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Sexualität als Negation der Ethik

Im Zentrum von Weiningers Werk steht der Gedanke von der Unfreiheit und Unwahrheit aller Erotik, von der Sexualität als Negation des Ethischen und Logischen. Nur Bewusstheit sei sittlich. In seinen letzten Tagebucheintragungen hatte der Frühvollendete bekannt, hinter dem Hass gegen die Frau verberge sich der noch nicht überwundene Hass gegen die eigene Sexualität. Weib und Juden waren mithin für ihn zwei verschiedene Namen für den Naturgrund, den er fürchtete und mied. Hätte der Frauenfeind Weininger, überlegt Nike Wagner, wenigstens Männer geliebt, wäre er gerettet gewesen. "Aber sein Selbsthass, der eine Mischung war aus dem Hass auf das Jüdische und das Weibliche in sich (beide als psychische Kategorien) und dem Hass auf die männliche Sexualität, also auch Homosexualität, verbietet ihm eine Idealisierung des Mannes." Da Weininger im Grunde weder aus dem Judentum noch aus dem Geschlecht austreten konnte, steigerten sich unter dem Zwang seines Systems seine Schuldgefühle bis zur Ausweglosigkeit.

Weininger versuchte, den Juden, der angeblich ganz anders denkt und argumentiert als jedes menschliche Wesen, in sich selbst zu überwinden und scheiterte damit. Nicht von ungefähr wählte er Beethovens Sterbezimmer als Ort für seinen Freitod, denn Beethoven war der Künstler, dessen Werke Anfang des 20.Jahrhunderts mit dem "deutschen Geist" identifiziert wurden.

Das Scheitern des unschuldig-schuldigen Helden, folgert Nike Wagner, aber habe das Scheitern jener deutschen Geistesgeschichte antizipiert, "die sich auf Hitler einpendelt - aus der sendungsbewussten deutschen Kultur wird arische Ideologie und aus dem Männlichkeitskult, der nicht erst mit Nietzsche angefangen hat, entsteht der psychische, erotische und geistige Krüppel, der als 'soldatischer Typ' (Theweleit) über zwei Weltkriege hinaus zu einer unguten Stütze der deutschen Gesellschaft geworden ist."


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