauf nicht akzeptieren, weil sie glauben, dass sich alles mit dem irdischen Dasein erschöpft, so dass es für Ungerechtigkeit, Gewalt und Unglück kein Ausgleich geben könne, zumindest nicht in einem Jenseits. Das sind also Menschen, die nicht die Hoffnung haben, wie sie Horkheimer gegen Ende seines Lebens insgeheim hegte, dass die "Sehnsucht nach dem Ganz Anderen" nach dem Tod Erfüllung finden könnte. Auch Goethe war von dieser Hoffnung getragen, sagte er doch: "Es kann die Spur von unseren Erdentagen nicht in Äonen untergehen.")

Aber zurück zu unserem Thema. Religiöse Bezüge werden in modernen zeitgenössischen Erzählungen und Romanen der letzten Jahre durchaus thematisiert. Die zeitgenössische Literatur ist gar nicht so "gottfern" wie es oft den Anschein hat, sondern offen für religiöse Fragestellungen. Allerdings ist sie nicht kirchengebunden und schneidet nicht selten unkonventionelle religiöse Problemfelder an. Folgende Romane sind hierfür ein gutes Beispiel:

In Uwe Timms Roman "Rot", in dem es um Liebe und Tod geht, stellt der Held die Frage nach dem Sinn des Lebens. Adolf Muschg lässt in seinem Roman "Sutters Glück" seine Personen religiöse Fragen erörtern und über Gott und Gerechtigkeit, über Sinn und Bestimmung des Lebens und der Welt philosophieren - natürlich ohne abschließendes Ergebnis und auch nur ganz nebenbei. Der Schweizer Autor selbst hat in verschiedenen Beiträgen und Interviews seine christliche Erziehung in der Kindheit erwähnt, die nicht nur für ihn, sondern für viele ältere Menschen unseres Jahrhunderts offensichtlich eine schwere Hypothek gewesen ist. Muschg hat nämlich unter dem religiösen Anspruch seiner Eltern, besonders seiner frommen Mutter, sehr gelitten.

In seinem Parzival-Roman "Der Rote Ritter" hat er Genesis Eins, und zwar den Mythos von der Erschaffung der Welt, detailliert nacherzählt, beinahe so, als sei es notwendig, im letzten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts den Schöpfungsbericht in allen Einzelheiten in Erinnerung zu rufen, ihn kurz und bündig zusammenzufassen, als wäre er im Zuge der Modernisierung und Säkularisierung, spätestens aber im ausgehenden 20.Jahrhundert, aus dem Gedächtnis der Welt verschwunden, als wäre sowohl die rabbinische wie die patristische Tradition aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet.

Parzival findet in den ihm erzählten Mythen seine eigenen Nöte aufgehoben und kommt so zum Nachdenken über Begriffe wie "Gewissen" und " Sünde". Er sieht - befindet Johann Holzner - die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft neu - "mit jungen Augen."

Dagegen hat Muschg die Teufelsgestalt, die sich dem Messianischen widersetzt, in seinem Roman "Das Licht und der Schlüssel. Erziehungsroman eines Vampirs" verarbeitet.

Autoren erzählen von ihrer christlichen Kindheit

Martin Walser berichtet in seinem 1998 erschienenen Roman "Ein springender Brunnen" von seiner Kindheit in einer kleinen Stadt am Bodensee. Religiöse Strukturen werden auch hier sichtbar, obwohl die Geschichte überwiegend während des Dritten Reiches spielt, in dem die Kirche nicht viel zu sagen hatte. Aber an der katholischen Lebenspraxis hält die Familie auch weiterhin fest und erkennt die Autorität der Geistlichkeit uneingeschränkt an.

Später wird für Martin Walser Gott "eine Lesefrucht":"Manchmal scheint auch Winnetou, unsere letzte und reinste Rettungsfigur nicht mehr helfen zu können. Dann bleibt uns noch Gott. Die Superfigur. Auch eine reine Literatur- und Lesefrucht. Religion ist ja die erste Literatur überhaupt. Sie ist die Gründung der Fiktion. Was wir an Literatur haben, ist bastardisierte Religion. Gott mit allem Drum und Dran ist ja nichts anderes als unsere erste Antwort auf unsere Hilflosigkeit, Hilfsbedürftigkeit. Deshalb haben wir ihn ausgestattet mit Allmacht, Allgegenwart, Unsterblichkeit. Eben mit allem, was uns permanent fehlt. Aber es spricht für uns, finde ich, dass wir Gott so gut geschaffen haben."

In seiner Dankrede zur Verleihung des Büchners-Preises im Jahr 1981 analysiert er die Schrecken, die aus der Büchnerschen Erfahrung vom Fehlen Gottes resultieren und sagte u.a.: "Ob ein Kind, das in einer schon komplett atheistischen Familie heranwächst, noch erschrickt, wenn es fünfzehn oder sechzehn wird und selbst erlebt, dass Gott fehlt? Oder vermisst so jemand überhaupt nichts? Ich möchte annehmen, auch ein richtiges Atheistenkind muss, bevor es in das Gottlosigkeits-Stadium seiner Eltern eingehen will, durch ein Dickicht durch, in dem Gott mit jedem Ast den Weg verbaut und unerreichbar ist, sobald man glaubt, man brauche ihn. Womit ich nur sagen will, auch wir, die wir seit Jahrzehnten zuschauen, wie Gott in den Laboratorien der Theologie zerbröselt wird, wir, die den Glaubenskampf jeweils an die Modedisziplin, momentan also an die Linguistik, delegieren, auch wir können noch in den Schrecken des jungen Büchner fallen, wenn wir wieder einmal zahnwehhaft scharf spüren, dass Gott fehlt. Und diese typische Büchnerstimmung, dieses, wenn Sie gestatten, merrettichhafte Leererlebnis kommt also von nichts als von der jeweils jäh einschießenden Erfahrung, dass Gott fehlt." Walser zitiert Lenz, der sagt:" ..wär ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten..." Walser fährt fort:"Daran stirbt ihm sein Gott, dass er den Menschen nicht helfen kann. Büchner kann Menschen nicht leiden sehen, das ist alles. Ein Gott, der nicht hilft, ist keiner. Aber wenn dann keiner ist, schießt eben aus allem, was Zeit und Raum servieren, dieser Leere-Schrecken heraus. Und in einer Welt, aus der die Dimension Gott verschwunden ist, schnurrt dieses Ich, das gerade noch fantastisch aufgelegt schien, zu einem trockenen, einsamen schmerzhaften Punkt zusammen. Darum ist jeder bei Büchner ein armer Hund. Danton und Robespierre, Woyzeck und der Hauptmann. Bei einem, bei dem das Leiden alles und dem alles zum Leiden wurde, kann es keine privilegierten Existenzen geben. 'Der Aristokratismus ist die schändlichste Verachtung des heiligen Geistes im Menschen', schreibt er im Brief an seine Eltern."

Walser kommentiert: "Und ein Gott, der nicht helfen kann, muss weg. Egal wie schlimm der Leere-Horror sei, der dann folge. So wenigstens Büchner." Auf einer seiner Lesereisen im Jahr 2000 bekannte Walser ganz offen, dass seine Beschädigung durch die katholische Erziehung auf der Hand liege. "Ich kann nichts in meinem Leben genießen, ohne daran zu denken, dass ich das nicht darf. Ein katholisches Kind bleibt in gewisser Weise verkrüppelt."

Warum das so ist, zeigt nicht nur Walsers Kindheitsroman sehr deutlich. Verklemmte angstbesetzte katholische Erziehung, die angehenden Kommunikationskindern absurde Sünden einredet, von denen sie nur durch die Beichte befreit werden könnten, statt ihnen wirklich Gottes Wort der Liebe nahe zu bringen, hat nicht nur Walser und seine Zeitgenossen beschädigt, sondern viele Generationen vor und nach ihm, denen ebenfalls eine rigide religiöse Erziehung zuteil wurde.

In Ulla Hahns Kindheitsroman "Das verborgene Wort" übt der rheinische Nachkriegskatholizismus eine fast alles beherrschende Macht aus, insbesondere auf die Arbeiterkultur. Der Klerus behandelt seine Gläubigen zur Adenauerzeit wie unmündige Kinder, denen man sagen muss, was sie zu wählen haben, damit nicht die SPD oder schlimmer noch die KPD in die Rathäuser einzieht. Das Kind, das auf seine erste Kommunion vorbereitet wird, fragt, warum der im Sterben liegende Großvater so sehr leiden müsse und wird mit der nicht nur für ein Kind unverständlichen Antwort abgespeist, dass Jesus die Leidenden brauche, sonst könne er nicht barmherzig sein.

Die Protagonistin Hildegard Palm wächst in einem bedrückenden, geistfeindlichen Milieu auf, in dem die Menschen nur auf die Sicherung der nackten Existenz bedacht sind und durch einen gefühlskalten und Herzen verhärtenden Katholizismus um die wenigen Glücksmöglichkeiten ihres materiell und seelisch verarmten Lebens gebracht werden.

Jedoch bedeutete der katholische Glaube in Ulla Hahns Kindheit nicht nur Beengung. Er gab auch Halt und Kraft und ermöglichte dem heranwachsenden Kind die Begegnung mit etwas Schönem und Utopischem sowohl durch den Kirchenraum mit seiner alles überragenden beeindruckenden Größe als auch durch die feierliche Musik und die getragene lateinische Sprache, die dort gepflegt wurden und die die Seele des Kindes weit und hell machten. Dem Kind begegneten ferner Schutzengel in Gestalt von Menschen - Lehrern, Pastören, Kinder- und Schulschwestern -, die ihr geholfen haben und von denen einige für Hildegard Poesie und Menschlichkeit der Kirche verkörperten.

Hildegard Palm alias Ulla Hahn flüchtet, sobald sie lesen und schreiben kann, immer mehr in die Wörterwelt und versucht, den Dingen das verborgene, in ihnen schlafende Wort zu wecken, denn: "Mit Schreiben und Lesen fängt das Leben an". Dieser Satz auf einer mesopotamischen Wachstafel bildet das Motto des Romans. Heißt es doch schon bei Eichendorff "und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort." Die Poesie, nicht die Religion wird Ulla Hahns Rettung.

Welche Rolle heute die Religion im Leben der Lyrikerin einnimmt, vermag ich nicht zu sagen. Dies geht weder aus ihrer Biographie noch aus ihren Gedichten klar hervor.

Natürlich greift auch Ulla Hahn wie viele andere Lyrikerinnen und Lyriker auf biblische Bilder und Metaphern in ihren Gedichten zurück, wie etwa auf Kreuz, Vaterunser und Engelszungen. Allenfalls drückt ihr "Danklied" ihr gegenwärtiges Verhältnis zu Religion und Gott aus:

"Ich danke dir, dass du mich nicht beschützt, /

dass du nicht bei mir bist, wenn ich dich brauche, /

kein Firmament bist für den kleinen Bärn, /

und nicht mein Stab und Stecken, der mich stützt. /

Ich danke ich für jeden Fusstritt, der /

mich vorwärts bringt zu mir /

auf meinem Weg. Ich muss alleine gehn. /

Ich danke dir. Du machst es mir nicht schwer. /

Ich dank dir für dein schönes Angesicht, /

das für mich alles ist und weiter nichts. /

Und auch dass ich dir nichts zu danken hab /

als dies und manches andere Gedicht."

Ulla Hahn hat also durchaus christliche Tradition und biblische Bilder in ihrer Lyrik verarbeitet. "Das Denken in Bildern macht uns die Bibel vor", sagte sie einmal im Gespräch mit Karl-Josef Kuschel. Auch stecke hinter dem Aufgreifen biblischer Bilder "die Sehnsucht nach etwas, was es in der Wirklichkeit nicht gibt, aber doch in der Bibel verheißen ist." Gefragt, ob sie an die Wirklichkeit Gottes glaube, antwortete sie:"Ich möchte gerne glauben, dass es so etwas gibt."

Vielleicht trifft ja auf Ulla Hahn in erster Linie das Goethe-Wort zu, das da lautet:

"Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, /

hat auch Religion, /

wer jene beide nicht besitzt, /

der habe Religion."

Um den Verlust des Kinderglaubens geht es auch in Franz Fühmanns "Meine Bibel" und in Christoph Heins "Von allem Anfang an". Schon 1965 sprach Friedrich Dürrenmatt als geschädigter Pastorensohn rückblickend vom "schemenhaften lieben Gott" seiner Kindheit, "den man anbeten, um Verzeihung bitten musste, von dem man aber auch das Gute, das Erhoffte und Gewünschte erwarten durfte, als von einem rätselhaften Überonkel über den Wolken."

"Überblickt man die Äußerungen verschiedener Autoren zu Bibel, Religion und Kirche insgesamt, so ist bemerkenswert", schreibt Magda Motté, "dass die Entwicklung des Glaubens von der naiv kindlichen Zuversicht zum angefochtenen Vertrauen des Erwachsenen fast nie gelungen ist. Die meisten reiben sich an amtskirchlichen Verlautbarungen und Praktiken."Mit zunehmender Gleichgültigkeit dem christlichen Glauben gegenüber verschwinden selbst die Relikte einer christlichen Kindheit, wie sie in den Werken älterer Autoren noch vielfach zu finden sind. Nur noch wenige Kinder und Jugendliche wachsen als Getaufte in einem homogen christlichen Raum auf, werden von jung an auf christliche Werte verpflichtet und erleben das liturgische Kirchenjahr wie ihre Großeltern. Die nachwachsenden Generationen werden von ganz anderen Problemen und Krisen bewegt als ihre Eltern und Großeltern.

Zwei deutsche Autorinnen

In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst zwei Autorinnen erwähnen: Eva Zeller und Gabriele Wohmann.

Eva Zeller, Frau eines Pfarrers, macht in ihren Büchern wie etwa in "Tod der Singschwäne" häufig deutlich, wie sehr sie sich auch als Schriftstellerin der christlichen Botschaft verpflichtet fühlt, ohne sie dem Leser als einzig mögliche Anschauung von Welt aufzudrängen.

In ihrem Lyrikband "Ein Stein aus Davids Hirtentasche" kreisen die religiös gefärbten Gedichte um die Erfahrungen eines Menschen, der die Bibel beim Wort nimmt, um deren Spuren am eigenen Leben zu ertasten. In der Auseinandersetzung mit biblischen Gestalten nähert sich das lyrische Ich, schwankend zwischen Zweifel und Gewissheit, in einer spröden Diktion der Botschaft der Bibel und läßt in der lutherischen Tradition deutlich werden, dass das Geheimnis des Glaubens auf Sprache angewiesen ist. "Nicht, dass ich/es lese, um es/zu lesen, ich/ habe nur das /unverschämte Glück,/am Tropf dieser Worte zu hängen."

In ihrem Buch "Die Lutherin" verfolgt Eva Zeller die Spuren von Katharina von Bora und nimmt deren Leben zugleich als eigenes Spiegelbild wahr.

In ihrem Gedicht "Jesaja 45,9" dient ihr der vorangestellte Vers nur als Ausgangspunkt für eigene Betrachtungen.

Sie denkt "Jesaja 45,9" quasi weiter und formt den Ausspruch

"spricht der Ton zu seinem Töpfer: Was machst du" in die Existenzerfahrung um: "..da war der Achsendruck das/Schlingern einer Töpferscheibe der/schwindelnde Gedanke es/bediene wer sich meiner Fliehkraft." Die Dichterin benutzt das Schriftwort als Initialzündung, führt den Gedanken weiter aus und bringt so das Bibelwort in eindringlicher Weise zum Sprechen.

In ihrem Prosaband "Der Turmbau" stellt sie in der Titelgeschichte unter deutlichen Bezügen zu Genesis 11 ein modernes Wohnsilo unserer Zeit vor, "detailliert und funktionalisiert durchgeplant für 30.000 Bewohner, gleichzeitig aber ein Mahnmal der Seelenlosigkeit und Isolation des zeitgenössischen Menschen"(Georg Langenhorst).

Das "Hohe Lied der Liebe" aus 1.Korinther 13, hat sie der Welt und der Sprache von heute angepasst. Den paulinischen Lobgesang auf die Liebe dichtet sie in einem acht-strophischen Gedichte nach. Die erste und letzte Versgruppe sind hier der biblischen Vorlage gegenübergestellt

Zunächst 1.Kor.13,1:

"Wenn ich/ mit Menschen-/ja mit Engelszungen rede,/habe aber der Liebe nicht,/so bin ich ein tönendes Erz/Und eine gellende Schelle"

Bei Zeller heißt es: "Wenn ich/ das Schweigen brechen könnte/und mit Menschen-/ und Engelszungen reden/ und hätte der Liebe nicht/ so würde ich/ leeres Stroh dreschen/und viel Lärm machen/ um nichts.

1.Kor.13,13

"Nun aber bleiben/Glaube, Liebe, Hoffnung,/diese drei/am größten jedoch/unter ihnen ist die Liebe."

Zeller: "Nun aber bleibt/ Glaube Liebe Hoffnung/ Diese drei/ Aber die Liebe/ ist das schwächste/ Glied in der Kette/ Die Stelle an welcher/ der Teufelskreis bricht."

Wie andere Autorinnen unserer Zeit erprobt Zeller in zahlreichen Gedichten, besonders zu Frauengestalten, mit Hilfe der Bibel eine neue Sprache und eine neue Sicht.

In einem anderen Gedicht bekundet sie ihr Bindung an die Bibel:

"Sie werden lachen: /

Die Bibel: dies /

Sammelsurium der /

Schlitzohren /

und Opferwütigen, der /

Ehebrecherinnen und /

Gebenedeiten, der /

Judasse und derer, /

die mit ihren Tränen /

prangen dürfen. /

Sie werden lachen: /

die Bibel, die Lautschrift, um aus /

sprechen zu können, /

wonach der Kranke /

sich müde seufzt, /

der Empörer in /

unterkellerten Städten. /

Sie werden lachen: /

die Bibel, ein Buch /

zum Verschlingen, /

Himmelherrgottnochmal, und ich bin /

höllisch froh, /

dass es dermaßen /

dick ist."

(Doch seit langem sind ihre Gedichtbände wie "Fliehkraft", "Auf dem Wasser gehn" und "Ein Stein aus Davids Hirtentasche" vergriffen und werden vorläufig nicht wieder aufgelegt. Soll man darin ein Symptom unserer Zeit sehen, die glaubt, christlich gefärbte Lyrik entbehren zu können ?)

In Gabriele Wohmanns Erzählungen kommen immer wieder Menschen vor, für die der Glaube wichtig ist. Themen bei ihr sind das zerbrechliche Glück, Alter, Sterben, Tod, das Gefühl, auf dieser Erde keine Heimat zu haben. Die Schriftstellerin ist Tochter eines evangelischen Pfarrerehepaares, aber offensichtlich hat ihr die christliche Erziehung nicht geschadet im Gegensatz zu anderen christlich erzogenen Schriftstellern. Ihr Vater sei tolerant gewesen, sagte sie einmal, deshalb habe sie nie das Bedürfnis verspürt, rebellisch zu sein.

Die Schriftstellerin ist eine Meisterin exakter Beobachtung. Sie ist unerbittlich im Aufdecken menschlicher Schwächen und zeigt sich sensibel und solidarisch mit den Opfern. Ihre Geschichten handeln von kleinen Leuten mit großen Träumen, von unerfüllten Wünschen und zerschlagenen Hoffnungen, von Durchschnittsmenschen, denen viel widerfährt und die doch nichts erleben. Mit biblischen Aussagen hält sie sich in ihren ersten Büchern zurück. Erst in den letzten wird deutlich, woraus sie lebt. Es tauchen immer mehr Helden auf, die sich gegen den Zustand der Leere und der Gottlosigkeit wehren.

In ihrem Gedichtband "So ist die Lage" erzählt sie in ihrem Titelgedicht, dass sie bei ihrem "Versuch nach etwas Belangvollem Aussschau zu halten" auf sich selbst gestoßen ist und kommt dann nach mancherlei Überlegungen zu dem Schluss: "Lieber-Gott-Sagen ist möglich. Das liegt an mir."

In ihrem Roman "Schönes Gehege" bezieht sich die Hauptgestalt Roberth Plath ausdrücklich auf diese Aussage und bittet nach mancherlei Wirrnissen: "Bitte, lass mich nicht in dieser Leere, lieber Gott, ich habe Angst vor dieser Leere, ich nenne diese Leere jetzt Gottlosigkeit, Langeweile ist Gottlosigkeit, ist Angst vor dem Nichts, vor dem Tode.."

Seit den frühen achtziger Jahren flicht sie häufig Bibelzitate in ihre Texte ein und lehnt sich in ihrer Lyrik zuweilen an Barockpoesie und Kirchenlieder an. "Erst zögernd, aber dann immer deutlicher". so Ingrid Laurien, "schreibt sie aus einem christlichen Hintergrund heraus." "Ich schreibe Literatur über Ungetröstete, über Trostbedürftige, über Trostversessene", sagt Gabriele Wohmann. "Viele Menschen suchen in der Literatur nicht vordergründigen Trost, sondern sie suchen Wahrhaftigkeit und Identifikationsmöglichkeiten. Schriftstellerei und Literatur können keine Erlösung bieten, sie bieten alles mögliche andere: Interessantheit, Unterhaltung, Menschenkenntnis, sie vermitteln Genuss, Freude, Bestätigung, Identifikation... aber nichts wirklich Erlösendes, Transzendentes. Dazu ist nur die Kirche in der Lage."

In ihrem Band "Erzählen Sie mir vom Jenseits", aus dem das letzte Zitat stammt und der Gedichte, Erzählungen und Gedanken enthält, thematisiert sie die irdische Vergänglichkeit und weist auf die religiöse Dimension aller Wirklichkeit hin, für manche vielleicht überraschend, da Wohmann bisher immer betont hat, dass ihr persönliches Bekenntnis nicht in die Literatur gehöre. Denn bei Werner Bergengruen und Jochen Klepper ist ihr, nach eigenem Bekunden, das Christliche zu offenkundig. Mehr schätzt sie die Art eines John Updike.

Doch gerade bei den Themen Alter und Tod, denen sie sich in den letzten Jahren zugewandt hat, ist ihre Bindung an die christliche Religion als Voraussetzung zu einer intensiven Auseinandersetzung mit diesen gesellschaftlich immer noch stark tabuisierten Bereichen offenkundig.

Ihrer Kurzgeschichte "Ein russischer Sommer" liegt die Katastrophe von Tschernobyl zugrunde und seine Folgen für den Alltag und die Psyche der Menschen. Die Erzählerin fährt zuletzt nach Köln und sucht den Dom auf. "Damals", denkt sie, "haben die Menschen noch die richtigen Gebäude gebaut. Gott stößt nichts zu, habe ich plötzlich in der grandiosen Kälte des Mittelschiffs gewusst und bin getröstet worden."

Als Literaturfreunde von Gabriele Wohmann wissen wollten, ob sie diesen Satz ironisch gemeint habe, antwortete sie:"Im Zusammenhang mit Gott meine ich nie was ironisch. Er ist für den Menschenunfug nicht verantwortlich."

Günter Grass hat das christliche Erbe vielfältig verarbeitet

Sogar Günter Grass, obwohl seinen Büchern von Anfang an immer wieder Nihilismus, Pornografie und Blasphemie vorgeworfen wurde, hat das christliche Erbe in seinem Gesamtwerk vielfältig und, wie fromme Christen oft meinen, wenig respektvoll, verarbeitet und dabei nicht selten jene Fragen berührt, die zunächst jeden Menschen angehen, die aber explizit auch Thema für Theologie und Kirche sind. Damit wird er zum höchst anregenden und christliche Leser herausfordernden Autor. Das beginnt mit der für viele ärgerniserregenden satirischen Stilisierung der Figur Oskar Matzeraths zu einer Jesuspersiflage in "Die Blechtrommel" bis hin zur Erhebung der "Rättin" zur Ehre der Altäre nach dem Vorbild der Gottesmutter in dem gleichnamigen Roman, in dem Grass die Schöpfungsbedrohung radikalisiert und die Heilsgeschichte in eine Unheilsgeschichte umkippen lässt.

In der "Blechtrommel" lässt Günter Grass seine Hauptfigur Oskar Matzerath, sein Verhältnis zum Katholizismus so aussprechen: "Ich gebe zu, dass die Fliesen in den katholischen Kirchen, dass der Geruch einer katholischen Kirche, dass mich der ganze Katholizismus heute noch unerklärlicherweise wie, nun, wie ein rothaariges Mädchen fesselt, obgleich ich rote Haare umfärben möchte und der Katholizismus mir Lästerungen eingibt.."

Die sinnliche Realpräsenz des Katholizismus, so lauten Erich Garhammers Erläuterungen hierzu, wird bei allen sinnlichen Vorgängen ins Gedächtnis gerufen, allerdings nicht mit Einverständnis oder Genugtuung, sondern mit Abwehr und der ständigen Abwehr dieses Erbe loszuwerden. Die Gestalten von Grass arbeiten sich an dem christlichen Erbe ab und können ihre Identität gar nicht anders finden als mit dem Sprachmaterial der Bibel, "die Wiege und Käfig" zugleich ist.

An einer Stelle im Buch erinnert sich die Hauptgestalt Oskar Matzerath an einen Besuch in der Danziger Herz-Jesu-Kirche, in der auf einem Seitenaltar eine gipserne Muttergottes mit Kind steht. Oskar hängt dem "kochschinkenfarbenen Jesusknabe" seine Trommel um, drückt ihm die Stöcke in die Hand, wartet aber vergebens auf ein Wunder. Erst als Oskar den "rosigen Gips-Jesus ein zweites Mal auf die Probe stellt, nimmt er die Herausforderung an und beginnt zu trommeln. Er spricht mit Oskar, hebt den Zeigefinger "wie eine Volksschullehrerin" und gibt ihm einen Auftrag: "Du bist Oskar, der Fels, und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen. Folge mir nach!" Aber Oskar ist empört und bricht ihm einen Gipszeh ab.

"Der durch seine katholische Herkunft geprägte Schriftsteller Günter Grass", so kommentiert Birgit Lermen diese Szene, "richtet hier seine Aggressivität gegen eine Gipsfigur, gegen ein Jesuskind, das wie ein 'eineiiger' Zwilling seiner Hauptfigur Oskar gleicht. Damit protestiert er offensichtlich gegen kitschige religiöse Kunst, gegen naive Wundergläubigkeit und gegen christlich-kirchliche Frömmigkeitklischees."

Jesus wird von Oskar als "süßer Vorturner" tituliert und ist, soweit er in der Kirche zu finden ist, außen aus Gips und innen hohl. Von Gott selbst aber heißt es: "Es war da kein Herr". Lediglich im Fiebertraum kann Gott noch als Gott angesprochen werden. Doch in dem Maße, in dem sich die Gottesfigur verflüchtigt und sich an seiner Stelle ein Gefühl der Leere breit macht, nimmt eine andere Figur seinen Platz ein, die Schwarze Köchin. Sie ist die schwarze Kehrseite der Welt.

In der Endphase erreicht Oskar mit seinem Trommeln "messianische Größe". Er ist der Verkünder einer unrettbaren Welt, dessen Botschaft die Botschaft von der Heil-losigkeit ist, die die Heilslehren anderer, einer depravierten Kirche (Glaube, Hoffnung, Liebe), der Nazis oder der Konsumreligion der Nachkriegszeit zerschlägt. Gott aber ist und bleibt verschwunden und lässt die Schuld dem Menschen zurück.

In "Katz und Maus" exemplifiziert Grass am Helden Mahlke die Tragödie des Menschen. Sein übergroßer Adamsapfel steht als "ausgewachsene Frucht" die nicht "zu schlucken" ist für das Gefallensein von Mensch und Schöpfung von Anfang an. Mahlke nimmt den Kampf auf, im Gegensatz zu Oskar, der die Lust verliert. Zwei Bildreihen (ich nehme hier Bezug auf einen Essay von Volker Neuhaus im "Kritischen Lexikon zur Gegenwartsliteratur") durchziehen das Buch zur Kennzeichnung seines Kampfes, die vom Clown und die vom Erlöser, der Clown steht für "das Loch in der Schöpfung". Mahlkes Kampf kommt auch in seinem übersteigerten Marienkult zum Ausdruck, während er nicht an Gott glaubt, der in seinem System der Selbsterlösung überflüssig ist. Aber Mahlke scheitert. Hier wiederum tauchen Christus-Parallelen auf.

In "Hochwasser", einem Stück in zwei Akten, in dem er auf die biblische Sintflut zurückgreift, gestaltet er die Fähigkeit des Menschen, sich mit Katastrophen zu arrangieren und seine völlige Unfähigkeit, aus ihnen zu lernen. Nebenbei dichtete er:"Unter dem Kaffeewärmer sitzt der liebe Gott/ und kann es nicht verhindern/dass er langsam kalt und böse wird."

Bei vielen Büchern von Grass hat man das Gefühl, dass der Schriftsteller, der 1974 aus Protest gegen die Haltung der Bischöfe zur Abtreibung die katholische Kirche verlassen hat, ständig zwischen einem Liebe-Hass-Verhältnis zum Katholizismus schwankt, dem er gleichwohl, wie er in einem Interview gesagt hat, mehr Überlebensfähigkeit zutraut als der marxistischen Ideologie.

Der "Butt" wiederum steht für menschliche Versuche, der Geschichte und ihrer Entwicklung einen Sinn zu geben. Auch er ist ein Roman des Scheiterns, mehr noch, das "Jüngste Gericht" über alle bisherigen Entwicklungen.

In "Das Treffen in Telgte", einem witzigen und anspielungsreichen "Bericht" über ein fiktives Treffen der wichtigsten deutschen Literaten des 16. und 17.Jahrhunderts, ziehen sich die zwei Hauptinitiatoren des Treffens, Dach und Albert, angesichts des allzu bunten nächtlichen Treibens in ihre Dachkammer zurück. Warum? Sie lasen "einander aus der Bibel vor: aus dem Buch Hiob natürlich.."

In "Kopfgeburten" bekennt sich Grass ausdrücklich als Sisyphos zum ständigen Wälzen des Steins als "mir angemessen", wovon er von keinem Gott und keiner Gesellschaft erlöst werden will.

Der Roman "Die Rättin", der zwei Monate nach Tschernobyl auf den deutschen Markt kam, liefert auf der Romanebene keine Hoffnungsbotschaft für die Menschen. "Schluss", sagt die Rättin. "Euch gab es mal. Gewesen seid ihr, erinnert als Wahn. Nie werdet ihr wieder Daten setzen. Alle Perspektiven gelöscht. Ausgeschissen habt ihr. Und zwar restlos. Wurde auch Zeit." Da der Mensch aufgrund seiner artspezifischen Dummheit und Unvernunft ("Rüstungswahn, Sicherheitsdenken im Gleichgewicht des Schreckens") sich als unfähig erwiesen hat, sich der Entwicklung anzupassen, ist er des Überlebens nicht wert. "Die Evolution geht weiter, ohne den Menschen und ohne Transzendenz."

"Wahrlich, ihr seid nicht mehr! höre ich sie verkünden. Wie einst der tote Christus vom Weltgebäude herab, spricht weit hallend die Rättin vom Müllgebirge." - Grass knüpft hier "an die Rede Jean Pauls an und lässt", laut Erich Garhammer, das Traummaterial bittere Wirklichkeit schreiben."Für Günter Grass ist die Zeit des Menschen abgelaufen, er ist beerbt worden von den Ratten, die ihre Lektion gelernt haben und schöpfungskonform leben. Unter ihnen darf die Schöpfung ausatmen, denn die "Krone" der Schöpfung. der Mensch, ist nicht mehr. Durch seine Ausbeutung der Schöpfung hat er sich selbst ausgelöscht. Grass bedient sich für seine Negativutopie der Apokalypse, wobei die Rettung der Auserwählten allerdings nicht mehr stattfindet. Der Untergang ist kollektiv. Das Scheitern der Aufklärung ist für ihn genauso evident wie das Scheitern des Christentums. Die Menschheit hat sich ihr Ende selbst zuzuschreiben. Sie ist an ihrer vermeintlichen Aufklärung zugrunde gegangen.

In "Ein weites Feld"( in dem Grass den Einigungsprozess kritisch beleuchtet) besuchen die beiden Hauptgestalten Fonty und Hoftaller die Insel Hiddensee und auf ihr die Fischerkirche. Hoftaller, der Stasi-Mann aus der Normannenstraße, zuvor Gestapo-Mann in Hitlers Prinz-Albrecht-Palais, hat keinen Sinn für den Sakralraum der Kirche. Über der Sakristei halten geschnitzte Engel das Spruchband: "Heilig, heilig, heilig ist der Gott Zebaoth." Das Band zitiert die visionäre Erschütterung des Propheten Jesaja. Hoftaller macht abfällige Bemerkungen. Von Fonty heißt es: "Mehrmals rief er die alttestamentliche Instanz an und sagte dann zu Hoftaller mit weniger Stimme: "Zumindest soviel sollten Sie respektieren. Wir befinden uns hier auf kirchlichem Boden und nicht in der Normannenstraße. Das hier ist keine Zweigstelle des Prinz-Albrecht-Palais. Sagen Sie das Ihrem Polizeipräsidenten. Hier haben Sie nichts zu suchen. Hier singt man nicht nach ledernen Protokollen. Zwar sträflich ungläubig, stehe ich hier dennoch unter besonderem Schutze." Der nicht eben fromme, aber christlich kundige Fonty spürt den heiligen Raum, die Kraft des ausgedrückten Glaubens.

In "Ein weites Feld" kommt außerdem ein Priester namens Bruno Matull vor. Er war "einer jener wenigen Gemeindehirten, der auf mildes Dauerlächeln, diese alle Zweifel wegschminkende Gewissheit der Pfaffen verzichtete oder besser, dem es nicht gelang, diese Miene aufzusetzen." Er hält eine Predigt über den Zweifel und berichtet von der Begegnung mit einer Frau, die zu ihm kam, "die nicht glaubte, aber doch Halt suchte."

Der Zweifel erscheint hier als legitime Kehrseite des Glaubens, womit Grass ganz auf der Linie des katholischen Theologen Karl Rahner liegt, der im ehrlichen Eingeständnis eigener Glaubens-Zweifel einen enormen Zuwachs an Glaub-Würdigkeit vermutet hatte. Schon 1952 bekannte Grass in einem Essay in bewusster Absetzung von Genesis 1.1. und Johannes 1.1.: "Am Anfang war der Sprung". Das Einzige, was trägt, ist der Zweifel. Immerhin kennen wir auch aus der Bibel den Spruch. "Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben."

Darum bittet Grass allerdings nicht, er bleibt bei seinem Zweifel.

Grass hat ferner einen unorthodoxen "Gegengesang" auf Luthers Worte im "Tedeum"(Großer Gott wir loben dich) anlässlich der Tausendjahrfeier des Bistums Meißen im Jahr 1968 als Auftragsarbeit verfasst, in der er sich mit dem Abrosianischen Lobgesang auseinander setzt, das heißt er kontrastiert Luthers Loblied "Herrgott dich loben wir" mit den bohrenden Fragen eines Zweiflers:

"Wen soll ich loben?/Danken wem?/Soll ich das Chaos loben?/Wen? Den parzellierten Unsinn?/Wen ?"

Außerdem findet sich hierin der Vers "Wer hat dem lieben Gott/ einst das Konzept versaut?" Darin liegt, so Motté, "sowohl die leise Anerkennung, dass der Schöpfungsplan vielleicht anders gedacht war als heute erkennbar, als auch die ironische Brechung der 'Allmacht' Gottes, die der Fehlentwicklung nicht Einhalt gebieten konnte."

Im Meißner Tedeum hat Grass sein diesbezügliches Credo formuliert, das ohne Glauben auskommen wollte, weil dieser so leicht verführbar sei. Dafür hatte er dem Zweifel ein Loblied angestimmt:

DICH, Zweifel will ich kettenrauchend rühmen, /

DICH, eingekellert und verlacht, /

DICH, ohne Pass, des Thomas /

standhaft Finger, /

und DICH, Vernunft in deiner Ecke, /

die Eckensteherin Vernunft /

will ich laut rühmen- /

-NEMA!-gegen Wind, /

will ich laut rühmen gegen /

Wind.- /

NEMA."

Indem Grass hier das Wort "Amen" in "Nema" umdreht, nimmt er eine Umdeutung des Christentums vor. "Tut Buße! Aber glaubt nicht an das Evangelium!"

Hin und her pendelnd zwischen Zuversicht und Zweifel drückt auch das Gedicht "Ei" von Grass'- des Autors und sicher nicht nur dessen Befindlichkeit aus:

Im Ei

Wir leben im Ei. /

Die Innenseite der Schale /

haben wir mit unanständigen /

Zeichnungen /

und den Vornamen unserer Feinde /

bekritzelt. /

Wir werden gebrütet. /

/

Wer uns auch brütet, /

unseren Bleistift brütet er mit. /

Ausgeschlüpft eines Tages, /

werden wir uns sofort /

ein Bildnis des Brütenden machen. /

/

Wir nehmen an, dass wir gebrütet /

werden. /

Wir stellen uns ein gutmütiges /

Geflügel vor /

und schreiben Schulaufsätze /

über Farbe und Rasse /

der uns brütenden Henne. /

/

Wann schlüpfen wir aus? /

Unsere Propheten im Ei /

streiten sich für mittelmäßige /

Bezahlung /

über die Dauer der Brutzeit. /

Sie nehmen einen Tag X an. /

/

Aus Langeweile und echtem /

Bedürfnis /

haben wir Brutkästen erfunden. /

Wir sorgen uns sehr um unseren /

Nachwuchs im Ei. /

Gerne würden wir jener, die über /

uns wacht /

unser Patent empfehlen. /

/

Wir aber haben ein Dach überm /

Kopf. /

Senile Küken, /

Embryos mit Sprachkenntnissen /

reden den ganzen Tag /

und besprechen noch ihre Träume. /

/

Und wenn wir nun nicht gebrütet /

werden? /

Wenn diese Schale niemals ein Loch /

bekommt? /

Wenn unser Horizont nur der /

Horizont /

unser Kritzeleien ist und auch /

bleiben wird? /

Wir hoffen, dass wir gebrütet /

werden. /

/

Wenn wir auch nur noch vom Brüten reden, /

bleibt doch zu befürchten, dass /

jemand, /

außerhalb unserer Schale, Hunger verspürt, /

uns in die Pfanne haut und mit Salz /

bestreut.-- /

Was machen wir dann, ihr Brüder /

im Ei?

In seinem vorläufig letzten Buch "Im Krebsgang" kommt Religiöses ganz spärlich am Rande vor, zweimal etwa wird von den dort vorkommenden Personen die Frage gestellt, ob alles, was geschieht, vorbestimmt sei, oder nur auf Zufall beruhe. Im Nazi-Reich wurde bekanntlich immer wieder die "Vorsehung" bemüht, die hier ebenfalls nebenbei zur Sprache kommt. Beiläufig erfährt man( ich hätte es fast übersehen), dass die Mutter in den letzten Jahren zum Katholischen Glauben zurückgekehrt ist. In jungen Jahren war sie ein eifriges Hitler-Mädchen, später als sie in Schwerin gelandet war, wurde sie Stalinistin, SED- und nach der Wende PDS-Anhängerin. Neuerdings jedoch hatte die Mutter "den Glauben ihrer Kindheit wiederentdeckt. Sie gab sich katholisch und hatte in einer Ecke ihres Wohnzimmers eine Art Hausaltar eingerichtet, auf dem, zwischen Kerzen und Plastikblumen - weiße Lilien - ein Marienbildchen aufgestellt stand; daneben jedoch war das Foto des im weißen Anzug gemütlich Pfeife rauchenden Genossen Stalin befremdlich. Auf diesen Altar zu starren und nichts zu sagen, fiel schwer." Auch hier gestaltet Grass die Heil-losigkeit der Welt, in der es illusions- und glaubenslos zu leben gilt.

Zu Grass relativ konstantem Motivreservoir gehören unverkennbar die katholische Herkunft und die Ablösung aus den Fängen dieses Kinderglaubens, während die Kunst für ihn der Freiraum gegen alles ist, auch gegen den Zugriff eines vereinnahmenden Glaubens.

Die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus zeigt sich bei Grass in impliziten und expliziten Anspielungen auf religiöse Motive, im Erwähnen der kirchlichen Hochfeste, in wohldurchdachten Bibelreferenzen und in der Präsenz von liturgischen Formeln. Die von Grass aufgegriffenen biblischen Bildern werden oft ad absurdum geführt, um damit die heilsgeschichtliche Dimension zu annullieren. Oskar ruft in der "Blechtrommel" aus: "Karfreitag ist Schluss mit ihm." Ostern kommt nicht vor, sondern ist nur Erfindung der Lakaien. So ist es denn auch folgerichtig, wenn der Sonntag als wöchentlich kleines Ostern bei Grass in seiner Bedeutung degeneriert und zur "Wochenendpotenz" verkommt. Mit diesem Begriff karikiert Grass die kleinbürgerliche Idylle genauso wie das falsche Spiel, mit dem beim Essen Harmonie und in der Sexualität Übereinstimmung geheuchelt wird.

Für Grass - das sei noch einmal festgehalten - gibt es keinen Weg zurück in die Kindheitsidylle. Offensichtlich teilt er mit Wolf Biermann die Skepsis "angesichts der fatalen Grenzen jeglicher Wahrheitssuche", die Künstler und Schriftsteller von Theologen und Ideologen unterscheidet,

Der Standpunkt von Günter Kunert

Günter Kunert, der als Schriftsteller zunächst in der DDR Karriere gemacht hat, ist in einem, wie er selbst bekennt, "völlig religions- und glaubensleeren Raum aufgewachsen". Für ihn hatte weder das Christentum noch das Judentum jemals eine Bedeutung gehabt.

In seinem Gedicht:"Götterdämmerung" heißt die letzte Strophe:

"Erkenntnis die: Wir können uns nicht fassen. /

Und finden keinen, der uns Göttern gleicht. /

Und keinen, der uns Hilfe reicht. /

Wir sind uns ohne Gnade überlassen."

Es gibt für Kunert keine Hilfe transzendenten Ursprungs, die letzte Bestimmung des Menschen ist offen.

Im Gespräch mit Kuschel gibt Kunert jedoch zu, dass das Christentum durchaus auch "einen positiven Einfluss in der Geschichte" gehabt habe und dass es auch heute noch ein metaphysisches Bedürfnis gäbe, das unerfüllt sei. Geschichte ist für ihn nicht Heilsgeschichte, sondern Verfallsgeschichte. Sinn könne man nur in sich selbst, in seinem Tun finden. "Für mich", so Kunert, "ist der Sinn meines Daseins der, dass ich schreibe. Einen übergreifenden Sinn gibt es nicht mehr, hat es nie gegeben - aber jetzt wissen wir wenigstens, dass es keinen gibt." Allerdings seien heute viele Christen aufgeschlossener als die meisten Marxisten, die immer noch an die Funktionalität glaubten.

Religiöse Momente von Botho Strauß bis Peter Ustinov

Religiöse Momente findet man vereinzelt bei Botho Strauß in "Wohnen Dämmern Lügen", bei Bodo Kirchhoff in "Parlando", bei Sten Nadolny in "Er oder Ich".

Bei Nadolny unterhält sich der Erzähler während einer Bahnfahrt zwar mit dem Teufel, aber in erster Linie vermittelt der perspektivisch verschachtelte Roman Einblicke in Nadolnys literarische Methoden. Bodo Kirchhoff schildert eine Fahrt zum Weihnachtsgottesdienst, in dem dem Icherzähler unerwartet dessen Mutter begegnet. Das Ende des Romans enthält ebenfalls christliche Motive: der Tod der Prostituierten wird verbunden mit dem Bild des "Gekreuzigten". Dafür muss man aber viele Seiten einer Geschichte lesen, die nicht immer überzeugt.

Ralf Rothmann, Arnold Stadler und Patrick Roth, Autoren der mittleren Generation, sind nach Meinung einiger hellhöriger Zeitgenossen, zu christlichen Motiven zurückgekehrt. Die Erzählungen "Ein Winter unter Hirschen" von Ralf Rothmann handeln von Glück und Enttäuschung, Mitleid und Demut, von gedemütigten und geschlagenen Menschen sowie vom Scheitern und Gelingen von Freundschaft und Ehe in einer Welt von Traum und Sehnsucht, in der sich die übermächtige Realität als doppelbödig erweist und Tiere in ihrer Ausgesetztheit die Lage des Menschen widerspiegeln. Vieles bleibt ungesagt, und so gibt es durchaus Momente des Unerklärlichen. Manches muss der Leser in Gedanken hinzufügen. Ob man jedoch die Geschichten alle christlich lesen sollte, wie es manche Rezensenten getan haben, sei dahin gestellt. Für Hubert Winkels beispielsweise befinden sich Rothmanns Menschen eindeutig auf der Suche nach dem Transzendenten, mehr noch, Rothmann nähert sich für Winkels sogar der Bergpredigt, er sei, so Winkels, lediglich skeptisch gegenüber allen Formen der religiösen oder anderweitigen Erleuchtung.

Auch andere Kritiker haben bei diesem Schriftsteller neben Sehnsüchten, Ängsten, Verzweiflung das Warten auf das Wunderbare entdeckt, die Ahnung von etwas Schrecklichem und immer wieder die Suche nach Gott, nach metaphysischer Verankerung in einer gottlosen Welt. Meiner Ansicht nach ist diese Deutung überzogen. Denn man kann die Geschichten allesamt und sonders auch unbiblisch lesen. Nur eine spielt direkt auf ein biblisches Gleichnis an. Vom Religiösen her haben mir die Geschichten nicht viel gesagt. Dafür ist das Religiöse hier zu subtil angelegt. Das Literarische Quartett hat das Buch von Rothmann in seiner letzten Sendung vorgestellt, ohne auf etwaige religiöse Momente überhaupt einzugehen.

Der seit etwa zwanzig Jahren in Los Angeles lebende deutsche Autor und Regisseur Patrick Roth schreibt mit Vorliebe über religiöse Erfahrungen und religionsgeschichtliche Episoden. so in seiner Christusnovelle "Riverside", in "Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten" und in "Corpus Christi". Im Mittelpunkt von "Corpus Christi" steht Thomas, der Zweifler unter den Jüngern. Drei Tage nach der Kreuzigung seines Herrn begibt er sich auf die Suche nach dem verschwundenen Leichnam. Die Jünger behaupten, Jesus sei von den Toten auferstanden. Thomas war nicht dabei. Er macht sich zwar Vorwürfe, dass er nicht mutig genug war, sich den Häschern Jesu in den Weg zu stellen. Doch in erster Linie geht es ihm um Fakten und Beweise. Er will die Leiche sehen und anfassen. Er will die Wahrheit nicht nur hören, er will sie auch mit eigenen Augen wahrnehmen. Seine Forderung nach Beweisen wird zugunsten der Zumutung des Glaubens zurückgewiesen. Es geht dann recht kompliziert, schwindelerregend, äußerst irritierend und dramatisch weiter. Dem Leser wird allerhand zumutet und abverlangt, da Roth seine Geschichten in dem hohen pathetischen Ton der biblischen Überlieferung erzählt, wobei er bizarre Bilder und Traumgesichte von eigenartigem Reiz entwickelt. Seine Bücher sind eine anspruchsvolle Lektüre, denen mit simpler Logik schwerlich beizukommen ist und die daher, da sie überaus artifiziell und ambitioniert angelegt sind, stellenweise ratlos machen. Mit einem Wort: Für nicht versierte oder nicht christlich eingestellte Leser sind weder Roth noch Rothmann ohne weiteres zu verstehen.

Bei Arnold Stadler, der katholische Theologie studiert und Psalmen aus dem Hebräischen übertragen hat, wobei er diese an die Sprache und die Alltagswelt der Gegenwart heranführt und dabei "zwischen Übersetzung und aktualisierender Paraphrase changiert" - in einem lobt er die Schöpfung im Sinn des Psalms 150: "Alles, was Odem hat, lobe den Herrn" - geht es ebenfalls neben dem Scheitern von Ehen, Abschieden, Verlusten und Verletzungen, verlorenem Kinderglauben, um die Vergeblichkeit der Sehnsüchte nach Heimat und um Identität in der modernen Welt, um Glaubensverlust, Werteverfall, Entwurzelung, Sinnkrise, Gottferne. Er "buchstabiert die Grundschule der Verluste, fromm und ungläubig, erlösungsbereit und erzverloren", urteilt Andrea Köhler.

Wie Lodge und Doctorow beklagt auch Arnold Stadler, dass gegenwärtig über Sexualität ungeniert geredet werde, dass aber keiner mehr wage die Vokabel "Gott" in den Mund zu nehmen. Leute, die es auf sich nähmen, von Gott zu sprechen, machten sich, so Stadler, in den Augen vieler ihrer Zeitgenossen lächerlich. Dieses Manko wird auch in seinem Roman "Ein hinreißender Schrotthändler" thematisiert. Der Icherzähler ist bei einem gottlosen Psychiater in Behandlung. Ihn fragt er: "Was aber ist, wenn es nun doch Gott gibt, der mich für mein Leben bestraft?" Der Psychiater will ihm diese Gedanken ausreden, schließlich setzt seine Analyse voraus, dass es Gott nicht gibt. Augenscheinlich ist Gott für ihn die "schärfste Konkurrenz".

An einer anderen Stelle heißt es:"Ich sehnte mich nach einem Menschen, mit dem ich über alles hätte reden können, selbst über Gott, ohne ausgelacht zu werden." Doch sogar "die alte Irinissima hat noch mit neunzig über mich gelacht, weil ich nach Gott fragte. 'Gott? Alte Weiber reden über Gott und Kuchen, sagte sie.'" Stadler selbst, der während seines Theologiestudiums in Rom fast seinen Glauben verloren hat, betrachtet das Schreiben als Fortsetzung der Theologie mit anderen Mitteln.

Die Kinderbuchautorin Jutta Richter hat vor einigen Jahren einen Roman geschrieben mit dem Titel"Der Hund mit dem gelben Herzen". Erzählt wird hier die Geschichte eines G.Ott, des genialen Erfinders von Himmel und Erde. Sein Freund der Säufer Lobkowitz hat sich von ihm losgesagt und muss dessen paradiesischen Garten verlassen und irrt seitdem in der Finsternis umher. G.Ott selbst ist untröstlich und einsam, weil er glaubt, dass ihm die Schöpfung aus den Händen entglitten sei. Fürwahr, eine eigentümliche Schöpfungsgeschichte, neu und ungewohnt. Dazu muss man wissen, dass die Autorin ihre Erziehung in einer katholischen Klosterschule nicht gerade in guter Erinnerung hat. Sie studierte anschließend einige Semester Theologie und hat, nach eigenem Bekunden, "unter der offensichtlichen Abwesenheit des mächtigen Unsichtbaren, den sie Schöpfer nannten", sehr gelitten und mit ihren Kommilitonen über das "Trostmonopol der katholischen Kirche" heftig debattiert und gestritten.

Wie sieht es in den Literaturen anderer Länder aus?

Bei Umberto Eco tauchen religiöse Probleme und kirchliche Belange immer wieder auf. Leider sind dessen Bücher nicht nur sehr lang, sondern auch sehr gelehrt und streckenweise etwas langatmig. Ferner wurde ich auf den Roman "Dixie Chicken" von Frank Ronan hingewiesen, weil der Erzähler dieser Geschichte Gott persönlich ist, gealtert und illusionslos, aber literarisch ist das Ganze ein unergiebiger Einfall, keine Spur von einem göttlichen Erzählergenie.

Nehmen wir Edna O'Briens "Das raue Land" kurz in Augenschein. Sie schreibt mit biblischem Pathos und erzählt Geschichten wie sie seit Kain und Abel schon tausendmal erzählt worden sind. Vor geraumer Zeit jedoch wurden ihre Romane von der katholischen Kirche sogar als Teufelszeug verboten und verbrannt.

Spärliche Versuche über "Gott" und den Sinn des Lebens" findet man auch in dem Erzähldebüt "Gewaltige Verschlechterung des Gehörs" des polnischen Autors Adam Wiedemann.

José Saramagos "Das Evangelium nach Jesus Christus" ist dagegen ein provozierender Christus-Roman. Er rekonstruiert das Leben Christi, wobei er ihn als Mensch unter Menschen zeichnet und die bekannte Geschichte immer neue fantasievolle Wendungen nehmen lässt und den überlieferten Stoffes respektlos umdichtet. Jesus erscheint lebenshungrig, sinnenfroh, aber auch ängstlich und unsicher. Zugleich stellt der portugiesische Autor radikale Fragen an das Christusverständnis von Gläubigen.

Bei Dalos György" Der Gottsucher" lässt schon der Titel aufhorchen. Man denkt sofort an die beiden russischen Dichter Dostojewski und Tolstoi und an einige ihrer über Gott und die Welt unablässig grübelnden Romangestalten. Aber auch Mitglieder verschiedener Sekten bezeichnen sich als Gottsucher. Doch der fünfzehnjährige Schüler Gábor Kolosz, Dalos' junger Protagonist, passt in keine dieser Kategorien, obgleich er im Laufe der Erzählung für einen Jungen seines Alters erstaunliche Gedanken und Überlegungen entwickelt. Die Geschicht spielt im kommunistischen Ungarn. Zwei Lehrer ringen um den Jungen, der eine ist ein bekennender Christ und aktenkundiger Konterrevolutionär, der andere als Kommunist ein entschiedener Gottesleugner. Die Unterschiede zwischen der kommunistischen Ideologie und der christlichen Religion werden hier deutlich vor Augen geführt. Der Junge fordert Gott heraus, aber dieser versagt sich ihm. Doch während einer großen Parade, bei der Gábor die rote Fahne vor der Ehrentribüne vorbeitragen darf, erscheint ihm Gott in Gestalt seines Vaters, der im KZ Mauthausen Unsägliches erlitten hat. Leider ist die Geschichte allzu durchsichtig und vermag nicht recht zu überzeugen.

Christliche Werte, sagte ein Weihbischof im Sauerland, seien auch dort vertreten, wo sie nicht sofort auffielen, und nannte als Beispiel Tolkiens "Herr der Ringe".

Mit Ausnahme der Bibel soll mittlerweile Harry Potter das meistübersetzte Buch der Welt sein. Oberflächlich gesehen haben beide etwas gemeinsam: Es geht bei beiden Büchern um Gut und Böse, genauer gesagt um Gut gegen Böse. Gleichwohl wurde Harry Potter im Sommer 2000 in den USA auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Einige Monate zuvor war er bereits an einer englischen Schule verboten worden. Es hieß, das Buch würde gegen die Bibel und die religiöse Moral verstoßen.

Der amerikanische Autor und Okkultismus-Experte Richard Abanes hat Joanne K.Rowlings Harry-Potter-Bände gleichfalls mit der Bibel verglichen und festgestellt: Harry Potter ist alles andere als perfekt. Die Moral und die sittlichen Prinzipien in Rowlings Fantasy-Geschichten seien unbiblisch. Abanes hat Hunderte von Seiten mit seinem Bibel-Scanner geprüft und aufgelistet, was Harry bisher verbrochen hat: Er ist ungehorsam gegenüber seinen Lehrern und Vormündern, ohne dafür bestraft zu werden. Er lügt, wenn es ihm zweckmäßig erscheint und kommt damit durch. Er treibt all die Zaubersachen, die das Alte und das Neue Testament als heidnisch verdammen. Und schließlich ist das ganze Personal der Serie moralisch höchst unzuverlässig. Die Guten sind nicht immer gut und die Bösen nicht immer böse. Es herrschen ein moralischer Relativismus und eine Konfusion der Werte und Vorbilder, die, so Abanes, schlimmste Folgen in Kinderköpfen hinterlassen könnten. Die geschilderten Praktiken entsprächen den Bräuchen in zeitgenössischen Zirkeln diverser okkultistischer Kulturen und Pseudreligionen. Abanes filterte aus Interviews mit Joanne K.Rowling Passagen heraus, aus denen sich, nach Abanes' Dafürhalten, ein Glaube an das Wirken übernatürlicher Kräfte in unserer Welt erkennen lässt, ohne offensichtlich zu begreifen, dass Literatur anders funktioniert als fromme Traktate und moralische Erbauungsschriften.

Dagegen hob der Salzburger Theologe Gottfried Bachl in der Katholischen Akademie in München hervor, dass bei Potter wie im Märchen das Gute siegt. Die Potter-Romane seien zwar völlig unreligiös, aber keineswegs antireligiös. Ihr eindeutige ethische Orientierung sei mit vielen Glaubensüberzeugungen und auch mit der biblischen Religion kompatibel. Mehr freilich nicht. Als Christ könne man zwar mit Sympathie eigene religiöse Wertungen hineinlesen und bestätigt finden, aber in den Romanen wird, zum Bedauern des Salzburger Theologen, nie gebetet. Religiöse Feste wie Weihnachten und Ostern würden, wie auch bei uns häufig, nur durch Festessen und Geschenke begangen. Die Welt des Zauber-Gymnasiums unterscheide sich in dieser Hinsicht kaum von der heutigen Alltagswelt.

Apropos die Bibel

Die Bibel ist nicht nur das meistgelesene Buch der Geschichte. Sie hat auch wie kaum ein anderes die Literatur aller ihr folgenden Epochen beeinflusst, geprägt und inspiriert, wie etwa die Schriftsteller und Dichter Cervantes, Stevenson, Dostojewski, Kafka und nahezu jeden bedeutenden Autor. Mit dem durch das Absterben oder Ausdünnen der biblischen Religionen einhergehenden Verlust der Bibellektüre und Bibelkenntnis droht freilich auch das Verständnis für den größten Teil der okzidentalen Literatur, Kunst und Musik verloren zu gehen und damit ein großer Teil unseres Kulturerbes, befürchten besorgte Zeitgenossen.

"Wie hätte eine Bibel aussehen müssen, dass sie die Selbstvernichtung der Menschheit aufhält?" fragte einst Elias Canetti. Seitdem sind Literaten auf der Suche nach dem Webfehler im Text der Bibel, der daran schuld sein könnte, dass die Schöpfung missraten ist.

Doch steht es wirklich so schlimm? Immerhin wird die Bibel von den meisten Autoren des 20.Jahrhunderts als Werk der Weltliteratur bis in die Gegenwart hinein hoch geschätzt. Als Bertolt Brecht nach seiner Lieblingslektüre gefragt wurde, bekannte er: "Sie werden lachen - die Bibel". So ist es wohl kein Wunder, dass man in seinen Stücken hunderte von Bibelzitaten gezählt hat und dass Psalmen für seine Lyrik von großer Bedeutung waren.

Für Arnold Stadtler ist die Heilige Schrift "großartige Literatur in Prosa und Versen." Auch für Goethe war die Bibel bekanntlich ein Buch der Poesie, die Quelle wunderbarer Geschichte und einer einprägsamen, beeindruckenden Sprache, aber kein Ort der Offenbarung. Ähnlich äußerte sich Max von der Grün vor geraumer Zeit in einem Gespräch.

Franz Fühmann wiederum verknüpfte seinen geistigen Werdegang mit seinen Erfahrungen mit der Bibel, in der, seiner Meinung nach, das Geheimnis des Menschen und der Weltgeschichte wie in keinem anderen Buch zur Sprache kommt. Auch Heinrich Böll, Stefan Heym, Horst Bienek, Peter Handke, Walter Jens und George Tabori erarbeiteten biblische Stoffe auf unterschiedliche Weise.

Für einige ist die Bibel nur noch bloßes Bildungsgut, andere wiederum greifen biblische Stoffe auf, um an ihnen aktuelle Problem zu verdeutlichen, wobei das Buch der Bücher nicht selten in eine ihnen fremde Sprache übersetzt wird.

Mit Vorliebe griffen auch Autoren der ehemaligen DDR mythologische, biblische, literarische und historische Stoffe auf, um sich in chiffrierter Form über die politischen Zustände ihres Staates und unserer Zeit kritisch auszulassen oder auch, um sich eine gewisse Gestaltungsfreiheit zu verschaffen, wie Christoph Hein mit "Die Ritter der Tafelrunde" und "Die wahre Geschichte der Ah Q", Stefan Heym mit "König David" und "Ahasver", Christa Wolf mit "Kassandra" und Peter Hacks mit "Adam und Eva", "Amphitryon", "Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" und "Die Schlacht bei Lobositz".

Gerade Fühmann, der stets auf der Suche war, das Wesen seiner selbst und des Menschen allgemein zu ergründen, stieß in den entscheidenden Situationen seines Lebens immer wieder auf die Bibel und entdeckte in ihr die vermeintliche Wahrheit über den Menschen und ein Verhaltensmuster, das hilft, das Leben in Würde zu bestehen. Biblische Zitate und Metaphern als Versatzstücke und zur Erhellung von Alltagssituationen findet man ferner bei Thomas Bernhard, Friedrich Dürrenmatt und Günter Kunert. Insbesondere wenn es um Alter, Sterben und Tod geht, wird die Bibel gern als Stoff- und Quellensammlung herangezogen und zur modellhaften Darstellung von Lebensproblemen genutzt. Unumgängliche Schuldverflechtung der Menschen und Sehnsucht nach einem Gott, der aus dieser Not befreien könnte, sind in modernen Büchern keine Seltenheit. Magda Motté meint, der Ausspruch: "Nur ein Gott kann uns retten" - dieses ironisch-ernste Wort der Titania, einer Figur aus dem Theaterstück "Der Park" von Botho Strauß - charakterisiere die verworrene heillose Situation, in der sich die Personen des Dramas, Spiegelbilder von Menschen unserer Zeit, befänden.

Oft sind die Schriftsteller mit dem Buch der Bücher in einem fruchtbareren Dialog als wir es von Kanzel und Katheder gewöhnt sind, heißt es nicht von ungefähr in der von Jürgen Ebach und Richard Faber herausgegebenen Studie "Bibel und Literatur".

Wie Schriftsteller sich verstehen

Als Tolstoi Natascha und Anna Karenina geschaffen hat, soll er seine eigene Sterblichkeit in Zweifel gezogen haben. Während Updike glaubt, dass der Mensch nur sehr schwer ohne Gott auskommt, verstanden und verstehen sich nicht wenige Schriftsteller und Literaten als Atheisten, wie Kurt Tucholsky, Marcel Reich-Ranicki, Günter Kunert, V.S.Naipaul und José Saramago.

Kurt Tucholsky formulierte 1930 in "Briefe an eine Katholikin": "In mir ist nichts, was erlöst werden muss; ich fühle die culpa (Schuld) nicht....Es geht mich gar nichts an. Nichts."

Marcel Reich-Ranicki antwortete auf eine entsprechende Frage, dass er in seinem Leben "keinen einzigen Tag an Gott geglaubt" habe. Die Rebellion des Goetheschen Prometheus' "Ich dich ehren? Wofür?" sei ihm völlig fremd. In seiner Schulzeit habe er sich vergeblich bemüht, den Sinn des Wortes 'Gott' zu verstehen, bis er eines Tages einen Aphorismus Lichtenbergs fand, der ihn geradezu erleuchtet habe - die knappe Bemerkung, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, bedeute in Wirklichkeit, "der Mensch habe Gott nach seinem Ebenbild geschaffen."

Reiner Kunze bekennt: "Ich achte den Glauben anderer, mir selbst aber ist Gotteserfahrung bis heute nicht zuteil geworden."

Auch nicht dichtende Zeitgenossen geben sich nicht selten desinteressiert und sind angeblich ohne religiöses Bedürfnis, auch wenn sie sich nicht so krass äußern wie Samuel Beckett, der kurz und bündig für sich entschied: "Er(Gott) existiert nicht, der Hund."

V.S.Naipaul betrachtet die Religion sogar als Geißel der Menschheit, weil sie unsere innersten Wünsche nach eigenen Abenteuern und freien Gedanken unterdrückt.

Auch José Saramago glaubt, dass die Götter nur im Gehirn der Menschen existieren und dass Gott nichts anderes sei als ein Name. In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte er:"Es ist bekannt, dass die Religionen nie dazu dienten, die Menschen einander näherzubringen. Religionen waren und sind der Grund für unendliches Leid, für Gewalt, die zu den dunkelsten Kapiteln der elenden Menschheit gehören." Im Namen Gottes sei das Schrecklichste erlaubt. "Uns wurde das Paradies versprochen und mit der Hölle gedroht. Beides sind Unwahrheiten. Beleidigungen gegenüber unserer mühsam entwickelten Intelligenz". Friedrich Dürrenmatt betonte immer wieder, dass er an nichts glaube, aber er hat es so häufig hervorgehoben, dass man annehmen kann, dass er an diesem Mangel gelitten hat oder seinem Nichtglauben nicht traute.

Die Berliner Schriftstellerin Susanne Riedel, die das Buch "Kains Töchter" schrieb, sagte in einem etwas konfusen Interview mit der Tagszeitung "Die Welt": Sie sei ein "gläubiger Mensch. Wobei ich nicht so recht weiß, woran ich glaube. Mit 13 sei da diese Affinität zum Katholizismus gewesen mit all seinem 'Bildungs-Potenzial."

Wie findet der Dichter seinen Standpunkt?

So wie der Einzelne seinen Standort in der Welt heute oft außerhalb der leitenden Ordnung der Kirche sucht, so hat sich auch kulturelles, künstlerisches Schaffen seit langem verselbstständigt. "Sehr viele Menschen leben", sagt der Religionssoziologe Paul Zulehner, "auf einer religiösen Dauerbaustelle. Sie holen sich individuell die Materialien auf dem religiösen Baumarkt und errichten sich ein eigenes, maßgeschneidertes Religionsgebäude." Respiritualisierung sei ein produktiver Aufstand gegen die Banalität. Wichtig sei allerdings ein freiheitlicher Dialog, der jede Form von Bevormundung zu vermeiden suche.

Carola Meier-Seethaler konstatiert in ihrem "Plädoyer für eine spirituelle Ethik. Jenseits von Gott und Göttin", dass entgegen den Voraussagen der Aufklärung sich das religiöse Bedürfnis als eine anthropologische Konstante nicht überlebt habe. Die Gretchenfrage könne indes nicht mehr lauten: "Glaubst du an Gott? sondern: Glaubst du an die Menschlichkeit, das heißt an das menschliche Vermögen des Mitgefühls und an die Verantwortung für die Beseitigung selbstverschuldeter Leiden?" Der Mensch kommt sich abhanden, wenn er den Glauben an ein Unbedingtes verliert, an das, was im Sinne Kants ein Wert an sich selbst ist und daher keinen Preis hat. Es wäre schlimm wenn auf den "Tod Gottes" der "Tod des Menschen" folgte durch ein postbiologisches oder posthumanistisches Zeitalter. Ein amerikanischer Philosoph namens Dan Dennet habe sich schon in dieser Richtung geäußert, wir müssten uns, meint dieser Autor, von der Ehrfurcht vor dem Leben und der Menschenwürde befreien, wenn wir mit der künstlichen Intelligenz Fortschritte machen wollen.

Wir blieben zwar ohne Antwort, fährt Carola Meier-Seethaler fort, auf die Frage nach dem Woher und Wohin. Kein Himmel könne die Leiden eines gefolterten Kindes oder die Gräuel von Auschwitz wieder gutmachen. Ob es Gott gibt oder nicht, wir wissen es nicht genau, der eine glaubt, der andere nicht. Wichtig sei, schreibt sie dass Menschenwürde, Ehrfurcht vor dem Leben, die Einsicht, dass das gute Leben mit materiellem Wohlstand allein nicht herstellbar ist, bewahrt und immer wieder angemahnt wird. Für Carola Meier-Seethaler liegt genau hierin der spirituelle Kern der Ethik.

Hat sich der Gottesglaube überlebt?

Wie soll wir nun mit dem religiösen Erbe, das auf uns gekommen ist, verfahren? Haben sich Menschen Gott nur ausgedacht? Ist der Mensch, wie einige Zeitgenossen mutmaßen, nur ein trauriges Wesen, eine Mischung aus Ohnmacht und Anmaßung, mit der Fähigkeit geschlagen, über seine Existenz nachzudenken, aber unfähig, sich als biologisches Wesen hinzunehmen, ohne einen anderen letzten Grund?

Der Medienphilosoph Norbert Bolz erklärt unumwunden, Sinnfragen schlicht für überholt. "Es läuft - ohne Wozu und ohne Ziel."

Wer die Sinnfrage stellt, hat sich verlaufen, fand Arnold Gehlen. Schärfer noch äußerte sich 1937 Sigmund Freud, der in der Religion ohnehin nur eine Illusion sah: "Wer nach dem Sinn des Lebens fragt, ist krank." Die Frage nach dem Zweck des menschlichen Lebens sei, so Freud, unzählige Male gestellt worden, doch habe sie noch nie eine befriedigende Antwort gefunden. Schmerzen, Enttäuschungen sind für den Menschen, laut Freud, unlösbare Aufgaben. Um diese zu ertragen, könnten wir Linderungsmittel anscheinend nicht entbehren. "Es geht nicht ohne Hilfskonstruktionen" soll auch Fontane gesagt haben.

Vielleicht wird es uns wie einst dem ratlosen Menschen ergehen, der, als er das Ende seiner Tage nahen fühlte und sein Leben überdachte, sagte: "Ich habe es nicht richtig verstanden."

Sarah Kirsch, die in der DDR aufwuchs und "nie in die göttlichen Gründe des Glaubens eingetreten" ist, schreibt in "Allerlei-Rauh":"Es war mir nicht möglich, das Erbauliche (zu)finden, das in dem Gedanken lag, gegen Gott immer Unrecht zu haben." Sie verfasste folgendes Epitaph:"Ging in Güllewiesen als sei es/Das Paradies beinahe verloren im/Märzen der Bauer hatte im/ Herbst sich erhängt."

"Indem Sarah Kirsch in dieser Grabschrift(Johann Holzner) auf jede Interpunktion verzichtet, so dass alles mit allem verbunden bleibt, auch wenn sich zwischen Güllewiesen und dem Paradies unübersehbar ein riesiger Abgrund auftut. lässt sie wenigstens für einen Moment noch den Idealzustand der Harmonie aufblitzen, dass das Paradies, 'beinahe', 'beinahe verloren'. Aber kein Lied, kein Gedicht kann darüber hinweg täuschen, dass das Licht(im Märzen) von der Finsternis(im Herbst geschluckt worden ist, dass der Mensch/das lyrische Ich, der Bauer, wer auch immer in Güllewiesen gewesen ist) längst schon keine Brücke mehr zu finden oder gar zu schlagen vermag zwischen der erträumten und der realen Welt."

Schon Gottfried Benn und Bert Brecht hatten in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts allergrößte Schwierigkeiten mit der Vorstellung Gott in der naturwissenschaftlich erklärten Welt. Während der Pastorensohn Benn glaubte, einen Gott aufgrund seiner Darwin- und Nietzsche-Studien ablehnen zu müssen, versuchte der früh sich emanzipierende Brecht zuerst dem Aufsichts-Gott der Bürger zu entkommen.

Viele beurteilen Gott nach der Welt. Das solle man nicht tun, meinte unlängst der Fernseh-Professor Harald Lesch. Das sei ein Versuch, der nicht gelungen sei. "Aber", fügte er hinzu, "es muss ein Meister sein, der sich solche Schnitzer leisten kann."

Hermann Lübbe glaubt jedoch: "Überall schärft sich auch in Europa inzwischen der Sinn dafür, dass moderne Gesellschaften ohne verlebendigte religiöse Kultur zukunftsunfähig wären."

Doch wie dem auch sei, auch Heinrich Heines Aussage gibt zu denken: "Das Nachdenken über das Dasein Gottes ist ein wahrhaftiger Gottesdienst. .Gott war immer der Anfang und das Ende meiner Gedanken. Wenn ich jetzt frage: Was ist Gott? Wie ist seine Natur, so frug ich schon als kleines Kind: wie ist Gott? wie sieht er aus?"

Und von Botho Strauß stammen folgende Sätze:

"Es ist lachhaft, ohne Glauben zu leben. Daher sind wir voreinander die lachhaftesten Kreaturen geworden und unser höchstes Wissen hat nicht verhindert, dass wir uns selbst für den Auswurf eines schallenden Gottesgelächters halten."

"Gott ist von allem, was wir sind, wir ewig Anfangende, der verletzte Schluss, das offene Ende, durch das wir denken und atmen können."

Den Schriftstellern unserer Tage, meint Paul Konrad Kurz, "ist Gott mehr eine Such- und Fragegestalt denn ein katechetisch fixierter Gott, mehr Wegegestalt denn Tempelgott, mehr ein auf das Individuum bezogener, bewusstseinsgegenwärtiger denn ein die Gemeinde versammelnder, kultischer Gott."

Hat die Kunst noch Transzendenzcharakter?

Allen Anfechtungen und äußeren Anzeichen zum Trotz glaubt George Steiner, dass "Gottes Gegenwart" sogar in jedem großen ernsthaften Kunstwerk präsent sei. Diese Gegenwart hängt nicht von der Tendenz oder inhaltlichen Konzeption des Kunstwerks ab, sondern von dessen ästhetischer Qualität. Der Mensch könne in der Begegnung mit einem großen Kunstwerk Transzendenz erfahren. Die Literatur von Homer und der "Orestie" bis hin zu den Romanen Dostojewskis und Kafkas sei ohne "eine transzendentale Dimension" nicht zu denken. Solange der Mensch, vermutet Steiner, in einem paradiesischen Zustand leidlos und versöhnt mit sich und mit Gott gelebt habe, habe es "vermutlich keinen Bedarf für Bücher oder Kunst" gegeben. Erst mit dem Bewusstsein des Todes sei dies anders geworden. Alle große Kunst hätte Transzendenzcharakter. Dichtung, Musik und Kunst bringe den Menschen deshalb "in direkteste Beziehung zu dem im Dasein, das ihm nicht gehört."

Wirkliche Kunst fordert uns existentiell heraus und provoziert auch die Theologie zu einem Verhalten zu ihr, schreibt Steiner und beruft sich auf Hölderlin, für den Dichter und Denker diejenigen waren, die den Sterblichen den Weg zu den entflohenen Göttern ebnen. Künstler, Dichter und Denker sind Seismographen, so Steiner, für die Wahrnehmung von Brüchen und Widersprüchen in der Welt und an der Welt. Vor allem die Werke Dantes könne man als ununterbrochene Meditation über Schöpfung in poetischer, metaphysischer und theologischer Sicht erfahren.

Eine explizite Auseinandersetzung mit Transzendenz gibt es bei einem Aischylos, einem Dante, einem Bach oder einem Dostojewski, sie ist in einem Porträt Rembrandts oder in Prousts Recherche zu spüren. Kann es und wird es große Philosophie, Literatur, Musik und Kunst atheistischer Herkunft geben? fragt Steiner und fährt rhetorisch fort: Was wäre die atheistische Entsprechung zu einem Fresko von Michelangelo oder König Lear?

Religion als Spiel- und Experimentierfeld

Kehren wir noch einmal zur Literatur zurück und schenken drei weiteren Autoren unsere Aufmerksamkeit. Zuerst Hanns Dieter Hüsch, der als Prediger unter den deutschen Kabarettisten gilt und nicht nur Kabarett macht, sondern auch Texte aus der Bibel auf CDs spricht. Unter dem Titel "Wir sehen uns wieder" hat er Geschichten zwischen Himmel und Erde geschrieben, in denen er heiter und hintersinnig von Gesprächen mit dem lieben Gott erzählt.

So habe er in Dinslaken den lieben Gott getroffen, der ihn in den Himmel eingeladen habe, um sich von Zeit zu Zeit von ihm erheitern zu lassen. Hüsch willigt ein und nach einer mehrtägigen Himmelfahrt kommt er zum lieben Gott, der ihm zunächst einmal die Leviten liest und ihm dann den Weg zu seinen Verwandten und Freunden weist: zu Onkel und Tante, seiner ersten Frau und seinen Katzen, seinen Freunden Kay und Lore Lorentz, Hagenbuch und Ditz Atrops und schließlich seiner Mutter, die ihn lange anblickt und dann sagt:"Und du konntest dir wirklich nichts anderes vorstellen, als den Leuten dein Leben lang dummes Zeug vorzumachen?"

Eine theologisch-philosophische Idee oder, besser noch, ein köstlicher Einfall war die Triebfeder zu Harry Mulischs voluminösem Roman "Das Geschenk des Himmels". Nachdem die Menschen durch ihre Technik, so der Gedankengang des Autors, beinahe so allmächtig geworden sind wie Gott - immerhin haben sie den genetischen Code im Zellkern entziffert, spazieren auf dem Mond herum, können die Erde vernichten und glauben seit Freud, nicht mehr die Stimme des Schöpfers zu vernehmen, sondern die des eigenen Unbewussten -, scheint Gott überflüssig geworden zu sein. Folglich möchte der "Chef" der himmlischen Heerscharen die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten, an die sich ohnehin keiner hält, zurückhaben. Die Engel schmieden einen Plan. Ein menschliches Wesen soll erzeugt werden, das den Rücktransport der Gebotstafeln übernimmt. Alles, was von nun an im Umfeld einiger Menschen geschieht, dient diesem Vorhaben. Das Ganze ist ein groß angelegter unterhaltsamer Roman, der einem riesigen Gemälde gleicht mit einer Fülle heterogener Elemente. Schlichten Gemütern dürften indessen manche Spitzfindigkeiten und Boshaftigkeiten blasphemisch dünken.

Bei Peter Ustinov erscheint Gott ebenfalls in einigen Büchern, bei zweien sogar schon in der Überschrift: "Über Gott und die Welt" und in "Gott und die Staatlichen Eisenbahnen", ferner in dem Roman "Der Alte Mann und Mr.Smith". Der Alte Mann ist Gott, der andere der gefallene Engel, mithin der Teufel. Beide gehen nach langer Zeit zusammen auf die Erde, um sich in der Schöpfung umzusehen und um zu prüfen, ob sie überhaupt noch gebraucht werden. Es kommt zu allerlei heiteren Missverständnissen und komischen Szenen mit einer bunten Mischung von Zeitkritik und intelligenten Betrachtungen. Allerdings hat Ustinov - er ist halt ein Spaßvogel - manches überdreht und in Klamauk ausarten lassen. Man darf also auch von diesem Buch keine Offenbarung erwarten, keine neuen umwerfenden Erkenntnisse und vor allem keine tröstliche Botschaft. Die bekommt man allenfalls von Broschüren und kostenlosen Büchern mit Titeln wie "Kraft zum Leben", aber die wiederum haben mit Dichtung und Literatur nicht das Geringste zu tun.

Kurt Marti sagte einmal:"Vielleicht hält sich Gott einige Dichter (ich sage mit Bedacht:Dichter!), damit das Reden von ihm jene heilige Unberechenbarkeit bewahre, die den Priestern und Theologen abhanden gekommen ist." Als er dies schrieb, hatte er sicher Recht, das war vor zwanzig Jahren. Heute muss auch Marti diese Dichter mit der Laterne suchen.

Resümee

Halten wir fest: Religion ist aus der Literatur nicht gänzlich verschwunden, ebenso wenig wie aus dem Alltag, aber die Suche nach Gott treibt die Menschen im allgemeinen und die Schriftsteller im besonderen durchweg nicht mehr um. Sie ist nicht mehr das beherrschende Thema. Eher treiben die Schriftsteller, wie wir an den letzten Beispielen gesehen haben, mit Gott und den biblischen Überlieferungen ihr Allotria.

Das muss nun freilich nicht das letzte Wort zu unserem Thema sein, denn seit dem 11.September 2001 haben, unter dem Eindruck neuer religiöser Gewalt, unsere Intellektuellen, Philosophen und Sachbuchautoren, allen voran Jürgen Habermas, den Wert der Religion wieder entdeckt. Die Belletristik wird vielleicht nachziehen, denn Romane schreiben sich halt nicht so schnell wie ein Zeitungsartikel oder eine Rede.

Im Augenblick allerdings (im Frühling 2002) sieht es in dieser Hinsicht noch reichlich trübe aus. Symptomatisch dünkt mir eher die Vorstellung des neuen Buches von Christa Wolf "Leibhaftig" in der alten Dorfkirche in Pankow. Die Autorin saß bei dieser Lesung vor dem Tisch mit der aufgeschlagenen Bibel, rechts der Taufstein, links die Kanzel, über ihr schwebte ein zartgliedriger Jesus am Kruzifix. Die Literatur schien sich, schrieb der Korrespondent der FAZ (Kürzel mag),"aus der säkularen Welt wieder ins Allerheiligste aufgemacht zu haben. Auf die Anhängerschaft Christa Wolfs, der ein Hang zur Gemeindebildung nicht abzusprechen ist, mochte das gar nicht so ungewöhnlich wirken. Die Stille, die sich nun einstellte, ließ aber auch an die Stimmung in den Jahren vor der Wende denken, als die Kirchenräume der DDR zu Orten oppositioneller Sammlung wurden. Christa Wolfs Auftritte lösten damals eine seltsame Erwartungshaltung aus, weil es hier um so große Dinge wie Wahrhaftigkeit, Hoffnung und Aufbruch ging. Reste dieser Stimmungslage sind noch immer zu spüren."

Am Ende des Buches, in dem es um eine schwere Krankheit und um das Ende der DDR geht, habe die Erzählerin in bravem Erschrecken gefragt, ob der Weg ins Paradies, den man mehr oder weniger auch in der DDR angepeilt habe, "unvermeidlich durch die Hölle" führe, berichtet der FAZ-Korrespondent, "ganz so, als ob der Glaube an die wohl behütete Ankunft im Paradies noch jeden Höllentritt überlebte. Was aber wenn es das Paradies gar nicht gibt? Jesus Christus, der über der Autorin schwebte, schwieg zu dieser Frage. Und auch die Täfelchen, auf denen während des Gottesdienstes die zu singenden Lieder aus dem evangelischen Gesangbuch angezeigt werden, waren leer."

Haben Zweifel und Unglauben nach Günter Grass und vielen anderen Literaten auch von Christa Wolf Besitz ergriffen, nachdem Leichtgläubigkeit die Deutschen zum zweiten Mal in die Irre geführt hat?

Bibliographie:

Sekundärliteratur:


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