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Ist das jüdische Volk der Hiob unter den Völkern?

Insbesondere jüdische Dichter griffen auf Hiob zurück, um anhand seines Schicksals die Ungeheuerlichkeiten von Auschwitz zur Sprache zu bringen:Nelly Sachs, Yvan Goll, Rudolf Leonhard, Karl Wolfskehl und Margarete Susman.

Heinz Flügel behauptete 1975:"Je mehr die christliche Theologie Christus als Antwort auf Hiob aufgebaut hat, desto ausschließlicher wurde Hiob zum Inbegriff jüdischer Existenz."

Der Emigrant Karl Wolfskehl, Sohn einer jüdischen Patrizierfamilie (1868 in Darmstadt geboren, 1948 nach langen Exiljahren im neuseeländischen Auckland gestorben) schrieb den Gedichtzyklus"Hiob oder die vier Spiegel" und identifizierte das eigene Schicksal mit dem von Hiob. Am Ende seines Schaffens und Lebens sagte er:"Alles, was ich bin, was ich füge, (steht)unter dem ewigen Namen Hiob, seitdem ich bin, leb ich, erfahr ich Hiob. Alles, was seitdem entstand, führte diesen Namen oder, auch, wo es abseits gewachsen scheint, ist es von ihm durchwebt."

Stefan Zweig erschien schon 1915 das jüdische Volk als der "Hiob unter den Völkern". Auf die überragende Bedeutung Hiobs als Deutefigur jüdischer Existenz weist auch der Titel eines leider vergriffenen Buches hin:"Im Zeichen Hiobs. Jüdische Schriftsteller und deutsche Literatur im 20. Jahrhundert".

Margarete Susman schrieb 1948 "Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes", in dem sie den Versuch einer Deutung des Holocaust wagte, den sie "Aufgipfelung des Judenhasses aller Zeiten, Zusammenbruch alles Menschlichen" nannte. Sie wollte vom Buch Hiob aus einen schmalen Streifen Licht auf das Dunkel des jüdischen Schicksals fallen lassen.

Susman stellte schon 1929 prophetisch fest:"Im Schicksal Hiobs ..ist das ganze Leidschicksal des Judentums..vorgezeichnet." Was sie in diesen Jahren noch auf die grundsätzliche Exilsituation der Juden bezieht, sollte sich in den grauenvollen Unheilsjahren von 1933 bis 1945 in unvorstellbarer Weise radikalisieren. Sie bemühte sich, die historische Katastrophe des jüdischen Volkes anhand biblischer Gestalten theologisch zu interpretieren, und sah im Rückgriff auf die biblische Hiobsgestalt eine Möglichkeit, die Ungeheuerlichkeit des Erlebens zur Sprache zu bringen, zu verstehen und theologisch zu deuten. Nicht nur für Susman auch für Hermann Levin Goldschmitt zeichnete sich Schicksal des jüdischen Volkes sich im Lebenslauf Hiobs ab.

Das Hiobbuch ist für Susman "das Schicksalsbuch des jüdischen Volkes und zugleich ein "Buch des Lebens und des Vertrauens zum Leben". Es ist, so ihre Grundthese, jene "Dichtung, die von Anfang bis zum Ende Schicksal und Entscheidung des jüdischen Volkes spiegelt." Während sie in ihrem "Buch Hiob" sich noch die Frage stellt, "ob nicht diese unsere dunkle, ganz von der Erlösung abgetriebene Welt der Erlösung am nächsten ist", so vermag sie dann in späteren Gedichten, in denen sie das Hiobmotiv abermals aufgreift, sich nicht mehr zur optimistischen Hoffnung ihres Hiobbuches durchzuringen. Hiob verkörperte indessen auch weiterhin für sie als Kollektivsymbol das Schicksal des jüdischen Volkes. Doch muss man sich fragen, ob eine solche individuelle oder kollektive Selbstidentifikation mit Hiob den Erfahrungen des Holocaust wirklich gerecht wird? Für orthodoxe Juden ist eine unmittelbare Identifikation des jüdischen Volkes mit dem Nicht-Juden Hiob schwer zu akzeptieren. Der amerikanische Rabbiner und Theologieprofessor Richard L.Rubenstein warnt daher vor einer Sinngebung des Holocaust im Bilde Hiobs. Dieser könne kein Vorbild für die Opfer des Holocaust sein, weil er seine Qualen überlebt habe. Ähnlich argumentiert Schalom Ben-Chorin, wenn er zu bedenken gibt, dass dem wirklichen Hiob unserer Tage "oft noch Grauenvolleres geschehen" sei als dem literarischen Vorbild. Während dieser eine göttliche Antwort erhalten habe, dringe zu dem heutigen Hiob "oft nur noch das eiserne Schweigen aus einem sich ihm erbarmungs- und antwortlos verschließenden Himmel."

Die Erfahrung eines verborgenen Gottes, ausgedrückt in dem Schrei: "Wo bleibt Gott?"hat bei nicht wenigen Auschwitz-Überlebenden wie etwa bei Janina David, die im Kindes- und Jugendalter durch den Holocaust ihre Eltern verlor, zu tiefer Verstörung geführt und in letzter Konsequenz zur Abkehr von Gott. Man kann es verstehen. Denn ein Gott, der sich der Ermordeten nach außen hin nicht erbarmt, mutet uns viel zu, schreibt Susanne Krahe und hofft zugleich, "dass wir den Schmerz aushalten, bis Gott selbst die Wunden schließt." Was bleibt sei allein die Hoffnung auf den Tag, an dem Gott die endgültige Antwort auf Hiob geben wird.

Die Autorin, geboren 1959, selbst wurde vom Schicksal schwer getroffen, während ihres Theologiestudiums erblindete sie, damit war ihre wissenschaftliche Laufbahn beendet. Sie lebt heute als freie Schriftstellerin in Unna.

Auch das ist sicherlich eine Möglichkeit, mit dem Unglück oder der Katastrophe umzugehen, wenn man sich vor Augen hält, dass Hiob und Jesus sich von Gott, als dieser sie scheinbar im Stich gelassen hat, nicht abgewendet, sondern sich ihm zugewendet haben - mit Fragen, Protestschreien und Zweifeln.

An der Wand eines Kölner Kellers, in dem sich einige Juden während des gesamten Krieges vor den Nazis versteckt hatten, fand sich folgender Satz:"Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle. Ich glaube an Gott, auch wenn er schweigt."


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