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Das Christentum will die Starken zerbrechen

Was wir am Christentum bekämpfen, sagt Nietzsche ferner, ist, dass es die Starken zerbrechen will, dass es ihren Mut entmutigen, ihre schlechten Stunden und Müdigkeiten ausnützen, ihre stolze Sicherheit in Unruhe und Gewissensnot verkehren will, dass es die vornehmen Instinkte giftig und krank zu machen versteht, bis sich ihre Kraft, ihr Wille zur Macht rückwärts kehrt, gegen sich selber kehrt - bis die Starken an den Ausschweifungen der Selbstverachtung und der Selbstmisshandlung zu Grunde gehen.." das berühmteste Beispiel sei Pascal.

Der Hass Nietzsches gegen das Christentum richtet sich prinzipiell gegen den Gedanken der Gleichheit vor Gott, als dessen Konsequenz erst man die Wendung der praktischen Interessen zu den geistig Armen, den Mittelmäßigen, den Zukurzgekommenen ansehen könne. Dass die Seele jedes armen Schächers, jedes kleinen Lumpen und Dummkopfs denselben metaphysischen Wert haben soll wie die Michelangelos und Beethovens - das ist der Scheidepunkt der Weltanschauungen.

Im Liberalismus, Sozialismus, in der Demokratie mögen sie sich noch so antichristlich gebärden, sieht Nietzsche wesentlich ein Ergebnis des Christentums. In ihnen lebt das Christentum fort. Nietzsche denkt aus christlichen Antrieben, deren Gehalt ihm verloren gegangen ist. Jaspers hebt Nietzsches Willen zur unbedingten Wahrhaftigkeit hervor, aus dem die Angriffe auf das Christentum entspringen.

Zwischenbemerkung: Man hat nicht nur Nietzsche, sondern auch Goethe Unchristlichkeit vorgeworfen. In einer berühmt gewordenen Unterredung warf Goethe ein:"Ich heidnisch? Nun ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilie verhungern lassen; ist denn das den Leuten nicht christlich genug? Was wollen sie noch Christlicheres? Goethes Sarkasmus bringt besser noch als Nietzsches überspitzte Polemik den Gegensatz zwischen der ursprünglichen "Frohen Botschaft", dem Evangelium und der bürgerlichen Entrüstungs-Moral zum Ausdruck, die zwar vorgibt, christlich zu sein, was sie aber nicht davon abhält, den ersten Stein zu werfen.

In einem protestantischen Elternhaus aufgewachsen, war Nietzsche eine asketisch-selbst verleugnende Moral vertraut, die mit Schuldängsten und Selbstentwertung erkauft wurde.

Die Christen tun nicht, was sie lehren, so Nietzsches berechtigter Vorwurf, nicht, was die heiligen Bücher sagen. "Der Buddhist handelt anders als der Nichtbuddhist, der Christ handelt wie alle Welt und hat ein Christentum der Ceremonien und der Stimmungen."

In einer Schrift über Ludwig Börne, in der Nietzsche an einer Stelle das Christentum als die Doktrin der Verzweiflung schildert, in die sich die spätantike Menschheit flüchtete, beschließt er seine Schilderung des "Selbstmordes der nazarenischen Religion" mit den Worten: "Für Menschen, denen die Erde nichts mehr bietet, war der Himmel erfunden. Heil dieser Erfindung! Heil einer Religion, die dem leidenden Menschengeschlecht in den bitteren Kelch einige süße einschläfernde Tropfen goss, geistiges Opium, einige Tropfen Liebe, Hoffnung und Glauben."


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