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Heines Wirkung
Laut Liedtke verkörperte Heine den modernen Typus des engagierten Dichters, der bloße Gesinnungsliteratur ohne ästhetischen Anspruch entschieden ablehnt ebenso wie jede elitäre, auf sich selbst bezogene Kunst, "die auf einem sozialen Isolierschemel steht".
Heine verfasste scharfe sozialkritische Gedichte - man denke nur an "Die schlesischen Weber" oder an "Deutschland, ein Wintermärchen" - und die bedeutendste Liebeslyrik seiner Zeit. Die einen bevorzugten den poetischen Autor und beargwöhnten den politischen, der angeblich "die Poesie in die Niederungen der Politik" hinabzieht. Andere warfen dem politischen Autor vor, er jage, "auf dem Schlachtfeld nach Schmetterlingen".
Heine hat auf den Feuilletonismus in Deutschland bis heute stark gewirkt. "Ohne Heine kein Alfred Kerr und kein Maximilian Harden", schreibt Wilhelm Kahle in seiner "Geschichte der deutschen Dichtung". Nicht von ungefähr sah Nietzsche, der von Heine sachlich und stilistisch viel gelernt hat, in ihm "das letzte Weltereignis der Deutschen." "Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben", bekannte Nietzsche. "Er besaß jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag. Und wie er das Deutsche handhabt! Man wird einmal sagen, dass Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind."
Heine war der geborene Provokateur und ein ewiger Ruhestörer, ein Virtuose der Polemik, von Takt wollte er nichts wissen. Hinzu kommt seine rühmliche Vorliebe für aphoristische Prägnanz, für witzige und exakte, bewusst überspitzte und deshalb besonders eindringliche Formulierungen. Sie machen seine Verse und seine Prosa auf außergewöhnliche Weise zitierbar.
Will man ihm gerecht werden, meint Marcel Reich-Ranicki, "so muss man sein zwielichtiges und ungleiches Werk unbedingt als ein Ganzes sehen. Es besteht aus vielen, meist kleinen Teilen und erweist sich letztlich doch als eine Einheit."
Auch Klaus Briegleb wertet Heines "besondere Leistungsart" als "eine literarische Einheit von Leben und Texten." Heines Arbeiten, befindet Reich-Ranicki, sind Bruchstücke einer einzigen Provokation. Geistreich, böse und komisch sei sein Werk, eine "Synthese aus Witz und Weisheit, Charme und Scharfsinn, Gefühl und Grazie". Heine sei der erste große Poet, der den Humor zur "selbstverständlichen Komponente" seiner Poesie und Prosa gemacht habe.
Nach Goethes Tod war er der erste deutsche Dichter, "der - bereits zu Lebzeiten - weltliterarischen Rang erlangte und dessen Ruhm sich doch erst in der ganzen Welt verbreitete, bis er schließlich auch wieder seine 'deutsche Heimat, Land der Rätsel und der Schmerzen', erreichte", lautet Christian Liedtkes Resumee.
"Brillanter Intellekt, weltoffener Geist und weites Herz" sei Heine zu eigen gewesen, schreiben die Herausgeber des Büchleins "..aus der Apotheke des Poeten" in ihrem Vorwort und rühmen seine "Toleranz gegenüber anderen Menschen und Meinungen" sowie sein "Engagement für den Kulturraum Europa".
Zu Heines Nachahmern und Schülern zählt Reich-Ranicki so unterschiedliche Autoren wie Wilhelm Busch, Detlev von Liliencron und Arno Holz, Frank Wedekind und Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Klabund und Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und Wolf Biermann.
Marcel Reich-Ranicki attestiert Heine "Volkstümlichkeit". Heines Sprunghaftigkeit, Aggression und Kritikfreudigkeit speise sich jedoch nicht zuletzt aus seiner Heimatlosigkeit. Er wollte Deutscher sein und wurde hier doch nie aufgenommen, so dass er ins Exil nach Paris ging. Bezeichnend ist für Reich-Ranicki auch die Tatsache, dass viele von Heines Liedern und Gedichten eine hohe Popularität genossen und noch genießen, ohne dass der Autor überhaupt wahrgenommen wurde.
Ihm gelang, so der Literaturkritiker, die radikale Entpathisierung der deutschen Dichtung. Er befreite sie vom Erhabenen und Würdevollen, vom Hymnischen und Feierlichen und auch vom Dunklen. Und er gab ihr, was sie dem deutschen Leser meist vorenthalten hat: Leichtigkeit und Anmut, Charme und Eleganz, Witz und Esprit, Rationalität und Urbanität und gelegentlich auch Frivolität.
Indem Heine die Sprache der deutschen Literatur entrümpelte und modernisierte, schuf er die wichtigsten Voraussetzungen für ihre Demokratisierung. Er war ein genialer Poet und dennoch ein professioneller Zeitungsschreiber.
Auch die deutsche Lyrik des 20.Jahrhunderts - von Brecht und Benn bis zu Grass und Enzensberger - ist ohne Heines Einfluss schwer vorstellbar.
Alles in allem war Heine der typische linke Schriftsteller, obwohl er den Linksradikalismus verabscheut und gründlich verachtet hat.
Wie Heine sein ganzes Leben lang für soziale Reformen kämpfte, so wurde er auch nicht müde, die Sinnenfreude gegen die Heuchelei und die Moral der Geschichte zu verteidigen und die Befreiung des Eros von einem widernatürlichen Zwang zu fordern.
Ein Genie der Hassliebe war er - und niemand als er hasste und liebte so sehr die Deutschen und die Juden. Es bereitete Heine einen geradezu wollüstigen Genuss, allen die Wahrheit zu sagen, den Juden und den Antisemiten, den Deutschen und den Deutschfeinden, den Adligen und den Bürgern und anderen mehr.
Ein Deutscher wollte er sein. Aber man erlaubte es ihm nicht. Doch das Deutsche - die Sprache, die Literatur, die Philosophie, die Geschichte - erwies sich, wie Heine wiederholt betonte, als sein Lebenselement.
So wurde er ein europäischer Schriftsteller, der einzige wohl, den Deutschland zwischen Goethe und Thomas Mann hatte. Er hat an beidem gelitten, an seinem Judentum und an seinem Deutschtum. Am häufigsten suchte er Schutz bei der Ironie. Aber wie Kleist und Hölderlin und wie Kafka gehört er zu den einsamen und zerrissenen, zu den tragischen Figuren der deutschen Literatur.
Es spricht nicht gegen ihn, dass sein Werk uns immer wieder beunruhigt und provoziert. Kein Dichter hat schon zu seinen Lebzeiten so heftige Reaktionen ausgelöst wie Heine. Keiner wurde hartnäckiger beschimpft.
Heine war der einfallsreichste Polemiker deutscher Sprache, unerschöpflich in seinem Reservoir an Spitzen, an Erfindungen, Wortschöpfungen, Namensversverdrehungen, Beleidigungen aller Art.
Tragisch für ihn, wenn auch nicht unerklärlich, war, dass die große Mehrzahl der Juden ihn ebenso ablehnte wie viele Christen. Erst jüngst bemühten sich auf einem Heinrich-Heine-Kongress in Jerusalem im Dezember 2001 jüdische Schriftsteller und Wissenschaftler zusammen mit nichtjüdischen Kollegen, ihren Frieden mit dem zum Christentum konvertierten deutsch-jüdischen Dichter zu schließen. (Tragisch war freilich auch, dass ausgerechnet während dieses Kongresses, Stefan Heym, der an der Tagung teilgenommen hatte, starb.) Zwar wird Heines mittlerweile als Literat weitestgehend akzeptiert und gewürdigt, es gibt aber immer wieder Versuche, ihn in die Ecke der poetischen Belanglosigkeit oder des historisch überholten Querulanten zu verweisen.
Wer erinnert sich noch an die unsäglich peinliche Diskussion, ob die Düsseldorfer Universität den Namen Heines tragen sollte oder nicht? Es ist immer wieder erstaunlich, dass auch im Nachkriegsdeutschland solche Diskussionen überhaupt geführt werden konnten.
Zu hoffen ist, dass "die Wunde Heine", mit der Theodor W.Adorno einst eine der Bruchstellen in der deutschen Identität und deutschen Literaturgeschichte bezeichnet hat, bald für immer verheilt und vernarbt, dass sie dann endgültig der Vergangenheit angehört und der Dichter überall unvoreingenommen gelesen und rezipiert wird.
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