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Wieviel Glück braucht der Mensch? Wieviel Trauer kann er verkraften?

Freud' muss Leid, Leid muss Freude haben, sagt Mephistopheles in Goethes Faust. Diese Ansicht teilen viele Autoren, die gutgemeinte Ratgeber verfassen oder Anhänger der Positiven Psychologie sind, keineswegs. Ich habe in den letzten Jahrzehnten so viele Ratgeber und Bücher zum Thema Glück zu begutachten und zu rezensieren gehabt, dass ich heute eigentlich der glücklichste Mensch sein müsste. Vor einiger Zeit hat mir (und natürlich auch anderen Lesern) ein junger Autor beizubringen versucht, dass sich Glück erlernen lässt, indem man negative Gefühle einfach ausschaltet und sein Gehirn neu verdrahtet. Gleichwohl konnten auch seine guten Ratschläge bislang nicht verhindern, dass ich mir hin und wieder insgeheim Sorgen um Kinder und Enkelkinder mache und der Ärger über "liebe" Verwandten mir gelegentlich den nächtlichen Schlaf raubt, so dass man sich am Ende fragt: Ist der Mensch wirklich immer und überall seines Glückes Schmied? Spielt nicht mitunter auch der pure sinnlose Zufall im Leben eine gewichtige Rolle und wirft es aus der vom Menschen vorgesehenen Bahn?

Angesichts dieser Situation auf dem Buchmarkt lässt natürlich ein Buch aufhorchen wie das des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Eric G.Wilson, das kürzlich auf deutsch unter dem Titel "Unglücklich Glücklich. Von europäischer Melancholie und American Happiness" bei Klett-Cotta erschienen und für 16,90 Euro zu haben ist.

Wilson startet nämlich einen furiosen Angriff auf unsere Sucht nach andauerndem ungetrübten Glück und prangert dabei vor allem die oft hohle, oberflächliche Lebensweise seiner amerikanischen Landsleute an. Mit unserem Streben nach Freude ohne Leid, nach Hochs ohne Tiefs, nach Genuss ohne Reue beraubten wir uns, meint er, wichtiger Inspirationsquellen für Kunst, Dichtung, Musik und das tägliche Leben.

Hier einige Kostproben aus Wilsons Buch:

"Wird bald jeder zivilisierte Mensch glücklich sein?" fragt er. "Werden wir eine Gesellschaft selbstzufriedener Smileys? Sirupsüßes Mienenspiel wird unser Gesicht verkleistern, während wir durch pastellfarbene Gänge stolzieren. Blendendes Neonlicht wird unseren Weg weisen."-- "Das allgegenwärtige Dauergrinsen", plagt den Kläger ebenso die Befürchtung, dass wir "Götter in einem Vergnügungskosmos" werden, "den wir selbst erschaffen haben" sowie die Tatsache, dass aus allen Ecken uns ein "Schönen Tag noch" entgegentönt. Ein oft gedankenlos dahergesagter Wunsch, der mich allerdings auch oft nervt.

Dass wir den Eigenwert der Traurigkeit durchweg ängstlich ignorieren, erfüllt den Autor mit so großer Sorge, dass er nicht müde wird, seine Anklagen immer wieder von neuem zu variieren und an vielen Beispielen zu belegen. Als Gegenpol stimmt er ein Loblied auf die Melancholie an. Er beruft sich in dem einen wie in dem anderen Falle auf viele Schriftsteller, Künstler und geschichtliche Persönlichkeiten, überwiegend aus dem amerikanischen Raum. Wilson hat natürlich in vielem Recht. Aber auch sein Buch weckt Fragen. Die Schwermut, die Melancholie, sorgt natürlich für einen gewissen Tiefgang in unserem Leben. Aber sorgt nicht das Leben selbst dafür, dass uns bisweilen das Lachen vergeht? Man muss nur einen Blick in die Gazetten werfen oder die Nachrichten im Fernsehen und Rundfunk hören. Wir lesen und hören von Krieg, Flugzeugabstürzen, Kindesmisshandlungen, Ehrenmorden und vielen anderen schlimmen Dingen. Und manches Ereignis im eigenen Leben - man muss dafür noch nicht einmal steinalt werden - beschert uns Verzweiflung oder lässt uns in tiefe Traurigkeit versinken, so dass wir alle Mühe haben, damit fertig zu werden. Wir müssen also die Melancholie keineswegs herbeizitieren oder herbeibeten. Vielleicht ist es realistischer, sich mit Sigmund Freud zu trösten, der einmal gesagt hat, Glück sei für den Menschen in der Schöpfung nicht vorgesehen.

Man kann sich aber auch an den kirgisischen Schriftsteller Tschingis Aitmatov halten (er verstarb am 10.Juni 2008 im Alter von 79 Jahren), der über Glückspilze und Pechvögel schrieb und der Meinung war, dass Glück niemals ein Dauerzustand sein könne und dass überdies viel zu wenig Glück vorhanden sei, so wenig nämlich, als wolle man mit einer einzigen Bettdecke, die nur für ein bis zwei Personen reicht, acht Menschen damit zudecken.


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