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Nietzsches Gottesbegriff
"Der Begriff Gott war bisher der größte Einwand gegen das Dasein...Wir leugnen Gott, leugnen die Verantwortlichkeit in Gott: damit erst erlösen wir die Welt."(WzM) Der Vater in Gott sei gründlich widerlegt, meint Nietzsche, ebenso der Richter, der Belohner, insgleichen sein freier Wille, er hört nicht - und wenn er hörte, wüsste er trotzdem nicht zu helfen. Das Schlimmste ist: er scheint unfähig, sich deutlich mitzuteilen: Ist er unklar? - "Dies ist es, was ich als Ursache für den Niedergang des europäischen Theismus in vielerlei Gesprächen fragend, hinhorchend, ausfindig gemacht habe; es scheint mir, dass zwar der religiöse Instinkt mächtig im Wachsen ist, dass er aber gerade die theistische Befriedigung mit tiefem Misstrauen ablehnt." Nietzsche greift hier unmittelbar die Anliegen Hiobs auf, für den die bloße Preisgegebenheit nicht sowohl in das Leiden als in die Sinnlosigkeit desselben keine legitime Antwort auf die Fragen seiner religiösen Redlichkeit bedeutet.
"Ein Gott, der die Menschen liebt, vorausgesetzt, dass sie an ihn glauben, und der fürchterliche Blicke und Drohungen gegen jene schleudert, die nicht an diese Liebe glauben", so charakterisiert Nietzsche den Christengott. Wenn Gott wirklich ein Gegenstand der Liebe werden wollte, dann hätte er sich zuerst des Richtens und der Gerechtigkeit begeben müssen:" . . ein Richter, und selbst ein gnädiger Richter, ist kein Gegenstand der Liebe. "Gott ist ein Krankengott, so wie sich Christen Gott vorstellen, ist das nicht nur ein Irrtum, sondern Verbrechen am Leben." Nietzsche will dagegen nur an einen Gott glauben, "der zu tanzen verstünde." "Verloren sei uns der Tag, wo nicht einmal getanzt wurde."
Der das ganze christliche System verklammernde Zentralbegiff ist für Nietzsche der Gottesbegriff, der herausgebrochen werden müsse. Denn in der Idee eines alles leitenden und überschauenden Gottes sei der "größte Einwand gegen das Sein" zur Weltherrschaft gelangt. Diese Herrschaft müsse gebrochen werden. Die Machtfülle Gottes ging aus Akten menschlicher Selbstverarmung hervor. Weil es der Menschheit an Mut zu sich selbst gebrach, trat sie ihre höchsten und heiligsten Attribute an die Fiktion eines über ihr stehenden Gottes ab. Diese müssen wieder für ihren ursprünglichen Besitzer reklamiert werden.
Nur in der Feststellung, dass die Beziehung zu Gott abgebrochen sei, besteht für Nietzsche die den Menschen allein zugängliche Form des Atheismus, das, was er den menschenmöglichen Atheismus nennt. Nietzsche möchte durch die Strategie der Gott-Losigkeit den Menschen zur letzten Steigerung seiner Möglichkeiten führen. "Wenn wir nicht aus dem Tod Gottes eine großartige Entsagung und einen fortwährenden Sieg über uns machen, so haben wir den Verlust zu tragen."
Nietzsche berauscht sich stattdessen an der ewigen Wiederkehr. In die ungeheure Leere, die der Tod Gottes hinterließ, tritt für ihn alles erfüllend die dionysische Welt. Sie bedarf keines göttlichen Grundes und erst recht keines Ziels. In einem Kraftakt ohnegleichen sucht der Philosoph die bereits aus den Fugen gegangene und dem Nichts entgegendriftende Zeit vollends aus ihrer Verankerung zu reißen, um Raum für eine Alternative zu gewinnen.
Nietzsche weiß um die seit Kopernikus und Kant wachsende, schon von den Sophisten und von Platon formulierte Einsicht in die Endlichkeit menschlichen Erkennens. Er macht bewusst, auf welche Sicherheiten der Mensch verzichten müsse, wenn er mit der Einsicht in die Endlichkeit seines Erkennens und Handelns Ernst macht.
Ernst Benz(1907-1978)schreibt hierzu:"Wie soll der Mensch seine redliche Zustimmung einer Wahrheit geben, welche ihm das Geheimnis seiner Existenz zu enthüllen verspricht, ihm aber im vorhinein jede Prüfung ihrer Lehren nach Maßgabe der Fähigkeiten verbietet, auf die er sich kraft der geschöpflichen Ausrüstung dieser Existenz zur Orientierung in der Welt und über sie angewiesen sieht? Wenn die Erfahrung von Antwortlosigkeit in aller Verlorenheit nicht das letzte Ergebnis redlichster Bemühungen der Menschheit in der religiösen Frage sein soll, dass vielmehr in Wahrheit Gott finden kann, wer ihn als Wahrheit mit der äußersten Redlichkeit seines Willens zu ihr sucht, dass die Wirklichkeit einer erfahrbaren Geborgenheit aufgetan wird dem, der um sie aus der erfahrenen und redlich eingestandenen Überlöstheit seiner geschöpflichen Existenz anklopft, dass es einen eindeutig versteh- und redlich befolgbaren Glauben gibt, mit dem der Mensch nicht allein sterben, sondern durch den er leben kann, ohne einem diese Existenz überfordernden Entweder-Oder zu verfallen im Sinne Kierkegaards, im Sinne des mit dem Hammer philosophierenden Denkers Nietzsche, der Pascalschen 'Angst des Vielleicht-Verurteilten' oder dem dionysischen Pessimismus Nietzsches zu verfallen -, dass es endlich Freunde gibt, die solchen Glauben mit aller Redlichkeit vertretend, legitimiert sind, nicht nur Unüberprüfbares oder gar für heilsam erklärte Prüfungen als Gottes Wort, sondern prüfbar als sich bewährendes Heil als Gottes Antwort zu verkündigen: Nietzsche wäre“ der Letzte gewesen, meint Benz abschließend, der dies als letzte Wünschbarkeit geleugnet hätte.
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