Der Jude ist nicht fromm, er lächelt über Gott
Der Jude, hatte Weininger weiter behauptet, sei nicht eigentlich fromm, denn er "kann gar nicht glauben." Ja, Weininger verstieg sich in dem Nachlassbändchen "Über die letzten Dinge" sogar zu dem Satz: "Das Judentum ist das Böseste überhaupt", und in "Geschlecht und Charakter" findet sich der Satz: "Die metaphysische Schuld des Juden ist Lächeln über Gott" - eine Sentenz, die sich nicht auf das Volk des Alten Bundes, auch nicht auf die Kabbalisten und Chassidim, beziehen kann, wohl aber auf einen Menschentypus, der geradezu konstitutionell gottunfähig ist und das repräsentiert, was der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr "Verschließung gegen die Transzendenz" genannt hat. Verschließung gegen die Transzendenz meint aber auch Unfähigkeit, sich seiner Schuld bewusst zu sein. Weininger hat viel und intensiv über das Schuldproblem nachgedacht und unter einem radikalen Schuldbewusstsein gelitten. Der einzelne sei, so seine Überzeugung, schon durch seine Geburt schuldig. "Jedes wahre, ewige Problem aber ist ebenso wahre, ewige Schuld; jede Antwort eine Sühnung, jede Erkenntnis eine Besserung." Damit setzte er sich entschieden ab vom Positivismus der damaligen Universitätsphilosophie, dem er anfänglich verpflichtet war, als auch von Kant, in dem er eine Zeitlang seinen philosophischen Leitstern gesehen hatte. Gewiss musste Weininger seine Philosophie, die den Willen zur Wahrheit und zum Wert zum ausschließlichen Lebensziel setzte, den Genuss des Ruhms als Eitelkeit verderben. Jeder sittliche Mensch fühle sich schuldig, meinte er und verdammte Frauen und Juden dafür, kein Schuldbewusstsein zu haben. (Gertrud Kolmar und Simone Weil sind freilich dafür der beste Gegenbeweis, aber nicht nur sie.)