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Ist die "Wunde Heine" endgültig verheilt? Leben und Werk des Dichters Heinrich Heine
Lebenslauf
Wenn man den Umfragen glauben darf, so stand im Jahr 2005 im Kanon der fünfzig wichtigsten Autoren deutschsprachiger Belletristik an erster Stelle Heinrich Heine. Ihm folgten in der Wertschätzung deutscher Leser Friedrich Schiller und Karl May. Der erste noch lebende Autor Günther Grass landete auf Platz fünfzehn.
Geboren wurde Heinrich Heine in Düsseldorf am 13.12. 1797 in einer Zeitenwende, so dass er später schreiben konnte: "Um meine Wiege spielten die letzten Mondlichter des achtzehnten und das erste Morgenrot des neunzehnten Jahrhunderts," und in seinen "Memoiren" heißt es: "Ich bin geboren zu Ende des skeptischen achtzehnten Jahrhunderts und in einer Stadt, wo zur Zeit meiner Kindheit, nicht bloß die Franzosen, sondern auch der französische Geist herrschte."
Über seine Geburtsstadt Düsseldorf äußerte er sich stets mit warmen Worten: "Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Mute. ...... und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehen."
Von seinen Eltern sprach Heine ebenfalls sehr liebevoll. Seine Mutter hatte ihn nach Kräften gefördert und war auf sein Fortkommen sehr bedacht, aber mit seinem Schriftstellerberuf lange nicht einverstanden gewesen. Ihr, die von den Erziehungskonzepten Rousseaus sehr angetan war, verdankt er eine weltliche Erziehung. Über seinen Vater schreibt Heine: "Er war von allen Menschen derjenigen, den ich am meisten auf dieser Erde geliebt."
Obwohl Heines Geburtsort Düsseldorf zu jener Zeit schon eine ghettofreie Stadt war, in der, wie Heine in seinen Erinnerungen andeutet, der französische Geist einer liberalen Gesetzgebung wehte, konnte eine jüdische Herkunft selbst in der Rheinmetropole noch mancherlei Benachteiligungen mit sich bringen. Auch in Heines Privatleben lief nicht alles glatt, nicht einmal in seiner Jugend.
Immerhin litt sein Vater Samson seit 1814 an epileptischen Anfällen und musste bald darauf sein Düsseldorfer Tuchwarengeschäft aufgeben. Zwei Brüder des Vaters, Henry und Salomon, nahmen sich der bedrängten Familie an. Den Eltern wiesen sie in Lüneburg einen Alterswohnsitz zu und Sohn Heinrich - damals hieß er noch Harry - steckten sie in Hamburg in eine Kaufmannslehre. Heine beginnt im Juni 1816 eine Lehre im Bankhaus seines Onkels Salomon in Hamburg. Aber der hoffnungsvolle Jüngling erwies sich für den Beruf eines Kaufmanns als wenig geeignet. "Die merkantilische Seifenblase ist geplatzt" notierte er zufrieden, nachdem das von Onkel Salomon in Hamburg für ihn eingerichtete Textilgeschäft wegen drohenden Bankrotts am 23.3.1819 liquidiert worden und Heine als Geschäftsmann gescheitert war. Hinzu kommt, dass Heines Zuneigung zu Hamburg nicht allzu groß war. Nannte er doch die Hansestadt in einem Brief vom 6.Juli 1815 ein "verludertes Kaufmannsnest".
Das Jurastudium, das er auf Geheiß seines Onkels Salomon, eines geborenen Erfolgsmenschen, ab 1819 in Bonn, Göttingen und Berlin absolvierte, behagte ihm gleichfalls nicht sonderlich. Doch in Berlin fand er Entschädigungen. Er besuchte die vornehmsten Kaffeehäuser und erhielt Zugang zu den intellektuell anspruchsvollsten und einflussreichsten Kreisen. Häufig war er Gast im Salon der Varnhagens und besuchte Vorlesungen von August Wilhelm Schlegel und Hegel, ohne deren Anhänger zu werden. Nebenbei schrieb er Gedichte und Dramen und wurde am 4.August 1822 Mitglied im "Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden", an dessen Aktivitäten er bis zu seiner Abreise aus Berlin im Mai 1823 regen Anteil nahm.
Kurz vor seiner Promotion zum Doktor juris am 20.Juli 1825 ließ er sich am 28.Juni 1825 in der protestantischen Kirche in Heiligenstadt auf den Namen Christian Johann Heinrich Heine taufen. Allerdings war für ihn die Taufe nichts anderes als ein "Entréebillet zur europäischen Kultur".
Als Heine einmal gefragt wurde: "Warum haben Sie sich zum Christentum taufen lassen?", soll er im Scherz gesagt haben: "Ich konnte mich nicht an den Gedanken gewöhnen, Baron Rothschilds Glauben teilen zu müssen, ohne an seinem Vermögen Anteil zu haben!"
- Apropos Rothschild: Einmal fand er ein drastisches Bild für die Verehrung, die man dem reichen Rothschild im allgemeinen entgegenbrachte. Als Heine, der die Macht der Aristokraten bewunderte und im Hause der Rothschilds verkehrte, sich wieder einmal zu Herrn von Rothschild begab, trug gerade ein Bedienter das Nachtgeschirr von Rothschild "über den Korridor und ein Börsenspekulant, der in demselben Augenblick vorbeiging, zog ehrfurchtsvoll den Hut ab vor dem mächtigen Topfe. So weit geht, mit Respekt zu sagen, der Respekt gewisser Leute", meinte Heine. (Lutetia 1.Teil)
Aus Aphorismen und Fragmente: "Rothschild schickt dem Kommunisten, der mit ihm teilen will, neun Sous und schreibt dazu, nun lasst mich in Ruh'."
"Kommunisten denken, alles, was wir nicht haben, hat Rothschild." -
Doch zurück zu Heines Taufe. Ihm war durchaus klar, dass der "nie abzuwaschende Jude (an Moser, 8.August 1826) ihn weiterhin begleiten würde, und so schrieb er 1826: "Es ist aber ganz bestimmt, dass es mich sehnlichst drängt, dem deutschen Vaterland Valet zu sagen. Minder die Lust des Wanderns als die Qual persönlicher Verhältnisse (z.B.der nie abzuwaschende Jude) treibt mich von hinnen." Denn so heißt es in einem weiteren Brief: "Ich bin bey Christ und Jude verhasst. Ich bereue sehr, dass ich mich getauft hab."
Nachdem sich Heine vergeblich um eine Professur und um Eintritt in preußische und österreichische Dienste bemüht hatte, arbeitete er als freier Schriftsteller und war ab 1827 eine Zeitlang Redakteur bei Cottas "Neuen allgemeinen politischen Annalen" in München. Aber den Annalen fehlte es an Lesern und Abonnenten, und so wurden sie im März 1828 wieder eingestellt. Nun konzentrierte sich Heine ganz auf seine schriftstellerische Tätigkeit. Zudem hatte er zwei Jahre zuvor den Verleger Julius Campe kennen gelernt. Sein Onkel Salomon aber kommentierte Heines Berufsweg mit folgenden Worten: "Hätt' er was gelernt, braucht' er nicht zu schreiben Bücher."
Von August bis Dezember 1828 hielt sich Heine in Italien auf und nahm bei dieser Gelegenheit die Bildungsbeflissenheit deutscher Italienreisender spöttisch aufs Korn. Er zitierte Goethes Verse von Mignon "Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn?.." und fügte hinzu: "Aber reise nur nicht im Anfang August, wo man des Tags von der Sonne gebraten, und des Nachts von den Flöhen verzehrt wird. Auch rate ich Dir, mein lieber Leser, von Verona nach Mailand nicht mit dem Postwagen zu fahren." Gleichwohl gefiel es Heine in Italien besser als in Göttingen und in England. Sein Wohlbefinden lässt sich auch aus seinen Prosatexten "Die Bäder von Lucca" und die "Stadt Lucca" herauslesen, die er im Herbst 1829 verfasst hat. Ein Jahr später wurde der dritte Band der "Reisebilder" veröffentlicht. Die ersten beiden Bände über seine Reisen in den Harz, an die Nordsee und nach Polen waren einige Jahre zuvor erschienen.
In diese Zeit fällt auch Heines Kontroverse mit Platen. Ausgelöst wurde diese durch das Buch "Die Bäder von Lucca", wobei die Argumente der Beteiligten vorwiegend unter die Gürtellinie zielten, Platen hatte aus der jüdischen Herkunft Heines bestimmte charakterliche Mängel abgeleitet (ein Argumentationsmuster, das in Deutschland Schule machte und von den Nazis dankbar aufgegriffen wurde), woraufhin Heine Platens homosexuelle Neigungen aufs Korn nahm.
1831 siedelte Heine nach Paris über und blieb hier bis zu seinem Tod 1856. In der französischen Hauptstadt fühlte er sich in seinem Element. Für seinen neuen befreiten und glücklichen Zustand erfand er die hübsche Umkehrung der Redensart vom Fisch, dem es im Wasser wohl ergeht. "Wenn im Meere ein Fisch den anderen nach seinem Befinden fragt, so antwortet dieser: ich befinde mich wie Heine in Paris."
Ab 1831 wohnte Heine in Paris. Für ihn war die Stadt an der Seine "das neue Jerusalem" und der Rhein "der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit trennt von dem Lande der Philister." Im Unterschied zu den meisten Pariser Emigranten gelang Heine die Integration mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit. Kaum ein anderer ausländischer Schriftsteller dürfte je eine solche Anerkennung und Aufnahme in Frankreich gefunden haben, wie Heine.
In der Stadt an der Seine fand er seine Mathilde, begegnete George Sand und lernte Karl Marx kennen. Den Franzosen gewährte Heinrich Heine, der sich als Vermittler zwischen zwei Völkern und Kulturen und als politischer Korrespondent verstand, einen Einblick in die deutsche Kultur, und die Deutschen wiederum ließ er durch seine Beiträge für die "Allgemeine Zeitung" am französischen Leben teilnehmen. Allerdings machte ihm die Offenheit seiner Berichterstattung die Arbeit in beiden Ländern, sowohl in Frankreich als auch in Deutschland, nicht eben leicht. Außerdem entwarf er in seiner für die Franzosen geschriebenen "Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" eine Art Genealogie des deutschen Humanitätsprozesses. Beginnend mit Luther, der später von Lessing, laut Heine, "fortgesetzt" worden sei.
Viele Jahre hat sich Heinrich Heine, nach eigenem Bekunden, "auf allen Tanzböden der Philosophie" herumgetrieben und sich "allen Orgien des Geistes" hingegeben. Doch am Ende eines kämpferischen Lebens, "nach einer Phase der Selbstvergottung, der Selbstanbetung, der Selbstüberschätzung" kam der Einbruch, die persönliche und politische Katastrophe.
Seit 1832 litt er, der seit Jahren von heftigen Migräneanfällen heimgesucht wurde, an einer rätselhaften Rückenmarkserkrankung, die ihm erst Sehstörungen und Bewegungsausfälle, dann fortschreitende Lähmung brachte. Bei einem Besuch im Louvre, vor der "Venus von Milo" brach er zusammen. Ausgerechnet im Revolutionsjahr 1848 Ende Mai zwang ihn seine Krankheit aufs Krankenlager, in die "Matratzengruft" zu Paris. Er war größtenteils gelähmt, fast blind. Sein Körper war auf das Maß eines Kindes geschrumpft, abgemagert zu einem Skelett. Die schmerzhaften Krämpfe versuchte der Dichter, mit Opium zu betäuben.
Aber selbst auf dem Kranken- oder Sterbebett, meinte Robert Gernhardt in einem Interview mit der "Literarischen Welt" vom 11.Februar 2006, war Heine imstande, noch ungemein komische Verse zu finden. Das lange Gedicht zum Beispiel, in dem er sich Gedanken macht über die Körperteile des Menschen:" Gott gab uns nur einen Munde,/ Weil zweit Mäuler ungesund./ Mit dem einen Maule schon/ Schwätzt zu viel der Erdensohn."
In der Matratzengruft, in den letzten schmerzhaften Stunden seines Lebens kehrte Heine zum Judentum zurück. Er selbst sagte kurz vor seinem Tod: "Ich bin kein lebensfreudiger, etwas wohlbeleibter Hellene mehr, der auf trübsinnige Nazarener herablächelt - ich bin jetzt nur ein armer todkranker Jude, ein abgezehrtes Bild des Jammers, ein unglücklicher Mensch!"
Bald darauf scheiterte die Revolution in Europa, und Heine erkannte: "In demselben Maße wie die Revolution Rückschritte macht, macht meine Krankheit die ernstlichsten Fortschritte." Krankheit, Leiden, Sterben und Tod waren nun das beherrschende Thema seiner Lyrik.
Obwohl er die letzten Jahre in der "Matratzengruft" zubringen musste, war er bis zuletzt voller Schaffenskraft. Auf der einen Seite lassen ihn viele im Stich, auch seine "revolutionären" Freunde. Etliche Rezensenten weisen Heines Spätwerk, in dem er von seinen Gebresten und religiösen Zweifeln spricht, als anarchronistisches Ärgernis von sich. "Wir sind ungern hart gegen einen Leidenden, besonders gegen einen Dichter der Märchen aus alten Zeiten", heißt es in einer Rezension und weiter liest man: "Doch verdient Heine der Schonung nicht, denn mit echt semitischer Spürkraft hat er auf das Mitgefühl des Publikums einen Wechsel gezogen.. Wie kann das Mitleid aufkommen, wo der Ekel uns überwältigt."
Gleichwohl kann sich Heine über Einsamkeit nicht beklagen. Er bekommt viel Besuch in seiner "Matratzengruft" und fühlt sich mitunter gequält von Besuchern aus aller Welt.
Bis zuletzt arbeitete er emsig und war noch in seinem Todesmonat, im Februar 1856, mit der Korrektur von Druckfahnen beschäftigt.
In den letzten Jahren stand ihm seine letzte Liebe die "Mouche" (Elise Krinitz) zur Seite.
"In seinem Gedicht "Lotosblume" ist Heine auf diese Liebe eingegangen, die bei aller todnahen Zerbrechlichkeit auch etwas Komisches an sich hat:
"Wahrhaftig, wir beide bilden
Ein kurioses Paar,
Die Liebste ist schwach auf den Beinen,
Der Liebhaber lahm sogar.
Sie ist ein leidendes Kätzchen,
Und er ist krank wie ein Hund,
Ich glaube, im Kopf sind beide
Nicht sonderlich gesund.
Vertraut sind ihre Seelen,
Doch jedem von beiden bleibt fremd
Was bei dem andern befindlich
Wohl zwischen Seele und Hemd.
Sie sei wie eine Lotosblume,
Bildet die Liebste sich ein;
Doch er, der blasse Geselle,
Vermeint der Mond zu sein.
Die Lotosblume erschließet
Ihr Kelchlein im Mondenlicht,
Doch statt des befruchtenden Lebens
Empfängt sie nur ein Gedicht."
Heine betrachtete seine letzte Liebe als "Glückserfüllung in Askese."
Heines letzten Jahre führen den Zeitgenossen und der Nachwelt einen modernen Hiob vor Augen, der mitten im Lärm und im Betrieb der Großstadt lebendig begraben liegt. Sein Abschied lautete: "Lebt wohl, ihr geistreichen, guten Franzosen, die ich so sehr geliebt habe! ich danke euch für eure heitere Gastfreundschaft."
In jener Zeit, schreibt Karl-Josef Kuschel in seinem Buch "Gottes grausamer Spaß. Heinrich Heines Leben mit der Katastrophe", sei es bei dem Dichter zu einer großen "Umwandlung" gekommen sei, zum Wiedererwachen des religiösen Gefühls, zu einer Rückkehr zu Gott, obwohl Heine diesem doch schon vor Jahren das Sterbeglöckchen geläutet hatte und den Himmel eigentlich "Engeln und Spatzen" überlassen wollte.
Was Heine nun erlebt habe, das sei keine Eintrübung gewesen, sondern eine Erhellung des Verstandes, nicht ein Rückschritt, sondern eine Evolution des Geistes, nicht eine Kapitulation vor der Schwäche, sondern ein Tiefenblick in die Abgründe von Gottes Schöpfung.
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