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Israel - ein Land ohne Humor?

Nach Meinung kluger Leute soll der jüdische Witz heute nur noch eine historische Erscheinung sein. Die Gründung des Staates Israel, so wird vielfach argumentiert, habe zum Ende des jüdischen Witzes geführt. Denn wer die Macht habe, bedürfe seiner nicht nicht mehr. Statt mit Witz und Humor wehrten sich heute die Juden in Israel, wie einst ihre Vorfahren in biblischer Zeit, mit Waffengewalt. Das neue Israel sei witzlos wie die Bibel.

Diese Ansicht ist fragwürdig und anfechtbar. Zweifellos sind charakteristische Figuren der herkömmlichen jüdischen Anekdote, wie der Rabbi, die Chassidim, der durchtriebene Kaufmann, der einfältige Goi und andere mehr von der aktuellen Bildfläche verschwunden. Aber wer wollte allen Ernstes behaupten, dass die Probleme, die den Staat Israel gegenwärtig beschäftigen, nicht auch ihre humorvollen Seiten hätten, zum Beispiel die Integration der Einwanderer aus aller Welt, das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen, das leicht Missverständnisse aufkommen lässt, die man, je nachdem wie man sie betrachtet, auch belächeln kann. Zudem haben die großen Einwanderungswellen dem israelischen Humor Charakterzüge anderer Völker hinzugefügt. Populär sind außerdem Witze über die arabischen Staaten und deren Armeen.

Schließlich hat auch Israel, der jüdische Staat, seine Humoristen und Satiriker, allen voran der allgegenwärtige und nicht unumstrittene Ephraim Kishon. Seine zum Lachen und Schmunzeln anregenden Geschichten und Geschichtchen aus dem orientalischen Vielvölkerstaat, bei denen mancher das Gefühl hat, er lache unter seinem Niveau, haben freilich mit dem ursprünglichen jüdischen Witz kaum Ähnlichkeit. Bei Kishon geht es nicht mehr um das nackte Überleben. Seine Zielscheiben sind, wie in den Witzen anderer Völker auch: die beste aller Ehefrauen, die mehr oder weniger zuverlässigen Handwerker, die Tücken der modernen Technik, der lächerliche Kulturbetrieb, das Groteske im Alltag und die Diktatur der Bürokratie. Schalom Ben-Chorin hat über den Witz von Ephraim Kishon gesagt, er folge nicht mehr der Selbstironie des Unterlegenen, vielmehr sei er die Emanzipation zum Lachen über den problematischen, aber immerhin israeleigenen Fortschritt. Er meine nicht nur die Israelis, so erklärt Kishon sich selbst, er meine die Menschen schlechthin. Aus seinem Spott könne man erkennen, wie es wirklich um diese Welt bestellt sei.

Aber Kishon und allen Unkenrufen zum Trotz, selbst in Israel braucht man nicht lange zu suchen, um auf spaßige Geschichten zu stoßen oder Leute ausfindig zu machen, die Sinn für Humor haben, wie Chaim Weizmann, der erste Staatspräsident Israels, von dem der Ausspruch stammt: "Wer in Israel Realist ist, glaubt an Wunder" oder Schalom Ben-Chorin, der nach eigenem Geständnis, mit Buber einen Charakterzug gemeinsam hatte, nämlich den Humor. Dieser, so Ben-Chorin, habe für ihn Lebenskraft bedeutet, ohne die er manches gar nicht durchgehalten hätte. "Würde ich alles und mich selbst immer ernst nehmen, so müsste ich an der Welt und an mir verzweifeln. Es gibt so vieles, das näher betrachtet, eine komische Seite hat, und auch die soll man sehen."

Ein Witz stammt sogar aus den Pionierjahren des neuen Staates. "Ein Jude musste aus seiner Heimat flüchten. Nun betritt er israelischen Boden und seufzt: 'Zweitausend Jahre haben wir vergeblich um Rückkehr gebetet - und ausgerechnet mich muss es treffen!' "

Ferner: "Herr Doktor was haben Sie gegen den Zionismus?"-"Prinzipiell nichts, nur ein paar einzelne Einwände: Erstens, warum habt ihr euch ausgerechnet Palästina ausgewählt? Im Norden Sumpf, im Süden Wüste. Habt ihr kein besseres Land finden können? Zweitens, warum wollt ihr unbedingt eine tote Sprache wie Hebräisch dort sprechen? Und drittens verstehe ich nicht, weshalb ihr euch ausgerechnet die Juden ausgesucht habt. Es gibt sympathischere Nationen."

Den israelischen Kultur- und Literaturträgern gebricht es gleichfalls nicht an Humor. So haben der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels des Jahres 1992, Amos Oz, und andere Schriftsteller die israelische Gesellschaft und ihre mitunter skurrilen Protagonisten in ihren Büchern immer wieder porträtiert, heiter, melancholisch und liebevoll ironisch. Humor, Witz, Ironie bezeugt das Studentenkabarett an der Universität Tel Aviv, das mit seinem Stück "Sie waren alle meine Söhne oder Die Küsten der Schweiz" die Situation Israels witzig beleuchtet und Hiebe nach links und rechts ausgeteilt hat. Auch Filme über das heutige Israel wirken zuweilen erheiternd, wie etwa der Film "Mariage of Convenience" oder "Cup Final". Letzterer erzählt, wie eine Gruppe Palästinenser einen israelischen Soldaten gefangen nimmt und sich mit ihm während des israelischen Vormarsches nach Beirut durchzuschlagen versucht. Bei aller Brutalität fehlt es nicht an köstlichen humorvollen Szenen und utopischen Momenten. Stellenweise wirkt der Film nicht wie ein Kriegsfilm, eher wie die Inszenierung einer Comédie Humaine.

Daneben kommen uns immer wieder Geschichten aus Israel zu Ohren, in denen deutlich Anklänge an den alten jüdischen Witz herauszuhören sind, wie etwa in folgender Anekdote: "Ein Israeli, dessen zwei Söhne an der Front standen, begab sich am Jom Kippur in die Synagoge. Es war zu der Zeit, als am Suezkanal dauernd geschossen wurde und es viele Tote gab. Der Vater betete. 'Lieber Gott, ich weiß, wir sind das auserwählte Volk. Ich bin dir auch dankbar für alles - aber könntest du mir nicht einmal einen Gefallen tun und statt unseres Volkes ein anderes auserwählen?"

Wissen Sie eigentlich, wer ein Zionist ist? "Ein Zionist ist ein Mensch, der einem zweiten Geld gibt, damit ein dritter nach Palästina geht."

Selbst die einstige Ministerpräsidentin Golda Meir bewies Humor mit ihrem Ausspruch: " Früher hat man eine einzige lange Hochzeitsreise mit dem Mann seines Lebens gemacht. Heute macht man mehrere kürzere mit verschiedenen Männern."

Vor einigen Jahren berichtete eine deutsche Tageszeitung von zwei amüsanten Vorfällen. Die erste Mitteilung meldete unter der Überschrift:"Rabbiner-Weisheit rettet eine Ehe", dass ein Rabbiner-Gericht in Tel Aviv das Scheitern einer Ehe verhindert habe. "Ein Mann, der seine Frau nach zwei Jahren Ehe verlassen wollte, weil er ihre Nase hässlich fand, zog seinen Scheidungsantrag zurück, nachdem das Gericht die Frau bewogen hatte, sich durch eine Operation verschönern zu lassen."

Reuven Assor wiederum schrieb aus Jerusalem, dass zwei Drittel der Hauptstadt auf ihre "Erlöser" warteten - "die Araber auf ihre eigene Verwaltung und die Orthodoxie auf den Messias. Als Teddy Kollek von einem orthodoxer Juden in den USA gefragt wurde, warum er Geld für Jerusalem sammle, antwortete er: "Wir möchten, dass der Messias, wenn er kommt, wenigstens eine saubere Stadt vorfindet."

Wie man sieht, haben auch Israelis Humor. Selbst im Heiligen Land haben Juden das Lachen nicht verlernt.

(Der Aufsatz erschien in "Tribüne", Zeitschrift zum Verständnis des Judentums. Heft 126/1993. Ich habe ihn inzwischen geringfügig ergänzt und aktualisiert.)

Zu dem Thema "Was ist jüdischer Humor?" wurde ich am 14.März 2004 von der "Kath.Familienbildungsstätte Klosterstraße Ahlen (Westfalen)" zusammen mit anderen Experten eingeladen, unter denen sich auch der inzwischen verstorbene Kabarettist Gerhard Bronner und der Musiker Dany Bober befanden.


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