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Goethe und die Religion

Wie hielt es Goethe mit der Religion?

Wechselnde Meinungen

"Nun sag! Wie hast du's mit der Religion?" fragt Gretchen ihren Heinrich, den Doktor Faust, und dieser, der in seiner Studierstube in der Osternacht einige Szenen zuvor bekannt hat: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", weicht aus und bequemt sich schließlich zu der Antwort:"Gefühl ist alles. Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsglut."

Wie aber hielt es Goethe selbst mit Religion und Christentum? Die Meinungen sind gespalten und widersprechen einander. Der Jesuit Friedrich Muckermann, der 1932 in Frankfurt am Main den Goethepreis für seine Goethe-Biografie erhielt, schrieb: "Im Leben Goethes und in seinem Werk liegt eine Auseinandersetzung mit dem Christentum, die zu den großen aller Zeiten gehört." Der katholische Philosoph Peter Wust nannte Goethe sogar eine "anima naturaliter catholica"(eine gleichsam natürliche katholische Seele"). Bei F.Niedermayer liest man dagegen: "Den Kern der religiösen Metaphysik nahm Goethe kaum wahr", und ihm "ist eine übergewöhnliche Gleichgültigkeit, Uninformiertheit betreffend das Christentum" eigen. "Er sieht die Welt ästhetisch, nicht metaphysisch". Bei Helmut Thielicke wiederum heißt es: "Goethe nimmt in seiner Stellung zur christlichen Religion und ihren Vertretern immer wieder die Position eines wohlwollenden und einfühlsamen Beobachters ein, die Distanz eines Außenseiters."

Bis heute rätseln Experten über Goethes widersprüchlichen Glauben. Eins aber scheint sicher. So wenig Zutrauen er zur Kirche entwickelte, so wichtig war ihm die Suche nach den "echten Religionen" und dem Religiösen schlechthin. Strittig ist nur, ob er einer religiösen Naturverehrung, einem Pantheismus oder einem aufklärerischen modernen Christentum jenseits konfessioneller Bindungen anhing. Denn Goethes Verhältnis zum Christentum, welcher Prägung auch immer, war starken Schwankungen unterworfen, die zum Teil auf seine wechselnde Abgrenzung des Begriffs "Religion" zurückzuführen sind, aber auch viel mit seiner religiösen Biographie zu tun hatten. Dabei nahm er sich stets die Freiheit des Widerspruchs heraus, auch gegen eigene Positionen.

Vielleicht sollten wir Reinhold Schneider folgen, der gemeint hat: "Fragen wir nach dem Glauben Goethes, nach der Entfaltung dieses Glaubens in seinem reich gestuften Leben, Denken, Erfahren, so möchten wir dem Vermächtnis nicht im mindesten Gewalt antun; wir wollen die reine Schrift Goethes bestehen lassen, in ihrer Kühnheit und Sicherheit; wir wollen nur erkennen, soweit das möglich ist, nicht bewerten."


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