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DIETER BORCHMEYER UND JÖRG SALAQUARDA(Hrsg.). Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung.1418 S.;Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1994. Zwei Bände.

Die Begegnung Nietzsches mit Wagner gehört zweifellos zu den bedeutendsten und folgenreichsten Beziehungen der deutschen Kulturgeschichte. Um den"Bruch"zwischen beiden rankt sich seit mehr als einem Jahrhundert ein tendenziöses Legendenwerk. Bisher waren nur die publizierten Schriften Nietzsches über Wagner bekannt. Jetzt haben der Heidelberger Germanist Dieter Borchmeyer und der Wiener Philosoph Jörg Salaquarda die erste vollständige Dokumentation über die Beziehung Nietzsches zu Wagner vorgelegt. Ihre zweibändige Dokumentation enthält den Briefwechsel Nietzsches mit Richard und Cosima Wagner, alle Äußerungen Nietzsches über Wagner, einschließlich jener Notizen, die ursprünglich nur für die Schublade bestimmt waren,ferner Tagebucheintragungen von Cosima Wagner über Nietzsche und eine Chronik der Beziehungen Nietzsches zu Wagner. In ihrem Nachwort analysieren die Herausgeber das Verhältnis zwischen dem Philosophen und dem Komponisten.

Der erste Brief vom 20.Mai 1869 von Cosima, damals hieß sie noch von Bülow, enthält eine Einladung an Nietzsche zu "Herrn Wagner's Geburtstag" nach Tribschen. Man geht überaus höflich miteinander um und ist einander sehr zugetan. Cosima, ängstlich bemüht, Wagner Ärger zu ersparen, bittet Nietzsche immer wieder um allerlei Gefälligkeiten. Nietzsche dagegen hat mit mancherlei Unpässlichkeiten zu kämpfen, mit Zahnschmerzen und anderen physischen und psychischen Beeinträchtigungen. "Es ist mir verdrießlich,wie leicht und wie oft ich gänzlich umgeworfen werde, aber ich hoffe, von nun an immer gesünder zu sein, und mein Arzt glaubt das auch", verkündet er am 24.Juni 1872 von Basel aus. "Geliebter Meister",so redet Nietzsche Wagner an, dieser antwortet mit "Lieber Freund".

"Es lebe die freie Schweiz, Richard Wagner und unsere Freundschaft", schreibt Nietzsche an Erwin Rohde am 12.Februar 1869. In Briefen an die Mutter und an die Schwester schwärmt Nietzsche von "herrlichen Tagen" mit Wagner. Wagner wiederum sah in dem jungen Philologen einen ergebenen Jünger seiner Kunst und suchte, ihn an sich zu binden. Aber wahrscheinlich hat Nietzsche schon bald das Bedürfnis verspürt, sich der Wagnerschen Liebesumklammerung zu entziehen, die ihm seine Freiheit zu rauben drohte.

Die Zeit der Freundschaft währte vom Mai 1869 bis zum Sommer 1876, von dem Erscheinen der "Geburt der Tragödie" bis zum Umzug Richard Wagners nach Bayreuth. Immerhin war der gesellschaftliche Trubel der Festspiele mit Nietzsches Ideal einer zukünftigen Kunst kaum vereinbar. Der rührige Bayreuther Festspielunternehmer Wagner, der sich Kaiser und Reich an den Hals warf,um ein "Bismarck der Nationalkunst" zu werden, und von dem sich die Deutschen("ein gefährliches Volk",konstatierte der Philosoph) berauschen ließen, musste dem Zeitkritiker Nietzsche verdächtig sein. Hinzu kam die von Nietzsche am späten Wagner kritisierte"verfluchte Antisemiterei".

Das äußere Datum des Zerwürfnisses zwischen Wagner und Nietzsche fällt mit dem Eintreffen des ersten Teils von "Menschliches-Allzumenschliches" in Bayreuth am 25.April 1878 zusammen. Wagners "Lob" darüber fällt vernichtend aus. "R.meint, er erweise dem Autor ein Gutes, wofür dieser ihm später danken würde, wenn er es nicht lese. Mir scheint viel Ingrimm und Verbissenheit darin", notierte Cosima Wagner in ihr Tagebuch (S.1319).Nietzsche warf Wagner alsbald Verlogenheit vor. "Richard Wagner trägt für mich - zu viel falsche Diamanten"klagte er.(S.780). "Wie arm, künstlich und schauspielerisch klingt mir jetzt die ganze Wagnerei", ließ er 1882 Franz Overbeck wissen (S. 828).

Wagners Tod am 13.Februar 1883 setzte Nietzsche dennoch sehr zu. Für ihn ging damit gewissermaßen die alte Kultur zu Ende. Wagners "Tod spiegelt den Tod der Götter", behaupten die beiden Herausgeber, "aus dem nach der Lehre Zarathustras der 'Übermensch' hervorgehen soll." Als der Zarathustra ("Gegenentwurf zur Welt des späten Wagner - Nietzsches Anti-Parsifal") erschien, war Wagner bereits tot.

Nietzsche selbst,dem sich aufgrund seiner Krankheit und Labilität die Dunkelheiten der künftigen Welt schneller und tiefer erschlossen haben als seinen Zeitgenossen, hat mit seiner Diagnose der Gegenwart als einer krankhaften Scheinwelt, aus der sich der Erkennende nicht befreien könne, fraglos einer neue Epoche der Reflexion sowie der modernen Kulturkritik den Weg geebnet.

So unterschiedlich die Ansätze und Intentionen der einzelnen Autoren auch sind, so zeigt sich doch deutlich, dass sich gegenwärtig im Widerstreit der Meinungen die einfühlsamen Stimmen für Nietzsche stärker Gehör verschaffen als Vorbehalte und Ablehnungen gegenüber dem angeblichen "Allesverneiner" Friedrich Nietzsche.

(Der Literaturbericht erschien in "Philosophischer Literaturanzeiger" ,Herausgegeben von G.Wolandt, R.Lüthe und S.Nachtsheim. Band 50 Heft 1 Januar - März 1997).


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