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Einwände
Goethe hat in einer Zeit gelebt, in der die unreflektierte, direkte Tradition der Antike abbrach, soweit sie im 18.Jahrhundert und in der Aufklärung noch vorhanden gewesen war. Mit Goethe bekommt ein Text seine Autorität nicht mehr, weil er sich etwa auf Horaz oder Homer beruft, sondern weil es einen Künstler gibt, der ihn aus innerer Natur schafft - auch wenn er dabei Inhalte und Bilder der Antike benutzt.
Goethes Uminterpretation der Antike, indem er den Künstler zum Helden macht und sich selbst mit Pindar oder Homer identifiziert, hat aber auch eine deutlich negative Seite, deren Schatten bis heute reichen: die Entpolitisierung der Kunst, das Verständnis der Kultur als harmonischer Zusammenhang und die Verdrängung der Notwendigkeit von Streitkultur. "Und das kommt aus der Zeit", so die These von Bernd Witte, "in der Goethe um 1770 bis 1790 die Antike neu interpretiert hat. Er hat das Bild der Antike benutzt, um die damaligen Auseinandersetzungen und Gegensätze zu neutralisieren", um zum Beispiel gegen die Französische Revolution ein gesellschaftliches Gegenbild aufzurichten.
Hinzu kommt, dass seit der deutschen Klassik die Meinung vorherrschte, Dichter und Künstler seien Bürger einer anderen Welt, hoch über den Niederungen der Politik angesiedelten Welt. Allerdings blieb diese Meinung nicht unangefochten und wurde keineswegs von allen geteilt. Doch der Streit, ob die Kunst autonom sein müsse oder politischen Zwecken zu dienen habe, entzündete sich namentlich an Goethe, obwohl dieser doch mindestens ein Jahrzehnt mehr praktischer Politiker als Dichter war, aber sich dann schließlich zu den großen politischen Bewegungen der Zeit, ob es die Französische Revolution oder die Befreiungskriege waren, distanziert verhielt, auch wenn er sie in seinem Werk vielfältig, aber eben nicht "parteilich" widerspiegelt. Literaten verschiedener politischer Couleur haben ihm, angefangen mit Börne und Heine, diese Haltung verübelt, und, wie Friedrich Nietzsche es nannte, "das feine Schweigen", das Tradition wurde und im "Dritten Reich" zum Wegsehen führte, zum Nicht-wissen-Wollen und schließlich zur stillschweigenden Komplizenschaft. Der amerikanische Historiker Fritz Stern machte Goethe in einem Artikel in der Tageszeitung "Die Welt" vom 28.12.1998 zum Ahnherrn des feinen Schweigens. Aber nicht alle Goethe-Kenner und Goethe-Liebhaber sind ihm hierin gefolgt. Max Weber,Friedrich Meinecke, Gustav Radbruch und Ernst Troeltsch, alle drei ausgewiesene Goethe-Kenner und Goethe-Verehrer, hatten durchaus den Mut, politische Wahrheiten offen auszusprechen.
Aber es gibt auch noch andere Einwände zu Goethes Rezeption der griechischen Antike.
In Faust II heißt es: “Nun schaut der Geist nicht vorwärts, nicht zurück, die Gegenwart allein ist unser Glück.” Damit entspricht er dem Zeiterlebnis antiker Philosophen, insbesondere dem der Epikureer und Stoiker. Doch habe Goethe, meint der Philosoph und Religionswissenschaftler Pierre Hadot in der Beschreibung der antiken griechischen Seele die Griechen der Antike “etwas zu idealisiert und vereinfacht.”
Auch Nietzsche stellte fest, dass Goethe der antiken Realität nicht immer gerecht geworden sei, und wirft “Goethes konzilianter Natur Unverständnis gegenüber dem Phänomen des Tragischen” vor, “das letzten Endes mit einem mangelnden Verständnis des Dionysischen verschwistert gewesen sei”. Nietzsche stilisiere, so Hans-Gerd von Seggern in dem von Christian Niemeyer herausgegebenen “Nietzsche Lexikon”, Goethe mitunter zum Apolliniker, dem die Einsicht in das Untergründige der griechischen Seele abging. “Folglich verstand Goethe die Griechen nicht”, so Nietzsche in “Götzendämmerung”.
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