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Inhalt des Romans
Der Roman spielt Anfang des 20.Jahrhunderts im jiddischen Schtetl Zuchnow, in Südwest-Russland. Die Eheleute Mendel und Deborah Singer führen ein karges, aber wie es auf den ersten Blick scheint, zufriedenes Leben, nur Frau Deborah ist hin und wieder etwas missmutig und seufzt dann vor sich hin. Im Vergleich zu seiner Frau wirkt Mendel eher in sich ruhend und geschlossen. Das Unglück beginnt, als das 4.Kind geboren wird, Menuchim. Er ist Epileptiker oder wie es auch heißt, ein Krüppel. Ärztliche Hilfe lehnen die Eltern ab, dafür sucht Deborah Hilfe beim Rabbi. Der prophezeit ihr, das Kind würde eines Tages gesund, sie solle nur Geduld haben. Beide Eheleute sind fromm, Mendel noch mehr als seine Frau. Die Liebe ist zwischen beiden allmählich erloschen, die Geschwister versuchen sogar, den verkrüppelten Bruder umzubringen. Die Welt der Ostjuden, so wie Roth sie schildert, wirkt trostlos und hat mit der oft besungenen Schtetl-Romantik nicht viel zu tun, mit der wir so gern das Ostjudentum verklären. Es liegt sehr viel Melancholie über der ganzen Geschichte und über dieser für uns doch sehr fremden und fernen Welt
Als die Kinder größer und die Eltern älter werden, nehmen die Alltagssorgen zu, die beiden älteren Jungen, Jonas und Schemarjah, sind gesund und sollen zum Militär, das dem Zaren unterstellt ist - zum Entsetzen der Eltern werden sie auch angenommen. Das Dilemma besteht darin, dass sie nach dem Gesetz zu den Soldaten sollen und nach der Tradition ihrer Väter sich vor dem Dienst retten müssen, denn ein Jude kann nicht ungestraft einem anderen Gott dienen. Zudem wurden Juden im Soldatendienst häufig zur Taufe gezwungen. Der Soldatendienst kam mithin für einen Juden nicht selten einem Abfall vom Glauben gleich.
Deborah macht ihrem Mann Vorwürfe, weil er untätig ist, sich passiv verhält und sich nicht für die Familie einsetzt. Sie selbst ruft Himmel und Hölle zur Hilfe. "Sie pocht an hundert Gräber, an hundert Türen des Paradieses." Ihrem Mann hält sie vor: "Der Mensch muss sich zu helfen suchen, und Gott wird ihm helfen. So steht es geschrieben; Mendel! Immer weißt du die falschen Sätze auswendig."
Gegen ihren Mann findet Deborah oft heftige Widerworte, doch wirkt sie keineswegs so unsympathisch wie die Frau des biblischen Hiob.
Mendel wiederum fühlt sich in seinem Selbstbewusstsein beschädigt. Die Entfremdung zwischen beiden nimmt zu. Deborah rafft alles Ersparte zusammen, um die Söhne freizubekommen, aber das Geld reicht nur für einen, Jonas will ohnehin zum Militär, wie sich bald herausstellt. Der andere kann fliehen mit Hilfe von Fluchthelfern, die seine Mutter bezahlt - er flieht nach Amerika, wo er es tatsächlich zu etwas bringt. Zur Familie gehört noch eine Tochter, Mirjam, die, als sie flügge zu werden beginnt, sich mit Kosaken herumtreibt. Sie ist attraktiv und geradezu erotoman. Für Mendel bricht eine Welt zusammen, als er dies bemerkt, denn Kosaken sind "Erzfeinde" der Juden und ausgerechnet mit einem von ihnen begeht Mirjam, nach seiner Auffassung, Verrat an den moralischen und religiösen Grundsätzen des Judentums. Eines Tages kommt tatsächlich ein Brief aus Amerika, überbracht von einem amerikanischen Freund. Er überreicht ihnen außerdem zehn Dollar. Die Familie beschließt, nach Amerika zu fahren. Mendel glaubt, er könne auf diese Weise, Mirjam davon abhalten, auf die schiefe Bahn zu kommen. Allerdings muss Menuchim wegen seiner Behinderung zum großen Leidwesen seiner Eltern zurückbleiben.
Doch bevor wir die Familie nach Amerika begleiten, betrachten wir erst einmal die beiden Hauptpersonen, Mendel und Deborah, noch etwas genauer:
Von Mendel Singer heißt es, als viele vor der Pest fliehen, er, "der Gerechte, floh vor keiner Strafe Gottes." Er war, so liest man an einer Stelle, "von schlichter Frömmigkeit". Er ist voll Vertrauen auf Gott und meint, man solle sein Schicksal tragen. Aber er verbindet mit Gott in erster Linie die Merkmale von Gerechtigkeit und Bestrafung, weniger die Attribute von Erbarmen, Güte und Liebe.
Deborah wiederum "glaubte, wie es geschrieben stand, dass Gottes Licht in den Dämmernissen aufleuchtete und seine Güte das Schwarze erhelle." Aber ihr und auch Schemarjah ist der Gedanke nicht fremd, dass der Mensch sein Schicksal mit formt. Sie handelt, während sich ihr Mann weitgehend passiv verhält.
Mendel beginnt allmählich zu glauben, dass Gott sie gestraft habe. "Die Armen sind ohnmächtig", sagt er, "Gott wirft ihnen keine goldenen Steine vom Himmel". "Er durchforscht sein Gehirn nach einer Sünde", findet aber keine, zumindest keine schwere. Er ist einsam, furchtsam und demütig, nicht nur vor Gott, und lässt sich demütigen, vor allem von Menschen auf Behörden. Er verkörpert zunächst ganz den demütigen Dulder Hiob.
Roth beschreibt in diesem Zusammenhang eine kleine Szene, die wie eine Utopie wirkt, von der wir heute noch immer weit entfernt sind trotz mannigfaltiger Bemühungen und Initiativen: Mendel Singer kehrt vom Amt zurück, auf dem er sein Auswanderungsersuchen gestellt hatte, und verbringt mit dem Bauer Sameschkin die Nacht am Straßenrand auf der nackten Erde. Mendel betrachtet die Natur und denkt: "All das hat der Herr in sieben Tagen geschaffen. Und wenn ein Jude nach Amerika fahren will, braucht er Jahre!"
- (Hier wird auf einen alten jiddischen Witz angespielt: Ein vornehmer Herr bestellt bei einem ostjüdischen Schneider einen Anzug. Es dauert lange Zeit, bis der Anzug fertig ist, aber er ist tadellos geworden, an ihm gibt es nichts auszusetzen. Als der Auftrageber den Anzug abholt, ist er mit der Ausführung wohl zufrieden, bemängelt aber die Zeitdauer der Fertigstellung, die der Anzug gebraucht hat, und weist darauf hin, dass Gott die Welt immerhin in nur sieben Tagen geschaffen habe. Darauf entgegnet der Schneider: "Ja, dann sehen Sie sich mal die Welt an und vergleichen ihre Ausführung mit der des Anzugs, an dem gibt es nichts auszusetzen, aber an der Welt. Oh je") -
Kurz darauf schmiegt sich Mendel an den Bauern und weint: "Der Bauer drückt seine Fäuste gegen die Augen, denn er fühlt, dass auch er weinen würde. Dann legt er einen Arm um die dünnen Schultern Mendels und sagt leise:" Schlaf, lieber Jude, schlaf dich aus." Eine rührende Szene, die Versöhnung andeutet, zwischen den Menschen und den verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Mendel hofft bis zum Schluss, dass Gott ein Wunder tut, damit sie den kranken Sohn mitnehmen können. Hoffnung auf Wunder spielen in diesem Buch eine große Rolle, aber diese erfüllt sich lange Zeit nicht.
Mendel ist noch immer fest davon überzeugt, dass Gott die Gebete frommer Juden erhört, "wenn wir nichts Unrechtes tun. Wenn wir aber Unrechtes tun, kann er uns strafen." Aber Menuchims Zustand ändert sich nicht, und so fahren die Eltern mit Mirjam, schweren Herzens nach Amerika. Deborah ist im Grunde völlig verzweifelt. - Es gelingt Roth sehr gut, diese Verzweiflung eindringlich darzustellen. - Sie kommen nach Amerika, und im Augenblick der Ankunft hat Mendel das Gefühl, sich selbst abhanden gekommen zu sein. Isolation, Unvertrautheit, Heimatlosigkeit klingen hier besonders stark an.
Nach einigen Monaten jedoch fühlt sich die Familie in Amerika, im jüdischen Viertel von New York, wie zu Hause, und man fragt als ungeduldiger Leser, warum dieser Mendel ein Hiob sein soll, denn allzu viel Schlimmes ist ja, bei oberflächlicher Betrachtungsweise, trotz allem noch nicht geschehen, obwohl Hiobs alias Mendels Schicksal hier im Grunde schon mit der Geburt Menuchims beginnt: Auseinanderleben der Eheleute, Kinder entfernen und entfremden sich von den Eltern, die Kommunikation ist durch die Kälte der Beziehungen zwischen ihnen allen schon der alten Heimat stark gestört. (Aber das sind Phänomene, die heute vielfach schon zum Ehealltag gehören, man denke nur an die vielen Ehescheidungen.)
Mendel selbst empfindet die aufkommende Zufriedenheit in Amerika "wie ein fremdes, geborgtes Kleid". Doch das Unglück schreitet schnell, wie es bei Schiller heißt oder volkstümlich ausgedrückt: dann kommt es ganz dicke. Der erste Weltkrieg bricht aus, 1917 nimmt auch Amerika daran teil, Sam wird Soldat und wird im Krieg getötet, Jonas ist in Russland verschollen. Deborah gerät außer sich vor Kummer, reißt sich die Haare aus und stirbt darüber. Mirjam, der Gefahr drohte durch einen neuen "Kosaken", durch Herrn Glück, (ihr Freund Mac, Geschäftspartner von Sam ist im Krieg) verfällt dem Wahnsinn und kommt in eine Anstalt. Nachdem sich die Hiobsbotschaften nun so gehäuft haben, dass Mendel sie nicht verkraften kann, fühlt er sich von Gott ungerecht behandelt, und er gibt, salopp ausgedrückt, dem Herrn und Schöpfer den Laufpass, er will den Gebetsmantel und alles was dazu gehört verbrennen, ja, er will Gott selbst verbrennen und bezeichnet sein früheres Frommsein als Verrücktsein. "Aus, aus, aus ist es mit Mendel Singer", ruft er.
Aber vier Juden, die das Feuer wahrgenommen haben, kommen zu ihm und reden ihm gut zu. Sie halten ihm seine eigenen bisherigen Ansichten vor, dass "Gottes Schläge einen verborgenen Sinn" hätten, erinnern ihn an den biblischen Hiob, dem Ähnliches geschehen sei. Die Rede ist von Wundern, an die Mendel nun nicht mehr glauben will.
"Gott ist grausam, und je mehr man ihm gehorcht, desto strenger geht er mit uns um.. Befolgst du die Gesetze, so sagt er, du habest sie nur zu deinem Vorteil befolgt. Und verstößt du nur gegen ein einziges Gebot, so verfolgt er dich mit hundert Strafen.. Gütiger als Gott ist der Teufel. Da er nicht so mächtig ist, kann er nicht so grausam sein.."
Rosenberg fragt nach, ob Hiob nicht vielleicht doch eine Schuld auf sich geladen habe, weil er Menuchim zurückgelassen habe. "Vielleicht, lieber Mendel, hast du Gottes Pläne zu stören versucht, weil du Menuchim zurückgelassen hast? Ein kranker Sohn war dir beschieden, und ihr habt getan, als wäre es ein böser Sohn."
Mendel lässt sich auf nichts ein und lässt sich nicht trösten. Doch plötzlich wird er beredt: "Nein, meine Freunde! Ich bin allein, und ich will allein sein. Alle Jahre habe ich Gott geliebt, und er hat mich gehasst. Alle Jahre habe ich ihn gefürchtet, jetzt kann er mir nichts mehr machen. Alle Pfeile aus seinem Köcher haben mich schon getroffen. Er kann mich nur noch töten. Aber dazu ist er zu grausam. Ich werde leben, leben, leben."
Von diesem Zeitpunkt an betet er nicht mehr, aber seine Freunde, die ihn vor dem Schlimmsten bewahrt haben, sorgen dafür, dass er nicht vollends untergeht. "Obwohl Mendel mit Gott böse war, herrschte Gott noch über die Welt. Der Hass konnte ihn ebenso wenig fassen wie die Frömmigkeit", so überlegt Mendel. Er betet nicht mehr zu Gott. Seine Existenz leugnet er nicht, wohl aber dessen Güte und Gerechtigkeit. Denn für Mendel steht jetzt fest: "der Vater war mächtig und böse."
Alle anderen beten, weil sie sich fürchten, aber Mendel fürchtet sich nicht mehr und betet daher nicht mehr. Er war böse auf Gott und dachte sich Lästerungen sondergleichen aus. Er durchlebt in der nun folgenden Zeit Höllenqualen, die er sich aber nicht so recht eingestehen will.
Eines Tages taucht, dank der Erfindung des Grammophons, in der Musikalienhandlung seines Freundes Skowronnek, in der er sich oft nützlich macht, eine neue Musikplatte auf mit einem Lied, das heißt "Menuchims Lied". Mendel wird auf seltsame Weise von dieser tröstlich wirkenden Musik, von der eine große suggestive Kraft ausgeht, anerührt. Jetzt setzt ein Katharsisprozess der Überwindung hiobsmäßiger Verzweiflung ein. Eine Vorbereitung der Versöhnung Mendels mit der Welt bahnt sich an.
Der Weltkrieg ist inzwischen zu Ende. Man schreibt das Jahr 1919. Es wird wieder einmal Frühling. Ostern naht. Mendel denkt an die alte Heimat, an die Kindheit seiner Kinder, als alle noch voll Hoffnung waren, dass der Messias kommen werde, und er beschließt, zurückzufahren nach Zuchnow und will den Ozean noch einmal überqueren.
Und dann erscheint in dem Viertel ein Kapellmeister, von dem man sich erzählt: er sei ein großer Komponist, der sich nach Mendel Singer erkundigt habe. Er heißt Alexej Kossak und kommt aus Zuchnow, und ist, kurz gesagt, kein anderer als Menuchim, der kranke Sohn von Mendel. (Roth hat diesen Vorgang sehr spannend aufgebaut, beziehungs- und anspielungsreich gestaltet und mit doppeltem Boden ausgestattet.) Er hat inzwischen ärztliche Hilfe erfahren, ist ein großer Künstler geworden und befreit den Vater aus seinem Elend. Die Weissagung des Rabbi hat sich erfüllt.
(Zwischenbemerkung: Hätten seine Eltern die ärztliche Hilfe in seiner Kindheit angenommen, als der Impfarzt ihnen diese angeboten hatte, hätte man sich den Umweg ersparen können. Denn der Arzt, der den Säugling damals untersuchte, sagte: "Ich könnte ihn vielleicht gesund machen." Aber wie sagt man doch: "Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen". So heißt, es nicht nur bei Bruce Marshall.) In diesem Zusammenhang taucht die Frage nach einem möglichen Sinn von Leid auf, die man sicherlich nicht bündig und befriedigend beantworten kann. Man kann sich jedoch die Frage stellen, ob der Mensch nicht gerade durch Umwege erst zu sich selber kommt.
Am Osterabend bzw. Pessachfest bei der Seder-Feier geschieht dann das große Wunder, an dem sich beide begegnen und sich der Sohn zu erkennen gibt. Aber nicht nur das, Menuchim überbringt dem Vater die freudige Mitteilung, dass Jonas, der seit 1915 verschollen war, lebt, und er macht ihm auch Hoffnung darauf, dass er Ärzte finden wird, die Mirjam von ihrer Verwirrtheit heilen können. Als Mendel das Bild von Menuchims Kinder, seinen Enkeln, betrachtet, ist ihm, als ob das Mädchen die Züge von Deborah trage, als werde ihm seine Frau in der Enkelin wiedergeschenkt.
Der Sohn übernimmt hier eine geradezu messianische Aufgabe und führt die Reste der Familie wieder zusammen, so wie es der von seinen Brüdern verstoßene Joseph in der biblischen Legende getan und den Stamm Israels erneuert hat.
Synchron gesehen, steigt Menuchim immer höher zu Glück und Erfolg auf, je tiefer Mendel in Hoffnungslosigkeit versinkt. Natürlich könnte man in dieser Geschichte einfach das hässliche Entchen sehen, das durch die Musik zum schönen Schwan wird. Aber biblisch gesehen, ist es die Josephsgeschichte. Der junge Joseph wird von seinen Brüdern fast ermordet und in einem "fremden" Land zurückgelassen. Dort wächst er auf, gelangt zu Ruhm und Ansehen und kann später die ganze Familie retten. Man kann bei dieser Geschichte natürlich auch an die Heimkehr des verlorenen Sohnes denken.
"Der Schmerz wird ihn weise machen, die Hässlichkeit gütig, die Bitternis milde und die Krankheit stark", hatte der Rabbi zu Deborah einst über ihren kranken Sohn gesagt, und so ist es offensichtlich auch gekommen.
Mendel ist glücklich und spricht von einem Wunder und sieht nach der Wiedererkennung seines Sohnes seine Vergehen gegen Gott ein. Er schämt sich zugleich, dass er ihn einen allmächtig-bösen "Isprawnik", nämlich Polizeichef, genannt hat. Nun hat er alle Aussicht, "nach späten Jahren in den guten Tod (einzugehen), umringt von vielen Enkeln und 'satt am Leben', wie es im 'Hiob' geschrieben stand". Und der letzte Satz lautet: "Mendel schlief ein. Und er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder." (Laut Michael Zimmer:"Metaphorisch-euphemistische Umschreibung im Jüdischen für den Tod". Einerlei, ob Mendel in diesem Augenblick stirbt oder einige Jahre später, wie Roth einige Seiten zuvor suggeriert, auf jeden Fall ist seinem Leben ein glückliches Ende beschieden.)
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