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Heine hat auch für Christen von heute herausragende Bedeutung

Gleichwohl bleibt Heine, der nie die kirchliche Nähe gesucht hat, eine Herausforderung für alle Dogmatiker und Fundamentalisten. Doch für die Gegenwart im Allgemeinen und für Christen im Besonderen sind seine Ideen und Einfälle von nicht abschätzbarem Wert. Vieles aus seinem Leben und Werk ist erst heute richtig aktuell geworden.

Man denke nur an sein Engagement für Entrechtete, das durchaus einer Theologie der Befreiung im Sinne von Johann Baptist Metz entspricht.

Zudem schreckte Heinrich Heine, lange vor Rudolf Bultmann, vor entmythologisierenden Deutungen nicht zurück und erkannte den existentialen, auf das moderne Verständnis bezogenen Sinn biblischer Aussagen.

Überdies wissen wir, wie progressiv Heine nach der Aufklärung die Religiosität wiederentdeckt hat, die, laut Hermann Lübbe, die nötige Lebenspraxis des angemessenen Verhaltens zum Unverfügbaren meint.

Heines Religiosität besteht außerdem gerade in ihrer individuellen, aber eindeutig biblischen Voraussetzung, ja Prägung und ihrer trotz aller unmenschlichen Leiden mutigen Souveränität gegenüber einer höheren Ordnung, die er am Ende seines Lebens als den Gott seiner Väter akzeptiert hat.

Heine war ein skeptischer Theologe, der die Welt als verborgene Theologie und als verborgene Dichtung auffasst und somit die Nachahmung und Nachschöpfung durch den Dichter rechtfertigt.

Seine Freiheit in der Einsamkeit äußerte sich dennoch in Fragen und Zweifeln, deren Ziel nicht die Beruhigung, sondern die Beweglichkeit des skeptisch gebliebenen Geistes geblieben ist.

Wer will, kann Heine sogar den Grünen zurechnen. Denn wie sagte er doch? "Gott ist identisch mit der Welt. Er manifestiert sich in den Pflanzen,,..in den Tieren, aber am herrlichsten in dem Menschen."

Vielleicht wären die Kirchen gut beraten, "von Heine eifriger Gebrauch zu machen, da sein Weltbürgertum und Kosmopolitismus eine zutiefst religiöse Struktur aufweist." Tatsächlich gibt es Geistliche, wie etwa den katholischen Studentenpfarrer Heiner Koch, der schon im April 1989 freimütig bekannt hat, für ihn sei Heinrich Heine ein Vorbild.

Des Dichters "Heimkehr zum Gott seiner Väter" ist von vielen seiner Zeitgenossen argwöhnisch beäugt worden, und dennoch hat Heine trotzig und gegen alles Unverständnis sein Credo gesprochen, ob es seine Freunde hören wollten oder nicht. "Gott war immer der Anfang und das Ende all meiner Gedanken." Die christliche Tradition, sagte der Dominikanerpater Ulrich Engel am 26.Juli 2003 in einer Predigt, nenne so etwas "Zeugnis-Geben". Als Gottes Zeuge kann Heine heute Vorbild sein, hat er doch sein Bekenntnis "mit seiner ganzen Person innerlich und äußerlich erkämpft."

"Ängstliche Kirchenmäuschen und bigotte Sakristeischabraken", führte Engel weiter aus, "haben heute nichts mehr zu vermelden - mögen sie progressiv oder reaktionär daherkommen. Wahrgenommen werden wir nur dann, wenn wir ein Zeugnis geben, das sich aus unserer persönlichen, gelungenen und gebrochenen Gotteserfahrung speist. Dass ein solche Zeugnis dann schon einmal aneckt und der Obrigkeit (auch der kirchlichen) quer liegt, ist in Kauf zu nehmen. Heine ist mir da Vorbild."

In seiner Nachschrift zu "Ludwig Marcus" betont Heine, dass die Emanzipation der Juden identisch sei mit der des deutschen Volkes. Joseph A.Kruse sieht darin einen Zukunftsgedanken, "der im 20.Jahrhundert hätte Gestalt annehmen können als ihn auch schon der grausamste Judenpogrom aller Zeiten zunichte machte."

Wie man sieht, fordert Heines Religiosität zur Auseinandersetzung heraus - nicht nur mit einer profan gewordenen Welt, sondern auch mit unserer eigenen jüngsten Geschichte. Seine Stunde scheint jetzt erst gekommen zu sein, einerlei ob wir imstande sind, Heines letzten Schritt mitzugehen oder ob wir uns wie Günter Grass entscheiden, außen vor zu bleiben.


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