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Wie aktuell ist Kant? Immanuel Kant, der Königsbürger Philosoph, ist aktueller denn je, warb er doch schon zu seiner Zeit für Menschenrechte, Völkerverständigung und eine universale Ethik. Mit seinen Ideen über den "Ewigen Frieden" und das Weltbürgertum ist er uns näher als wir denken. Eine Orientierung an der Ethik Kants kann auch dann weiterhelfen, wenn es um Fragen geht, die vor zweihundert Jahren noch gar nicht gestellt werden konnten - etwa in der Genetik, in der Konflikt- oder in der Hirnforschung. Mit Kant sollten wir uns ferner daran erinnern, dass der Mensch ein sittliches Wesen ist, denn diese Wahrheit (oder handelt es sich hierbei nur um ein Postulat?) droht heute mehr denn je in Vergessenheit zu geraten.

War Kant eine flache Persönlichkeit?

Die Biografen haben den Philosophen lange Zeit in eine "flache Persönlichkeit" verwandelt. "Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant ist schwer zu beschreiben", spottete Heinrich Heine in seiner "Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland", "denn er hatte weder Leben noch Geschichte." Dabei hätte gerade einer wie Heine, der so leidenschaftlich im revolutionären Paris verkehrte und sich für die Befreiung unterdrückter Menschen einsetzte, sich zumindest wundern müssen, wie der angebliche Rokoko-Kant die Französische Revolution feierte, wie er nach 1789 heißhungrig nach den neuesten Zeitungen griff, wie er "selbst an den vornehmsten Tafeln der Revolution das Wort redete" (ein Tischgenosse) - was riskant war -, wie er nicht fürchtete, als "Jakobiner» ins schwarze Register der preußischen Staatsfeinde zu geraten, wie noch der 74-jährige Kant seinen exzellenten Rheinwein nicht allein zum persönlichen Genuss trank, sondern in Gesellschaft zum Toast auf die Franzosen nutzte, wie er sich noch nach Robespierres Terrorregiment "durch alle die Ausbrüche der Immoralität an der Idee der bürgerlichen Revolution nicht irre machen ließ" (ein anderer Tafelgenosse). (Im Gegensatz zu Schiller.)

Mit den Vorurteilen, dass Kant nichts anderes gewesen sei als ein Stubenhocker, ein schrulliger Meisterdenker, ein preußischer Oberpedant, ein Prinzipienreiter, nach dessen täglichem Spaziergang die Königsberger ihre Uhren stellten, wie uns frühere Biografen glauben machen wollten, räumt der Philosophieprofessor Manfred Kühn in seiner 2004 erschienenen Kant-Biografie gründlich auf. Stattdessen präsentiert er uns einen vielseitigen Kant, der mit dem "Mandarin" von Königsberg, wie Nietzsche ihn sah, kaum noch Ähnlichkeit hat.

Geboren wurde Kant in Königsberg am 22.April 1724. Wörtlich übersetzt heißt Immanuel "Gott ist mit ihm". Die Bedeutung seines Namens gab ihm sein ganzes Leben lang Trost und Zuversicht, schreibt Kühn und fügt hinzu: "Kants autonomer, selbstsicherer und selbstgeschaffener Charakter mag durchaus eine gewisse Art von optimistischem Vertrauen auf die Welt als teleologisches Ganzes voraussetzen, eine Welt, in der alles, einschließlich seiner selbst, seinen bestimmten Platz hat."

Vier der neun Kinder, die in Kants Elternhaus geboren wurden, starben in jungen Jahren. Mit seinen Geschwistern verband den Philosophen nicht viel. Keinem von ihnen stand er wirklich nahe. In den letzten Tagen seines Lebens kam zwar seine Schwester Katharina Barbara zu ihm, um ihn zu pflegen, doch machte ihn ihre "Einfalt" verlegen, obgleich er auch dankbar war.

Kants Eltern waren religiös und stark durch den Pietismus beeinflusst. "Von der moralischen Seite betrachtet", behauptete Kant im höherem Alter, "hätte die Erziehung durch seine Eltern, gar nicht besser sein" können. Seine Schulzeit in einer pietistischen Institution "unter der strengen Zucht der Fanatiker" empfand er dagegen als Pein, nicht so seine Studentenjahre an der Universität Königsberg. Sie waren Jahre der Freiheit und des intellektuellen Wachstums. Um sich sein Studium finanzieren zu können, wurde Kant zwischendurch Hauslehrer in einem Predigerhaus außerhalb Königsbergs.

Kant hatte auch gute Freunde. Zu ihnen gehörten Johann Gotthelf Lindner, Michael Freytag, Georg David Kypke, Johann Daniel Funk und Johann Georg Hamann, der Kant allerdings nicht so nahe stand wie die anderen. Später lernte er Johann Gottfried Herder und Markus Herz kennen.

In jungen Jahren entwickelte sich Kant zu einem Menschen von Eleganz, der bei gesellschaftlichen Ereignissen mit seiner Intelligenz und seinem Witz brillierte. Er war ein "eleganter Magister", der große Sorgfalt auf seine äußere Erscheinung legte und die Ansicht vertrat, "es sei durchaus Pflicht, auf keinen in der Welt einen widerlichen oder auch nur auffallenden Eindruck zu machen." Zudem war er alles andere als ein Frauenhasser, auch wenn er für schnelle sexuelle Abenteuer nicht zu haben war.

Er hielt "den Ehestand für Bedürfnis und notwendig", tat aber nie den letzten Schritt. Einmal gab es "eine gute gezogene, sanfte und schöne auswärtige Witwe", die in Königsberg Anverwandte besuchte. Er leugnete nicht, dass es eine Frau wäre, mit der er gerne leben würde; er berechnete seine Einnahmen und Ausgaben und schob die Entschließung immer wieder auf. Die schöne Witwe heiratete schließlich einen anderen. Ein andermal "rührte ihn ein hübsches westfälisches Mädchen", das eine adlige Dame nach Königsberg begleitet hatte. Er war gern in ihrer Gesellschaft, aber auch hier wartete er zu lange. Danach dachte er nie wieder ans Heiraten. Er selbst soll gewitzelt haben, als er eine Frau gebraucht habe, habe er keine ernähren können, und als er eine ernähren konnte, habe er keine brauchen können.

Alles deutet darauf hin, dass Kant in seinen frühen Jahren fast wie ein Dandy gelebt hat, wie ein geckenhafter Mann von Welt und als geistreicher Unterhalter ein begehrter Gesellschafter war. In der Universität wiederum hatte er sich zu einem brillanten Lehrer entwickelt, dessen freier Vortrag "mit Witz und Laune gewürzt" war.

Ende 1769 erhielt Kant einen Ruf an die Universität Erlangen. Im Januar 1770 wurde ihm eine Stelle an der Universität Jena offeriert. Im Februar 1778 hätte er Professor der Philosophie in Halle werden können. Aber jedesmal lehnte er ab. Er wollte bleiben, "wo er war, als Bürger der Universität Königsberg." Die geregelte Lebensweise, die Kant einhielt, war vielleicht nur eine einfache und schlichte Form der geistigen Hygiene. Ausschlaggebend für diese Entscheidungen war auch Kants Freundschaft mit dem britischen Kaufmann Joseph Green gewesen.

Königsberg hat er nie verlassen, aber, so Egon Friedell, der über Kant promovierte, er wusste nicht nur mehr von der Welt und ihren Bedingungen als alle Weltumsegler. Er las auch Kollegien über Geographie, die den größten Zulauf hatten. Als er einmal das Straßenbild Londons entwarf, gab er eine so genaue und anschauliche Schilderung der Westminsterbrücke, dass ihn nach dem Kolleg ein Engländer fragte, wie viel Jahre er denn in London gelebt habe.

In Königsberg ist er einige Male umgezogen und kaufte sich 1783 sogar ein eigenes Haus. Aber auch hier fühlte er sich mitunter in seiner Ruhe gestört. Diesmal war es nicht ein krähender Hahn wie zuvor, sondern singende Häftlinge und Jungen, die auf der Straße spielten und Steine über den Zaun warfen.


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