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Heine, die Bibel und der Erlöser

Die Bibel Heine nennt sie auch "die große Hausapotheke der Menschheit" - ist für den Dichter das Buch der Juden und Christen, vor allem der Protestanten und im umfassenden Sinne Weltliteratur. Heine will außerhalb der Kirchlichkeit bleiben. Gott ist für ihn kein Glaubensdogma, es ist sein Gott, sein biblischer, sein jüdischer, sein protestantischer und auch sein katholischer Gott, verifiziert im religiösen Gefühl, das individuell und übergreifend auch ästhetischer Natur bleibt. Die romantische, Schleiermacher geprägte Religiosität, dominiert in offensichtlicher Weise in Heines Spätzeit.

In "Geständnissen" (1853/54) schreibt er, die Bibel sei das "schöne heilige Erziehungsbuch für kleine und große Kinder". -- "Merkwürdiger noch als der Inhalt ist für mich diese Darstellung, wo das Wort gleichsam ein Naturprodukt ist. Wie ein Baum, wie eine Blume, wie das Meer, wie die Sterne. Wie der Mensch selbst, das ist wirklich das Wort Gottes."

Die Beschäftigung mit der Bibel hatte der Dichter offensichtlich auch in seiner auf das Diesseits ausgerichteten Lebensphase nie ganz aufgegeben. In einem Brief aus Helgoland, abgefasst am 8.Juli 1830, wiedergegeben im Börne-Buch, heißt es: "..griff ich aus Verzweiflung zur Bibel" und gesteht, obwohl er sich als ein heimlicher Hellene fühle, habe ihn das Buch nicht bloß gut unterhalten, "sondern auch weidlich erbaut. Welch ein Buch! groß und weit wie die Welt, wurzelnd in die Abgründe der Schöpfung und hinaufragend in die blauen Geheimnisse des Himmels.." Und einige Tage später, am 29.Juli, lässt er verlauten: "ich habe wieder im alten Testamente gelesen. Welch ein großes Buch! Merkwürdiger noch als der Inhalt ist für mich diese Darstellung, wo das Wort gleichsam ein Naturprodukt ist."

Nach Ausbruch seiner Krankheit gesteht er: "Sonderbar! Nachdem ich mein ganzes Leben hindurch mich auf allen Tanzböden der Philosophie herumgetrieben, allen Orgien des Geistes mich hingegeben, mit allen möglichen Systemen gebuhlt, ohne befriedigt worden zu sein, wie Mesaline nach einer lüderlichen Nacht jetzt befinde ich mich plötzlich auf demselben Standpunkt, worauf auch der Onkel Tom steht, auf dem der Bibel, und ich knie neben dem schwarzen Betbruder nieder in derselben Andacht."

Diese hohe ästhetische Schätzung der lutherischen Bibelsprache schlägt sich in Heines eigenem Stil nieder und lässt ihn immer wieder in dem heiligen Buch lesen.

Heine hat die Bibel nicht nur hoch geschätzt, er hat sie auch an vielen Stellen benutzt, parodiert, umfunktioniert und ihr in seinen eigenen Texten einen neuen Sinn gegeben, der ihm wichtig und zeitgemäß schien. Aus seinen letzten Jahren wird überliefert, dass man die Bibel häufig auf seinem Tisch habe liegen gesehen.

Heine war sehr bibelfest wie Goethe, Schiller und viele seiner Zeitgenossen. An Julius Campe schreibt er beispielsweise am 27.Oktober 1851: Jeder Arbeiter sei seines Lohnes wert, und fügt hinzu: "Sie sehen, ich bin nicht umsonst bibelfest". Die Zahl von mindestens 400 Bibelzitaten spricht für sich, etwa je die Hälfte aus Altem und Neuem Testament.

Viele biblische Gestalten tauchen auch in seinen Gedichten auf. Eins dieser Gedichte trägt die Überschrift "Adam, der Erste" und ist wahrscheinlich 1844 entstanden. Im frech-saloppen und aufmüpfigen Ton rechnet Adam mit Gott ab wegen seiner und Evas Vertreibung aus dem Paradies.

"Du schicktest mit dem Flammenschwert

Den himmlischen Gendarmen,

Und jagtest mich aus dem Paradies,

Ganz ohne Recht und Erbarmen!

Ich ziehe fort mit meiner Frau

Nach andren Erdenländern;

Doch dass ich genossen des Wissens Frucht,

Das kannst du nicht mehr ändern.

Du kannst nicht ändern, dass ich weiß,

Wie sehr du klein und nichtig,

Und machst du dich auch noch so sehr

Durch Tod und Donner wichtig.

O Gott! Wie erbärmlich ist doch dies

Consilium-abeundi!

Das nenne ich einen Magnifikus

Der Welt, ein Lumen-Mundi!

Vermissen werde ich nimmermehr

Die paradiesischen Räume!

Das war kein wahres Paradies -

Es gab dort verbotene Bäume.

Ich will mein volles Freiheitsrecht!

Find ich die geringste Beschränktheit,

Verwandelt sich mir das Paradies

In Hölle und Gefängnis."

(Bd.4 S.412 f.)

Die Absolutheit der Bibel hat Heine stärker am Alten Testament erlebt als an den Büchern des Neuen Testaments. Sein Bemühen um eine spirituelle Verbindung mit Christus ist wohl durch die Enttäuschungen, die er durch das real-existierende Kirchenchristentum seiner Zeit erfahren hat, überschattet worden. So beheimatete er sich schließlich in der mosaischen Welt der biblischen Bücher stärker und inniger als in der christlichen Substanz des Evangeliums. Christus selbst jedoch vermochte er nicht tiefer zu verstehen denn als einen großen Lehrer der Menschheit.

Börne nannte Christus seinen "cousin", Heine seinen "armen Vetter".

"Der Erlöser, der seine Brüder vom Zeremonialgesetz und der Nationalität befreite, und den Kosmopolitismus stiftete, war ein Opfer seiner Humanität, und der Stadtmagistrat von Jerusalem ließ ihn kreuzigen und der Pöbel verspottete ihn", heißt es im 4.Band des Börnebuches.

Und in Caput XIII stehen folgende Verse:

"Und als der Morgennebel zerrann,

da sah ich am Wege ragen,

Im Frührotschein, das Bild des Manns,

Der an das Kreuz geschlagen.

Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal

Dein Anblick, mein armer Vetter,

Der du die Welt erlösen gewollt,

Du Narr, Du Menschheitsretter!

Sie haben dir übel mitgespielt,

Die Herren vom Hohen Rate.

Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos

Von der Kirche und vom Staate!

Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei

Noch nicht in jenen Tagen

Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch

Über die Himmelsfragen.

Der Zensor hätte gestrichen darin

Was etwa anzüglich auf Erden,

und liebend bewahrte dich die Zensur

Vor dem Gekreuzigtwerden.

Ach! hättest du nur einen andern Text

Zu deiner Bergpredigt genommen,

Besaßest ja Geist und Talent genug,

Und konntest schonen die Frommen!

Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar

Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel-

Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz

Als warnendes Exempel!"

Etwas kürzer heißt es im Börne-Buch : "Wenn jetzt ein Heiland aufsteht, braucht er sich nicht mehr kreuzigen zu lassen, um seine Lehre eindrücklich zu veröffentlichen... er lässt sie ruhig drucken, und annunziert das Büchlein in der "Allgemeinen Zeitung" mit sechs Kreuzern die Zeile Inserationsgebühr."


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