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Nicht nur im stillen Kämmerchen
Am turbulenten literarischen Leben der zwanziger Jahren hatte die Dichterin keinen Anteil. In den Erinnerungen und Autobiografien der Zeitgenossen kommt sie nicht vor. Unvorstellbar, dass sie je im Romanischen Café gesessen haben könnte. Anekdoten, kleine Skandal-, Streit und Liebesgeschichten wie sie Else Laser-Schülers Bild so nachhaltig geprägt haben, gibt es über sie nicht. Von ihr wissen wir weniger als von den meisten anderen Autoren des 20.Jahrhunderts. Was über sie bekannt geworden ist, entstammt vor allem den Erinnerungen ihrer elf Jahre jüngeren Schwester Hilde Wenzel und den Briefen, die sie zwischen 1938 und ihrer Deportation 1943 an die in die Schweiz emigrierte Schwester geschrieben hat.
Dennoch hat Gertrud Kolmar keineswegs nur im stillen Kämmerlein für sich hingeschrieben. Sie hat durchaus Leser und Zuhörer gesucht und gefunden, nachdem ihr Vetter Walter Benjamin die ersten literarischen Kontakte für sie geknüpft hatte. Von 1928 an wurde ihre Lyrik in Zeitungen, Almanachen und Anthologien veröffentlicht, wie etwa in der von Willy Haas herausgegebenen "Literarischen Welt", in der "Neuen Schweizer Rundschau" und im "Insel Almanach". Als sie einmal unerwartet ihren Namen in einer Zeitung findet "hinter dem Namen Mombert und vor dem Namen Dostojewski" schreibt sie am 14.November 1937 in einem Brief an Jacob Picard: "..wissen Sie, wie mir da zumute war? Das lässt sich nur schwer beschreiben - aber vielleicht empfand so Andersens 'hässliches Entlein', als es zum Schluss unter die Schwäne geriet und der Wasserspiegel ihm zeigte, dass es selbst ein Schwan sei.."
Nicht nur von Benjamin, auch von anderen Schriftstellern wurde Gertrud Kolmar gefördert. Elisabeth Langgässer beispielsweise brachte 1933 einige ihrer Gedichte in einer Anthologie von Frauenlyrik heraus. Unterstützung fand sie außerdem bei Wilhelm Lehmann, Nelly Sachs, Oda Schaefer und Ina Seidel. Nach 1933 hat sich Ina Seidel allerdings von Gertrud Kolmar abgesetzt und sich nach 1945 dann wieder ihrer Freundschaft mit der jüdischen Dichterin gerühmt. (Ähnlich verhielt sich Gottfried Benn gegenüber Else Lasker-Schüler.) Gertrud Kolmar selbst hat das Ende ihrer Verbindung zu Ina Seidel offenbar als tragische Enttäuschung erlebt. Karl Josef Keller berichtete: "G.K.beklagte sich auch bei mir über den plötzlichen Gesinnungswechsel ihrer 'arischen' Bekannten, die zuvor für ihre Arbeiten eingetreten waren. In diesem Zusammenhang nannte sie u.a. eine der bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen, die m.E.in Berlin wohnhaft war u.sich distanziert hatte." Später bestätigte Keller auf Rückfrage, dass es sich bei dieser Schriftstellerin um Ina Seidel gehandelt hat.
Anerkennung erfuhr Gertrud Kolmar auch im Umkreis des Kulturbundes, jener von 1933 bis 1941 bestehenden Zwangsvereinigung aller kulturellen Institutionen der deutschen Juden, wo sie seit 1936 fast regelmäßig in Erscheinung trat und ihre Gedichte rezitierte. Auf diesen Veranstaltungen lernte sie zahlreiche jüdische Künstler kennen, unter ihnen Nelly Sachs, Karl Escher, Jacob Picard.
"..selbst wenn ich zur bedeutendsten jüdischen Lyrikerin seit der Lasker-Schüler erklärt werde; mich erregt es nicht sehr. Es gab eine Zeit, da mich fremdes Lob erfreuen und fördern konnte ..heute weiß ich auch ohne Kritiker, was ich als Dichterin wert bin, was ich kann und was ich nicht kann", schrieb Gertrud Kolmar am 16.Oktober 1938.
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