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Wer war Luise Rinser?

Widersprüchliches Bild in der Öffentlichkeit

Wer war Luise Rinser? Eine geborene Erzählerin, die Grande Dame der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur, sagen die einen, eine Plaudertasche und feministische Krawallschachtel mit dubioser Vorliebe für Nordkorea, die anderen.

Albert von Schirnding, Kritiker bei der "Süddeutschen Zeitung", sieht in ihr eine "Jahrhundert-Autorin", eine bedeutende literarische Figur und eine Frau von großem Format, Tilmann Krause von der Tageszeitung "Die Welt" wiederum betrachtet Luise Rinser als "große starke Persönlichkeit von einer spirituell überglänzten Erotik". Engagierten Christen wurde sie zum Vorbild, Abgeklärten dagegen zum öffentlichen Ärgernis.

Im Gegensatz zu ihren Lesern, die Luise Rinser von Anfang an unverbrüchlich die Treue hielten, wahrte die Literaturkritik zu der von Korea bis Kanada geehrten Repräsentantin unserer Literatur skeptischen Abstand und nannte sie wenig schmeichelhaft eine Erbauungs- und Frauenschriftstellerin, die in ihren Büchern für Zwischentöne wenig Raum und für Ironie und literarische Experimente überhaupt keinen Platz gehabt habe.

Für einige Kritiker war sie "halb Nonne, halb Barrikadenweib", weil sie angeblich den Beichtstuhl am liebsten neben der Barrikade installiert hätte, und empfanden ihre Offenheit und ihre erotischen Geständnisse als Exhibitionismus. Sie warfen ihr Geschwätzigkeit, Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit vor sowie einen Hang zum moralinhaltigen Narzissmus. Nicht wenige misstrauten ihren hochgespannten Gefühlen, ihrem Pathos und moralischem Impetus und sagten ihr Bigotterie nach oder rügten den hohen Ton ihrer Romane, Tagebücher und besonders ihrer Selbstdeutung "Den Wolf umarmen".

Christian Ferber gab seiner Rezension des Rinser-Buches "Silberschuld" die Überschrift "Ach Luise, kein Mädchen ist wie diese" und befand, dass das Buch eine Art verdünnter Hermann Hesse für den kleinen Mann sei. Spöttisch beginnt auch Frank Schirrmacher in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" seine Rezension zu Rinsers Buch "Wir Heimatlosen": "Luise Rinser, die erfolgreichste Schriftstellerin der Nachkriegsliteratur, ist der beste Mensch der Welt". - "...wer sich über die Reaktionsmuster all der anderen guten Menschen von Walter Jens bis Pastor Albertz orientieren möchte, der muss Luise Rinser lesen." Diesen nach außen hin wohlwollenden, aber im Grunde herablassenden, ja verächtlichen Ton behält der Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeinen" bis zum Ende seines Verrisses bei und kommt zu dem Resümee, dass ihre "Tagebücher ein instruktives, flottes Dokument des Wahnsinns" seien, die sie zu allem Überfluss Eugen Drewermann gewidmet habe.

Ich habe sie nicht gebraucht", sagte Luise Rinser, die seit Kriegsende bis heute präsent geblieben ist, einmal über die Kritiker. In der Tat ist sie ihren eigenen Weg gegangen ohne die Kritikergarde und auch ohne die Gruppe 47, mit der sie nicht viel im Sinne gehabt hatte, vielleicht weil sie, vermutet Michael Kleeberg, älter und erfahrener war "als die Ex-Gefreiten rund um Hans-Werner Richter.

Wie populär jedoch Luise Rinser selbst über die Grenzen des Landes hinaus war, zeigt eine kleine Begebenheit, von der Rinser 1962 in einem Brief an den Theologen Karl Rahner erzählt. Im Zug, so schreibt sie, sei sie mit zwei Italienern und einem nach Schweden ausgewanderten Deutschen ins Gespräch gekommen. "Nach einer Weile", so fährt sie fort, "sprachen wir von deutscher und italienischer Literatur, und der Deutsch-Schwede sagte, die moderne deutsche Literatur sei ihm zu nihilistisch, und es gäbe nur eine, die er gelten lasse und ob ich von ihr etwas gelesen habe - nämlich von Luise Rinser. Ich zog schweigend meinen Pass und reichte ihn ihm.- Sie können sich den Knall-Effekt vorstellen."

Überaus widersprüchlich war ihr Bild auch in der übrigen Öffentlichkeit. Da sie häufig Stellung zu aktuellen politischen Themen bezog, wobei sie sich selbst und andere nicht schonte, schlug ihr, der Prophetin einer radikalen franziskanischen Liebe ungewöhnlich viel Hass entgegen.

Lebenslauf

Doch wie verlief ihr Leben im einzelnen? Geboren wurde Luise Rinser am 30.April 1911 im oberbayerischen Pitzling bei Landsberg. Ihr Vater Joseph war Lehrer und Organist. Als Achtjährige schrieb sie ihre ersten Gedichte - zur großen Belustigung der Eltern. Mit vierzehn wagte sie einen neuen Versuch - diesmal heimlich nachts und nur für sich selbst. Ihre erste Erzählungen veröffentlichte sie in "Westermanns Monatsheften".

Luise Rinser studierte Pädagogik und Psychologie und wurde Volks- und Berufsschullehrerin. Da sie sich weigerte, in die NSDAP einzutreten, war der Ausschluss aus dem Staatsdienst abzusehen. Um ihrer Entlassung zuvorzukommen, kündigte sie. Sie heiratete den Musiker Horst-Günther Schnell, einen ehemaligen Studienkollegen und Protestanten, der gerade eine Stelle als dritter Kapellmeister in Braunschweig angetreten hatte, und mit dem sie zwei Söhne hatte: Christoph und Stephan.

Ihr Autorinnenleben hob damit an, dass sie zwischen der Hausarbeit zu schreiben begann. Ihr Mann Günther Schnell bestärkte sie in ihrem literarischen Streben und sorgte dafür, dass der legendäre Verleger Peter Suhrkamp ihr erstes, in sechs Wochen entstandenes Manuskript erhielt. Die Erzählung, in der Luise Rinser von ihrer Kindheit berichtet und dabei leise, differenziertere Töne anschlägt, erschien 1941 unter dem Titel "Die gläsernen Ringe". Die zweite Auflage wurde allerdings durch die Reichsschrifttumskammer verboten. Auch nach zwanzig Jahren, als die Erzählung als Taschenbuch herauskam, war sie ein großer Erfolg. Die Lektüre lohnt auch heute noch.

1943 fiel Schnell als Angehöriger einer Strafkompanie an der Ostfront, und ein Jahr später wurde Luise Rinser verhaftet, weil sie heimlich BBC gehört und Soldaten geraten hatte, sich nicht als Kanonenfutter "verheizen" zu lassen. Sie war von einer Schulfreundin und deren Mann, einem Gestapo-Offizier, bei den Nazis denunziert worden. "Hass habe ich nur einmal in meinem Leben kurz empfunden", sagte sie rückblickend auf diese Zeit. Die Anklage lautete auf "Wehrkraftzersetzung" und "Hochverrat". Dem drohenden Todesurteil entging sie durch die Befreiung der Amerikaner im Frühjahr 1945. Die Befreier waren schneller als der Henker.

Ihr eindrucksvolles "Gefängnistagebuch", ein wichtiges historisches Dokument, das sofort nach Kriegsende veröffentlicht wurde, trug ihr den Ruf einer Widerstandskämpferin im Dritten Reich ein. Doch in den achtziger Jahren wurde die erklärte Antifaschistin mit Texten aus der NS-Zeit konfrontiert, in denen sie in Gedichtform den "großen Führer" angehimmelt und seine Anhänger als "Todtreu verschworene Wächter heiliger Erde" apostrophiert hatte. Luise Rinser tat das Führer-Gedicht spöttisch als Spielerei ab. Man habe halt in lustiger Runde einen Wettbewerb veranstaltet, an dem sie sich zwar beteiligt, aber das Ganze nie sonderlich ernst genommen habe. Daraufhin warfen ihr kritische Zeitgenossen vor, sie würde die Aufarbeitung des Verdrängten verweigern und sei wie stets zu milde im Umgang mit sich selbst. Doch eins bedachten diese Nörgler nicht, dass wer einmal in seiner Jugend eine Dummheit von sich gegeben hat, sich ändern und entwickeln kann. Und das hat Luise Rinser wahrlich getan, lange bevor den meisten ihrer Mitmenschen die Augen über den verbrecherischen Charakter des Nazi-Regimes aufgegangen waren. Noch als junge Frau hatte sie erkannt, wer da wirklich 1933 an die Macht gekommen war, und hat, wie wir gesehen haben, dafür auch den Preis bezahlt.

Kurz bevor Luise Rinser verhaftet worden war, hatte sie ihren Freund Klaus Herrmann, der als Homosexueller, Kommunist und Pazifist im Hitler-Reich doppelt und dreifach gefährdet war, mit einer Scheinehe vor dem Konzentrationslager zu retten versucht. Um 1953 begannen dann die fünfjährigen "Szenen einer Ehe" mit dem damals noch noch unbekannten, aber depressiven und kapriziösen Komponisten Carl Orff, den sie "Genie und Dämon in einem" nannte. "Es war die Hölle, mit einem Genie verheiratet zu sein", sagte sie einmal.

Nach ihrer zweiten Scheidung hat sich die Schriftstellerin 1965 in Rocca di Papa bei Rom niedergelassen und hier in einem selbst entworfenen Haus die letzten dreieinhalb Jahrzehnte ihres Daseins verbracht. Entsprach doch das Leben in Italien ganz ihrem Bedürfnis, wie sie selbst einmal bekannte, an einem Ort zu wohnen, wo das Austragen von Leid und Leidenschaft noch nicht zu den Anachronismen zählt.

Luise Rinser schrieb ein Buch nach dem andern, reiste viel, studierte intensiv Land und Leute in Amerika, Osteuropa, im Mittleren und Fernen Osten. Nach Meinung von Walter Hinck, hätten diese Reisen "ihr Weltbild nicht wesentlich verändern können." Aber lesenswert sind ihre Reisebücher allemal, in denen sie ihre Ansichten zu Gott und einer sehr im Argen liegenden, überaus veränderungsbedürftigen Welt voller Ungerechtigkeit und menschlichen Elends äußert.

Im Alter von neunzig Jahren ist Luise Rinser am 17.März 2002 in einem Stift im oberbayerischen Unterhaching bei München an Herzversagen kurz vor ihrem 91.Geburtstag "ganz plötzlich und unerwartet" gestorben, wie ihr Sohn Christoph die Öffentlichkeit wissen ließ.

In den letzten Monaten ihres Lebens war sie offensichtlich sehr geschwächt gewesen. Schon die Geburtstagsfeier ein Jahr zuvor am 30.April 2001 im Münchener Literaturhaus, mit dem Münchener Oberbürgermeister als Festredner, musste ohne die Neunzigjährige stattfinden. Denn Luise Rinser war, von Roca di Papa nach München kommend, beim Verlassen des Flugzeugs auf der Rolltreppe schwer gestürzt. Sie war nun zwar am Gehen gehindert, aber geistig war sie weiterhin hellwach und gewitzt wie immer, wohl wissend, dass sie nichts weiß.

Schon 1992 hatte sie für das "Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" einen kurzen Nachruf verfasst: "Sie hat ihre Aufgabe als Störfaktor bis zum letzten Atemzug erfüllt. Jetzt hat und gibt sie (hoffentlich)Ruhe für eine Weile." Und noch etwas früher sagte sie: "Man muss mit dreißig anfangen, alt zu werden, dann ist es wundervoll. Man lernt die wirkliche Realität der Umstände zu begreifen und wird durch den Intellekt, durch die Hinwendung zur philosophischen Klarheit ungemein frei", und: "Leute, die sich nie hingeben, können auch nicht sterben, weil Sterben die letzte Hingabe ist." Auf diese Weise hat sie sich zum Leben und zur Literatur bekannt.

"Ich war ja früher sehr temperamentvoll und konnte mich furchtbar aufregen, politisch," überall habe sie mitgemischt und sich "in die Nesseln gesetzt". Jetzt aber sei sie weise geworden, nicht müde.

Zuletzt wehrte sie die Frage nach neuen Projekten ab. "Ich schreibe nicht mehr", meinte sie. Die Ansichten hätten sich verschoben. "Je älter man wird, je mehr man kapiert, desto weniger kann man erklären", fügte sie hinzu. Gefragt zu ihrem 90.Geburtstag, was sie von der heutigen Literatur halte, antwortete sie: "Das alles interessiert mich nicht mehr. Ich bereite mich auf das Sterben vor." In der Tat war Luise Rinser eine der wenigen unserer Zeit, die sich schon früh, mit der Endlichkeit menschlichen Lebens auseinander gesetzt hat.

Über das Leben nach dem Tode meinte sie: "Es ist für mich ausgeschlossen, dass etwas aus ist.." Als abendländischer Mensch könne sie sich nicht vorstellen, dass wir ins ewige Schweigen fallen. "So wie aus einer durch den Krieg total zerstörten Erde wieder etwas Neues wachsen wird, so stelle ich mir auch die Weiterexistenz nach dem Tod vor."

Zu ihrem letzten runden Geburtstag hatte sie sich und ihren Lesern ein Buch geschenkt und die Autorenschaft mit dem um ein halbes Jahrhundert jüngeren Christian Meiser geteilt. Der Titel: "Reinheit und Extase" klinge zwar ein wenig fatal, meinte Albert von Schirnding in der "Süddeutschen Zeitung", und doch sei es "ein außergewöhnliches, schönes, reiches, ergreifendes Buch, ganz ohne falsche Töne, auf der Suche nach vollkommener Liebe."

Als sie starb, würdigte Bundespräsident Johannes Rau sie als eine der großen literarischen Stimmen der Nachkriegszeit. Sie habe sich nicht von kurzfristigen Moden beeinflussen lassen und sich immer wieder couragiert für Freiheit, Demokratie und Mitmenschlichkeit eingesetzt, betonte Rau. "Sie wird vielen Menschen fehlen, gerade weil sie in ihren Büchern und Aufzeichnungen immer wieder und immer wieder neu den Grundfragen des Lebens nachgespürt hat."

Mehr als dreißig Bücher

Das Allerwichtigste in ihrem Leben sei das Schreiben, erklärte die Schriftstellerin einmal:"Ich bin viel zu kritisch als dass ich meine Bücher selber bewundern würde. Doch zwei Bücher lasse ich gelten - drei lasse ich gelten - 'Jan Lobel aus Warschau' - das ist ein schönes Buch, ein sehr menschliches Buch, ein frühes Buch - dann 'Abaelards Liebe' - ein spätes Buch und dann 'Mirjam'."

Über dreißig Romane, Essays, Gedichte, Tagebücher und Reiseberichte, eine zweibändige Autobiografie entstanden in über fünfzig Jahren und wurden in 24 Sprachen übersetzt. Mehr als fünf Millionen Exemplare ihrer Werke wurden verkauft. Zudem haben sie, trotz breit gefächerter Thematik, einen angenehm geringen Umfang zwischen 200 bis 300 Seiten. Ihre Sprache ist knapp, kunstvoll und leicht verständlich. Eine wahrhaft "gärtnerische Sprache" schwärmte Carl Zuckmayer schon 1948.

Ernst Jünger soll sie zum Schreiben angeregt und beraten haben, was sie jedoch nicht daran hinderte, sich nach dem Krieg kritisch über ihn zu äußern. Claudel, Bernanos, Brecht und die Bergpredigt kamen später hinzu. Zu Brecht bekannte sie sich übrigens schon 1960, zu einem Zeitpunkt also, als Bekenntnisse zu diesem Dichter in der Bundesrepublik noch nicht an der Tagesordnung waren. Bis heute gilt ihr Brecht-Essay von 1960 als intellektuelles Glanzstück.

Eine geradezu klassische Novelle und eine erste literarische Verarbeitung der Shoah legte sie 1948 mit der schon erwähnten Erzählung "Jan Lobel aus Warschau" vor, über einen polnischen Juden, der aus dem KZ geflohen war. Als erste Deutsche machte sie nach dem Krieg Front gegen das Schweigen über den Holocaust. Ihren ersten großen Erfolg erzielte Luise Rinser im Jahr 1950 mit dem Roman "Mitte des Lebens", der Geschichte einer Nonkonformistin.

Rasch aufeinander folgten die Romane "Daniela"(1952), "Der Sündenbock"(1954) - eine Parabel um Schuld und Rache, Recht und Gerechtigkeit im Gewand des Detektivromans -, "Abenteuer der Tugend"(1957) und die Erzählung "Geh fort, wenn du kannst" (1959), deren Heldinnen sich nach langen Kämpfen der Religion zuwenden, sowie "Die vollkommene Freude". Mit diesem 1962 erschienenen Buch endete die Reihe der Romane, denen Luise Rinser ihren außerordentlichen Ruhm und eine riesige Lesergemeinde verdankte. Viele hielten ihr ein Leben lang die Treue.

Im Mittelpunkt ihrer Bücher stehen oft Frauen zwischen Freiheit und Bindung, zwischen eigener Berufung und dem befreundeten und manchmal auch angebeteten Mann, Frauen zwischen männlicher Autorität und Selbstfindung, die wie sie unkonventionell leben, lieben und glauben.

Schon in den fünfziger Jahren entwarf sie in ihrem Romanen, insbesondere in "Mitte des Lebens", laut Luise Rinser das erste feministische Buch, lange bevor das Wort "Emanzipation" in Umlauf kam, Bilder von einer unabhängigen Frau, der sich riskierenden Einzelgängerin, die sich behauptet, auch gegen den Rest der Männerwelt.

Als ich das Buch "Mitte des Lebens" in den sechziger Jahren in einem christlichen Frauenkreis vorstellte, dem damals in erster Linie junge Mütter angehörten, waren die Frauen sehr angetan von der kraftvollen und unkonventionellen Heldin und konnten sich mit ihr gut identifizieren.

Vielen Frauen haben Rinsers Bücher Mut zu sich selbst gemacht und eine wichtige Lebenshilfe vermittelt, denn Rinser war in der Tat eine wichtige Ratgeberin für ihre Leserinnen und immer im Spannungsfeld von Liebe und Religion, Politik und Bergpredigt, Apo und Mystik, ein provokantes Programm ohne Stillhalte-Abkommen. Vor Gefühlen, auch vor pathetischen, hat sie sich nie gescheut. Luise Rinser - eine ihrer Schriften heißt "Das unterentwickelte Land Frau" - sagt selbst in dem autobiografischen Text "Im Dunkeln singen", sie schreibe nie Literatur, sondern "immer persönliche Bekenntnisse". Tatsächlich konnten sich viele in Rinsers Büchern wiedererkennen in ihrem problematischen Verhältnis zu überlieferten Werten und Autoritäten. Luise Rinser erntete damit die Dankbarkeit mehrerer Generationen. Überholt und gegenstandslos sind ihre Themen sicherlich noch nicht. Dem "Ungeist der Männlichkeit", den anzuprangern Luise Rinser nie müde wurde, ist beispielsweise noch längst nicht ausgestorben.

Im ersten Teil ihrer 1981 erschienenen Autobiographie "Den Wolf umarmen" schildert sie unbewältigte Kindheitskonflikte, die Beschneidung ihres Freiheitsdrangs durch die Eltern und deren "Lebensneid" auf ihre Tochter und rechnet mit der "sadistischen Form der Unterdrückung" der frühen Jahre rigide ab..

Zunehmend nimmt Rinser in ihren Büchern die religiöse Thematik auf, zum Beispiel im Franziskus-Roman "Bruder Feuer". Hier versucht sie, die Geschichte des Heiligen Franziskus uns Heutigen erfahrbar zu machen. Franziskus erscheint als "geistgetriebener Revolutionär", als "der Heilige der jungen und sich immer wandelnden Menschen". Vielleicht sind heute deshalb so viele junge Menschen von Luise Rinser begeistert, weil auch sie wandlungsfähig geblieben ist bis zu ihrem letzten Atemzug.

"Mirjam", der sehr erfolgreiche und von kirchlich-kitschigem Ballast freie Jesus-Roman(1983) hat vielen Lesern - auch Nichtchristen - einen neuen Zugang zum Neuen Testament gewiesen. Die "Schuld" der Maria Magdalena erweist sich in "Mirjam" als ein Hirngespinst der Männergesellschaft. Stattdessen wird die Heldin dieses Buches, Mirjam, zum Typus einer selbstbewussten, gebildeten und eigenständigen Nachfolgerin Jesu.

Über dieses Buch schrieb Franz Alt in der "Zeit": "Luise Rinser kratzt Schicht um Schicht den Lack von einem zwanzig Jahrhunderte lang übertünchten, kultischen und verkitschten, deformierten und ständig neu gekreuzigten Jesus. Sie erweckt den Mann aus Nazareth zu neuem Leben. Mirjam erinnert abendländische Christen an ihre Jesus-Vergesslichkeit."

Die Hinwendung zu religiösen Themen trugen Luise Rinser den Ruf als Erbauungsschriftstellerin ein. Doch man würde es sich zu leicht machen, würde man sie damit abtun. Immerhin gehört sie zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Doch so viel ist richtig: sie erlebte sowohl hohes Lob als auch hämische Verrisse.

1991 veröffentlichte Luise Rinser noch einmal ein Buch über eine "amour fou", nun in historischer Gestalt, "Abaelards Liebe"(1991), in dem sie aus der Perspektive eines unhistorischen Sohnes die Liebe des großen Theologen und Philosophen zu seiner Schülerin Héloise schildert.

Wirbel verursachten 1994 ihre unter dem Titel "Gratwanderung. Briefe der Freundschaft an Karl Rahner" veröffentlichte Korrespondenz mit dem Theologen. Der Jesuitenorden befürchtete Missverständnisse, sprich erotische Ausplaudereien. "Nur weil man Rahner als Mensch darstellt und nicht auf dem Sockel stehen lässt, auf dem er gar nicht stehen wollte", meinte die Autorin. Gerade dieses Buch lieferte sie den spitzen Federn schreibender Spötter aus. Als "verhinderte Märtyrerin" und "beharrlichste Ich-Sagerin" wurde sie geschmäht. Unerhörte Taktlosigkeit kreidete man ihr an. Carl Amery warf ihr Wichtigtuerei und Exhibitionismus vor. Dabei war Rahner einverstanden gewesen mit der Veröffentlichung des intimen Tagebuchs, das den Blick frei gibt auf einen Sturzbach der Gefühle zwischen einer liebenden Frau und einem zölibatär lebenden Ordensmann. Er nannte sie "Wuschel", sie ihn nach seinem Sternzeichen "Fisch". Es war eine komplizierte Liebe, eine echt barock-katholische Geschichte mit dem ewig ungelösten Thema: Priester und Frau solange es den widernatürlichen Zölibat gibt. Das Buch ist sicher eine Sensation - aber eine ganz andere als der "Spiegel" vermutet hatte: eine Sensation der Menschlichkeit und alles andere als ein Skandal.

In "Mitgefühl als Weg zum Frieden"(1995) berichtet Luise Rinser über ihre Begegnung mit dem Dalai Lama, dem im indischen Exil lebenden Religionsführer des tibetischen Volkes, den sie noch als 83-Jährige zu Gesprächen aufgesucht hat.

Ihre Bücher sind einfach, empathisch, teilnehmend an der Not der Menschen und nie langweilig, sondern stets voll prallem Leben. Durchgängig sind ihre moralisch-humanistische Grundhaltung bei traditionellem Erzählstil, und die Warmherzigkeit ihres Erzählstroms. In ihren Büchern durchdringen sich Erkenntnishunger und Liebeskraft. Die Grenze zwischen Literatur und Lebenswirklichkeit hebt sie auf und macht auch die Grenze zwischen den Gattungen fließend, weil sie sowohl Stilmittel des Kriminalromans verwendet als auch der trivialen Liebesgeschichte und des Tagebuchs. Sinnstiftung, Glaubensstärke, Umsetzung erkannter und erarbeiteter Gewissheiten gibt es in fast all ihren Romanen. Augenfällig ist bei ihr die Verzahnung von Leben und Schreiben. Von sich hat sie einmal gesagt, sie schreibe keine Literatur, sondern persönliche Bekenntnisse, meist in der Liebe. Schreiben war für sie Innerstes nach außen kehren in oft gescholtener Offenheit.

Auseinandersetzung mit Problemen der Zeit

Wichtig war ihr die mit literarischen Mitteln geführte Auseinandersetzung mit Fragen, die ihr und ihren Zeitgenossen den Schlaf rauben oder jenen, die den Schlaf der selbstgerechten Wohlstandsbürger schliefen, rauben sollten. Sie scheute sich nicht, beim Schreiben an ihre Leser zu denken, und die dankten es ihr mit fast beispielloser Resonanz. Kam sie doch dem Bedürfnis nach religiöser Erbauung mit Figuren von charismatischer Ausstrahlung entgegen.

Sie habe die ideologischen Gegensätze versöhnen wollen, schrieb ein Kritiker, dies sei mit einer emotionalen Überhitztheit der Figuren und einem naiven Verständnis des Guten erkauft worden. Sie habe ein hohes Maß an gutem Willen" besessen, bescheinigt ihr Walter Hinck, und habe gleichzeitig "an Trübung der Wirklichkeitssicht" gelitten.

Das Religiöse spielte dabei immer eine dominierende Rolle. "Ich komme aus dem katholischen Milieu, aber aus keinem mich einengenden, sondern aus dem bayerischen barocken Katholizismus", heißt es bei ihr. Die Sinnlichkeit des süddeutschen-katholischen Kultus verlor niemals seine Faszination auf sie. Allerdings wurde die ursprüngliche katholische Position durch zunehmend scharfe Kritik an der Kirche und eine gewisse Neigung zu esoterischen Bewegungen und fernöstlicher Mystik ausgedehnt.

Bis zuletzt war sie eine streitbare und umstrittene Katholikin. Zuwider waren ihr Enge und Mief klerikaler Bevormundung. Sie legte sich mit der Amtskirche an und wetterte gegen den päpstlichen Pillenkrieg und das "mörderische Zölibat".Sie plädierte dafür, dass jeder seinen eigenen Weg zu Gott finden müsse. Sie selbst sagte über Gott:"Es gibt etwas, was wir Gott nennen. Ich weiß aber nicht, was das ist." und ferner: "Ich kenne keinen personalen Gott. Die meisten Leute sind Kinder. Sie brauchen noch einen Vater oder eine Mutter, eine Hand. Das brauche ich nicht. Für mich ist Gott ein unermesslicher Energiestrom. Sie können es Liebe nennen oder Sympathie oder was auch immer. Aus diesem Strom ist die Schöpfung hervorgegangen, und da geht mein kleines Leben auch wieder hin."

Auf die Frage: "Hat Beten einen Sinn?" antwortete sie einmal in Buchlänge. Dabei vernachlässigte sie das Außen keineswegs. "Ich suche hier keinen Frieden, ich lasse nicht die Welt außen vor der Tür, um drinnen, allein auf spirituelle Weise glücklich zu sein; ich nehme vielmehr entschlossen die Unruhe der Welt mit hinein, schrieb sie in "Septembertag", und sagte an anderer Stelle: "Christentum bedeutet für mich das absolute Engagement für den Menschen." Als sie das Wort des großen Augustinus gelesen habe:"Liebe und tu, was du willst" habe sie begriffen, dass dies ihr "Ordnungsort" sei.

In kirchlichen und politischen Debatten erhob sie lautstark ihre Stimme und unterstützte Minderheiten, redete einer feministischen Theologie das Wort und hätte gern den Marxismus mit dem Christentum in Einklang gebracht. Sie sei "Christin und Sozialistin" und nehme die Finsternisse der Zeit zur Kenntnis und bleibe trotzdem hoffnungsvoll. Als praktizierende Katholikin und als couragierte und verantwortungsbewusste Rebellin entwickelte sie in der Auseinandersetzung mit der Welt ihrer Herkunft ihren sprachmächtigen Widerspruchsgeist.

"Ich bin für den echten Sozialismus, der eine religiöse Ausrichtung hat", schrieb Luise Rinser, die sich selbst als "Linkskatholikin" bezeichnete oder als sozialistische Christin und christliche Antifaschistin. In einem ihrer Bücher sah sie sich als eine Art Jeanne d'Arc im Kampf gegen das Böse mit Mut und Lust am Widerspruch. "Man hält mich für ein frommes und sanftes Wesen, das ich nicht bin und auch im Alter nicht sein werde", betonte sie streitlustig und auch, dass jeder Mensch mitverantwortlich sei für das, was in der Welt geschieht. "Jeder Mensch greift mit seinen kleinsten Regungen und Gedanken in das Weltgeschehen ein."

Wandelmutig - nicht wankelmütig

Um 1968 avancierte sie zu einer Parteigängerin der undogmatischen Linken, machte sich stark gegen Notstandsgesetze und Atomrüstung, für Frauenrechte und Friedensbewegung. Ihre besondere Verehrung galt der Person von Willy Brandt. Mit ihm ging sie auf Wahlkampfreisen, demonstrierte mit Heinrich Böll gegen die Rüstungsspirale und sympathisierte mit Angela Davis. Politik mit Gefühl zu betreiben war ihr ein Credo.

In den späten siebziger Jahren wurde Luise Rinser zur "Sympathisantin" der RAF-Terroristen abgestempelt und im Herbst 1977 aufgrund rechtsradikaler Drohungen an einer Lesung gehindert, nachdem das Magazin "Quick" sie beschuldigt hatte, im Jahr 1970 die Terroristen Ensslin und Baader beherbergt zu haben. Die Verachtung von linken und rechten Kritikern schlug ihr nun gleichermaßen entgegen, auch vom damaligen württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Der nämlich wünschte viel Erfolg im Kampf gegen Luise Rinser.

Die ihr 1984 von den Grünen angetragene Kandidatur für das Amt des Bundespräsidentin. bei der sie chancenlos gegen Richard von Weizsäcker antrat, trug auch nicht unbedingt zu ihrer Reputation bei. "Ich habe mich für alles interessiert, in der Politik vor allem", sagte sie einmal. Ernüchtert resümierte sie später: "Es sind ja nicht Menschen und Parteien, die Geschichte machen, sondern die Wirtschaft macht Geschichte, die Finanz macht Geschichte - und da kann selbst ein so guter Mann wie Weizsäcker oder ein mir so unsympathischer Mann wie Kohl dran sein - es ändert sich nichts. Und da bin ich manchmal verzweifelt, weil alles nur ums Geld geht."

Das Engagement von Luise Rinser hielt auch in den achtziger Jahren unvermindert an und konzentrierte sich jetzt auf die Friedensbewegung und kirchliche Streitfragen, aber weiterhin auch auf die Unterstützung gesellschaftlicher Randgruppen und Minoritäten wie ihre Schrift "Wer wirft den ersten Stein? Zigeuner sein in Deutschland. Eine Anklage"(1987) und die Herausgabe der Anthologie: "Lasst mich leben. Frauen im Knast"(1987) belegen. "Meine Erfahrung im Gefängnis", schreibt sie hier im Vorwort zum zuletzt genannten Buch, "hat mein Leben bestimmt." Seitdem sei sie inhaftierten Menschen zugetan. Mitunter hat sie auch Lesungen mit männlichen Strafgefangenen veranstaltet( bei einer solchen Lesung im westfälischen Hagen bin ich ihr zum zweiten Mal begegnet) und ihnen in warmherzigen Briefen immer wieder Mut und Trost zugesprochen.

Als der Vater ihr einmal vorhielt, sie sei wankelmütig, entgegnete sie: "Ich bin wandelmutig-nicht wankelmütig."

Eine treibende Kraft war für die Autorin zweifellos die Liebe. "Ich liebe den Menschen als Geschöpf. Er ist etwas ungeheuer Wichtiges im Weltenplan", ließ Rinser ihre Leser wissen. Ausgerechnet zwei Männer der katholischen Kirche sollten prägenden Einfluss auf sie haben. Die große Liebe ihres Lebens, schreibt Luise Rinser in ihrer Autobiografie "Saturn auf der Sonne"(1994) sei M.A. gewesen. Wer hinter diesem Kürzel stand, wollte sie nie verraten, wohl aber, was er ihr bedeutet hat. "Ach, er war mein Schicksal." Nur einmal hätten sie sich flüchtig geküsst - "das erste Mal und das letzte Mal."

Auch zu dem Theologen Karl Rahner hatte die Autorin eine ganz besondere Beziehung, bekennt aber:"Um der Treue zu M.A.willen konnte ich keinen anderen lieben, obwohl das Angebot hinreißend großartig war." Befragt nach ihrem Verhältnis zur Kirche heute, sagt sie ohne Umschweife: "Wir verstehen uns nicht."

Als letzte einer langen Kette schreibender Menschen in Deutschland stand bei ihr am Anfang und am Ende ihres Schaffens die Frage nach Gott - erkannte Tilmann Krause ganz richtig in der Tageszeitung "Die Welt" -, die Frage nach einem sinnvollen, den Gesetzen der Schöpfung gemäßen Lebens.

In den letzten Jahren wurde Rinser eine engagierte Ökologin. "Religiös darf sich nur nennen, wer mitarbeitet an der Bewahrung der Schöpfung", hatte ihr der Dalai Lama in einem Fernseh-Gespräch auf die Frage geantwortet: "Was ist heute für Sie Religion?" Luise Rinser stimmte diesem Satz des buddhistischen Dalai Lama sofort zu, ebenso der hinduistischen Weisheit: "Gott schläft in den Steinen, atmet in den Pflanzen, träumt in den Tieren und will in uns Menschen erwachen." Bis zuletzt war sie von unerschütterlichem Gottvertrauen erfüllt.

Die Widersprüche, die sie in ihrem Werk zu vereinbaren suchte, spiegelten sich in ihrem Leben. Doch sie zeigte sich ihnen gewachsen. Immer wieder erregte sie Aufsehen durch ihren scharfen Blick für scheinheiliges Verhalten in der Gesellschaft und durch ihr politisches Engagement als Christin und Sozialistin. Sie war ein impulsiver gefühlvoller Mensch und agierte niemals vorsichtig und absichernd in lebhaften Diskussionen.

Neben Philosophie und Religionen hatte die Musik für sie eine große Bedeutung. In den sechziger Jahren lernte sie den nach Deutschland geflüchteten, aus Berlin vom südkoreanischen Geheimdienst verschleppten und zeitweilig in Seoul internierten Komponisten Isang Yun kennen, dessen Schicksal sie tief bewegte. Sie veröffentlichte eine Yung-Biographie. Fast zwangsläufig bildete sich bei ihr durch die Parteinahme für Yung, der die südkoreanische Diktatur ablehnte ein symmetrisches Interesse für Nordkorea aus. Ihre Beobachtungen in diesem Land lesen sich mild kritisch bis vorsichtig wohlwollend. In Zeiten des Kalten Krieges wohl keine ganz und gar verwerfliche Handlung angesichts eines damals höchstens pauschal als kommunistischer Popanz im Westen bekannten Landes. Natürlich stieß in jener Zeit ihre Verehrung für den früheren nordkoreanischen Diktator Kim II Sung auf Befremden. Sie hatte in ihm eine Vaterfigur gesehen und verdrängte hinter der Vater-Fassade den Tyrannen allzu gutgläubig. Warum soll sich nicht auch eine Luise Rinser täuschen dürfen? Wer sich engagiert, ist auch manchmal blind. Nur Untätige machen keine Fehler.

Ihre Bereitschaft, sich Problemen zuzuwenden, die unsere Nachkriegsgesellschaft aufwarf - Generationskonflikte, soziale Gegensätze und Eheprobleme, Glaubenskrisen und Lebensangst - hat ihr in ihrem ereignisreichen politisch und religiös produktivem Leben für lange Zeit Aktualität gesichert..

War ihr das Nachwende-Deutschland sympathisch?

In "Wir Heimatlosen - 1989 bis 1992" hat sie sich zu den Jahren der "Wende" geäußert, aber merkwürdig matt und unverbindlich, als sei ihre Kraft erschöpft und als mache sich nun Resignation bei ihr breit. Immerhin hatte sie als Mitbegründerin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Publizistin, sich stets geweigert, die DDR in Anführungszeichen zu setzen. Mit Sätzen wie: "Der Sinn ist nur erfahrbar, indem man hofft. Diese Hoffnung: die große schöpferische Kraft, welche Wirklichkeit zeugt" hatte Luise Rinser vor 1989 in der alten DDR weit mehr Zustimmung erfahren und Hilfe und Trost vermittelt als in Westdeutschland.

Auf die Frage, ob ihr das Nachwende-Deutschland sympathisch sei, antwortete sie ausweichend: "Ich mochte die DDR-Deutschen, ihre Einfachheit, ihr Nichtauftrumpfen." Beim Untergang der DDR habe sie nicht gejubelt und nicht geweint. Als sie sah, wie ein Volk sich der verhassten Herrschenden auf friedlichem Wege entledigte, da habe sie sich gefreut und gesorgt.

Ihr Leben war schwer, aber auch reich

Kurz nach Luise Rinsers Tod las ich ihre unter dem Titel "Kunst des Schattenspiels 1994-1997" erschienenen Tagebuchnotizen, in denen sie mit schweren persönlichen Erfahrungen, mit dem Tod ihres Sohnes Stephan und eigenen langwierigen Klinikaufenthalten, fertig zu werden versucht. Die Frage, ob sie eine große Dichterin war, stellt sich sich hier nicht, weil Luise Rinser in schonungsloser Offenheit und Ehrlichkeit von ihren eigenen Gefühlen spricht, wobei sie überlegt, ob Leben wohl identisch mit Leiden sei. Aber dann gibt sie sich selbst die für alle tröstliche Antwort, dass ihr Leben wohl schwer, aber auch reich gewesen sei, und dass es Glückszeiten gab und immer noch gibt, selbst in einem Alter von nahezu neunzig Jahren.

Der Aufsatz erschien ,in leicht gekürzter Fassung, in der Fachzeitschrift für Literatur und Kunst "Der Literat" 44.Jahrgang, Oktober 10/2002.


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