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Keine Frohbotschaft ohne Drohbotschaft? Führte der Antijudaismus in die Hölle von Auschwitz? (1996)
Der Holocaust war leider auch eine christliche Katastrophe, eine Bankrotterklärung der christlichen Welt. Schuld an Auschwitz war, neben ökonomischen und psychologischen Faktoren, zweifellos auch die zwei Jahrtausend alte christliche Judenfeindschaft, auf der das Christentum von Anfang an sein Selbstverständnis mit aufgebaut hat. Wenn also die Bedingungen der millionenfachen Vernichtung jüdischen Lebens untersucht werden sollen, dann darf dabei die Vorgeschichte des christlichen Judenhasses keinesfalls unterschlagen werden.
Denn von früh an waren Enterbung und Entrechtung des jüdischen Volkes ein fester Bestandteil des christlichen Abend- und Morgenlandes und der christlichen Kirchen,die ihre eigene Identität immer wieder an der Negation der jüdischen festgemacht haben,so dass viele geglaubt haben, man könne das Christentum nur bejahen,wenn man das Judentum verwirft. Kein Wunder, dass der Antijudaismus im Laufe der Zeit gleichsam zur zweiten Natur des Christentums geworden ist.
Da ich mich mit der Entwicklung und den schlimmen Konsequenzen des Antijudaismus schon vor einigen Jahren unter der Überschrift "Der Vatikan und Israel. Wird der Antijudaismus jetzt endgültig besiegt?" in einem längeren Artikel befasst habe(siehe Tribüne 129/1994), begnüge ich mich heute mit einigen Hinweisen. Erinnern möchte ich vor allem an das oft wenig christliche Verhalten der Christen gegenüber den schwächeren Juden in den Jahrhunderten des Zusammenlebens in Europa,an die Kreuzzüge im Mittelalter, mit denen für die hier lebenden Juden das Zeitalter der Verteufelung begann, sowie an das barbarische Treiben der Christen im Heiligen Land.
In dem selben Maße wie Christen fromm wurden, wurden sie auch intolerant gegenüber Andersgläubigen. "Jedesmal wenn in Europa des Mittelalters", schreibt Leon Poliakov in seiner "Geschichte des Antisemitismus"(Bd.I, S.42)"eine große Glaubensbewegung in Erscheinung tritt,wenn Christen im Namen der göttlichen Liebe zur Begegnung mit dem Unbekannten aufbrechen, bricht eigentlich überall das Feuer des Hasses gegen die Juden aus. Ihr Schicksal verschlimmert sich gerade in dem Maße, wie die Menschen den frommen Schwung ihres Herzens in Taten zu befriedigen trachten." Selbst in unserem Jahrhundert hat Manès Sperber seit seinem vierten Lebensjahr wiederholt erlebt, dass er und seine Familie als Juden von den Nachbarn angefeindet wurden,"nicht ununterbrochen,aber immer wieder,zum Beispiel alljährlich von Karfreitag bis zum zweiten Ostertag." Dann brach oft, erinnert sich Sperber in seinem Essayband "Churban oder die unfassbare Gewissheit", der fromme Hass der Christen gegen die Nachkommen jener durch, "die Jesum Christum gekreuzigt hatten".
Im Dritten Reich hat dann der in der Kirche stets latent vorhandene Antisemitismus erheblich mit dazu beigetragen, dass die ohnehin nur unvollständige Integration der jüdischen Bevölkerung in die Gesamtgesellschaft innerhalb weniger Jahren wieder rückgängig gemacht werden konnte. Gerade die allgemeine stillschweigende Voreingenommenheit gegenüber Juden hat die Verbrechen der Nazis erheblich mitbegünstigt.
Nach dem Krieg haben viele gemeint, und manche glauben es heute noch, dass der nationalsozialistische Völkermord ein Werk des Antichristen gewesen sei. Zugegeben, der Holocaust basierte in erster Linie auf einer antichristlichen Ideologie. Tatsache aber ist, dass die Juden Europas von Christen oder zumindest von jenen, die getauft und christlich erzogen worden sind, umgebracht wurden und dass die theologische Judenfeindschaft über die Jahrtausende hinweg eine der Wurzeln ist,die zum rassistischen Antisemitismus geführt haben, auch wenn der Weg dahin vielleicht verschlungen war.
Fraglos hat das Entsetzen über den eigenen Schuldanteil am millionenfachen Judenmord auch auf Seiten der Kirchen zu Ansätzen einer Neuorientierung geführt. Doch wie zählebig die bibelwidrige, blasphemische Anklage des sogenannten Gottesmordes im kirchlichen Raum auch heutzutage noch ist, zeigt Pinchas Lapide in seinem Buch"Wer war schuld an Jesu Tod?"an erschreckenden Beispielen,und er fragt sich besorgt: "Ist Antijudaismus ein wesentlicher Bestandteil des Christentums? Kann die Frohbotschaft der Christusliebe überhaupt gepredigt werden, ohne die Drohbotschaft des Judenhasses mit zu verkündigen?"
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