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In unserem Jahrhundert häufen sich die Auseinandersetzungen
Vor allem in unserem Jahrhundert häufen sich die literarischen, philosophischen und theologischen Auseinandersetzungen mit dem Hiob-Problem, in Romanen von Kurt Vonnegut bis hin zu Christoph Peters' jüngst erschienenem Erstling,"Stadt, Land, Fluss".
Langenhorst weist in seinem Buch "Hiob unser Zeitgenosse. Die literarische Hiob-Rezeption im 20.Jahrhundert als theologische Herausforderung" darauf hin, "dass Hiob in einem Jahrhundert wie dem unsrigen, das der Leidensgeschichte der Menschheit Grauenorte wie Verdun, Stalingrad, Hiroshima, Auschwitz und den Archipel Gulag hinzugefügt hat, die große literarische Bezugsgestalt wurde, die dem Schrei nach Gott Ausdruck verleiht, einem Schrei, der angesichts der Leiden bei manchen ins Schweigen versinkt, nach dem Hiob-Wort von Nelly Sachs:Deine Stimme ist stumm geworden, denn du hast zuviel Warum gefragt.."
In der Lyrik des 20.Jahrhunderts wurde Hiob zum poetischen Symbol, zum Beispiel in Gedichten von so unterschiedlichen Autoren wie Klabund, Oskar Loerke oder Eva Zeller.
Manchem schlichteren Gemüt ergeht es vielleicht wie dem frommen Schneider in Angel Wagensteins "Pentateuch oder die fünf Bücher Isaaks", der die Wechselfälle unseres Jahrhunderts nicht zu durchschauen vermag(er selbst war den Nazis und den Schergen Stalins ausgesetzt gewesen und hat irgendwo in Südukraine fünfmal seine Staatszugehörigkeit ändern müssen) und treuherzig erklärt, wenn Gott Fenster hätte, dann hätte man ihm sicher schon längst die Scheiben eingeschlagen. Auch der Schneider ist jemand, der keine Antwort gefunden auf die Frage nach dem Warum des Leidens.
Hiob spielt eine Rolle ferner in Abhandlungen bei Karl Jaspers, Paul Ricoeur, C.G.Jung, Karl Barth und Elie Wiesel, um nur einige wenige zu nennen.
Im Gegenteil gerade aus dem Verzicht auf die Beantwortung der letzten Fragen erwachsen positive Möglichkeiten, denn schon im Hiobbuch zielt die Grundintention nicht auf Ausgrenzungen und Zurückweisungen, sondern auf Glaubensfestigung und Lebensermöglichung. Obgleich sich mit Hiob der Glaube nicht schlüssig erweisen lässt, so wird doch in seinen Fußstapfen die Möglichkeit eines zeitgemässen und intellektuell redlichen Glaubens deutlich.
Der Schweizer Psychoanalytiker und Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung(1875-1961) liest die Bibel mit den Augen eines Laien und sieht in ihr "Äußerungen der Seele". "Ich schreibe nicht als Schriftsteller", sagte er, "sondern als Laie und als Arzt, dem es vergönnt war, tiefe Einblicke in das Seelenleben vieler Menschen zu tun. Was ich ausspreche, ist zwar zunächst meine persönliche Auffassung, aber ich weiß, dass ich zugleich auch im Namen vieler spreche, denen es ähnlich ergangen ist wie mir."
Er deutet Hiob psychologisch und nimmt Gott als reale Person, Hiob als Therapeut Jahwes, als moralischen Sieger gegen Jahwe. Hiob deckt die Tatsache auf, dass sich Gott in Widerspruch mit sich selbst befindet, dass er in sich zutiefst gespalten ist und unter dieser Zerrissenheit leidet. Jung beschreibt Gott als schizoide Persönlichkeit(für manche sicher eine Blasphemie). Hiob ist ihm überlegen und der moralische Sieger. Nun gibt es für Gott nur einen Weg, er will Mensch werden, um die moralische Niederlage Hiob gegenüber auszugleichen. Ohne Hiob kein Christus, ohne die Bewusstwerdung der inneren Antinomie Jahwes keine Hiobsgeschichte, die sich in Christus vollendet. Christus ist die Antwort auf Hiob.
Hiob wird auch in der modernen Literatur zum Ausgangspunkt von Diskussionen über das uralte Problem des Leidens, ein Problem, das nach wie vor offen und ungelöst angesehen wird. Anklagend, protestierend, unversöhnt klingt es bei Fritz Zorn (1944-1976).(Zorn war das Pseudonym von Fritz Angst). Sein Buch"Mars" ist der autobiographische Sterbensbericht eines Krebskranken mit einer extremen Gegenposition zur Deutung Hiobs als Dulder, mit einer endgültigen literarischen Absage an den Hiob-Gott. Es endet ohne jegliche Versöhnung mit Gott und dem Leben. "Ich bin jung und reich und gebildet, und ich bin unglücklich, neurotisch und allein. Natürlich habe ich auch Krebs." Damit beginnt Zorns Bericht. Er ist einer der schockierendsten und aufsehenerregendsten der letzten Jahrzehnte, geprägt durch die radikale Weigerung, sich zu versöhnen.
Was bei Brecht in der Dritte Person noch eher unpersönlich anklingt, hypothesenhaft, hier wird die Unversöhnlichkeit aus tiefer existentieller Not geboren. In Kurt Vonneguts "Schlachthof 5"(amerikanischer Autor, 1922 geboren) stellt der in Bedrängnis geratene Protagonist Billy Pilgrim, wie Josef K.in Kafkas "Prozess", die Hiob-Frage: "Warum ich?" Vonneguts Antwort darauf ist in ihrer Folgerichtigkeit nicht minder unbarmherzig wie die Kafkas: "Es gibt kein Warum."
In Christoph Peters:"Stadt,Land, Fluss" ist ein Onkel, eine Nebenfigur in dem Roman, ein moderner Hiob, der ganz ohne intellektuellen Hintergrund sämtliche Plagen, die der Körper zu bieten hat, umgestülpt bekommt und sie annimmt. Er nimmt an und hält aus: ein Leben in Krankheit. In diesem Jahr(1999) erschienen mindestens zwei Bücher mit "Hiob" im Titel:Cramers "Wie Hiob leben" (s.unten)und das von einigen Kritikern sehr geschätzte Buch "Hiob und Heine, Passagiere im Niemandsland" von Istvan Eörsi.
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