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Kafka in den Augen seiner Freunde und Nachfolger

Max Brod war der intimste Freund von Kafka. Er sah in ihm einen religiösen Schriftsteller und den Erneurer der altjüdischen Religiosität. Ihm verdanken wir zwar die Kenntnis des "wirklichen" Kafka. Doch anders steht es um den "Kafka-Interpreten" Max Brod. Der von Religion und Psychologie gleichermaßen faszinierte Zionist versuchte, Kafka gleichsam nach dem eigenen Ebenbild zu deuten und hatte für die hoch differenzierten Texte Kafkas nur ein schlichtes Erklärungsmuster parat, wobei er nicht müde wurde, auf Kafkas zunehmendes Interesse am Judentum hinzuweisen. Allerdings ist seine apologetische Vereinfachung und Betonung des "Positiven" an Kafka sehr umstritten.

Walter Benjamin hat sich seit 1925 ebenfalls sein Leben lang mit Kafka beschäftigt. Er hat mit Brecht über ihn diskutiert und mit Gershom Scholem, Werner Kraft und Theodor W.Adorno über ihn korrespondiert. 1934, anlässlich der zehnten Wiederkehr von Kafkas Todestag, schreibt er einen Essay über ihn. Wahrscheinlich fühlte sich Benjamin mit Kafka geistesverwandt und sein eigenes Verständnis der Epoche und ihrer Lebensbedingungen durch ihn bestätigt und ergänzt.

Kurt Tucholsky war geradezu begeistert von Franz Kafka und schrieb: "Er ist ein Großsohn von Kleist - aber doch selbständig. Er schreibt die klarste und schönste Prosa, die zur Zeit in deutscher Sprache geschaffen wird."

Jean-Paul Sartre rühmte den Grad von Realismus und Wahrhaftigkeit in der Mythologie Kafkas, dergleichen habe es noch nie gegeben, meinte er. "Kafkas Werk ist eine freie und einheitliche Reaktion auf die jüdisch-christliche Welt Mitteleuropas; seine Romane sind die synthetische Überwindung seiner Situation als Mensch, als Jude, als Tscheche, als widerspenstiger Bräutigam, als Schwindsüchtiger usw."

Obwohl es in Prag zu Kafkas Zeit hieß: "Und es brodelt und werfelt und kafkaet und kischt", hat es lange gedauert, ehe man sich in Prag für Kafka allgemein interessierte. Im Herbst 1931 antwortete in einer seiner gut besuchten Vorlesungen der Germanist an der Deutschen Universität Herbert Cysarz auf die Frage aus dem Publikum "Und Kafka?" mit der Geste eines literarischen Augurs von Unfehlbarkeit: "Ein jüdischer Klassiker."

Der 1903 in München geborene und später in Jerusalem lebende Dichter Manfred Sturmann hielt 1934 eine Gedenkrede auf Kafka, von der unter dem Titel "Der Jude Franz Kafka" Auszüge publiziert wurden. Darin sagte Sturmann: "Kafka war Jude nicht nur seiner Abstammung nach, er war es mit der ganzen Intensität seines lauteren Geistes. ... Das Werk Kafkas ist so sehr jüdisch, dass es kaum ein Problem in ihm gibt, das nicht jüdisch wäre. Der unvorstellbare und undarstellbare Gott in den Dichtungen Kafkas ist der Gott Abrahams, Jakobs und Hiobs. Die Prüfung Abrahams, das Ringen Jakobs und die Versuchung Hiobs - sie finden ihre Variationen ungezählt oft in dem, was Kafka niederschrieb. Aber in einem noch viel aktuelleren Sinne sind diese Dichtungen jüdisch. Kafkas geistige Struktur ist jüdisch. Die tragische Besessenheit des Dichters, seine Einsamkeit, der Welt einzuordnen, ist jüdisch. Der Kafkaesche Mensch, oder sagen wird ruhig: Franz Kafka selbst ist der Jude schlechthin."

Zahlreiche Geistesgrößen wie Max Brod, Hannah Arendt, W.H.Sokel, H.Pongs und Walter Jens haben Kafkas Werk innerhalb eines jüdischen Umfelds zu interpretieren versucht, weil Kafkas Texte in hohem Maße mehrdeutig, offen und häufig allegorisch sind.

Erste hebräische Übersetzungen von Kafkas Arbeiten erschienen bereits 1924. Die jüngere, in Israel geborene Generation von Schriftstellern hat Kafka, wenn überhaupt, in hebräischer oder englischer Übersetzung gelesen. Für die in den zwanziger Jahren in Israel geborenen Autoren ist Kafka ein Rätsel, obwohl ihn einige, wenn auch vergeblich, zu imitieren versuchten. Hanna Naveh - sie lehrt Hebräische Literatur an der Universität Tel Aviv, meint allerdings, dass "von allen bedeutenden zeitgenössischen hebräischen Autoren .. A.B.Yehoshua die engste Affinität zu Kafka zu besitzen" scheint.

In den Vorkriegsjahren wurde Kafka vor allem von Expressionisten entdeckt. Bei den Nazis war er verfemt. Seine Bücher wurden öffentlich verbrannt. Auch die Marxisten haben ihn verdammt. Im Ostblock war er lange verboten. Das Seltsame an Kafkas Ruhm ist, dass er zunächst im Ausland gewonnen wurde. Denn im Grunde war Kafka zwischen 1930 und 1950 in Deutschland inexistent. Er war weltberühmt, aber er kam nach 1950 als fast Unbekannter in den deutschen Sprachraum zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg holten ihn zunächst die französischen Existentialisten wieder ans Tageslicht. Sahen sie doch in Kafka eine Art vorzeitiger Albert Camus.

Wagenbach schreibt: "Erst vierzig Jahre nach dem Tod des Autors konnte man sagen, sein Werk habe Leser in aller Welt.

Gleichwohl hat Friedrich Sieburg der jüngeren Generation nachgesagt, dass sie trotz aller nachahmenden Anstrengungen nichts von Kafka gelernt habe. Dennoch spiegelten sich die deutschen Leser der Nachkriegszeit in Kafkas Werk. Franz Kafka, meint Eberhard Horst, "hat in der Nachkriegsliteratur die Führung übernommen. Sein notierender Kanzleistil, der seine Effekte verbirgt oder metaphorisch introvertiert, kommt dem Lebensgefühl der damals jüngeren Generation entgegen. Bei Kafka hat sich das Drama unter der Decke bereits abgespielt, wenn der Chronist zur Feder greift. Er setzt nur sein Sigillum darauf."

Nach wie vor ist Kafka eine Ikone der Moderne. Noch immer geht von seinem schriftstellerischen Werk eine beständige und irritierende Faszination aus. Viele Autoren sind auf ihre Weise literarische Kinder Kafkas, wie das erste Heft "Literaturen" des Jahres 2003 deutlich belegt. Er ist ein Autor der Autoren: Harry Mulisch, Paul Auster, W.G.Sebald, J.M.Coetzee, Ivan Klima und Philip Roth sind beispielsweise alle bekennende und versierte Kafkianer.

Seither ist der Dichter viele Male wieder und wieder gelesen und unendlich oft neu interpretiert worden. Heute wissen wir, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt, ihn richtig aufzufassen und zugleich misszuverstehen.


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