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Weininger in der Gegenwart
In den dreißiger Jahren und in den Jahrzehnten danach geriet Weininger eine Zeitlang in Vergessenheit, obgleich noch 1953 sein Buch ins Hebräische übersetzt wurde.
In der Postmoderne, in der die Dekadenz der Epoche Weiningers und ihr irrationaler Lebensschmerz neuerlich studiert und empfunden wurden, erfreute sich Otto Weininger gleichfalls eines erneuten Interesses, zuerst in Italien, dann in Frankreich und in den achtziger Jahren auch in der Bundesrepublik. Allerdings blieb die vor drei Jahren in Amerika erschienene umfassende Studie über den Anti-Feministen Otto Weininger von Chandak Sengoopta in Deutschland bisher ohne Pendant.
Nicht unterschlagen werden soll jedoch, dass der israelische Dramatiker und "Ghetto"-Dichter Yehoshua Sobol ein Theaterstück mit Weininger als Theaterfigur verfasst hat mit dem Titel:"Die Seele eines Juden - Weiningers letzte Nacht". Am Stadttheater Haifa hatte seine Präsentation Anfang der achtziger Jahre für einige Aufregung gesorgt. 1985 wurde es in Düsseldorf und 1986 in Hamburg aufgeführt, hier jedoch mit beachtlichem Erfolg.
Nach Meinung von Joachim Riedl ist dieses Stück ein "Melodram", "eine etwas eilige und vulgäre Traumreise durch Weiningers Lebenstraumata, angefüllt mit lauthalsen Tiraden, für die Sobol ungeniert Bruchstücke aus Weiningers Oeuvre gerissen habe. Bestenfalls eine tragische Travestie, spekuliere das Stück mit dem Antisemitismus seiner Hauptfigur. "Verglichen damit empfinde ich das Frankfurter Fassbinder-Stück als geradezu harmlos", meint der Weininger-Forscher Jacques Le Rider: "Zum ersten Mal wird in Deutschland eine Judenschelte durch einen Israeli an Hand deutschen Kulturgutes auf die Bühne gebracht."
In der Bundesrepublik kommt Weininger in verschiedenen Studien eher am Rande vor, wie etwa in Melanie Unselds Untersuchung "Man töte dieses Weib! Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende"(2001), in der die Autorin nachweist, welche unheilvollen Auswirkungen die frauenfeindliche und protofaschistische Schrift von Otto Weiningers "Geschlecht und Charakter" auf viele Künstler gehabt hat, zum Beispiel auf Arnold Schönberg und Alban Berg, der Weiningers Werk gründlich studiert und viele Passagen in eine Zitatensammlung aufgenommen hat, die dann wiederum in seine Oper "Lulu" eingeflossen sind.
Schönberg seinerseits muss vieles von dem vorausgeahnt haben, was unsere Gegenwart erst in den letzten Jahrzehnten wirklich geprägt hat, als er schrieb: "Unsere Zeit sucht vieles. Gefunden aber hat sie vor allem etwas: den Komfort. Der drängt sich in seiner ganzen Breite sogar in die Welt der Ideen und macht es uns so bequem, wie wir es nie haben dürften....die Voraussetzung der Bequemlichkeit ist: die Oberflächlichkeit. Aber der Denker, der sucht, tut das Gegenteil. Er zeigt, dass es Probleme gibt, und dass sie ungelöst sind. Wie Weininger und alle anderen, die ernsthaft gedacht haben."
Auch der italienische Schriftsteller Alberto Savinio (eigentlich hieß er Andrea Chirico, lebte von 1891 bis 1952 und war der Bruder des Malers Giorgio de Chirico) sah in Weininger neben Nietzsche und Schopenhauer seinen intellektuellen Ahnherr, wie Andrea Grewe in ihrer Schrift "Melancholie der Moderne, Studien zur Poetik Alberto Savionis" (2001) herausgestellt hat.
Christina von Braun kommt in ihrem voluminösen Werk "Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht (2001) ebenfalls immer wieder auf Otto Weininger zu sprechen ebenso der englische Autor Peter Watson in seinem gleichfalls recht umfangreichen Band "Das Lächeln der Medusa. Die Geschichte der Ideen und Menschen, die das moderne Denken geprägt haben"(2000). Watson bescheinigt Otto Weininger, dem "Sohn eines antisemitischen, wenngleich jüdischen Kupferstechers", ein arroganter 'Kaffeehaus-Geck' und als Kind noch frühreifer als Hoffmannsthal" gewesen zu sein. Auch Nike Wagner zeigt sich in "Traumtheater" (2001) mit Leben und Werk Otto Weiningers wohl vertraut.
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