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Krimis mit metaphysischer Basis

Dem klassischen Kriminalroman liegt indirekt und säkular verwandelt eine metaphysische Basis zugrunde, ein Vorsehungsglaube im weltlichen Gewand, der in einer Zeit zunehmender Glaubenslosigkeit und religiöser Entwurzelung profanen Ersatz bietet. Dieser Krimi lebt noch von der Zuversicht, dass Verbrechen weder verborgen bleiben noch sich auszahlen und dass ihre Verursacher eines Tages der gerechten Strafe zugeführt werden. In den moderneren Krimis bleibt das Unrecht hingegen nicht selten bestehen so wie im täglichen Dasein, in dem wir ebenfalls, wohl oder übel, mit einem gewissen Quantum an Ungerechtigkeit leben müssen. Schon Wimsey musste nach der Aufklärung eines Falles manchmal resigniert feststellen, dass die Welt dadurch um keinen Deut besser geworden sei. In Spangenbergs "Der Lachs tanzt Blues" meint ein englischer Geistlicher, genannt der Dean: "Ich kann nur einzelne Täter möglicherweise hindern, noch mehr Schaden anzurichten. Ich habe aber keinen Einfluss auf den positiven Fortgang des Lebens", und er zitiert Peter Wust mit den Worten: "Die Welt, dividiert durch die Vernunft, geht nie ohne Rest auf."

Hin und wieder ist der Detektiv auch mit dem Teufel im Bunde. Aber vielleicht hat ja Werner Bergengruen Recht, wenn er in seinem Roman "Der Großtyrann und das Gericht", den man durchaus als Kriminalroman mit unübersehbaren theologischen Aspekten lesen kann, schreibt, dass der Teufel "nicht ohne Gottes Zulassung handeln" könne. So verschieden die Motive und die Charaktere der Detektive auch sein mögen, einerlei ob sie nun gottesfürchtig sind oder nicht, auf die Suche nach dem Übeltäter begibt sich kaum einer von ihnen nur für Gotteslohn. Zuweilen rufen Krimi-Schriftsteller oder ihre Stellvertreter, die Kommissare, wie etwa Herbert Reinecker und sein in aller Welt berühmt gewordener unvergesslicher Fernseh-Oberinspektor Stefan Derrick, ob der vielen Untaten, mit denen er und sein Gehilfe Harry tagtäglich konfrontiert wurden, protestierend in die Welt hinein, ärgerlich oder ironisch, und klagen Gott an in Wut und in Schmerz über die Unvollkommenheit seiner Kreaturen.

Nicht jede Tat wird gesühnt. Nicht jede Tat findet einen Richter. Ein Kemelman-Krimi endet damit, dass der Täter davonkommt, weil die Polizei bei den Ermittlungen Fehler gemacht hat und weil dem Verdächtigen die Tat nicht lückenlos nachgewiesen werden

kann. Rabbi Small tröstet sich damit, dass der Täter die Strafe sozusagen in sich trägt. Denn wer gegen göttliche Gebote verstößt, verstößt im Grunde gegen sein eigenes Menschsein und ist damit bestraft genug, wobei indessen offenbleibt, wie diese Bestrafung im einzelnen aussieht. Gleichwohl ist dies ein Gesichtspunkt, der den Leser über die Lektüre des Buches hinaus beschäftigen kann und ihn vielleicht über die Widersprüche des menschlichen Daseins ein wenig hinwegtröstet.

Fragen nach Schuld, Reue, Sühne, Gnade und Vergebung werden indessen auch in Krimis aufgeworfen, in denen der theologische Background nicht offen zutage tritt. Phyllis Dorothee James zum Beispiel, die wie Dorothy Sayers tief religiös ist, lotet die Abgründe menschlicher Gefühle genau aus und vernachlässigt, im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen und Kolleginnen, niemals die moralische Dimension. Eine ihrer Botschaften lautet: Mord ist ein Verbrechen, dass das Leben aller, die mit ihm in Berührung kommen, verändert. Eisern hält sie wohl an den Prinzipien von Schuld und Sühne fest, sieht aber zugleich in Verbrechern verzweifelte Menschen, die Halt und Hoffnung verloren haben, was sie allerdings von ihrer Schuld nicht befreit. Wie einst Judas habe auch der Mörder, glaubt sie, die Wahl zwischen Reue und Verdammnis, zwischen Umkehr und Untergang.

Der 1957 in Freiburg im Breisgau geborene und seit 1975 in Los Angelos lebende deutsche Autor und Regisseur Patrick Roth schreibt in sogenannten biblischen Krimis mit Vorliebe über religiöse Erfahrungen und religionsgeschichtliche Episoden. Nach seiner Christusnovelle "Riverside" und "Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten" hat Roth in seinem dritten Bibel-Krimi "Corpus Christi", in dem Thomas, der Zweifler im Mittelpunkt steht, subtil die in den früheren Büchern angeschnittenen Themen und Fragen weitergeführt, während er in seinem neuesten Band "Die Nacht der Zeitlosen" den Schauplatz zwar in die Gegenwart verlegt, in die aber eine mythische Zeit hineinragt, wobei Heilsgeschichte und Hollywood miteinander verzahnt werden.


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