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Unterschiedliche Bewertung

Der Expressionismus wurde und wird recht unterschiedlich bewertet. Für Ludwig Marcuse war er ein "Sammelsurium von Tendenzen, Namen und Compagnons", für Otto F.Best jedoch, "eines der impulsreichsten Ereignisse in unserem Jahrhundert". Es ging nicht um künstlerische Form, sondern um Gesinnung, befand wiederum Iwan Goll. Zugegegeben, Gesinnung kann vieles verderben, vor allem dann, wenn der gute Wille stärker ist als das Talent.

"Es war jene Kunst", schreibt Jürgen Serke in "Die verbrannten Dichter", "welche die Zerfallserscheinungen des Kapitalismus offen legte und die gegen eine Restauration ankämpfte, die mit dem Nationalsozialismus in die Katastrophe führte."

Einige Dichter und Autoren wie Johannes R.Becher, Arnold Bronnen, Hanns Johst und kurzfristig auch Gottfried Benn wurden später anfällig für totalitäre Ideologien. Die einen wurden kommunistisch, andere wie Benn nationalsozialistisch.

Hierzu eine kleine Anekdote: Nach der Machtergreifung wurde unter Schriftstellern diskutiert, ob sich jetzt wohl auch Gottfried Benn zu den neuen Machthabern bekennen würde. Bert Brecht sagte. es wäre verfehlt, "aus der Unverkäuflichkeit seiner Bücher auf die Unverkäuflichkeit seiner Seele zu schließen." Andere wurden später katholisch wie Franz Werfel und Alfred Döblin.

Heute haben sich die Koordinaten längst verschoben. Unsere Gesellschaft ist nicht mehr wie im Kaiserreich auf selbstgefälliges Beharren fixiert - selbst wenn sie es möchte, kann sie es nicht mehr - , sondern auf Innovation bis hin zur Selbstverleugnung. Gefahr droht ihr durch Werteverfall, aber auch durch Werte-Fundamentalismus. Die Literatur braucht nicht mehr vom "Neuen Menschen" zu schwärmen, das besorgt inzwischen die Gentechnologie. Die ästhetische Moderne des 20.Jahrhunderts hat sich, auch in ihrer expressionistischen Spielart, erschöpft. Die Kunst muss heutzutage andere Strategien entwickeln.

Festzuhalten bleibt, dass der Expressionismus die bislang letzte literarische Richtung in Deutschland war, die eine Vielzahl von Autoren mit großem Engagement für ihr Programm verpflichten konnte.


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