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Posthumer Nachruhm
Dem Tod Weiningers folgte schnell posthumer Nachruhm. "Geschlecht und Charakter" wurde zum begehrten Kultbuch und der Autor zur Legende. Sein Weltkonzept faszinierte und beeinflusste nachhaltig nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch die nachfolgende Generation. Kaum einer konnte sich dem entziehen. Unbestritten war Weininger ein Modedenker seiner Zeit. Lieferte er doch der vorherrschenden Meinung ein kühnes metaphysisches und zugleich philosophisch-psychologisches Amalgam, das er sogar mit dem hohen sittlichen Ideal Kants krönte. Jedermann konnte sich da nach Belieben bedienen.
Mit ihm geistesverwandt erwies sich alsbald der Leipziger Arzt Paul Julius Möbius, dessen bekanntestes Werk "Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes" sich ebenfalls als überaus erfolgreicher Publikumsrenner herausstellte. Dem Treuesten unter Weiningers Epigonen, dem Schriftsteller Arthur Trebitsch, gelang es sogar, seine jüdische Abstammung beinahe vollkommen zu verheimlichen. Er war stolz auf sein "arisches" Erscheinungsbild und biederte sich bei Erich von Ludendorff und Ernst von Salomon an, mit denen er die Welt vor der "semitischen" Gefahr retten wollte.
Wie Otto Weininger wollte auch Trebitsch das die Welt bedrohende Unheil an der Wurzel packen, deswegen konnte er Weiber und Juden nicht ausstehen.
Die Liste illustrer Verehrer und Bewunderer ist lang. August Strindberg ehrte "sein Gedächtnis als das eines tapferen männlichen Kämpfers" und sprach von dem unverrückbaren Faktum, dass das Weib nichts als ein rudimentärer Mann sei.
In seinem Briefwechsel mit Weiningers Freund Artur Gerber betrachtete Strindberg das sogenannte Frauenproblem durch Otto Weininger als gelöst und bekannte am 8. Dezember 1903: "Ich glaube jetzt, dass ich Böses getan, bevor ich geboren war. Ich bin auch wie Weininger religiös geworden aus Furcht, ein Unmensch zu werden. Ich vergöttere auch Beethoven, habe sogar einen Beethoven-Klub gestiftet, wo man nur Beethoven spielt. Aber ich habe bemerkt, dass sogenannte gute Menschen Beethoven nicht vertragen. Er ist ein Unseliger, Unruhiger, der nicht himmlisch genannt werden kann: überirdisch gewiss." Heimito von Doderer pries Weininger noch 1963 als den "Glorreichen" und verewigte ihn in seinen Romanen. In der "Strudelhofstiege" heißt es: "Er repräsentierte einen Gelehrten-Typus, der hoffentlich wieder einmal zeitgemäß werden wird." Jacques Le Rider wiederum bekennt, dass sein Interesse an Weininger sich aus der Beschäftigung mit dem Werk Heimito von Doderers während seines einjährigen Studienaufenthaltes in Wien 1974 bis 1975 ergeben habe.
Italo Svevo erwähnte Weininger ebenso wie Isaac Bashevis Singer, Alban Berg, Robert Musil und Walter Serner. Für Alfred Kubin war Weininger "der größte Mensch dieses Jahrhunderts". Selbst Wittgenstein blieb ihm treu und befand noch 1931 gegenüber seinem Mentor, dem Philosophieprofessor George Edward Moore, dem misogynen Kasuisten aus Wien, über Weininger:"Es stimmt, er ist verschroben, aber er ist großartig großartig verschroben .... Sein gewaltiger Irrtum, der ist großartig."
Auch Hermann Broch hat sich neben Nietzsche und Schopenhauer intensiv mit Weininger befasst, sich jedoch später von beiden zu Gunsten von Kant distanziert. In Arthur Schnitzlers "Der Weg ins Freie" (zwischen 1905 und 107 geschrieben) beschuldigen sich die Juden einander des Selbsthasses.
Weininger war ferner Gegenstand einer Fallstudie in Theodor Lessings Buch von 1930 "Der jüdische Selbsthass", in dem zum ersten Mal dieses Phänomen zusammenhängend gedankenreich, wenn auch eher unsystematisch, behandelt wurde.
Der Erfolg des "wildbewegten" Buches, wie Lessing Weiningers Werk nannte, war erstaunlich. Die bedeutenden Denker jener Tage: Georg Simmel, Henri Bergson, Fritz Mauthner, Alois Höfler lasen es und setzten sich in Kollegs und Gegenschriften mit Weiningers scharfsinnigen Gedanken auseinander. Alle waren sich einig, dieser dreiundzwanzigjährige Student müsse ein Genie sein. Viele Schriften sind über Weininger und sein System geschrieben worden, viele versuchten Weiningers Lehre zu rechtfertigen, "welche doch nichts ist", so legt Lessing in seinem Essay dar, "als ein tolles Naturspiel von krankhafter Verstiegenheit und von brutaler Willkür. Ich meine die krüde und rüde Lehre vom Judentum." Sie ist der Schlüssel zu dem ungeheuren Schicksal eines tragischen Selbsthasses. Jüdischer Ödipus und herakliteische Natur in einem, nennt Lessing den Philosophen.
Karl Kraus hat die Bedeutung von Weiningers Werk sofort erkannt, obwohl Kraus "Weib und Lust" durchaus bejahte. "Ein Frauenverehrer stimmt den Argumenten Ihrer Frauenverachtung mit Begeisterung zu", hatte Kraus Weininger wissen lassen. Er widmete ihm einen ergreifenden Nachruf, in dem er schrieb: "Dieser Selbstmord war in einem Anfall von geistiger Klarheit begangen...Weininger hatte Gründe, metaphysische und religiöse, im Beginn einer großen Laufbahn das Leben wegzuwerfen.
Der Schriftsteller Karl Bleibtreu äußerte sich ähnlich: "Philosophische Gewissheit der Unsterblichkeit jeder Seelenmonade kann dazu verführen, lieber sofort das unbekannte Land jenseits der Bewusstseinsschwelle aufzusuchen als sich länger in unsrer Kleinlichkeit und Niedrigkeit herumzuschlagen." Im Grunde sei Weiningers Tod, so Bleibtreu, eine "höhnische Absage an unser Zeitalter" gewesen.
Nicht nur Karl Kraus und die "Fackel-Leser" bejahten Weiningers Genietheorie. Sein Antifeminismus wurde zur modernen Charakterologie der "neuen Frau". Für viele wurde später ihre Weininger-Verehrung zur Ausgangsposition für den Kampf gegen Psychoanalyse, wie etwa bei Heimito von Doderer und Ernst Jünger.
Oswald Spengler bezeichnete ihn als einen Heiligen des Judentums, "dessen Tod in einem magisch durchlebten Seelenkampf zwischen Gut und Böse einer der erhabensten Augenblicke später Religiosität ist", und Friedrich Jünger meinte: "Inmitten der Moderne, deren transzendente Leere er erkennt, ist er der transzendente Mensch, der untergeht." Eine junge Verehrerin gemahnt Weininger sogar an "Jesus Christus".
Elias Canetti berichtet in seinen Memoiren, dass selbst zwanzig Jahren nach Weiningers Selbstmord noch immer an den meisten Wiener Kaffeehaustischen über das frauen- und judenfeindliche Traktat diskutiert worden sei.
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