Inhaltsverzeichnis |
Antisemitismus - zentrales Element des Faschismus Faschistische Bewegungen in Europa (2001)
Der vielseitige Sammelband, den Schüler und Freunde dem Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, zum 60.Geburtstag gewidmet haben, enthält Beiträge über faschistische Bewegungen in Europa, in denen sachkundig die verschiedenen Varianten des Faschismus analysiert und miteinander verglichen werden.
Der Begriff des Faschismus - der Bochumer Historiker Hans Mommsen weist auf dessen Doppeldeutigkeit hin - bezeichnet sowohl das politische System Benito Mussolinis in Italien als auch eine Form der Politik, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges als Gegenkraft zur sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung in zahlreichen europäischen Ländern hervortrat. Ihre Anhänger stilisierten sich als Vorkämpfer gegen die von den Bolschewiki angekündigte Weltrevolution und bedienten sich dabei virulenter nationalistischer und rassistischer Ressentiments.
In den meisten europäischen Ländern - das geht auch aus den anderen Beiträgen deutlich hervor - fungierte der Antisemitismus als zentrales Element des Faschismus. Insbesondere mit der Etablierung der NS-Herrschaft in Deutschland und der wachsenden Zahl jüdischer Flüchtlinge gewann die Frage des Antisemitismus überall neue Brisanz.
Kein Zweifel, der Antisemitismus war vor und nach dem Ersten Weltkrieg in Europa weit verbreitet. Hätte der Holocaust auch von einem anderen Land als Deutschland geplant und verwirklicht werden können? fragt Ian Kershaw, Professor für Geschichte an der Universität Sheffield. Er sieht Deutschlands Einzigartigkeit in der Tatsache begründet, dass ab 1933 eine pathologisch antisemitische, potentiell genozidale Führung die Macht im Staat übernommen hatte, eine Partei also, die sich den Antisemitismus als Dogma auf die Fahnen schrieb und die mit Zustimmung großer Bevölkerungsteile regierte, die die rücksichtslose Verfolgung einer ungeliebten Minderheit als Nebenprodukt des wirtschaftlichen Aufschwungs und eines wieder erwachenden nationalen Denkens in Kauf zu nehmen bereit waren. Wenn es zu einer anderen Staatsform und politischen Führung wie etwa einem national-konservativen autoritären Regime oder einer Militärherrschaft gekommen wäre, meint Kershaw weiter, hätten Gewalt und Diskriminierung gegen Juden nicht notwendigerweise zu einer kontinuierlichen, im Genozid endenden Radikalisierung führen müssen.
Einige Autoren unterscheiden, unabhängig voneinander, mehrere Spielarten des Antisemitismus: nämlich zwischen einer traditionellen, kirchlichen Judenfeindschaft, die vor allem von katholischen Kreisen geschürt wurde, einem völkisch-rassistischen Antisemitismus, wie ihn, allen voran, die Nazis propagierten, und einem Antisemitismus, der als Reaktion auf die Emanzipation der Juden und ihren politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Aufstieg entstanden war.
Einige Wissenschaftler, die hier zu Worte kommen, beleuchten detailliert Antisemitismus und Faschismus in einzelnen europäischen Ländern. Juliane Wetzel beispielsweise befasst sich mit dem faschistischen Italien und dem dortigen Antisemitismus, Angelika Königseder untersucht faschistische Bewegungen in Österreich vor 1938, Michael Grüttner faschistische und antisemitische Tendenzen in der neueren spanischen Geschichte, Mariana Hausleitner den Antisemitismus in Rumänien vor 1945 und Konrad Kwiet das unterschiedliche Verhalten der Niederländer während der deutschen Besatzungszeit. Hagen Fleischer wiederum widerlegt die lange in Griechenland populär gewesene These, dass die Hellenen gegen den Bazillus des Antisemitismus immun gewesen seien. Die finnische Regierung war wohl bereit, führt
dagegen Edgar Hösch aus, die eigenen Juden zu schützen. Gleichzeitig sei sie, wie
viele andere Staaten auch, bemüht gewesen, die Opfer der Judenverfolgung von den eigenen Grenzen fernzuhalten. Eine eigene antisemitische Tradition durchzieht, laut
Daniel Gerson, ebenfalls die Geschichte der Schweiz, die jedoch nach 1945 geraume Zeit verdrängt worden ist.
Einige Verfasser nehmen die Nachkriegszeit ins Visier, so Erika Weinzierl die "Vergangenheitsbewältigung" in Österreich; Beate Kosmala Gewalt gegen Juden im Nachkriegspolen und Werner Bergmann die Aufarbeitung des Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, während Peter Widmann zu Recht daran Anstoß nimmt, dass der Völkermord an den Sinti und Roma viele Jahre nicht zur Kenntnis genommen worden ist.
Hermann Graml, Angelika Königseder, Juliane Wetzel (Hrsg.):
Vorurteil und Rassenhass,
Antisemitismus in den faschistischen Bewegungen Europas.
Metropol, Berlin 2001,
455 S.,
uhomann@UrsulaHomann.de | Impressum Inhaltsverzeichnis |