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Heine und das Judentum
Als Harry Heine, der sich später Heinrich Heine nannte, in seiner Kindheit seinen Vater nach seiner Herkunft befragte, erhielt er zur Antwort: "Dein Großvater war ein kleiner Jude und hatte einen großen Bart." Als Harry diese Mitteilung am Tag darauf an seine Mitschüler weitergab, brach ein großer Tumult aus, ein wahres "Höllenspektakel", wie der Dichter die Reaktion in seinen Erinnerungen später beschrieb, das ihm zu guter Letzt selbst noch vom Lehrer angekreidet wurde. Dieses Höllenspektakel hat Heine sein Leben lang begleitet, von Eduard Mörikes Verdammung "der Lüge seines ganzen Wesens" und Karl Kraus' Verdikt "So war er ein Talent, weil kein Charakter" bis hinein in unsere Zeit. Dabei galten die Prügel, die er auch später bezog, nachdem er zu Ruhm gekommen war, oft nicht so sehr dem Dichter, sondern dem Juden Heine. "Meine Ahnen gehörten.. nicht zu den Jagenden, viel eher zu den Gejagten", behauptete er nicht von ungefähr.
Spricht man von Heinrich Heine, so kann und darf man nicht davon absehen, dass er Jude war, wenn auch kein Ghetto-Jude wie Ludwig Börne. Er wurde nicht streng orthodox erzogen. Seine Familie hatte Kontakt zu christlichen Nachbarn, seine Brüder besuchten christliche Schulen, er selbst wurde ebenfalls in einer katholisch geprägten Privatschule unterrichtet - trotzdem bekam er schon als Kind zu spüren, was Jude-Sein heißt. (Man lese nur seine Kindheitserinnerungen in seinen "Memoiren") Auch darf man nicht vergessen, dass die Emanzipation der deutschen Juden erst zu Heines Lebzeiten begonnen hatte und zunächst nur zögernd und schleppend in Gang kam. Obgleich Heine zur ersten dem Getto entronnen Generation gehörte, ließ man ihn spüren, dass er ein Neuankömmling, ein Parvenü war.
Seine frühen Liebesgedichte besingen nicht nur das Unglück, unerwidert zu lieben, sondern auch die gesellschaftliche Ausgrenzung - da steht er unten im Dunkel, während die anderen tanzen. Er muss sich, nicht nur vom Dichter August von Platen, als Jude diffamieren lassen.
Sein Aufenthalt in Berlin während seines Studiums, insbesondere seine Beziehungen zum dortigen "Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden" halfen ihm zu ermessen, welche Stellung dem Judentum innerhalb der europäischen Kultur zukam.
(Der Verein war nach den "Hepp-Hepp-Verfolgungen von 1819 von einigen jüdischen Intellektuellen, insbesondere von Schülern Hegels, gestiftet worden, um durch Erforschung der jüdischen Geschichte und Kultur im Geiste der Aufklärung die Integration in die christlich-bürgerliche Gesellschaft zu befördern.)
Heine wollte alle seine Kräfte, glaubt Walter Grab in "Heinrich Heine als politischer Dichter" diesem Ziel widmen und teilte seinem Freund Moses Moser im August 1823 mit: "Dass ich für die Rechte der Juden und ihre bürgerliche Gleichstellung enthusiastisch tätig sein werde, das gestehe ich, und in schlimmen Zeiten, die unausbleiblich sind, wird der germanische Pöbel meine Stimme hören, dass es in deutschen Bierstuben und Palästen widerhallt."
Auch den Antisemitismus, insbesondere den kirchlichen durch Adolf Stoecker, lernte er auf dem Berliner Pflaster besser verstehen, so dass er in seinen Werken seinen Lesern ein vollständiges Inventar der verschiedenen Spielarten der Judenfeindschaft in seiner eigenen Zeit und in früheren Zeiten vorlegen konnte.
Schon in seiner Studentenzeit war er wiederholt mit Antisemitismus konfrontiert worden. In Göttingen wurde er aus der Burschenschaft "Allgemeinheit" ausgeschlossen, weil er angeblich ein unkeusches Leben geführt hatte. Der wirkliche Grund war aber seine jüdische Herkunft. Er hat einfach nicht in die "christlich-deutsche" Burschenschaft gepasst.
In Paris schien der "nie abzuwaschende Jude" vergessen. In dieser Zeit wollte er mit dem Judentum nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Nicht einmal seiner Frau erzählte Heine, dass er Jude ist.
Er selbst wiederum fühlte in seinem Selbstverständnis die jüdische Komponente manchmal stärker, manchmal schwächer, aber sie war immer vorhanden. Durch Geburt, Beschneidung, frühe Eindrücke, anhaltende Familienbeziehungen, Bekannte und Freundeskreis und vor allem auch durch die nie aufhörenden antijüdischen Anfeindungen seiner Werke und seiner Person wurde Heine selbst nach seiner Taufe immer wieder an seine unauflösliche Schicksalsgemeinschaft mit den Juden gemahnt.
Vieles aus Heines Büchern erschließt sich erst durch den Bezug zum Judentum. Doch im Grunde war Heines Verhältnis zum Judentum ambivalent. Einerseits beschäftigte ihn sein Judesein ein Leben lang. Er suchte, sich Einsicht in Wesen, Religion und Kultur der Juden zu verschaffen. Andererseits kritisierte er diese auch freimütig und scharf, vor allem halbherzige Reformjuden, die keine wirkliche Emanzipation zu fordern wagten. Bei einigen Gelegenheiten übermannte ihn sogar jüdischer Selbsthass.
In seinen Briefen (geschrieben etwa 1822/23) aus dem damals preußischen Polen hat er auch über die Situation der dortigen Juden, die zu jener Zeit nur den 15.Teil der Gesamtbevölkerung ausmachten, berichtet. Die Juden in Polen, so Heine, seien durch Zahl und Stellung von größerer staatswirtschaftlicher Wichtigkeit als bei uns in Deutschland, und dazu gehören mehr als "die großartige Leihhaus-Anschauung gefühlvoller Romanschreiber des Nordens, oder der naturphilosophische Tiefsinn geistreicher Ladendiener des Südens."
Gleichwohl erregte der Aufsatz "Über Polen" sogleich nach seinem Erscheinen in Polen beträchtliches Aufsehen und Ärgernis, weil man sich durch Heines ungewohnt freie Darstellung der polnischen Zustände verletzt fühlte.
Jüdische Themen durchziehen sein Werk. Man denke nur an seinen "Rabbi von Bacharach". Als Heine etwa ein Drittel dieser Erzählung geschrieben hatte, berichtete er Moses Moser am 25.Juni 1824: "Außerdem treibe ich viel Chronikenstudium und ganz besonders viel historia judaica. Letztere wegen Berührung mit dem Rabbi und vielleicht auch wegen inneren Bedürfnisses. Ganz eigene Gefühle bewegen mich, wenn ich jene traurigen Annalen durchblättere; eine Fülle der Belehrung und des Schmerzes. Der Geist der jüdischen Geschichte offenbart sich mir immer mehr und mehr, und diese geistige Rüstung wird mir gewiss in der Folge sehr zu statten kommen."
Auch in dem um 1826 entstandenen Text "Aus den Memoiren des Herren von Schnabelwopski" äußert er sich über Juden. Ihre "Väter gehörten zu dem auserwählten Volkes Gottes, einem Volk, das Gott einst mit seiner besonderen Liebe protegiert, und das daher bis auf diese Stunde eine gewisse Anhänglichkeit für den lieben Gott bewahrt hat. Die Juden sind immer die gehorsamsten Deisten, namentlich diejenigen, welche wie der kleine Simson in der freien Stadt Frankfurt geboren sind. Diese können, bei politischen Fragen, so republikanisch als möglich denken, ja sich sogar sansculottisch im Kote wälzen; kommen aber religiöse Begriffe ins Spiel, dann bleiben sie untertänige Kammerknechte ihres Jehovah, des alten Fetischs, der doch von ihrer ganzen Sippschaft nichts mehr wissen will und sich zu einem Gott-reinen-Geist umtaufen lassen.
Ich glaube, dieser Gott-reiner-Geist, dieser Parvenü des Himmels, der jetzt so moralisch, so kosmopolitisch und universell gebildet ist, hegt ein geheimes Misswollen gegen die armen Juden, die ihn ohne noch in seiner ersten rohen Gestalt gekannt haben und ihn täglich in ihren Synagogen, an seine ehemaligen obskuren Nationalverhältnisse erinnern. Vielleicht will es der alte Herr gar nicht mehr wissen, dass er palästinensischen Ursprungs und einst der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs gewesen und damals Jehovah geheißen hat." Bd.1 S.538)
Weiter heißt es: "Das rechte Träumen beginnt erst bei den Juden, dem Volke des Geistes und erreichte seine höchste Blüte bei den Christen, dem Geistervolk." (S.545)
Über die Physiognomie der Juden sagte er in "Reisebilder. Die Bäder von Lucca", deren Nase könnte ein Zeichen dafür sein, dass sie von Gott schon zwei Jahrtausende an der Nase herumgeführt worden seien. "Sind vielleicht ihre Nasen eben durch dieses lange an der Nase Herumgeführtwerden so lang geworden? Oder sind diese langen Nasen eine Art Uniform, woran der Gottkönig Jehova seine alten Leibgardisten erkennt, selbst wenn sie desertiert sind?"
Die Juden, heißt es wiederholt bei Heine, "wussten sehr gut, was sie taten, als sie bei dem Brande des zweiten Tempels die goldenen und silbernen Opfergeschirre, die Leuchter und Lampen im Stich ließen und nur die Bibel retteten" und ins Exil mitnahmen. Die Schrift, die heilige, wurde ihr portatives Vaterland. Das ganze Mittelalter hindurch hielten sie diesen Schatz sorgsam verborgen in ihrem Ghetto, wo die deutschen Gelehrten, Vorgänger und Beginner der Reformation, hinschlichen, um Hebräisch zu lernen, um dem Schlüssel zu der Truhe zu gewinnen, welche den Schatz barg. Ein solcher Gelehrter war der fürtreffliche Reuchlin." Dessen Feinde sahen das Unheil, das die Bekanntschaft mit der heiligen Schrift für die Kirche herbeiführen würde, wohl voraus, "daher ihr Verfolgungseifer gegen alle hebräischen Schriften, die sie ohne Ausnahme zu verbrennen rieten, während sie die Dolmetscher dieser heiligen Schriften, die Juden, durch den verhetzten Pöbel auszurotten suchten." Heine spricht weiter davon, dass "die Juden, gesetzlich dazu verdammt (sind), reich, gehasst und ermordet zu werden. Solche Ermordungen freilich trugen in jenen Zeiten noch einen religiösen Deckmantel." - "Ja, den Juden, denen die Welt ihren Gott verdankt, verdankt sie auch dessen Wort, die Bibel, sie haben sie gerettet aus dem Bankrott des römischen Reiches."
Von Heine stammt das Bonmot:"Die Juden, wenn sie gut sind, sind sie besser als die Christen, wenn sie schlecht sind, sind sie schlimmer."
Ob Albert Einstein diese Aussage von Heine gekannt hat? Zumindest hat er sich ähnlich geäußert, denn er sagte: "Schau ich mir die Juden an, hab' ich wenig Freude dran, fallen mir die anderen ein, bin ich froh, ein Jud zu sein."
Heine konstatierte Parallelen zwischen Juden und Deutschen: als Gegenstück zum jüdischen Selbsthass gibt es den deutschen Selbsthass, jenes "Leiden an Deutschland".
"Es ist in der Tat auffallend" - meint Heine -, "welche innige Wahlverandtschaft zwischen den beiden Völkern der Sittlichkeit, den Juden und Germanen, herrscht. Beide Völker sind sich ursprünglich so ähnlich, dass man das ehemalige Palästina für ein orientalisches Deutschland ansehen könnte, wie man das heutige Deutschland für die Heimkehr des heiligen Wortes, für den Mutterboden des Prophetentums, für die Burg der reinen Geistheit halten sollte."
Rezensenten und Kritiker wiederum nahmen nicht nur Heines Werk unter die Lupe, sondern wiesen, je bekannter er wurde, auch auf seine jüdische Herkunft hin, vielfach in diffamierender Weise. Eduard Meyer, ein Hamburger Gymnasiallehrer, war beispielsweise einer von vielen, die ihn wüst beschimpften. Auch nach seinem Tod wurde die Rezeption seines Werkes oft durch antisemitische Vorurteile beeinträchtigt und erst recht nach Hitlers Machtantritt. Gleich 1933 wurden seine Gedichte und Texte aus den Schulbüchern verbannt.
Der späte Heine, der schmerzgepeinigte Patient in der Matratzengruft, habe das Auseinanderfallen von Assimilation und Emanzipation tief nachempfunden, sagte die jüdische Literaturwissenschaftlerin Käte Hamburger in ihrem Vortrag, den sie am 16.März 1982 bei der Württembergischen Bibliotheksgesellschaft in Stuttgart gehalten hatte, und sie erläuterte: "Nicht die jüdische Religion ist der Grund dafür, dass das jahrtausendlange Weh, der westlich-östliche Spleen gewichen ist, sondern eine neue Auffassung des Judentums und der Juden. Diese neue Auffassung hatte ihm die Bibel, das Alte Testament, die fünf Bücher Moses offenbart, in erster Linie die Gestalt und das Werk Mosis selbst. In ihm, den er früher als Vertreter des asketischen Nazarenertum nicht sonderlich geliebt hatte, erkannte er den großen Künstler, den Bildhauer, der zwar nicht wie die Ägypter Kunstwerke aus Backstein und Granit, aber Menschenobelisken und Menschenpyramiden gemeißelt hat, aus einem armen Hirtenstamm ein Volk, Israel, das ebenfalls, wie die ägyptischen Pyramiden, den Jahrtausenden trotzen sollte.- Diese Mosesauffassung Heines ... ist genau 90 Jahre später, 1944 zu einem Mosesbuch ausgestaltet worden, das in der Mosesliteratur einzig dastehen sollte, von Thomas Mann in seiner Erzählung "Das Gesetz."...
Der moderne Leser kann den Texten Heines heute unvoreingenommen begegnen; der zeitliche Abstand zu den Epochen ist groß, in denen das Publikum den bösartigen Geschmacksprägungen durch eine antisemitische Kritik und Philosophie ausgesetzt gewesen ist. Aber es wäre eine Illusion zu glauben, so Klaus Briegleb, dass Heines Schriften unverstellt von den Klischees seien, die seit über hundert Jahren die Urteilskraft der Heine-Freunde und Heine-Gegner trüben.
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